„Eine neue Hoffnung“, Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Isolde Karle
9,1
„Eine neue Hoffnung“
Liebe Universitätsgemeinde,
der Predigttext von Jesaja 9 gehört eigentlich zum älteren Überlieferung des Jesajabuches. Doch es spricht einiges dafür, dass er erst Jahrhunderte später im Exil in Babylonien entstand. Der Text feiert die Geburt eines Thronfolgers als neue Hoffnung für ein unterdrücktes Volk. Hören Sie selbst:
„Das Volk, dasim Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.“
Licht im Dunkel, Hoffnung in höchster Bedrängnis, eine Vision von Frieden und Gerechtigkeit mitten in einer Welt voller Unrecht und Unterdrückung – das ist das große Thema unseres Predigttextes. Es ist zugleich das große Thema der biblischen Überlieferungen, die es immer wieder neu durchbuchstabieren, in immer neuen Erzählungen, Metaphern und Wendungen. Eine neue Hoffnung mitten in Angst und Bedrohung – das ist das Thema von Menschen, die sich nicht zufrieden geben mit dem, was ist, die es noch wagen aufzubegehren gegen Unrecht, die nicht bereit sind, in Depression und Resignation zu versinken, Menschen, die die Erde nicht den Despoten dieser Welt überlassen, sondern auf Gottes rettende Nähe hoffen.
Ich will dazu drei unterschiedliche Perspektiven entfalten: eine biblische, eine politische und schließlich eine weihnachtliche Perspektive.
(1) Zunächst zur biblischen Perspektive: Jesaja 9,1-6 ist ein Danklied und es ist als Danklied ein Gegenbild zu der desolaten Situation in Israel und Juda, die der Prophet im 6. Jh. durchlebt. Mit dem Fall Jerusalems durch die Heere der Babylonier über Juda war eine lange Finsternis hereingebrochen. Erst am Ende der Exilszeit bricht sich neue Hoffnung Bahn. Der Prophet nimmt in seinem Danklied vorweg, was er für sein gemartertes Volk erhofft: Irgendwann wird die durchwanderte Nacht vorbei sein, ein neuer Tag anbrechen und das Volk aus Fremdherrschaft und Unterdrückung erlöst sein. Das Joch wird zerbrochen, die Stiefel der Soldaten dröhnen nicht mehr, die in Blut getränkten Uniformen des Krieges werden verbrannt. Das Gefängnis der Angst wird aufgesprengt, der Irrsinn ist vorbei. Die Besatzer sind weg, die Folterknechte und Schlägertruppen treten den Rückzug an, es wird der große Tag der Befreiung und des Jubels sein, prall, laut und sinnlich, wie ein Kommentator formuliert.
Noch ist das Volk auf dem Marsch durch die große Finsternis, doch es hat bereits ein großes Licht gesehen. Noch sitzen die Menschen im Land der Todesschatten, doch schon leuchtet das Licht über ihnen. Der Weg durch Dunkel und Not bekommt durch das große Licht eine Richtung und ein Ziel. So wie der Schöpfer das Licht aus der Finsternis rief und dem Chaos und der Nacht den Tag abgerungen hat und jeden Morgen neu abringt, so durchleuchtet das rettende Licht von Gottes Friedensreich die Nächte von Krieg und Tod in der Menschheitsgeschichte. Dabei kennt der Prophet die harten Fakten. Er weiß: Menschliche Herrschaft allein ist überfordert mit der Herstellung eines umfassenden Schalom. Die Geburt eines Thronfolgers war deshalb zu allen Zeiten mit Erwartungen verbunden, die weit über das hinaus reichten, was die bescheidene und oft genug bedrückende Gegenwart zu bieten hatte.
