Wir müssen reden – vom Umgang mit Krankheit - Predigt über Joh 5, 1-16 von Bert Hitzegrad
5, 1-16

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist! Amen!

 

Liebe Gemeinde!

In der Epistellesung (Jak 5, 15-16) hieß es: „Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie für ihn beten.“ Im Predigttext aus dem Johannesevangelium im 5. Kapitel geht es ganz konkret um Krankheit und Heilung:

Die Heilung am Teich Betesda

1 Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. 

2 Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; 

3 in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte.

5 Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig Jahren krank. 

6 Als Jesus ihn liegen sah und vernahm, dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? 

7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. 

8 Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! 

9 Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber Sabbat an diesem Tag. 

10 Da sprachen die Juden zu dem, der geheilt worden war: Heute ist Sabbat, es ist dir nicht erlaubt, dein Bett zu tragen. 

11 Er aber antwortete ihnen: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und geh hin! 

12 Sie fragten ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin? 

13 Der aber geheilt worden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war fortgegangen, da so viel Volk an dem Ort war.

14 Danach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre.

15 Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe. 

16 Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte. 

 

Und Gott segne dieses, sein Wort an uns und lass es auch durch uns zu einem Segen werden! Amen!

 

Liebe Gemeinde!

„Lasst uns doch nicht immer von Krankheiten sprechen …“ Kennen Sie das, dass man im Gespräch schnell an diesem Punkt angekommen ist? Fast jeder hat Grund zur Klage.

„Lasst uns doch nicht immer von Krankheiten sprechen …“ Imke klagt über ihren Bluthochdruck, Frank „hat Rücken“ und Nico ist auf dem Weg in die Diabetes. Es hätte ein schöner Abend werden können, doch dann sind die Krankheiten dran. „Lasst uns doch nicht immer von den Krankheiten sprechen“ meint Gabi, „damit können wir warten, bis wir alt sind.“

„Doch wir müssen davon sprechen, ich muss euch davon erzählen: Diese Woche kam die Diagnose! Ich habe Parkinson.“

 Schweigen in der Runde. Jens, der mit seinen Döntjes die Runde oft erheitert, kämpft offenbar mit den Tränen. „Doch, lasst uns davon erzählen, ich möchte davon erzählen!“

„Parkinson, das hat doch mit Zittern und so zu tun. Das sehe ich gar nicht bei dir!“ wendet Imke ein.

„Mir ist schon aufgefallen, dass du dich in letzter Zeit anders bewegst, langsamer, mit so steifen Bewegungen“, wendet Frank ein. „Und du hast mir neulich eine handschriftliche Nachricht zukommen lassen. Die konnte ich kaum lesen, weil sie so klein geschrieben war. Ich glaube, solche Symptome gehören zu Parkinson.“

„Parkinson, Parkinson! Was ist das eigentlich?“ will nun Jule wissen. „Morbus Parkinson, also die Krankheit Parkinson ist eine neurologische Krankheit.“ erklärt nun Jens sein Leiden.„So wie Alzheimer. Nervenzellen sterben ab, die entscheidend sind für den Bewegungsapparat unseres Körpers. Ein englischer Arzt namens James Parkinson hat die Krankheit im 19. Jahrhundert erforscht. Nach ihm heißt sie Parkinson. Im Deutschen hieß sie vorher Schüttellähmung wegen des Zitterns, es können aber auch Lähmungen auftreten.“

„Und was kann man dagegen tun?“ will Gabi wissen, die immer praktisch denkt. „Nicht viel. Zur Zeit nehme ich Medikamente ein, hoffe, dass die Symptome damit nachlassen. Es gibt auch die Möglichkeit einer OP am Kopf. Aber umkehren lässt es sich nicht …“ 

„Mensch Jens! Dich hat es ja ganz schön erwischt. Das war sicherlich ein Schock für dich als du die Diagnose bekommen hast!?“

„Hhmmmmm! Eigentlich hatte ich damit gerechnet. Ich hatte schon bei Google die Symptome gefunden … und da hieß es: Parkinson!“

Schließlich will Imke wissen: „Und nun: Wie gehst du damit um?

