„Jetzt mach‘ ich mal“ - Predigt über Römer 7,14-25a von Jens Junginger
7,14
Predigt über Römer 7,14-25a
Tag: 22. Sonntag nach Trinitatis, 4.November 2012
Name: Pfarrer Jens Junginger
„Jetzt mach‘ ich mal“
Liebe Gemeinde
Man müsste mal!
Das kann man sich selbst öfters sagen hören, laut oder leise. Es ist ein Ausspruch, der einschließt, dass man das, was man müsste, selbst nicht zu realisieren im Stande ist. Andere sollen‘s richten.
Irgendwas scheint es zu geben, was einen hindert genau das zu tun, was einem der Verstand sagt, die Einsicht, oder das Gewissen.
Sachzwänge schieben sich dazwischen. Manchmal sind es Ausreden, der innere Schweinehund, Bequemlichkeit, übergeordnete Vorgaben, Richtlinien.
Etwas ändern, sich ändern, den Lebensstil, das eigene Verhalten, Gewohnheiten, den Umgang mit Mitmenschen, mit der Umwelt. Es wäre gut es gelänge. Es wäre gut es gelänge besser. Es ist aber nicht wirklich so. Woran liegt das?
Die Autorin des Buches „Die Generation Man müsste mal“ macht es wahnsinnig, dass es ihr mit ihrer Utopia-Plattform noch nicht gelungen ist, noch viel mehr Menschen und Firmen zu einem nachhaltigen verantwortlichen Handeln gewonnen zu haben.
„Es ist viel zu wenig“ sagt sie. Sie ist empört, das vernünftige Menschen beim „Man müsste mal“ stehen bleiben. Zugleich sagt auch sie: “Ich tue immer noch nicht alles, was ich tun könnte“.
Was hindert uns? Wodurch wird unser Denken und Handeln noch mitgesteuert. Was ist es, das uns da fremdbestimmt?
Der Apostel Paulus erörtert diese verunsichernde Erfahrung in einem Zwiegespräch mit sich selbst.Er redet von sich und über sich. Stellvertretend für uns alle bringt er in einem Abschnitt des Römerbriefs in seinen Worten eine menschliche Grunderfahrung in seinen Worten zur Sprache.
Ich lese aus dem 7.Kapitel die Verse 14 bis 25a:
14Wir wissen ja: Das Gesetz ist vom Geist Gottesbestimmt.
Ich dagegen bin als Mensch ganz von meiner irdischen Gesinnung bestimmt. Ich bin mit Haut und Haaren an die Sündeverkauft.
15Ja, wie ich handle, ist mir unbegreiflich. Denn ich tue nicht das, was ich eigentlich will. Sondern ich tue das, was ich verabscheue.
16Wenn ich aber das tue, was ich eigentlich nicht will, dann beweist das: Ich stimme dem Gesetzinnerlich zu und erkenne an, dass es recht hat. 17Aber dann bin nicht mehr ich es, der so handelt. Es ist vielmehr die Sünde, die in mir wohnt.
18Ich weiß: In mir – das heißt: in meinem irdischen Leib – wohnt nichts Gutes. Der Wille zum Guten ist bei mir zwar durchaus vorhanden, aber nicht die Fähigkeit dazu.
19Ich tue nicht das, was ich eigentlich will –
das Gute. Sondern das Böse, das ich nicht will – das tue ich.
20Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich der Handelnde. Es ist vielmehr die Sünde, die in mir wohnt.
21Ich entdecke also bei mir folgende Gesetzmäßigkeit: Obwohl ich das Gute tun will, bringe ich nur Böses zustande.
22Meiner innersten Überzeugung nach stimme ich dem GesetzGottes mit Freude zu. 23Aber in meinen Gliedern nehme ich ein anderes Gesetz wahr. Es liegt im Streit mit dem Gesetz, dem ich mit meinem Verstand zustimme. Und dieses Gesetz macht mich zu seinem Gefangenen. Es ist das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern steckt. 24Ich unglücklicher Mensch! Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen. Wer wird mich davor bewahren?