Damit hat Jesaja zugleich eine Spur gelegt, die die Erzähler von der Geburt Jesu aufgreifen konnten. So wie das Jesajabuch die großen Erzählungen vom Auszug aus Ägypten und von der Davidsverheißung aufgriff und weiterspann, so haben die Erzähler von der Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu den Bedeutungsüberschuss in Jesajas Vision aufgenommen und auf das Kommen Jesu bezogen. Schon die Geburt des Kindes in der Krippe erscheint dabei in einem völlig anderen Licht. Statt in ihr nur Erbärmlichkeit und bittere Armut zu sehen, deuten sie die Erzähler als kosmisches Ereignis, in dem sich Himmel und Erde berühren. Die Engel kommen vom Himmel herab, das Licht erstrahlt mitten in der Nacht. Die Botschaft des erwachsenen Jesus vom Kommen des Reiches Gottes führt diese Spannung zwischen Dunkelheit und Licht konsequent weiter. So war Jesu Verkündigung und Tun heilsam und erlösend für die Unterdrückten und Kranken und zugleich anstößig und provokativ für die Mächtigen und Selbstgewissen. Sie haben ihn am Ende ans Kreuz gebracht. Doch selbst dieser grausame Tod war nicht das finstere Ende, sondern der Anfang einer großen Bewegung, die sich den Visionen und der lebendig machenden Kraft des Gekreuzigten und Auferstandenen verschrieb und seine Erzählungen weitererzählte und weiterspann.
Fulbert Steffensky sagt: „Hoffnung ist ein großes rundes Brot, das man zusammen essen muss, erst dann wird man satt.“ Hoffen kann man nicht für sich alleine. Dazu bedarf es einer Erzählgemeinschaft, dazu bedarf es der Lieder und der Gebete, der Musik und der Erinnerung. Deshalb feiern wir Gottesdienste, deshalb sind wir Kirche. Wir lesen uns in die Erzählungen der Vergangenheit hinein, in die Visionen des Jesaja, in die Erzählung der heiligen Nacht, in der alles ganz anders ist als sonst und die Dunkelheit vom Licht verdrängt wird. Die Kirche ist bei aller Fehlbarkeit eine Gemeinschaft der Hoffnung. Sie ist fähig etwas zu vermissen. Sie ist ein Ort der Langfristigkeit, sie hofft, indem sie gemeinsam erinnert und wirkt der Verabsolutierung der Gegenwart entgegen. Deshalb denken wir daran: „Hoffnung ist ein großes rundes Brot, das man zusammen essen muss, erst dann wird man satt.“
(2) Damit komme ich zur politischen Perspektive, denn unser Text ist ein durch und durch politischer Text. Es geht in ihm um einen Thronantritt, um einen fundamentalen Machtwechsel. Wir haben im vergangenen Jahr etliche fulminante Machtwechsel erlebt. Die Medien nennen das Jahr deshalb auch das Jahr des Arabischen Frühlings. Es begann alles in Tunesien, als sich ein junger Gemüsehändler aus Protest gegen die Schikane der politischen Führung seines Landes anzündete und damit Unruhen auslöste, die Funken gleich von einem Land ins nächste übersprangen. In nicht wenigen Ländern wurden Despoten, die ihr Volk mit brutaler Gewalt sicher im Griff zu haben schienen, plötzlich gestürzt. Das Unmögliche wurde wahr, das Unvorstellbare Wirklichkeit. In Tunesien musste der Herrscher Ben Ali gehen. In Ägypten war es Hosni Mubarak, der die Sehnsucht seines Volkes nach Freiheit irgendwann nicht mehr niederprügeln konnte. In Libyen war es Muammar al Gaddafi, der über viele Jahrzehnte hinweg diktatorisch sein Landes beherrschte und den Terror in die gesamte Welt exportierte, weit vor Al Qaida. Systematisch ließ er seine Gegner ermorden. Bis zuletzt lehnte er jegliche Forderung der Rebellen ab. Am Ende triumphierten die Rebellen, nicht Gaddafi.
Auch in Syrien demonstrieren gegenwärtig viele junge Menschen unter Einsatz ihres Lebens gegen Präsident Baschar al-Assad. Noch schlägt das Regime den Aufstand mit aller Gewalt nieder. Mehrere Tausend Menschen sind bereits gestorben, die meisten von ihnen unbewaffnete Demonstranten. Assad hat die Vorgehensweise gegen die Demonstranten in den letzten Wochen noch einmal verschärft. Vor wenigen Tagen haben sich deshalb auch die letzten internationalen Verbündeten von Syrien distanziert: Russland und China haben ihre Blockadehaltung in der UNO aufgegeben und einen Resolutionsentwurf vorgelegt, in dem sie erstmals die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt der syrischen Regierung verurteilen.
