„In guter Gesellschaft“ - Predigt über Matthäus 9, 9-13 von Traugott Jähnichen
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„In guter Gesellschaft“ - Predigt über Matthäus 9, 9-13 von Traugott Jähnichen

„In guter Gesellschaft“
Liebe Gemeinde,
„Geschlossene Gesellschaft“ – wenn wir dieses Schild lesen, etwa in einem Restaurant, oder eine entsprechende Auskunft erhalten, wissen wir: „Wir sind heute nicht eingeladen, hier ist dieses Mal kein Platz für uns.“ „Geschlossene Gesellschaft“, so etwas gibt es sehr häufig. In der Regel im privaten Bereich, wo auch gar nichts dagegen zu sagen ist. Es ist legitim und in Ordnung, wenn Menschen unter sich bleiben wollen, etwa bei Geburtstagen oder anderen Feiern. Wenn die „geschlossene Gesellschaft“ jedoch zum Prinzip zu werden droht, wenn der Ausschluss von Menschen von bestimmten Einrichtungen, von Ämtern oder über das Verfügen guter Möglichkeiten zum Leben in der Gesellschaft vorherrschend wird oder sogar die gesamte Gesellschaft prägt, dann wird die „geschlossene Gesellschaft“ zum Problem. In vielen Bereichen auch unserer Gesellschaft, die sich dem Leitbild der „offenen Gesellschaft“ verdankt, ist dies so: Viele Führungspositionen, etwa in Parteien oder in der Wirtschaft, werden immer noch sehr stark nach Herkommen oder aufgrund sozialer Verbindungen vergeben. Die „geschlossene Gesellschaft“ wird auf diese Weise zum Problem, da nicht alle die gleichen Chancen haben und einige sich ausgeschlossen fühlen, auch wenn sie aufgrund ihres Engagements oder ihrer Leistung dazugehören müssten. Die „geschlossene Gesellschaft“ wird aber häufig auch für diejenigen zum Problem, die dazugehören, für die Insider. Gerade für sie kann eine „geschlossene Gesellschaft“ zum Albtraum werden oder sogar zur Hölle, wie es in dem gleichnamigen Theaterstück von Jean-Paul Sartre heißt. „Geschlossene Gesellschaft“, je nach dem kann dies eine normale Sache sein, häufig jedoch höchst ambivalent oder sogar eine sehr problematische Angelegenheit.
Einen deutlichen Gegenentwurf zur „geschlossenen Gesellschaft“ hat die Jesusbewegung praktiziert. Jesus selbst hat immer wieder Grenzüberschreitungen gewagt, im wortwörtlichen Sinn, etwa wenn er zu den Samaritanern oder in das heidnisch geprägte Gebiet der Zehn Städte ging, vor allem aber im übertragenen Sinn, wenn er die Grenzen der gesellschaftlichen Ordnung seiner Zeit überschritten hat. Viele haben dies als Provokation empfunden. Ich lese als Predigttext Mt. 9, 9-13:
„Und da Jesus von dannen ging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus, und sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Das das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst Euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Da das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernet, was dies ist: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht an Opfer.“ (Hos 6,6) Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.“
Jesus kehrt bei einem Zöllner ein, vermutlich ein einfacher Zollbediensteter, da er ja zuvor selbst am Zoll gesessen hat und dort die alltägliche Arbeit zu verrichten hatte, die sicherlich oft genug mit viel Streit und üblen Beschimpfungen vonstatten ging. Ein Oberzöllner, wie Zachäus, von dem Lukas erzählt, hat nicht selbst am Zoll gesessen, sondern hatte seine Leute dazu. Jesus lädt diesen Zöllner Matthäus ein, zu seiner Bewegung zu gehören, ihm nachzufolgen. Matthäus versteht dies als den entscheidenden Impuls in seinem Leben, und er folgt Jesus nach. Was danach zuerst folgt, ist ein denkwürdiges Gastmahl. Zöllner und Sünder, vermutlich Kleinkriminelle, die bisweilen mit den Zöllnern gemeinsame Sache gemacht haben, kommen zusammen, also diejenigen, die mehr oder minder offiziell andere betrügen und wohl auch solche, die dabei handfester werden. Diese Gesellschaft, nicht nur in ihrer Zeit schlecht beleumdet und häufig gemieden, versammelt sich um Jesus und seine Jünger. Dass dies keine geschlossene Gesellschaft ist, ist offenkundig. Viele strömen herbei und wollen einfach dabei sein. Auch die Pharisäer sehen dies und kommen herbei, obwohl sie es brüsk von sich weisen würden, zu dieser Gesellschaft gerechnet zu werden. Hier wollen sie lieber außen vor bleiben. Immerhin sind sie ehrlich und offen und tun ihren Unmut kund. Sie fragen die Jünger über das Verhältnis Jesu kritisch aus: Euer Meister, ein Rabbi, isst mit Zöllnern und Sündern, in solch einer Gesellschaft diskreditiert er sich doch gründlich.