25Dank sei Gott! Er hat es getan durch Jesus Christus, unseren Herrn!
Paulus spricht von zwei sich widerstreitenden Gesetzen: Dem Gesetz Gottes und dem Gesetz der Sünde. Beide Gesetze, so stellt er fest beeinflussen das menschliche Denken und Handeln. Seine persönliche Quintessenz lautet:
Im Grunde kommst du aus dem Dilemma nicht heraus. Weil da etwas ist, was dich, deinen Körper, deine Hände und Füße, anders handeln lässt als du willst. Und du kannst dich dessen nicht entledigen.
Da schwingt eine gehörige Portion Fatalismus mit und Frust. Paulus‘ Resümee birgt nichts Aufbauendes. Nicht einmal eine wenigstens richtungsweisende prophetische Kritik klingt an.
Ich bin mit Haut und Haaren an die Sünde verkauft, sagt er.
…ich tue das, was ich verabscheue.
…Es ist …die Sünde,die in mir wohnt.
Und so tue ich das, wasich eigentlich nicht will.
Der Wille zum Guten ist bei mir zwar durchaus vorhanden,
aber nicht die Fähigkeit dazu.
Paulus scheint über das „Man müsste eigentlich“ nicht hinauszukommen.
Da ist er uns nahe. Und den Freunden in den christlichen Gemeinden Roms hat er mit der Beschreibung seines Dilemmas vielleicht aus der Seele gesprochen, weil sie genau das an sich selbst beobachten konnten. Sie, die mitten im imperialen Zentrum der damaligen Zeit lebten – in Rom . In der Höhle des Löwen. Als ungeliebter Minderheit verlangte ihnen das immer wieder Zugeständnisse ab. Etwa gegenüber dem Kaiserkult, der einen Gehorsam einforderte und Vorstellungen wie Nächstenliebe, Geschwisterlichkeit, Fairness oder Rücksichtnahme ausschloss.
So konnte es für sie eine Frage von Tod oder Leben sein, entweder nach dem vom Geist Gottes bestimmten Gesetz zu leben oder sich doch auch vom römisch imperialen geprägten Gesetz der Sünde fremdbestimmen zu lassen und entsprechend zu handeln.
Und dieses Gesetz so sagt Paulus,macht mich zu seinem Gefangenen.
Mit meinem Verstand diene ich zwar dem GesetzGottes.
Aber mit meinem irdischen Leib
diene ich dem Gesetz der Sünde.
Vor kurzem meldete sich unvermittelt ein junger Mann, der vor gut zwei Jahren Schüler in einer Berufsschulklasse war. Nach zwei Jahren Knast stand er plötzlich da.
Er erzählte, wie es ihm ergangen war. Und ein bisschen wollte er zeigen, dass er jetzt doch besser beieinander ja man könnte sagen geläutert war.
Er erzählte und lässt dabei durchblicken in welchem Dilemma er sich manchmal befand:
„Sie können sich das nicht vorstellen wie das im Knast so ist. Du gehst da rein und willst eigentlich schauen, dass du dir nichts zu Schulden kommen lässt, weil du so schnell wie möglich –am besten wegen guter Führung - wieder rauskommen willst. Ich sag Ihnen: So einfach ist das nicht. Da herrschen ganz eigene Gesetze unter den Knackis. Und wenn du da nicht mitspielst, dich nicht einklinkst, dann bist du das totale Opfer, dann machen die dich fertig mit allen Mitteln die es gibt. Du musst zeigen, dass du dich kräftemäßig behaupten und durchsetzen kannst. So läuft das im Knast. Das ist das System. Du willst das so gar nicht. Dein Verstand sagt dir was anderes, als wie du dich verhalten musst um irgendwie zu überleben“
Der junge Mann sprach vom Gesetz des Knasts und von dem anderen Gesetz, das einem sagt was eigentlich das Richtige wäre, was gut ist.
