Einbildung ist auch eine Form von Bildung.
Mit diesem kritischen Satz sind Menschen gemeint, die viel von sich halten und gerne öffentlich ihren Stolz auf sich selbst zeigen, auf das, was sie wissen oder können. Wer diesen Satz sagt, verdreht vielleicht dazu noch die Augen, ist jedenfalls auch genervt davon, wie überheblich Menschen sein können.
Scheinbar sind immer wieder Leute stolz auf sich, auf ihre Macht, ihr Ansehen, ihren Einfluss – überwiegend Männer übrigens. Und sie legen auch Wert darauf, dass möglichst viele das sehen und hören.
Solche Männer tummeln sich gerade auf der Weltbühne der Politik und haben unseligerweise Macht übertragen bekommen in wichtigen Ländern wie den USA oder Russland, Israel oder China, Türkei oder Nordkorea.
Wenn wir nüchtern und von dem Gebaren unbeeindruckt darauf schauen, dann erkennen wir wenig Verantwortung für die Menschen im jeweiligen Volk. Vor allem ist spürbar, wie hoch das Interesse am eigenen Status der Macht ist. Frieden und Gerechtigkeit, vornehmste Themen für Menschen in politischer Führung, scheinen keine große Rolle zu spielen.
Ich weiß am besten Bescheid, was richtig ist.
Ich will zeigen, dass ich allein die Macht habe.
Ich kann machen, was ich will.
Ich entscheide, ohne Rücksicht zu nehmen.
Ich handle so, wie es mir und meinen Fans passt.
Das ist eine gefährliche und explosive Mischung, die im Grunde genommen täglich die Nachrichten füllt.
Die Fragen liegen auf der Hand:
Wohin kann es führen, wenn Menschen sich selbst überheben?
Wer profitiert von diesem Gehabe?
Wer leidet unter solchen Menschen?
>Ich bilde mir nicht ein, vollkommen zu sein.<
Das wäre der krasse Gegenentwurf dazu.
Ich bin auf der Suche.
Ich bin unterwegs.
Ich habe eine Idee, wo es hingehen soll.
Ich möchte ein Ziel erreichen.
Ich behaupte nicht, ich wüsste, wie ich da am besten hinkomme. Ich bilde mir auch nicht ein zu wissen, wo oder wie ich am sinnvollsten an Kreuzungen abzubiegen habe.
Aber ich bleibe auf dem Weg, hoffe und vertraue.
Ich behaupte nicht mehr von mir, als ich auch einlösen kann.
Hätte Paulus nicht allen Grund und alle Berechtigung, sich etwas auf sich einzubilden? Immerhin könnte er ja doch zu Recht sagen:
Ich habe ergriffen.
Ich weiß, worum es geht und wo es lang geht.
Paulus wusste genau, wo er herkam.
Er war traditioneller Jude und dort gebildeter Theologe.
Das war ihm wichtig, er war sich sicher, er bildete sich ein, gut Bescheid zu wissen über Gott und dessen Verhältnis zu den Menschen.
Er meinte, klar entscheiden und unterscheiden zu können zwischen richtig und falsch, zwischen Gut und Böse.
Damit steht er keineswegs alleine.
Zu seiner Zeit nicht.
Und auch heute haben genügend Menschen genau diesen Anspruch.
Es ist weit verbreitet, auf allen Feldern des gemeinsamen Lebens:
in der Politik, bei Fragen der Umwelt, in der Wirtschaft und ganz offensichtlich auch in Fragen der Religion.
Ich habe mich informiert.
Ich bin gebildet.
Ich weiß Bescheid.
Ich habe die Erkenntnis und bin auf dem richtigen Weg.
Andere irren und liegen mit ihrer Einstellung falsch.
Im Umgang mit anderen Menschen ist das durchaus schwierig.
An Paulus ist das gut zu beobachten.
Er bildet sich ein, Bescheid zu wissen und richtig zu handeln.
Er verfolgt Menschen, die anders glauben.
Er verhaftet sie und liefert sie der Justiz aus.
Er eifert für seine Sache.
Mit Gewalt.
Dahin also führt es, wenn Menschen sich überheben.
In Gewalt gegen die, die anders denken und glauben.
Die werden eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Sie leiden.
Ob Paulus genau das in seiner Begegnung mit Jesus Christus wahrgenommen hat? So, dass er es verinnerlicht und seine Einstellung grundlegend verändert hat?