Und dabei stehen China und Russland selbst mit dem Rücken zur Wand: In China ist es vor allem der Künstler Al Weiwei, der als Regimekritiker zur Symbolfigur des Widerstandes gegen die Repressalien des Regimes und für den Kampf für die Freiheit geworden ist. Und in Russland gehen seit der letzten Wahl hunderttausende Menschen auf die Straßen Moskaus und prostieren gegen Wahlbetrug und für ein Leben in Freiheit.
Das Jahr 2011 ist das Jahr der Demonstrationen, es ist das Jahr, in dem durch den mutigen Widerstand von Protestbewegungen mehr Despoten gefallen sind, als es die USA mit ihrer Macht und ihrem Militär je hätten erreichen können. Das US-Nachrichtenmagazin Time hat deshalb vor wenigen Tagen einen anonymen Demonstranten zur Person des Jahres gekürt, nicht etwa Kate Middleton oder Mark Zuckerberg, den Gründer von Facebook. Die Time hat damit die Protestbewegung rund um den Globus gewürdigt. Das New Yorker Magazin schreibt dazu: „Gibt es weltweit einen Kipppunkt für Frustration? Die Menschen sagten ... überall, dass es ihnen jetzt reicht. Sie leisteten Widerstand, stellten Forderungen, ohne aufzugeben, selbst wenn die Antwort in Form einer Tränengaswolke oder eines Kugelhagels kam. Das Konzept von Demokratie war in jeder Demonstration präsent, auch wenn es an verschiedenen Orten unterschiedlich verstanden wurde.“
Der Pulitzerpreisträger Anthony Shadid arbeitet als Auslandskorrespondent für die New York Times mit Sitz in Beirut und hat die jungen Rebellen in Syrien besucht. Shadid beschreibt die immense Gefahr, in die sich die Rebellen begeben. Sie können keine Nacht in Folge am selben Ort verbringen und müssen ständig ihre Kommunikationsmedien wechseln, um nicht geortet zu werden. Ihr wichtigstes Instrumentarium für die Organisation ihres Widerstandes ist Facebook, Skype und Google Earth, vor allem aber ihr unbeugsamer Wille, sich nicht länger unterdrücken zu lassen. Ob die Rebellen am Ende gewinnen, ist äußerst fraglich, vor allem im Hinblick auf sie selbst als Individuen. Zu viele ihrer Freunde haben schon ihr Leben verloren. Und doch sagt einer von ihnen, Iyad, zu Shadid in einem Gespräch: „Wir haben schon gewonnen. Ich habe vorher ein Leben aus Terror, Angst und Tod gelebt – jetzt bin ich frei.“ Vor den Aufständen habe er das Gefühl gehabt zu ersticken und nicht wirklich zu leben. Jetzt endlich könne er etwas gegen Demütigung, Heuchelei und Tyrannei tun. „Wir warten nicht, bis das Regime fällt, um endlich unser Leben zu leben“, sagt er. „Unser Leben hat am ersten Tag der Proteste begonnen.“
Zum Glück leben wir in einem Rechtsstaat und stellt sich für uns die Lage bei weitem nicht so dramatisch dar. Zugleich haben wir es hierzulande beinahe verlernt, noch an die Kraft von Visionen zu glauben, wie es die Protestbewegungen in der arabischen Welt, in China und Russland tun. Die Beispiele zeigen, dass die Sehnsucht nach Freiheit eine große Dynamik freisetzen kann. Die Zeit der Visionen ist nicht einfach vorbei. Visionen erweitern den Horizont der Aufmerksamkeit, sie wachsen nicht aus dem Überfluss, sondern aus dem Leiden heraus. Auch die prophetischen Verheißungen sind keine leeren Versprechungen, sie sind unbescheiden, ja. „Sie nehmen die Ängste und Sehnsucht auf und verwandeln sie. Sie ziehen den Blick ins Weite und geben zu träumen, sie verleihen Sprache für das Unaussprechliche, Bilder für das Unvorstellbare. Sie bringen die tiefsten Wünsche der Seele ans Licht: dass es Freiheit gibt, Lebensfreude,... dass die Gewalt ein Ende hat, dass Gerechtigkeit siegt und der Frieden dauerhaft ist.“ (Petra Zimmermann) Dieser Überschuss an Erwartungen wird in die heilige Nacht hineingetragen und geht von der heiligen Nacht aus in alle Welt.