„Ich erzähle von der Krankheit“ erwidert Jens. „Werde ich gefragt, wie es mir geht, freue ich mich, dass jemand sich traut, auf mich zuzugehen. Wenn jemand mich fragt „Darf ich dir in den Mantel helfen?“ dann nehme ich inzwischen das  Angebot an! Es tut gut, wenn ich mit der Krankheit nicht allein bin!“

„Lass uns nicht über Krankheiten sprechen! Nein, wir müssen über Krankheiten sprechen.“ Krankheiten bestimmen das Leben vieler Menschen, Parkinson ist nur ein Beispiel. 40% der Deutschen sind chronisch erkrankt, sitzen in Wartezimmern, hoffen auf erfolgreiche Therapien, vielleicht auch auf ein Wunder. Für sie gilt nicht die klassische Lebenseinstellung „Hauptsache gesund“. Für sie gilt: „Ich lebe – ich lebe auch mit der Krankheit.“

Auch für die Bibel ist das wichtig. Da geht es ständig um Heilung und Heil für die Kranken. Es gehört zur Mitte des Wirkens und der Verkündigens Jesu. Im Neuen Testament gibt es mehr als 25 Heilungsgeschichten, in denen Jesus sich als heilender Arzt erweist, Menschen, die Kranken in ihrer Krankheit anspricht, Heilung an Leib und Seele schenkt.

Zu diesen Erzählungen gehört auch der Abschnitt aus dem Johannesevangelium. Er schenkt uns einen kleinen Einblick in das damalige Gesundheitssystem: Die Kranken stehen außerhalb der Gesellschaft, ganz konkret - draußen vor der Stadt am Schaf-Tor warten sie auf Genesung. Viele Kranke sind es mit unterschiedlichsten Diagnosen: Blinde, Lahme, Aussätzige … Wir können uns das Bild am Teich mit dem hoffnungsvollen Namen „Betesda – Haus der Barmherzigkeit“vorstellen – ein Wartezimmer voller Sehnsucht nach einem besseren Leben-- die Wunden, das Stöhnen, die Gerüche, das unmenschliche Warten … Einer dieser Leidenden wird herausgenommen aus der Masse der Kranken. Wir hören und lesen, dass er schon 38 Jahre krank ist, dass er liegen muss, dass er ohne Hilfe sich nicht bewegen kann … 

Ein ganzes Leben liegt schon hinter ihm, aber ist das ein Leben? Und so wartet er, wartet auf das Wunder, das Wunder des heiligen und heilenden Wassers, aber vor allem auch auf das Wunder, dass jemand sich für ihn interessiert, dass irgendjemand hilft, dass ihm jemand in seiner aussichtslosen Situation neue Perspektiven schenkt … Jesus wird sein Arzt. Das Warten hat ein Ende. Und der, der sich an keine Regeln oder Naturgesetze hält; der, der nur ein Gebot kennt – „Liebe Gott und liebe deinen Nächsten“ -, der benötigt kein Wasser, keine Trage, um den Kranken zum Teich zu tragen. Er braucht auch keine lange Anamnese und die Diagnose, die zur Therapie führt. Jesus wendet sich ihm zu und so heilt er die inneren Wunden, und schenkt dem neues Leben, der bisher am Leben nicht teilnehmen konnte.

Und der, der redet natürlich davon, wer ihn gesund gemacht hat. Er redet davon, weil er gar nicht anders kann und die Freude nach 38 Jahren zu groß ist, weil er die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben hatte, weil er den Glauben an die Menschen und an Gott verloren hatte. Doch diese eine Begegnung verändert sein Leben, diese eine Begegnung an einem Sabbat, zeigte ihm, dass Gott auf seiner / auf unserer Seite steht trotz Krankheit, Not und Leiden, ja gerade auf den krummen Wegen des Lebens.

Jens, der Parkinson-Patient, hat diesen Glauben, hat diesen Mut. Während einer Kur für Menschen mit seinem Krankheitsbild, besucht er am Sonntag den Gottesdienst. Es fällt ihm schwer, während des Abendmahls zu stehen. Ein älterer Herr hält seine Hand, die zittert. Es tut ihm gut, das Gebet für die Kranken zu hören und schließt gleich seine Familie mit ein, die ebenfalls mit der Krankheit leben muss.