Ich vermute die Pharisäer sind uns sehr nahe, wir würden wohl ähnlich reagieren. Stellen wir uns doch nur einmal vor, ein Pfarrer oder eine Pfarrerin hätte persönlich enge Kontakte mit Angestellten von, sagen wir einmal Hedgefonds, den sogenannten Heuschrecken. Und dann würde er in einem Kreis von Fondsmanagern gesehen, darum herum noch ein paar zwielichtige Gestalten, vielleicht mit Kontakten zur Mafia oder ähnlichen Gruppen. Ich fürchte, dieser Pfarrer würde sehr schnell ein Problem bekommen, nicht zuletzt mit uns: „Lieber Herr Kollege, das geht aber gar nicht. Sie kennen doch sicherlich die ethischen Leitlinien unserer Kirche, vom EKD-Ratsvorsitzenden über die theologischen Ethiker bis hin zu den Pfarrern und Pfarrerinnen vor Ort wird doch klar erklärt, dass diejenigen, die sich in den Dienst des Geldes stellen, die den Tanz um das goldene Kalb aufführen, wie ein EKD-Ratsvorsitzender einmal gesagt hat, also die Banker und Fondsmanager, schuld sind an unserer gegenwärtigen Finanzkrise. Diese Leute saugen uns normale Bürger bis aufs Blut aus, betrügen oder zumindest tricksen sie, und wir alle bezahlen letztlich die Rechnung dafür. Mit solchen Leuten machen sie sich gemein, in welche Gesellschaft sind sie da geraten?“
Warum ist euer Meister mit den Zöllnern und Sündern, mit den Hedgefondsmanagern und Kriminellen? Die Pharisäer sind uns, sind mir, mit dieser Frage sehr nahe. Wir bemühen uns doch, in diesen schwierigen Zeiten - mit den Römern als Oberherren, mit der Macht der großen Kapitalgesellschaften - wir bemühen uns in dieser Zeit, nach dem Willen Gottes zu leben, einigermaßen korrekt durchs Leben zu kommen, ehrlich zu bleiben und dabei auch etwas für die Armen zu tun. Und dann kommst Du, Jesus, lässt uns beiseite stehen und wendest dich diesen zwielichtigen Gestalten zu, denen, die mit den Römern oder mit den Geldmächten paktieren. „Er isst mit den Zöllnern und Sündern“. Sage mir, mit dem du gehst, und erst recht mit wem du isst, und ich sage dir wer du bist.
Die Antwort Jesu auf diese - auf unsere - Anfragen, ist eindeutig: „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.“ Insofern ist Jesus mit seinem Urteil über die Zöllner und Sündern, die Geldleute damals wie heute, gar nicht so weit weg von unseren Beurteilungen und Meinungen. Nur er handelt anders, als wir es tun, als wir es wohl auch tun können. Er geht auf sie zu: „Folge mir nach!“. Er isst mit ihnen, er lässt sich ihre Gesellschaft gerne gefallen – eine gute Gesellschaft? Immerhin muss man der Jesusbewegung zugestehen, dass sie auch mit diesen Leiten in gute Gespräche und Kontakte kommen konnten. Matthäus ist ihm nachgefolgt, viele andere, eher zwielichtige Leute auch. Es ist schon eine sehr bunt gemischte Anhängerschaft, diese Jesusbewegung: Zöllner und Geldleute, die mit den Herrschenden paktieren auf der einen Seite, Zeloten, also militante Widerstandskämpfer auf der anderen Seite, dazwischen eher normale Leute, wie Handwerker und Fischer. Eine wahrlich nicht gerade homogene Gruppe, kein „Gleich zu Gleich gesellt sich gern“, sondern die Verschiedenen finden da zusammen und werden durch Jesus vereint. Jesus bewirkt Veränderungen bei ihnen, gerade auch bei den Zöllnern, nicht nur bei Matthäus. Der Oberzöllner Zachäus z.B. erstattet das Vierfache des von ihm betrügerisch und wohl auch widerrechtlich angeeigneten Gutes, damals die übliche Strafe bei Betrug. Aber er tut es freiwillig, ohne äußeren Druck und ohne Verurteilung. Zudem gibt er die Hälfte seines Besitzes an die Armen, vermutlich eine beträchtliche Summe. Die andere Hälfte behält er für sich und kann damit wohl auch noch sehr gut leben. Dies ging in der frühen Christenheit durchaus. Zachäus ist insofern die positive Gegengeschichte zur gescheiterten Berufung des reichen Jünglings. Jesus sieht die Aufrichtigkeit und den Ernst des Zachäus, und es ist in Ordnung wie er handelt.