(3) Damit komme ich zur weihnachtlichen Perspektive. Die Hoffnung nimmt die Zukunft Gottes vorweg. Sie ist widerständige Praxis. Weihnachten ist deshalb nicht nur Innerlichkeit und Empfindsamkeit. Das ist es auch und soll es sein, gewiss. Aber Weihnachten weckt ins uns zugleich einen Überschuss an Erwartungen, es schürt eine Sehnsucht nach Heil und Trost nicht nur für unser Leben, sondern in einem ganz umfassenden Sinn eines Schalom für die ganze geschundene Erde. Schauen wir uns dazu noch einmal die Szenerie der heiligen Nacht näher an:
Das Kind in der Krippe erinnert in keiner Hinsicht an die Geburt eines Thronfolgers, da ist kein königlicher Hofstaat weit und breit, die Attribute Herrscher, Fürst und Held stehen geradezu in Widerspruch zur jämmerlichen Geburt in Bethlehem. Doch dann öffnet sich der Himmel und verwandelt sich die Nacht in den Tag. Die himmlischen Heerscharen verkünden den Hirten auf dem Feld die Geburt des Friedefürsten und preisen Gott. Aber nicht nur die underdogs, auch die esoterisch anmutenden Magier aus dem Morgenland kommen zu dem Kind im Stall. Ein leuchtender Stern hat ihnen den Weg gewiesen. Sie alle wissen oder ahnen zumindest, dass dort im Stall ein Kind geboren ist, das stärker als alle Herrscher die Welt verändern wird. Maria weiß es ganz sicher, sie besingt den Friedefürsten im Magnificat, das wir vorhin miteinander gesprochen haben, so wie Jesaja viele hundert Jahre vorher den Friedefürsten mit der Geburt eines Kindes besang.
Die heilige Nacht ist nicht nur Sinnbild einer großen Vision, sondern auch ihrer Realitätshaltigkeit. Im Stall sind Mensch und Gott, Tier und Kind vereint. Es ist ein Bild der großen Versöhnung, ein Bild der vollkommenen Gemeinschaft. Benedikt Erenz, ein Journalist der Wochenzeitschrift DIE ZEIT, schreibt: „Vielleicht ist es dieser Moment einer vollkommenen Gemeinschaft: aus Gott und Mensch und Vieh. Aus Arm und Reich und Hoch und Niedrig.... Alle Welt... vereint in dieser Bude. Vollkommene Harmonie scheint auf, der Traum, Menschen und Dinge sind so, wie sie sind, und passen doch zusammen, bilden doch ein Ganzes und tun sich nichts.... Dieser Raum, in dem die Zeit aufgehoben ist, eine Nacht, ein Feuer lang, solange die Tiere atmen, die Hirten niederknien [und] die Könige anbeten“.
Die gängigen Machtverhältnisse werden auf den Kopf gestellt, Spielräume entstehen, das Leben kann noch einmal neu beginnen. Die Heilige Nacht erschließt eine neue Zeit. Fest und Freude gehören in ihr zusammen. Denn im Kind in der Krippe wird in unüberbietbarer Weise deutlich, wo sich Gott in dieser Welt sieht, wohin er gehört, wo er gebraucht und erkannt wird, nämlich dort, wo Menschen in Angst und Dunkelheit leben und auf Rettung hoffen.