Liebe Gemeinde,
derartige Gefängnissituationen gibt es auch außerhalb des realen Knasts. Ich komme auf Claudia Langes Empörung darüber zurück, dass man über dieses „Man müsste mal“ nicht hinauskommt und an sich selbst merkt: Das Billigere, bequemere ist oft doch das naheliegende. Das merken wir an uns selbst: Wir sind selbst Gefangene eines globalen Arbeits- Wirtschafts- und Handelssystems, von dem wir uns nicht gänzlich befreien können.
Paulus nimmt einem da beinahe das Wort aus dem Mund:
Der Wille zum Guten ist … zwar durchaus vorhanden,
aber nicht die Fähigkeit dazu.
Ich tue nicht das, was ich eigentlich will – das Gute.
Sondern das Böse, das ich nicht will
Mein Verstand sagt mir was anderes, als ich mit meinem Handeln zum Ausdruck bringe und bewirke.
So geht es vielen Menschen in ihrem Berufs- und Arbeitsalltag:
Sollte die Geldanlage dem Kunden nicht dringlichst untergejubelt werden, weil erst die Hälfte des monatlichen Umsatzsolls erfüllt wurde, fragt sich die Bankangestellte, obwohl klar ist, dass die Bank am meisten vom ganzen profitiert und das Produkt für dem Kunden nur kurzfristig, oder vordergründig lukrativ ist.
Da sind die Vorgaben. Der Druck sitzt im Nacken. Und das Verantwortungsgefühl sagt einem: Nicht gut.
Nicht anders ist es immer öfter bei Ärzten, die sich vertraglich binden mussten wirtschaftlich lukrative Operationen durchführen, die auch persönliche Vorteile mit sich bringen.
Da ist ein Facharbeiter in der weltweit mörderischsten schwäbischen Schmiede für Schnellfeuerwaffen. Er beherrscht die Kunstfertigkeit diese Präzisionswaffen perfekt zusammenbauen zu können. Damit ernährt er seine Familie, hat ein Häusle gebaut und eines der Kinder kann immerhin studieren.
Als Christenmensch will er nach dem Gesetz Gottes handeln – dem Frieden dienen.
Aber mit seinem irdischen Leib
dient er dem Gesetz der Sünde.
Indirekt sind wir ja alle auch ein Stück weit Profiteure dieses Geschäfts mit dem Tod, verwoben und verstrickt, ob wir es gut heißen oder nicht.
Das genau ist diese unsägliche Verstricktheit in die Sünde, die einen in so vielen Dingen gefangen hält und eben nur sehr bedingt ausbrechen lässt.
Und so könnte man in Paulus‘ depressiven Klagegesang einstimmen:
24Ich unglücklicher Mensch! Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen.
Im gleichen Atemzug vernehmen wir aber sein sehnsüchtiges Suchen und Fragen:Wer wird mich davor bewahren, vor diesem Verfallen sein an eine solche Todeskultur und -struktur?
Wie ist es möglich, diesem Gefängnis zu entkommen, das einen nicht weiterkommen lässt als zu sagen „Man müsste mal“?
Ist es möglich von diesen tödlichen Strukturen, vom Gesetz der Sünde, wie es Paulus nennt, befreit zu werden?
Die eingangs erwähnte Autorin will ihr Buch als einen Weckruf verstehen, als eine überspitzte, polarisierende Streitschrift. Sie will damit anstößig sein, das Problembewußtsein schärfen, um damit etwas in Gang zu bringen und Mitstreiterinnen zu finden. Sie hat sich hohe Ziele gesteckt. Nachvollziehbar. Geht es doch um die Zukunft der Jungen, der Kinder und dieses Globus.
Paulus beantwortet seine Frage auf eine etwas andere Weise, mit einem eher erleichternd klingenden Hinweis:
25Dank sei Gott! Er hat es getan durch JesusChristus, unseren Herrn!
