„Über Sand und Stein“, Predigt zu Matthäus 7, 24-27 von Dörte Gebhard
7,24

„Über Sand und Stein“, Predigt zu Matthäus 7, 24-27 von Dörte Gebhard

Liebe Gemeinde,
am Fuße der Bergpredigt, am Ende dieser Riesenrede[1], geht es um ‚Grund-legendes‘.
Die Fundamentalisten dieser Welt sind sich immer schon vorher einig: Bei den Fundamenten soll alles schön einfach sein, übersichtlich, klar und deutlich.
Am Ende der Bergpredigt steht geschrieben:
Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.
Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute.
Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und sie stießen an das Hans, da fiel es ein, und sein Fall war groß.        (Mt 7, 24-27)
Liebe Gemeinde,
es scheint wirklich alles sehr einfach: hier Fels und Klugheit, dort Sand und Dummheit. Ganz einfach.
Steht nicht fest, dass wir ein festes Fundament für unser Leben brauchen?! Heute, an diesem Tauftag, taucht sie auf – die Frage nach dem Fundament unseres Lebens, das wir kaum je sehen, auf dem wir aber stehen, ob wir’s kennen oder nicht.
Mit den Fundamenten ist es nicht so einfach.
Keiner soll sich das einreden!
Es war auch nie einfach, auch nicht früher oder ganz früher oder noch davor …
Und es wird auch in Zukunft nicht einfacher mit den bröckelnden Felsen und den mächtigen Sandwüsten dieser Welt – Steine sind es hier wie dort, es ist kommt auf ihre Größe an!
1. Ganz grundsätzlich: Soll man überhaupt bauen?
Am Anfang steht aber die Frage aller ernsthaften Christen: Soll ich überhaupt etwas bauen? Werde ich nicht mein ganzes Leben lang unterwegs sein? War bei der Taufe nicht von den Lebenswegen die Rede? Reicht nicht ein Zelt?
Jesus hatte eine Lehre als Zimmermann absolviert, immerhin. Paulus, der mobilste Apostel aller Zeiten, war bloß noch Zeltmacher! Wenn er nicht gerade hinter Mauern und Gittern in den Gefängnissen der Römer saß, war er rastlos unterwegs – und damit in der damals bekannten Welt fast überall zu Hause. Er kehrte ein, gern und selbstverständlich, in die Häuser der ersten Christen. Er war kein Zeltfundamentalist, wenn es darum ging, bei einer Lydia zu Gast zu sein.
Die Christenheit braucht beide: Häuserbauer und solche, die an die Türen klopfen; Menschen, die bleiben und solche, die unterwegs sind. 
Trotzdem, man hat Jesus in den Mund gelegt:
„Die Welt ist eine Brücke, überquere sie, doch baue auf ihr kein Haus.“ So war für mich zu lesen am Bienenhäuschen eines steinalten, extrem mobilen Mannes in Dresden, der doch daneben noch ein Haus hatte, wieder aufgebaut, nachdem er im Krieg wohl alles und noch mehr verloren hatte. Das ist ein guter Spruch – für eine Haustür, damit sie sich von Herzen leicht öffnen lässt.
Doch, wir sollen bauen, wir brauchen ein Dach über dem Kopf, wir brauchen verschließbare Türen und Fenster für unsere Seele. Wir müssen irgendwo bleiben im Einstweilen. Das hiesige Unwetter vom 13. Juli hat es an den Tag gebracht, wie schutzlos wir schon in einem beschädigten Haus sind.
2. Ohne Felsen? Gemeinsam bauen!
Wenn ein Haus gebaut wird, dann wird es klugerweise auf Fels gebaut, auf etwas Stabiles, Verlässliches. Das ist alles andere als einfach!
Denn die nächste Frage hängt schon in der Luft: Was ist, wenn kein Felsen in Sicht ist? Nur Sand, soweit das Auge reicht? Wenn Kinder aufwachsen ohne geliebt zu sein mit ihren großen Sorgen vor dem Leben? Wenn Menschen glauben lernen, eine einzige Enttäuschung oder Zumutung oder einfach zu viel für alle anderen zu sein?
Ich bin ohne jegliche Felsen aufgewachsen, in der sehr sandigen, entweder staubigen oder matschigen norddeutschen Tiefebene. Doch gibt es dort beeindruckende Bauten und überaus stabile Fundamente. Denn Sand und Lehm können mit Gottes Hilfe und großer menschlicher Anstrengung fest werden, wenn man sie zu Backstein brennt.