Weihnachten ist eine Hoffnungsgeschichte. Wir sind Teil dieser Hoffnungsgeschichte, wie Jesaja, die Hirten und Maria. An Weihnachten feiern wir diese Geschichte, wir teilen sie miteinander, weiten unseren Horizont und schöpfen neue Hoffnung. Denn „Hoffnung ist ein großes rundes Brot, das man zusammen essen muss, erst dann wird man satt.“ Amen
Liebe Universitätsgemeinde,
der Predigttext von Jesaja 9 gehört eigentlich zum älteren Überlieferung des Jesajabuches. Doch es spricht einiges dafür, dass er erst Jahrhunderte später im Exil in Babylonien entstand. Der Text feiert die Geburt eines Thronfolgers als neue Hoffnung für ein unterdrücktes Volk. Hören Sie selbst:
„Das Volk, dasim Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.“
Licht im Dunkel, Hoffnung in höchster Bedrängnis, eine Vision von Frieden und Gerechtigkeit mitten in einer Welt voller Unrecht und Unterdrückung – das ist das große Thema unseres Predigttextes. Es ist zugleich das große Thema der biblischen Überlieferungen, die es immer wieder neu durchbuchstabieren, in immer neuen Erzählungen, Metaphern und Wendungen. Eine neue Hoffnung mitten in Angst und Bedrohung – das ist das Thema von Menschen, die sich nicht zufrieden geben mit dem, was ist, die es noch wagen aufzubegehren gegen Unrecht, die nicht bereit sind, in Depression und Resignation zu versinken, Menschen, die die Erde nicht den Despoten dieser Welt überlassen, sondern auf Gottes rettende Nähe hoffen.
Ich will dazu drei unterschiedliche Perspektiven entfalten: eine biblische, eine politische und schließlich eine weihnachtliche Perspektive.
(1) Zunächst zur biblischen Perspektive: Jesaja 9,1-6 ist ein Danklied und es ist als Danklied ein Gegenbild zu der desolaten Situation in Israel und Juda, die der Prophet im 6. Jh. durchlebt. Mit dem Fall Jerusalems durch die Heere der Babylonier über Juda war eine lange Finsternis hereingebrochen. Erst am Ende der Exilszeit bricht sich neue Hoffnung Bahn. Der Prophet nimmt in seinem Danklied vorweg, was er für sein gemartertes Volk erhofft: Irgendwann wird die durchwanderte Nacht vorbei sein, ein neuer Tag anbrechen und das Volk aus Fremdherrschaft und Unterdrückung erlöst sein. Das Joch wird zerbrochen, die Stiefel der Soldaten dröhnen nicht mehr, die in Blut getränkten Uniformen des Krieges werden verbrannt. Das Gefängnis der Angst wird aufgesprengt, der Irrsinn ist vorbei. Die Besatzer sind weg, die Folterknechte und Schlägertruppen treten den Rückzug an, es wird der große Tag der Befreiung und des Jubels sein, prall, laut und sinnlich, wie ein Kommentator formuliert.
Noch ist das Volk auf dem Marsch durch die große Finsternis, doch es hat bereits ein großes Licht gesehen. Noch sitzen die Menschen im Land der Todesschatten, doch schon leuchtet das Licht über ihnen. Der Weg durch Dunkel und Not bekommt durch das große Licht eine Richtung und ein Ziel. So wie der Schöpfer das Licht aus der Finsternis rief und dem Chaos und der Nacht den Tag abgerungen hat und jeden Morgen neu abringt, so durchleuchtet das rettende Licht von Gottes Friedensreich die Nächte von Krieg und Tod in der Menschheitsgeschichte. Dabei kennt der Prophet die harten Fakten. Er weiß: Menschliche Herrschaft allein ist überfordert mit der Herstellung eines umfassenden Schalom. Die Geburt eines Thronfolgers war deshalb zu allen Zeiten mit Erwartungen verbunden, die weit über das hinaus reichten, was die bescheidene und oft genug bedrückende Gegenwart zu bieten hatte.