Für ihn ist damit alles gesagt. Für Martin Luther und für den ein oder anderen gläubigen Christenmenschen auch. Weil uns durch Jesus Christus Gottes frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt widerfährt, die uns zugleich auch in Anspruch nimmt zu freiem, dankbarem Dienst an unseren Mitgeschöpfen, wie es die Barmer theologische Erklärung formulierte.
Für viele Menschen heute ist das vermutlich kein hilfreicher, kein weiterführender und schon gar kein befreiender Hinweis.
Und doch will ich es nicht unversucht lassen daran zu erinnern:
Diese gottlosen Bindungen, dieses Gesetz der Sünde, es ist da. Es wirkt. Es beeinflusst Menschen uns alle und zwar ganz gehörig. Mehr als uns lieb ist.
Wäre aber Jesu heilend, kritisch entlarvendes, anstößiges und befreiendes Handeln und Reden mit seiner tödlichen Hinrichtung endgültig begraben worden, dann wäre er mit seiner Botschaft wirkungslos geblieben. Kraft seiner Auferstehung jedoch, kraft seiner Präsenz über seinen gewaltsamen Tod hinaus, die weit mehr als der engste Freundeskreis wahrgenommen haben, vermögen wir es das Gesetz der Sünde, das uns gefangen hält,zu entlarven und offenzulegen.
Jesu Auferstehung ist Ausdruck des Widerstands gegen das Gesetz der Sünde. Darin ist für Christenmenschen die tiefe Liebe zu einem guten Leben, zum Menschen, zur Zukunft dieser Welt verwurzelt. Daraus schöpfen viele die Kraft, die sie nichts verloren geben lässt, die einem den langen Atmen gibt, die einen aufrecht erhält, immer wieder von neuem die kleinen Schritte der Befreiung zu beschreiten. Die einen vom „Man müsste mal“ zum „Jetzt mach ich mal“ bewegt. Die einen Verbündete finden und darüber jubeln lässt was an Gutem gelungen ist. Dank sei Gott.
Amen
Tag: 22. Sonntag nach Trinitatis, 4.November 2012
Name: Pfarrer Jens Junginger
„Jetzt mach‘ ich mal“
Liebe Gemeinde
Man müsste mal!
Das kann man sich selbst öfters sagen hören, laut oder leise. Es ist ein Ausspruch, der einschließt, dass man das, was man müsste, selbst nicht zu realisieren im Stande ist. Andere sollen‘s richten.
Irgendwas scheint es zu geben, was einen hindert genau das zu tun, was einem der Verstand sagt, die Einsicht, oder das Gewissen.
Sachzwänge schieben sich dazwischen. Manchmal sind es Ausreden, der innere Schweinehund, Bequemlichkeit, übergeordnete Vorgaben, Richtlinien.
Etwas ändern, sich ändern, den Lebensstil, das eigene Verhalten, Gewohnheiten, den Umgang mit Mitmenschen, mit der Umwelt. Es wäre gut es gelänge. Es wäre gut es gelänge besser. Es ist aber nicht wirklich so. Woran liegt das?
Die Autorin des Buches „Die Generation Man müsste mal“ macht es wahnsinnig, dass es ihr mit ihrer Utopia-Plattform noch nicht gelungen ist, noch viel mehr Menschen und Firmen zu einem nachhaltigen verantwortlichen Handeln gewonnen zu haben.
„Es ist viel zu wenig“ sagt sie. Sie ist empört, das vernünftige Menschen beim „Man müsste mal“ stehen bleiben. Zugleich sagt auch sie: “Ich tue immer noch nicht alles, was ich tun könnte“.
Was hindert uns? Wodurch wird unser Denken und Handeln noch mitgesteuert. Was ist es, das uns da fremdbestimmt?