Zum Schluss-Segen steht er wieder auf, etwas wackelig, etwas unbeholfen. Die Zeile „Der Herr schenke dir seinen Frieden“ tut ihm besonders gut. Nichts, aber auch gar nichts soll ihn von Gott trennen. Gott geht mit, ist da, hält die Hand, wenn sie zittert, hält ihn fest, wenn er fällt.  Beim Mittagessen in der Kurklinik erzählt er davon, dass er zum Gottesdienst in der Kirche war. Während er Mühe hat das Rindfleisch zu schneiden, erntet er Unverständnis: „Du gehst in die Kirche? Der liebe Gott hat dich doch mit deiner Krankheit vergessen. Warum musst du leiden?“ Beinahe lässt die aufgebrachte Nachbarin den Löffel für den Nachtisch fallen …

Und Jens antwortet, während er über den Pullover wischt, der etwas Tomatensauce abbekommen hat. „Meine Frage lautet: Warum leidet Gott mit mir? Und ich antworte: Weil ich ihm wichtig bin, auch wenn der olle Parkinson mich schüttelt oder lähmt. Er hält zu mir! Also: Lass uns nicht nur über Krankheiten sprechen, sondern auch über das, was uns Hoffnung und Zuversicht gibt. Wir sitzen doch gemeinsam im Wartezimmer der Sehnsucht!“

Amen

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastor i.R. Bert Hitzegrad

1.         Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?

Die Predigtsituation ist eine sehr persönliche. Ich habe primär nicht die Gemeinde im Blick, sondern zunächst mich selbst. Seit sechs Jahren begleitet mich die Diagnose Parkinson, die schließlich auch zur Pensionierung vor einem Jahr geführt hat. Mit einer guten Medikamentierung, Krankengymnastik etc. kann ich mit dieser Krankheit relativ gut leben. Der Ruhestand tut sein übriges. Diese Predigt ist ein Versuch, über die Veränderung nachzudenken, die diese Krankheit mit sich gebracht hat und nach einem tragenden Fundament zu suchen, während das Lebensgebäude zunehmend bröckelt.

2.         Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?

Leitend bei der Predigtvorbereitung war die Frage: Was hilft mir in dieser Situation? Ich muss keinen anderen Menschen helfen, sondern brauche selbst Hilfe. Als Seelsorger und als professioneller Ratgeber bin ich selbst in der Situation, Seele und Leib versorgen zu lassen und das anzunehmen - also ein Testfall für das, was ich beruflich angeboten habe und was nun mein eigenes Leben trägt. Die Suche nach Antworten und der Versuch, Antworten zu geben haben mich in der Predigtarbeit vorangebracht. Das fiktive Gespräch über die Krankheit machte es möglich, das Thema in einer gewissen Lebendigkeit vorzustellen.

3.         Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten? 

Zwei tragende Brückenpfeiler habe ich festmachen können. Zum einen das Gespräch über die Krankheit = nicht verschweigen, sondern offen und ehrlich damit umgehen, nicht verdrängen, sondern immer wieder mit vertrauten Menschen sprechen. Zweitens: Eitelkeiten ablegen, Hilfe annehmen, wo Hilfe erforderlich ist und Hilfe angeboten wird. Persönliche Problematik bleibt für mich die Frage: Was tragen Heilungsgeschichten im Neuen Testament für die Erkrankten des 21. Jahrhunderts aus? Warten wir auch auf das große Wunder? Ist es Schuld/Sünde, die Leib und Seele erkranken lässt und von der nur Jesus befreien kann. Wenn das Leben so einfach wäre ...

4.         Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung? 

Zunächst eine wohltuende und wohlwollende Rückmeldung und eine Analyse, die dem Prediger und der Predigt mit ihrem Anliegen völlig gerecht wurde.  Coaching, auch wenn wenig Zeit blieb war eine große Hilfe, die schwergängigen Formulierung zu identifizieren und abstrakte Rede in eine erzählerische Form zu gießen, was der Predigt eine gewisse Leichtigkeit verleiht. DANKE! 

P.S.: Das Beispiel Parkinson ist sicherlich sehr engführend, kann aber leicht durch andere Erfahrungen und das Leben total umkrempelnde Diagnosen ersetzt werden. 

Perikope
26.10.2025
5, 1-16