Damit hat Jesaja zugleich eine Spur gelegt, die die Erzähler von der Geburt Jesu aufgreifen konnten. So wie das Jesajabuch die großen Erzählungen vom Auszug aus Ägypten und von der Davidsverheißung aufgriff und weiterspann, so haben die Erzähler von der Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu den Bedeutungsüberschuss in Jesajas Vision aufgenommen und auf das Kommen Jesu bezogen. Schon die Geburt des Kindes in der Krippe erscheint dabei in einem völlig anderen Licht. Statt in ihr nur Erbärmlichkeit und bittere Armut zu sehen, deuten sie die Erzähler als kosmisches Ereignis, in dem sich Himmel und Erde berühren. Die Engel kommen vom Himmel herab, das Licht erstrahlt mitten in der Nacht. Die Botschaft des erwachsenen Jesus vom Kommen des Reiches Gottes führt diese Spannung zwischen Dunkelheit und Licht konsequent weiter. So war Jesu Verkündigung und Tun heilsam und erlösend für die Unterdrückten und Kranken und zugleich anstößig und provokativ für die Mächtigen und Selbstgewissen. Sie haben ihn am Ende ans Kreuz gebracht. Doch selbst dieser grausame Tod war nicht das finstere Ende, sondern der Anfang einer großen Bewegung, die sich den Visionen und der lebendig machenden Kraft des Gekreuzigten und Auferstandenen verschrieb und seine Erzählungen weitererzählte und weiterspann.
Fulbert Steffensky sagt: „Hoffnung ist ein großes rundes Brot, das man zusammen essen muss, erst dann wird man satt.“ Hoffen kann man nicht für sich alleine. Dazu bedarf es einer Erzählgemeinschaft, dazu bedarf es der Lieder und der Gebete, der Musik und der Erinnerung. Deshalb feiern wir Gottesdienste, deshalb sind wir Kirche. Wir lesen uns in die Erzählungen der Vergangenheit hinein, in die Visionen des Jesaja, in die Erzählung der heiligen Nacht, in der alles ganz anders ist als sonst und die Dunkelheit vom Licht verdrängt wird. Die Kirche ist bei aller Fehlbarkeit eine Gemeinschaft der Hoffnung. Sie ist fähig etwas zu vermissen. Sie ist ein Ort der Langfristigkeit, sie hofft, indem sie gemeinsam erinnert und wirkt der Verabsolutierung der Gegenwart entgegen. Deshalb denken wir daran: „Hoffnung ist ein großes rundes Brot, das man zusammen essen muss, erst dann wird man satt.“
(2) Damit komme ich zur politischen Perspektive, denn unser Text ist ein durch und durch politischer Text. Es geht in ihm um einen Thronantritt, um einen fundamentalen Machtwechsel. Wir haben im vergangenen Jahr etliche fulminante Machtwechsel erlebt. Die Medien nennen das Jahr deshalb auch das Jahr des Arabischen Frühlings. Es begann alles in Tunesien, als sich ein junger Gemüsehändler aus Protest gegen die Schikane der politischen Führung seines Landes anzündete und damit Unruhen auslöste, die Funken gleich von einem Land ins nächste übersprangen. In nicht wenigen Ländern wurden Despoten, die ihr Volk mit brutaler Gewalt sicher im Griff zu haben schienen, plötzlich gestürzt. Das Unmögliche wurde wahr, das Unvorstellbare Wirklichkeit. In Tunesien musste der Herrscher Ben Ali gehen. In Ägypten war es Hosni Mubarak, der die Sehnsucht seines Volkes nach Freiheit irgendwann nicht mehr niederprügeln konnte. In Libyen war es Muammar al Gaddafi, der über viele Jahrzehnte hinweg diktatorisch sein Landes beherrschte und den Terror in die gesamte Welt exportierte, weit vor Al Qaida. Systematisch ließ er seine Gegner ermorden. Bis zuletzt lehnte er jegliche Forderung der Rebellen ab. Am Ende triumphierten die Rebellen, nicht Gaddafi.
Auch in Syrien demonstrieren gegenwärtig viele junge Menschen unter Einsatz ihres Lebens gegen Präsident Baschar al-Assad. Noch schlägt das Regime den Aufstand mit aller Gewalt nieder. Mehrere Tausend Menschen sind bereits gestorben, die meisten von ihnen unbewaffnete Demonstranten. Assad hat die Vorgehensweise gegen die Demonstranten in den letzten Wochen noch einmal verschärft. Vor wenigen Tagen haben sich deshalb auch die letzten internationalen Verbündeten von Syrien distanziert: Russland und China haben ihre Blockadehaltung in der UNO aufgegeben und einen Resolutionsentwurf vorgelegt, in dem sie erstmals die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt der syrischen Regierung verurteilen.