Der Apostel Paulus erörtert diese verunsichernde Erfahrung in einem Zwiegespräch mit sich selbst.Er redet von sich und über sich. Stellvertretend für uns alle bringt er in einem Abschnitt des Römerbriefs in seinen Worten eine menschliche Grunderfahrung in seinen Worten zur Sprache.
Ich lese aus dem 7.Kapitel die Verse 14 bis 25a:
14Wir wissen ja: Das Gesetz ist vom Geist Gottesbestimmt.
Ich dagegen bin als Mensch ganz von meiner irdischen Gesinnung bestimmt. Ich bin mit Haut und Haaren an die Sündeverkauft.
15Ja, wie ich handle, ist mir unbegreiflich. Denn ich tue nicht das, was ich eigentlich will. Sondern ich tue das, was ich verabscheue.
16Wenn ich aber das tue, was ich eigentlich nicht will, dann beweist das: Ich stimme dem Gesetzinnerlich zu und erkenne an, dass es recht hat. 17Aber dann bin nicht mehr ich es, der so handelt. Es ist vielmehr die Sünde, die in mir wohnt.
18Ich weiß: In mir – das heißt: in meinem irdischen Leib – wohnt nichts Gutes. Der Wille zum Guten ist bei mir zwar durchaus vorhanden, aber nicht die Fähigkeit dazu.
19Ich tue nicht das, was ich eigentlich will –
das Gute. Sondern das Böse, das ich nicht will – das tue ich.
20Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich der Handelnde. Es ist vielmehr die Sünde, die in mir wohnt.
21Ich entdecke also bei mir folgende Gesetzmäßigkeit: Obwohl ich das Gute tun will, bringe ich nur Böses zustande.
22Meiner innersten Überzeugung nach stimme ich dem GesetzGottes mit Freude zu. 23Aber in meinen Gliedern nehme ich ein anderes Gesetz wahr. Es liegt im Streit mit dem Gesetz, dem ich mit meinem Verstand zustimme. Und dieses Gesetz macht mich zu seinem Gefangenen. Es ist das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern steckt. 24Ich unglücklicher Mensch! Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen. Wer wird mich davor bewahren?
25Dank sei Gott! Er hat es getan durch Jesus Christus, unseren Herrn!
Paulus spricht von zwei sich widerstreitenden Gesetzen: Dem Gesetz Gottes und dem Gesetz der Sünde. Beide Gesetze, so stellt er fest beeinflussen das menschliche Denken und Handeln. Seine persönliche Quintessenz lautet:
Im Grunde kommst du aus dem Dilemma nicht heraus. Weil da etwas ist, was dich, deinen Körper, deine Hände und Füße, anders handeln lässt als du willst. Und du kannst dich dessen nicht entledigen.
Da schwingt eine gehörige Portion Fatalismus mit und Frust. Paulus‘ Resümee birgt nichts Aufbauendes. Nicht einmal eine wenigstens richtungsweisende prophetische Kritik klingt an.
Ich bin mit Haut und Haaren an die Sünde verkauft, sagt er.
…ich tue das, was ich verabscheue.
…Es ist …die Sünde,die in mir wohnt.
Und so tue ich das, wasich eigentlich nicht will.
Der Wille zum Guten ist bei mir zwar durchaus vorhanden,
aber nicht die Fähigkeit dazu.
Paulus scheint über das „Man müsste eigentlich“ nicht hinauszukommen.
Da ist er uns nahe. Und den Freunden in den christlichen Gemeinden Roms hat er mit der Beschreibung seines Dilemmas vielleicht aus der Seele gesprochen, weil sie genau das an sich selbst beobachten konnten. Sie, die mitten im imperialen Zentrum der damaligen Zeit lebten – in Rom . In der Höhle des Löwen. Als ungeliebter Minderheit verlangte ihnen das immer wieder Zugeständnisse ab. Etwa gegenüber dem Kaiserkult, der einen Gehorsam einforderte und Vorstellungen wie Nächstenliebe, Geschwisterlichkeit, Fairness oder Rücksichtnahme ausschloss.
