„Der Wind kommt. Halte mich fest“, Predigt zu Matthäus 7,24-27 von Klaus Pantle
7,24
Jesus spricht:24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der wird einem klugen Mann gleichen, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.
26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der wird einem törichten Mann gleichen, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.
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Liebe Taufgemeinde, Martin ist ein Kämpfer. Er ist knapp vierzig Jahre alt und stammt aus kleinen Verhältnissen. Sein Vater war Arbeiter in der Metallindustrie, er selbst machte Abitur, studierte und arbeitet heute in der IT-Branche. Während des Studiums lernte er seine Frau kennen. Diese stammt aus gutbürgerlichem Hause und ist in leitender Stellung im Personalwesen einer großen Firma tätig. Das Paar hat zwei Kinder und ist vergleichsweise wohlhabend. Eigentlich, so könnte man meinen, haben sie keinen Grund zu klagen. Martin käme auch nie auf die Idee, zu klagen. Er ist ja ein Kämpfer, der leistungsbereit und flexibel ist. In vierzehn Jahren haben sie in vier verschiedenen, weit auseinander liegenden Städten gewohnt. Grund für die Umzüge war immer der Job. Mal bekam sie woanders ein besseres Angebot, weshalb auch er wechselte. Mal verlor er seine Stelle, weil die Firma eine Abteilung dicht machte und er nicht mehr gebraucht wurde. Inzwischen ist er selbstständig. Sie ist eingebunden in eine große Firma und betreute Menschen, die ihre PC-Arbeitsplätze zu Hause hatten und von ihr über ein komplexes System online begleitet und kontrolliert wurden.
Martins Problem war, dass er dauernd angespannt war und dass ihm dies mit zunehmendem Alter deutlicher bewusst wurde. Als Selbstständiger war man austauschbar. Meldete sich ein Kunde, musste man präsent sein und sofort Leistung bringen. War man dem Kunden nicht gut oder flexibel genug, war man schnell raus aus dem Geschäft. Gelegentlich ertappte er sich beim Gedanken daran, was passieren würde, wenn er ernsthafte gesundheitliche Probleme bekäme. Er versuchte sich dagegen zu wappnen, indem er regelmäßig Sport trieb und auf seinen Körper achtete. Sein Kapital war ausschließlich er selbst mit seiner Leistungsfähigkeit. Für jedes Projekt musste er sich auf andere Menschen einstellen. Der größte Teil seiner Kommunikation war geschäftsbezogen. Tiefere Freundschaften zu entwickeln war schwierig. Mit jedem Ortswechsel ließ man Bekannte zurück, die Kontakte rissen irgendwann ab und man musste sich neu orientieren. Im Gegensatz zu seiner Frau hatte er es bei der Arbeit zumeist mit leibhaftigen Menschen als Gegenüber zu tun. Sie kannte ihre Mitarbeiter vor allem als virtuelle Gestalten und kommunizierte mit ihnen fast ausschließlich digital. Dafür kannte Martin keine geregelte Arbeitszeit. Sein Zeitraster war fragmentiert und flexibel. Die Hausarbeit und die Sorge um die Kinder teilten sich beide. Das war ein Vorteil der flexiblen Lebensweise. Gelegentlich konnte man sie auch an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten.