Und dabei stehen China und Russland selbst mit dem Rücken zur Wand: In China ist es vor allem der Künstler Al Weiwei, der als Regimekritiker zur Symbolfigur des Widerstandes gegen die Repressalien des Regimes und für den Kampf für die Freiheit geworden ist. Und in Russland gehen seit der letzten Wahl hunderttausende Menschen auf die Straßen Moskaus und prostieren gegen Wahlbetrug und für ein Leben in Freiheit.
Das Jahr 2011 ist das Jahr der Demonstrationen, es ist das Jahr, in dem durch den mutigen Widerstand von Protestbewegungen mehr Despoten gefallen sind, als es die USA mit ihrer Macht und ihrem Militär je hätten erreichen können. Das US-Nachrichtenmagazin Time hat deshalb vor wenigen Tagen einen anonymen Demonstranten zur Person des Jahres gekürt, nicht etwa Kate Middleton oder Mark Zuckerberg, den Gründer von Facebook. Die Time hat damit die Protestbewegung rund um den Globus gewürdigt. Das New Yorker Magazin schreibt dazu: „Gibt es weltweit einen Kipppunkt für Frustration? Die Menschen sagten ... überall, dass es ihnen jetzt reicht. Sie leisteten Widerstand, stellten Forderungen, ohne aufzugeben, selbst wenn die Antwort in Form einer Tränengaswolke oder eines Kugelhagels kam. Das Konzept von Demokratie war in jeder Demonstration präsent, auch wenn es an verschiedenen Orten unterschiedlich verstanden wurde.“
Der Pulitzerpreisträger Anthony Shadid arbeitet als Auslandskorrespondent für die New York Times mit Sitz in Beirut und hat die jungen Rebellen in Syrien besucht. Shadid beschreibt die immense Gefahr, in die sich die Rebellen begeben. Sie können keine Nacht in Folge am selben Ort verbringen und müssen ständig ihre Kommunikationsmedien wechseln, um nicht geortet zu werden. Ihr wichtigstes Instrumentarium für die Organisation ihres Widerstandes ist Facebook, Skype und Google Earth, vor allem aber ihr unbeugsamer Wille, sich nicht länger unterdrücken zu lassen. Ob die Rebellen am Ende gewinnen, ist äußerst fraglich, vor allem im Hinblick auf sie selbst als Individuen. Zu viele ihrer Freunde haben schon ihr Leben verloren. Und doch sagt einer von ihnen, Iyad, zu Shadid in einem Gespräch: „Wir haben schon gewonnen. Ich habe vorher ein Leben aus Terror, Angst und Tod gelebt – jetzt bin ich frei.“ Vor den Aufständen habe er das Gefühl gehabt zu ersticken und nicht wirklich zu leben. Jetzt endlich könne er etwas gegen Demütigung, Heuchelei und Tyrannei tun. „Wir warten nicht, bis das Regime fällt, um endlich unser Leben zu leben“, sagt er. „Unser Leben hat am ersten Tag der Proteste begonnen.“
Zum Glück leben wir in einem Rechtsstaat und stellt sich für uns die Lage bei weitem nicht so dramatisch dar. Zugleich haben wir es hierzulande beinahe verlernt, noch an die Kraft von Visionen zu glauben, wie es die Protestbewegungen in der arabischen Welt, in China und Russland tun. Die Beispiele zeigen, dass die Sehnsucht nach Freiheit eine große Dynamik freisetzen kann. Die Zeit der Visionen ist nicht einfach vorbei. Visionen erweitern den Horizont der Aufmerksamkeit, sie wachsen nicht aus dem Überfluss, sondern aus dem Leiden heraus. Auch die prophetischen Verheißungen sind keine leeren Versprechungen, sie sind unbescheiden, ja. „Sie nehmen die Ängste und Sehnsucht auf und verwandeln sie. Sie ziehen den Blick ins Weite und geben zu träumen, sie verleihen Sprache für das Unaussprechliche, Bilder für das Unvorstellbare. Sie bringen die tiefsten Wünsche der Seele ans Licht: dass es Freiheit gibt, Lebensfreude,... dass die Gewalt ein Ende hat, dass Gerechtigkeit siegt und der Frieden dauerhaft ist.“ (Petra Zimmermann) Dieser Überschuss an Erwartungen wird in die heilige Nacht hineingetragen und geht von der heiligen Nacht aus in alle Welt.