So konnte es für sie eine Frage von Tod oder Leben sein, entweder nach dem vom Geist Gottes bestimmten Gesetz zu leben oder sich doch auch vom römisch imperialen geprägten Gesetz der Sünde fremdbestimmen zu lassen und entsprechend zu handeln.
Und dieses Gesetz so sagt Paulus,macht mich zu seinem Gefangenen.
Mit meinem Verstand diene ich zwar dem GesetzGottes.
Aber mit meinem irdischen Leib
diene ich dem Gesetz der Sünde.
Vor kurzem meldete sich unvermittelt ein junger Mann, der vor gut zwei Jahren Schüler in einer Berufsschulklasse war. Nach zwei Jahren Knast stand er plötzlich da.
Er erzählte, wie es ihm ergangen war. Und ein bisschen wollte er zeigen, dass er jetzt doch besser beieinander ja man könnte sagen geläutert war.
Er erzählte und lässt dabei durchblicken in welchem Dilemma er sich manchmal befand:
„Sie können sich das nicht vorstellen wie das im Knast so ist. Du gehst da rein und willst eigentlich schauen, dass du dir nichts zu Schulden kommen lässt, weil du so schnell wie möglich –am besten wegen guter Führung - wieder rauskommen willst. Ich sag Ihnen: So einfach ist das nicht. Da herrschen ganz eigene Gesetze unter den Knackis. Und wenn du da nicht mitspielst, dich nicht einklinkst, dann bist du das totale Opfer, dann machen die dich fertig mit allen Mitteln die es gibt. Du musst zeigen, dass du dich kräftemäßig behaupten und durchsetzen kannst. So läuft das im Knast. Das ist das System. Du willst das so gar nicht. Dein Verstand sagt dir was anderes, als wie du dich verhalten musst um irgendwie zu überleben“
Der junge Mann sprach vom Gesetz des Knasts und von dem anderen Gesetz, das einem sagt was eigentlich das Richtige wäre, was gut ist.
Liebe Gemeinde,
derartige Gefängnissituationen gibt es auch außerhalb des realen Knasts. Ich komme auf Claudia Langes Empörung darüber zurück, dass man über dieses „Man müsste mal“ nicht hinauskommt und an sich selbst merkt: Das Billigere, bequemere ist oft doch das naheliegende. Das merken wir an uns selbst: Wir sind selbst Gefangene eines globalen Arbeits- Wirtschafts- und Handelssystems, von dem wir uns nicht gänzlich befreien können.
Paulus nimmt einem da beinahe das Wort aus dem Mund:
Der Wille zum Guten ist … zwar durchaus vorhanden,
aber nicht die Fähigkeit dazu.
Ich tue nicht das, was ich eigentlich will – das Gute.
Sondern das Böse, das ich nicht will
Mein Verstand sagt mir was anderes, als ich mit meinem Handeln zum Ausdruck bringe und bewirke.
So geht es vielen Menschen in ihrem Berufs- und Arbeitsalltag:
Sollte die Geldanlage dem Kunden nicht dringlichst untergejubelt werden, weil erst die Hälfte des monatlichen Umsatzsolls erfüllt wurde, fragt sich die Bankangestellte, obwohl klar ist, dass die Bank am meisten vom ganzen profitiert und das Produkt für dem Kunden nur kurzfristig, oder vordergründig lukrativ ist.
Da sind die Vorgaben. Der Druck sitzt im Nacken. Und das Verantwortungsgefühl sagt einem: Nicht gut.
Nicht anders ist es immer öfter bei Ärzten, die sich vertraglich binden mussten wirtschaftlich lukrative Operationen durchführen, die auch persönliche Vorteile mit sich bringen.
Da ist ein Facharbeiter in der weltweit mörderischsten schwäbischen Schmiede für Schnellfeuerwaffen. Er beherrscht die Kunstfertigkeit diese Präzisionswaffen perfekt zusammenbauen zu können. Damit ernährt er seine Familie, hat ein Häusle gebaut und eines der Kinder kann immerhin studieren.