Schade, dass dies heute Pfarrern oder uns als Theologen an der Uni oder auch den Spitzen der Kirche wohl nicht sehr oft gelingt, wenn sie, wenn wir in Kontakt stehen etwa mit Menschen von der Spitze der Gesellschaft. Es ist es nur sehr selten, dass ein christlicher Umgang mit dem Geld angesprochen wird und Menschen sich dann verändern. Aber auch wir hier an der Uni, Theologen, egal ob Professoren oder Studierende, sind ja auch nicht anders als die Leute der Kirche. Wer von uns hat schon engeren Kontakt z.B. mit Wirtschaftswissenschaftlern. Ich fürchte es sind heute, in diesem Gottesdienst, nicht viele, wenn überhaupt welche von ihnen da. Und dies ist sicherlich nicht nur die Schuld der Wirtschaftswissenschaftler, sondern mindestens ebenso unsere Schuld. Denn auch wir sind ja ein recht homogener Kreis, gebildet, hauptsächlich geisteswissenschaftlich oder sogar literarisch geprägt, christlich orientiert, aber eben kaum oder keine Menschen aus Randgruppen, weder gesellschaftliche Außenseiter noch Menschen, die man zur Elite rechnen kann.
Sind wir in guter Gesellschaft, sind wir eine gute Gesellschaft? Ich weiß es nicht, vielleicht ja, weil wir offen sind, weil bei uns keine Ausgrenzung praktiziert wird, weil bei uns die Starken und die Schwachen ihren Ort finden können. Es wäre gut, wenn es so wäre. Was Jesus fordert, von den Pharisäern damals, von uns heute, ist eindeutig und wird zum Schluss von ihm auf den Punkt gebracht: Gott hat Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht an Opfer. Gott hat Wohlgefallen an der Offenheit gegenüber den Anderen, gerade auch den Ausgegrenzten, aber auch den Eliten, um sie anzusprechen und in seine Gesellschaft einzuladen. Es geht nicht um Opfer, nicht um das pedantische Einhalten von Regeln oder gar um „political correctness“. Es geht darum, den Anderen zu sehen, wir er ist, ihn anzusprechen und einzuladen, damit auch er dazu gehören kann. So wie es Jesus mit Matthäus, dem Zöllner getan hat - oder mit Zachäus -, wie er offen war auch für dessen Freunde und Bekannte.
Eine besondere Form der Gemeinschaft von Menschen ist dort, damals wie heute, wo man miteinander isst. Die Mahlgemeinschaften Jesu, gerade die mit den Ausgegrenzten, waren legendär. Sie haben ihm den Ruf eines Fressers und Weinsäufers eingebracht. Aber diese Mahlgemeinschaften waren es, die Menschen zusammengeführt haben, die Grenzen überwunden haben und Menschen miteinander in Kontakt gebracht haben, gerade diejenigen, die sich dies zuvor nicht unbedingt vorstellen konnten. Wenn wir als Kirche in der Gegenwart und heute hier in diesem Gottesdienst Abendmahl feiern, dann ist dies – neben vielem anderem – auch eine Erinnerung an diese Mahlgemeinschaften Jesu, daran, dass er mit Zöllnern und Sündern isst. Er lädt uns auch heute ein, dabei zu sein, mit ihm zu essen, ohne Abgrenzungen und ohne Menschen auszuschließen. Wenn er einlädt, sind wir in guter Gesellschaft, keine geschlossene Gesellschaft, sondern ein offener Kreis, eben eine gute Gesellschaft. Dazu gibt es gleich bei der Feier des Abendmahls Gelegenheit.
Amen.