(3) Damit komme ich zur weihnachtlichen Perspektive. Die Hoffnung nimmt die Zukunft Gottes vorweg. Sie ist widerständige Praxis. Weihnachten ist deshalb nicht nur Innerlichkeit und Empfindsamkeit. Das ist es auch und soll es sein, gewiss. Aber Weihnachten weckt ins uns zugleich einen Überschuss an Erwartungen, es schürt eine Sehnsucht nach Heil und Trost nicht nur für unser Leben, sondern in einem ganz umfassenden Sinn eines Schalom für die ganze geschundene Erde. Schauen wir uns dazu noch einmal die Szenerie der heiligen Nacht näher an:
Das Kind in der Krippe erinnert in keiner Hinsicht an die Geburt eines Thronfolgers, da ist kein königlicher Hofstaat weit und breit, die Attribute Herrscher, Fürst und Held stehen geradezu in Widerspruch zur jämmerlichen Geburt in Bethlehem. Doch dann öffnet sich der Himmel und verwandelt sich die Nacht in den Tag. Die himmlischen Heerscharen verkünden den Hirten auf dem Feld die Geburt des Friedefürsten und preisen Gott. Aber nicht nur die underdogs, auch die esoterisch anmutenden Magier aus dem Morgenland kommen zu dem Kind im Stall. Ein leuchtender Stern hat ihnen den Weg gewiesen. Sie alle wissen oder ahnen zumindest, dass dort im Stall ein Kind geboren ist, das stärker als alle Herrscher die Welt verändern wird. Maria weiß es ganz sicher, sie besingt den Friedefürsten im Magnificat, das wir vorhin miteinander gesprochen haben, so wie Jesaja viele hundert Jahre vorher den Friedefürsten mit der Geburt eines Kindes besang.
Die heilige Nacht ist nicht nur Sinnbild einer großen Vision, sondern auch ihrer Realitätshaltigkeit. Im Stall sind Mensch und Gott, Tier und Kind vereint. Es ist ein Bild der großen Versöhnung, ein Bild der vollkommenen Gemeinschaft. Benedikt Erenz, ein Journalist der Wochenzeitschrift DIE ZEIT, schreibt: „Vielleicht ist es dieser Moment einer vollkommenen Gemeinschaft: aus Gott und Mensch und Vieh. Aus Arm und Reich und Hoch und Niedrig.... Alle Welt... vereint in dieser Bude. Vollkommene Harmonie scheint auf, der Traum, Menschen und Dinge sind so, wie sie sind, und passen doch zusammen, bilden doch ein Ganzes und tun sich nichts.... Dieser Raum, in dem die Zeit aufgehoben ist, eine Nacht, ein Feuer lang, solange die Tiere atmen, die Hirten niederknien [und] die Könige anbeten“.
Die gängigen Machtverhältnisse werden auf den Kopf gestellt, Spielräume entstehen, das Leben kann noch einmal neu beginnen. Die Heilige Nacht erschließt eine neue Zeit. Fest und Freude gehören in ihr zusammen. Denn im Kind in der Krippe wird in unüberbietbarer Weise deutlich, wo sich Gott in dieser Welt sieht, wohin er gehört, wo er gebraucht und erkannt wird, nämlich dort, wo Menschen in Angst und Dunkelheit leben und auf Rettung hoffen.
Weihnachten ist eine Hoffnungsgeschichte. Wir sind Teil dieser Hoffnungsgeschichte, wie Jesaja, die Hirten und Maria. An Weihnachten feiern wir diese Geschichte, wir teilen sie miteinander, weiten unseren Horizont und schöpfen neue Hoffnung. Denn „Hoffnung ist ein großes rundes Brot, das man zusammen essen muss, erst dann wird man satt.“ Amen
Perikope