Ich könnte stolz auf mich sein.
Ich hätte mir etwas einbilden können auf mein Leben, meine Bildung, meinen Status, mein Ansehen. Ich hatte es mir auch verdient.
Aber wohin hat es mich geführt?
Was hat es mir für mein Leben gebracht?
Auf einmal darf er direkt und unmittelbar, wenn auch unsichtbar, Christus begegnen.
Er hört unmissverständlich die klare Botschaft, dass er der Herr des Lebens ist. Ab sofort auch für Paulus.
Der nimmt bewusst diese völlig neue Lebenssituation an.
Schlagartig verändern sich seine Maßstäbe und Bewertungsmuster.
Wer oben war, Paulus, liegt nun unten.
Wer scheinbar gescheitert war, Jesus Christus, meldet sich von oben.
Was wichtig war, die bisherige Überzeugung, ist wertlos.
Was verfolgt wurde, der Glaube an Jesus Christus, ist plötzlich erstrebenswert und lebenswichtig.
Ich bilde mir nicht ein, vollkommen zu sein.
Wegen Christus. Durch Christus. Mit Christus.
Das Leben hat für Paulus ein neues Zentrum.
Nicht mehr er selbst mit seinen Überzeugungen und Einstellungen, alles zu wissen und richtig zu machen, steht im Mittelpunkt.
Christus ist es.
Der hat sich selbst dahin positioniert.
Von selbst wäre Paulus sicher nicht darauf gekommen.
Es brauchte schon einen harten Eingriff.
So leicht sind wir Menschen nicht von unseren Wegen abzubringen.
Wir haben es gern gewohnt.
Alles soll so bleiben, wie es war und ist.
Wie es war im Anfang, jetzt und allezeit und am besten bis in die Ewigkeit.
Aber genau so wird das nichts mit der Ewigkeit.
Auf gewohnten Wegen kommt da keiner hin.
Unser Innerstes muss überwunden werden.
Das bildet sich so gerne etwas ein. Auf sich.
Das ist gerne stolz.
Davon lassen wir ungern los.
Paulus musste dafür vom Pferd stürzen und blind werden.
Das musste wehtun und einschränken.
Auf einmal war er hilfsbedürftig.
Er hatte alles verloren.
Alles, was wichtig und wertvoll schien, war weg, aus der Hand geschlagen.
Statt das Leben zu gewinnen, landet er im Dreck.
Das ist unangenehm, das ist eklig und stinkt.
Aber dann erlebt er, dass Christus genau an dieser Stelle zu ihm spricht.
Er erfährt, dass Menschen sich um ihn kümmern, und zwar liebevoll.
Dass sie ihm aufhelfen, ihn pflegen, ihn säubern, ihm Nahrung geben.
Ihm, der solche Leute verfolgt hatte, die Angst vor ihm hatten.
Der erwarten musste, dass sie ihn voller Schadenfreude in Dreck und Kot liegen lassen.
Aber er erfährt Hilfe, Nächstenliebe, Zuwendung.
Das, was er verfolgt hatte und bis dahin wertlos für ihn war, wird zum Gewinn seines Lebens.
Und damit endet jeder Versuch, sich selbst zu wichtig zu nehmen, sich über andere zu erheben, stolz auf das zu sein, was einer kann, was eine leistet.
Ich bilde mir nicht ein, vollkommen zu sein.
Das ist eine gute Einsicht. Dafür, mit dem eigenen Leben umzugehen.
Ich überhebe mich nicht, ich bin dankbar, ich erwarte und verlange nicht zu viel von mir. Ich setze mich nicht unter Druck. Ich verzweifle nicht, wenn ich scheitere.
Und genauso dafür, mit anderen Menschen umzugehen.
Nicht, dass ich’s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich’s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin.
Mit Menschen zu tun zu haben, die wissen, dass sie Fehler machen, dass sie nicht perfekt sind, ist angenehm. Sie kalkulieren immer ein, sie könnten sich auch irren. Sie können zuhören, lassen sich kritisieren und werten es nicht als Angriff auf ihre Person. Ihre Eitelkeit ist nicht gekränkt. Sie suchen gemeinsam mit anderen nach Lösungen, die für alle gut sind.