Was Martin zunehmend beschäftigte, war die Angst, dass er seine innere Sicherheit verlieren könnte. Er fürchtete, durch seine Lebensweise, die der Konkurrenzkampf in seinem Arbeitsbereich bestimmte, abzugleiten. Er war für sich verantwortlich. Aber inwieweit hatte er sein Leben in der Hand? Inwieweit wurde er von den Anforderungen an ihn hin- und hergetrieben? Wie beeinflusste dies sein Gefühlsleben? Wie prägte es sein Wertesystem? Dieses Nachdenken wurde nicht zuletzt angeregt durch die Beobachtung seiner halbwüchsigen Kinder. Wie prägte ihre Lebensweise ihre Kinder? Wie nahmen diese ihre Eltern wahr? Als Menschen, die mal nützlich und dann wieder überflüssig waren? Als Chamäleons, die nach Bedarf ihre Identität veränderten? Martin dachte an seinen Vater, der lebenslang in demselben Betrieb gearbeitet hatte. Dort hatte er keine große Karriere gemacht, aber ordentlich seinen Job erledigt und wurde dafür Monat für Monat bezahlt. Der Betrieb gewährte ihm eine Reihe von Fürsorgeleistungen und im Alter erhielt er eine zusätzliche Betriebsrente. Das begriff Martin jetzt als Ausdruck von Wertschätzung eines Betriebes seinen Mitarbeitern gegenüber, die er selbst nie kennengelernt hatte. Die Zugehörigkeit zu diesem Betrieb hatte die Identität seines Vaters positiv mitgeprägt. Man war jemand, wenn man dort arbeitete.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie dumm ich mir vorkomme, wenn ich meinen Kindern etwas über Verpflichtungen erzähle“, sagte er einem Bekannten. „Es ist für sie eine abstrakte Tugend. Sie sehen sie nirgendwo gelebt.“ Ihre Lebensweise schien die Kinder zu lehren: Bleib in Bewegung. Geh keine tieferen Bindungen ein. Bring keine Opfer. Bindungen und Werte sind austauschbar. Schau nach dem, was dir nützt. „Weißt du“, sagte er zu seinem Bekannten, „wenn Kinder das jeden Tag erleben, wie sollen sie dann selbst verlässliche Beziehungen und verantwortliche ethische Normen entwickeln?“
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Liebe Taufgemeinde, Jesus hätte Martin auf sein Unbehagen vielleicht mit dem Gleichnis vom Hausbau geantwortet: Wer meine Rede hört und tut sie, der wird einem klugen Mann gleichen, der sein Haus auf Felsen baute. Wer meine Rede hört und tut sie nicht, der wird einem törichten Mann gleichen, der sein Haus auf Sand baute.
Ein Mensch, der auf Sand baut, ist dumm. Das wusste vor zweitausend Jahren in Palästina jeder. Denn in Regenzeiten konnten dort sintflutartige Wassermassen vom Himmel stürzen und alles mit sich reissen. Unwetter kommen und gehen. Das weiß jeder. Jeder weiß auch, dass Lebenskrisen zum Leben gehören und dass derjenige, der das Haus seines Lebens auf unsicheren Grund gebaut hat, schnell vor den Trümmern seines Lebens stehen kann.
Wobei Jesus klar ist, dass viele Menschen ihr Leben unter prekären Verhältnissen führen müssen, ohne etwas dafür zu können. Unter den modernen Begriff „Prekariat“ fasst man alle Menschen, die in ungesicherten Lebensverhältnissen leben: dazu gehören Harz IV-Empfänger, Rentner, Facharbeiter, die sich von Leiharbeiterjob zu Leiharbeiterjob und Akademiker, die sich von Praktikum zu Praktikum oder von Projektstelle zu Projektstelle hangeln müssen. Die Menschen auf dem galiläischen Land, zu denen Jesus sprach, wussten, was prekäre Lebensverhältnisse waren. Ihm ging es darum, gerade ihnen Mut zuzusprechen: Wer meine Rede hört und tut sie, der wird einem klugen Mann gleichen, der sein Haus auf Felsen baute. Die Rede, die er meint, ist die Bergpredigt. Denn mit dem Gleichnis vom Hausbau schließt er seine Bergpredigt ab. Worum geht es in der Bergpredigt?
Man könnte dazu viel sagen. Ich will mich auf drei Aspekte beschränken.
1.  Die Bergpredigt beginnt mit Seligpreisungen. Kurz gefasst sagt Jesus: Selig ist das Prekariat. Selig sind die, die auf schwankendem Grund ihr Leben bewältigen müssen und versuchen, dies zu tun. Selig sind die geistlich und materiell Armen, die Leidtragenden, die nach Gerechtigkeit hungern und so weiter. Gott sieht sie an, schätzt sie wert und verheißt ihnen ein erfülltes Leben. Ihnen gehört das Himmelreich. Sie sind es wert. Darauf können sie bauen. Es ist ihnen zugesprochen. Sie können es hören. Im Hören beginnt es Wirklichkeit zu werden. Deshalb können sie es leben.
2. Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch. Das ist ein Kernsatz der Bergpredigt, die sogenannte Goldene Regel. Wo dieser einfache Grundsatz gelebt wird, ist das Himmelreich schon angebrochen. Die Goldene Regel gibt ein Fundament, das schon gelegt ist. Dieser Satz Jesu gibt den Menschen nicht zu hören, was er zu tun hat, sondern womit er begabt ist. Hört er auf dies, womit er begabt ist, dann prägt dies seinen Charakter. Tut er, was er gehört hat, dann übernimmt er Verantwortung für sein eigenes Leben und für das Leben der Menschen, mit denen er zusammen lebt.
3. Im Zentrum der Bergpredigt steht kein ethischer Imperativ, sondern ein Gebet: das Vaterunser. Alles Wesentliche steckt im ersten Wort des Vaterunsers: Was wir mit Vater übersetzen, hieß im aramäischen Original Abba. Das ist der zärtliche Ausdruck eines Kindes, mit dem es seinen Vater anredet. Zärtlichkeit ist die Basis der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Deshalb kann die Zärtlichkeit auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen grundieren. Das Himmelreich ist die Zeit der Zärtlichkeit.
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Liebe Taufgemeinde, für Martin als Arbeitender und Kinder erziehendem Vater unter prekären Verhältnissen wie für uns alle könnte das heute heißen:
1. Ich, meine Kinder - jeder Mensch - ist mehr wert als der Mehrwert, den er für einen Arbeitgeber schafft. Jeder Mensch ist grundsätzlich mehr wert, als das, was er leistet. Er ist unbezahlbar. Er ist ein Kind Gottes. Das wird ihm in der Taufe zugesprochen. Das gilt es zu hören. Das wird seinen Charakter bilden und sein Selbstbewusstsein prägen und ihn unabhängig machen von zu hohen Ansprüchen, die er selbst an sich stellt. Und das wird ihn frei machen von zerstörerischen Forderungen, die andere an ihn richten.
2. Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch. Der Glaubende hat immer auch den oder die Anderen im Blick. Dieser Blick auf den Anderen ist grundsätzlich positiv grundiert, so wie sein Blick auf sich selbst. Die Goldene Regel ist ein elementarer Satz, der die, die auf ihn hören, hinein weist in ein Leben in sozialer Bezüglichkeit. Es geht darum, das Soziale zu pflegen, sorgsam damit umzugehen im intimen, im familiären, im freundschaftlichen wie auch im großen gesellschaftlichen Bereich. Das Soziale hat immer Priorität. Nicht die Wirtschaft. Um den Anderen anblicken zu können, muss ich ihm allerdings „face to face“ begegnen, von Angesicht zu Angesicht.
3. Und last but not least: Wer auf die Worte Jesu hört, kann beten: „Abba, lieber Vater…“.Er weiß um die sorgsame, zärtliche Liebe Gottes zu seinen Menschen. Er weiß, dass er sie annimmt in ihrer immer nur bedingten Perfektion. Er kann darauf vertrauen, dass er ihre Lebensläufe, zu denen Brüche gehören, für die sie manchmal gar nichts können, zu einem guten Ende bringen wird. Er schenkt und ermöglicht uns die Zärtlichkeit, ohne die wir nicht leben können, vor allem nicht unsere Kinder. Diese Zärtlichkeit ist unendlich viel mehr wert als alles Geld, aller Profit, alles gesellschaftliche Ansehen. Gott macht es möglich, dass jedes Kind, jeder Mensch, wenn es böse wird im Leben, zu jemand sagen kann: „Der Wind kommt. Halte mich fest.“ (Hilde Domin). Amen.
Perikope
21.08.2011
7,24