Als Christenmensch will er nach dem Gesetz Gottes handeln – dem Frieden dienen.
Aber mit seinem irdischen Leib
dient er dem Gesetz der Sünde.
Indirekt sind wir ja alle auch ein Stück weit Profiteure dieses Geschäfts mit dem Tod, verwoben und verstrickt, ob wir es gut heißen oder nicht.
Das genau ist diese unsägliche Verstricktheit in die Sünde, die einen in so vielen Dingen gefangen hält und eben nur sehr bedingt ausbrechen lässt.
Und so könnte man in Paulus‘ depressiven Klagegesang einstimmen:
24Ich unglücklicher Mensch! Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen.
Im gleichen Atemzug vernehmen wir aber sein sehnsüchtiges Suchen und Fragen:Wer wird mich davor bewahren, vor diesem Verfallen sein an eine solche Todeskultur und -struktur?
Wie ist es möglich, diesem Gefängnis zu entkommen, das einen nicht weiterkommen lässt als zu sagen „Man müsste mal“?
Ist es möglich von diesen tödlichen Strukturen, vom Gesetz der Sünde, wie es Paulus nennt, befreit zu werden?
Die eingangs erwähnte Autorin will ihr Buch als einen Weckruf verstehen, als eine überspitzte, polarisierende Streitschrift. Sie will damit anstößig sein, das Problembewußtsein schärfen, um damit etwas in Gang zu bringen und Mitstreiterinnen zu finden. Sie hat sich hohe Ziele gesteckt. Nachvollziehbar. Geht es doch um die Zukunft der Jungen, der Kinder und dieses Globus.
Paulus beantwortet seine Frage auf eine etwas andere Weise, mit einem eher erleichternd klingenden Hinweis:
25Dank sei Gott! Er hat es getan durch JesusChristus, unseren Herrn!
Für ihn ist damit alles gesagt. Für Martin Luther und für den ein oder anderen gläubigen Christenmenschen auch. Weil uns durch Jesus Christus Gottes frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt widerfährt, die uns zugleich auch in Anspruch nimmt zu freiem, dankbarem Dienst an unseren Mitgeschöpfen, wie es die Barmer theologische Erklärung formulierte.
Für viele Menschen heute ist das vermutlich kein hilfreicher, kein weiterführender und schon gar kein befreiender Hinweis.
Und doch will ich es nicht unversucht lassen daran zu erinnern:
Diese gottlosen Bindungen, dieses Gesetz der Sünde, es ist da. Es wirkt. Es beeinflusst Menschen uns alle und zwar ganz gehörig. Mehr als uns lieb ist.
Wäre aber Jesu heilend, kritisch entlarvendes, anstößiges und befreiendes Handeln und Reden mit seiner tödlichen Hinrichtung endgültig begraben worden, dann wäre er mit seiner Botschaft wirkungslos geblieben. Kraft seiner Auferstehung jedoch, kraft seiner Präsenz über seinen gewaltsamen Tod hinaus, die weit mehr als der engste Freundeskreis wahrgenommen haben, vermögen wir es das Gesetz der Sünde, das uns gefangen hält,zu entlarven und offenzulegen.
Jesu Auferstehung ist Ausdruck des Widerstands gegen das Gesetz der Sünde. Darin ist für Christenmenschen die tiefe Liebe zu einem guten Leben, zum Menschen, zur Zukunft dieser Welt verwurzelt. Daraus schöpfen viele die Kraft, die sie nichts verloren geben lässt, die einem den langen Atmen gibt, die einen aufrecht erhält, immer wieder von neuem die kleinen Schritte der Befreiung zu beschreiten. Die einen vom „Man müsste mal“ zum „Jetzt mach ich mal“ bewegt. Die einen Verbündete finden und darüber jubeln lässt was an Gutem gelungen ist. Dank sei Gott.
Amen
Perikope