Was wäre das für eine Welt, wenn die selbstverliebten Herrscher von ihren hohen Rössern fielen, wenn ihnen die Augen für ihren Stolz zugingen und neu geöffnet würden für die anderen, für Verantwortung, für Frieden, für Gerechtigkeit. Wenn sie aufhörten, Kriege zu führen, Waffen zu kaufen und einzusetzen. Wenn sie stattdessen dem Hunger und dem Elend in der Welt entgegenträten. Wenn sie sich um Gerechtigkeit, Hoffnung und Zuversicht bemühten. Wenn Machthaber dafür sorgten, dass alle Menschen sicher leben dürften, egal, woher sie kommen, welche Hautfarbe, welches Geschlecht sie haben, woran sie glauben. Wenn alle frei ihre Meinung sagen dürften ohne Angst, verhaftet oder verfolgt zu werden.
Wie gut täte es der Kirche, wenn wir nicht nur predigten, sondern lebten, was wir glauben. Dass nämlich Christus der Mittelpunkt in jedem Leben ist und nicht die eigene Überzeugung, das Streben nach Ansehen und Macht. Dann wären wir barmherzig und hilfsbereit, ohne danach zu fragen, wer Hilfe und Zuwendung verdient hat.
Das weiß ich sehr wohl, habe es vor allem auch bei Paulus gelernt und möchte in seiner Schule bleiben.
Ich bilde mir nicht ein, vollkommen zu sein.
Ich möchte mir selbst und anderen gegenüber eingestehen können, dass ich Sünder bin, Fehler mache, dass ich mit meiner Überzeugung falsch liegen könnte.
Ich möchte zuhören können, mich bewegen und verändern lassen.
Ich möchte, dass Christus mit dem, was er gesagt und getan hat, das Zentrum meines Glaubens bleibt.
Ich möchte die Menschen in meiner Umgebung sehen und wahrnehmen, ich möchte mich ihnen so zuwenden können, wie es ihnen guttut und mir möglich ist.
Ich will in den Spuren Jesu gehen und mit ihm hoffe ich auf das ewige Leben. Ich will dieses Ziel immer im Blick und im Herzen behalten. Es macht mir Mut, dass Jesus Christus mich nicht aufgibt. Er gibt niemanden auf, auch nicht die, die gescheitert sind. Er beruft sogar die, die keinen Anspruch anmelden können. Er wendet sich gerade denen zu, die es nicht verdient haben, die keineswegs vollkommen sind, die sogar im Dreck liegen.
Deswegen bin ich dabei, gehöre dazu. Ich bin mitgemeint und mit all den anderen auf dem Weg zum vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.
Gott sei Dank.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen? Es ist ein Sonntag mitten in unseren Sommerferien, die Gottesdienstgemeinde eher klein. Viele in ihr sind eher bescheiden und zurückhaltend. Manche haben eine sehr bewegte Lebensgeschichte, kennen es, wegen ihres Glaubens an den Rand und in die Unsichtbarkeit gedrängt zu werden. Das Evangelium entfaltete seine Kraft als innere Kraft und Stütze. Da ist viel Dankbarkeit dafür, in Jesu Augen wichtig und wertvoll zu sein, und darum viel Verständnis für die Situation, von der Paulus berichtet. Der Zugang fällt mir darum leicht.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt? Mich beschäftigt die große Diskrepanz zwischen dem, was ich politisch (auf der Weltbühne) wahrnehmen muss und dem, was ich im Evangelium von Jesus Christus hören darf. Ich stelle mir vor, wie das aufeinander wirkt, welche Kraft in der frohen Botschaft liegen könnte und ja auch liegt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten? Der Blick auf andere Menschen – auch mein Blick – wird beeinflusst von Meinungen und Parolen. Auch ich bin nicht gefeit davor, zu werten und zu urteilen. Die Botschaft dieses Textes macht mir neu bewusst, wer ich selbst bin – vor Gott und in der Begegnung mit anderen Menschen, Ich möchte mich gerne zu Weitherzigkeit ermutigen und begleiten lassen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung? Ich erlebe es wiederholt als spannend, auf ‚Fehler‘ aufmerksam gemacht zu werden, die ich bei anderen sofort erkenne und unbedingt vermeiden möchte. Zu viele Wiederholungen von Aussagen, zu substantivische Formulierungen konnten so beseitigt werden. Auch mangelnde Klarheit in Sätzen, die mir einleuchten, aber einer Leserin sich nicht sofort erschließen können, durfte hilfreich ersetzt werden.