In Lübeck steht auf einem kleinen Hügel zwischen zwei Flüsschen, Trave und Wackenitz, die Marienkirche. Ihr Gewölbe ist 38,5 m hoch, es ist das höchste Backsteingewölbe der Welt und mit 100 m Länge ist sie die drittgrößte Kirche Deutschlands. Diese Kirche ist von sehr klugen Menschen mit einem festen Fundament vor Jahrhunderten in den Sand gesetzt worden und steht bis heute. Probleme gab es bezeichnenderweise erst, als dumme Leute vor ein paar Jahren anfingen, daneben ein Kaufhaus zu sprengen, weil sie ein noch gigantischeres bauen ‚mussten‘.
Warum erzähle ich Ihnen vom fernen Lübeck? Weil man daran lernen kann, dass Menschen, die miteinander wirken, sehr feste Fundamente füreinander und zur Ehre Gottes schaffen können. Wir sind nicht berufen, über die Wüsten der Welt zu jammern und uns unsere Lebenszeit wie Sand durch die Finger rinnen zu lassen. Wir sind gerufen, zuzuhören und dann etwas zu tun: wer diese meine Rede hört und tut sie …
Wir sind bestimmt dazu, uns miteinander um die Fundamente unserer Gesellschaft zu kümmern, damit sie nicht sozial explodiert. Wird ein Kind getauft, sind wir alle beauftragt, am gemeinsamen Lebensfundament mit zu bauen: dass Emanuele zuerst hier und dann überall auf der Welt Kirchen mit offenen Türen findet, dass er sich felsenfest auf seine Familie, auf seine Freunde, auf seine Paten verlassen kann, wenn Stürme toben und Wasser heranfluten, dass er nie allein am Fundament seines Lebens bauen muss. 
Das ist alles andere als einfach, sondern immer eine vielfache Herausforderung. Einer allein konnte die Marienkirche in Lübeck nicht bauen. Keiner kann sich allein sein Fundament legen, so wie sich auch niemand am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann.
Ich kenne einen außergewöhnlichen Menschen, einen Künstler. Wenn man ihn bei seiner Arbeit nur wenige Minuten beobachtet, ist man gewiss, dass ihm seine Berufung zum Beruf geworden ist und man spürt die immense Kraft, die daraus erwächst und die auf alle Beteiligten ausstrahlt.  Immer aber behauptet er, dass er alles, was er macht, nur mit anderen zusammen tun kann. In rein technischer Hinsicht stimmt das nicht, aber es geht um die Fundamente seines Tuns und dann ist es wahr: Es geht nicht allein. So will er auch einzeln gar nichts anfangen.
Manchmal versuchte ich schon, ihn zu überreden, es doch wieder einmal allein zu wagen. Aber das war recht dumm. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu begreifen, welch besondere Weisheit darin liegt, wenn man im Herzen verstanden hat, dass man sich allein kein Fundament legen kann, dass man hoffen und vertrauen muss auf viele andere, die mitbauen.
Wer dabei noch nie enttäuscht wurde, hat sein Leben in Isolationshaft verbracht. Jeder kennt den Schmerz, der von den Zähnen direkt in die Seele zieht, wenn wir bei unseren Nächsten auf Granit beißen, wenn alles unabänderlich scheint, wenn kein Horizont die Aussichtslosigkeit mit seiner Freiheit begrenzt.
3. Aus Fels wird Sand – und aus Sand wieder Stein.
Aber sofort hängt die nächste grundlegende Frage über den Fundamenten unseres Glaubens, unseres Vertrauens: Was, wenn das, was einst Fels schien, zerrieben wird? Wenn das Fundament nicht unter den großen Stürmen zusammenbricht, nicht von der Flut fortgerissen wird, sondern sich aufreibt in den Routinen des Alltags – seit der Taufansprache habe ich diesen Stein in der Hand und bin schon ganz staubig …
Auf unserer Welt geht auch jeder noch so harte Fels den Weg alles Irdischen: Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub … Bei den Alpen dauert es länger als bei diesem Stein, den ich bis zum Ende des Gottesdienstes vollkommen zerbröselt haben könnte, aber es geschieht unaufhaltsam, überall.
Niemand richte daher voreilig über die Menschen, die die Suche nach einem Felsen aufgegeben haben, die erschöpft sind von so vielen Versuchen, ihr Lebenshaus stabil zu bauen.
Sie hatten vielleicht große Erwartungen an ihre Lebenspartner und –partnerinnen – zu hohe Erwartungen, wie die Psychologen im Chor singen, und können die Liebe kaum noch für ein diskutables Fundament halten.
Ein inzwischen normaler Arbeitnehmer, der um die halbe Welt gehetzt wird, der nicht mehr zählen kann, wie oft er die Stelle wechseln musste, wie oft er vollkommen Neues lernen musste, um sich wieder oder besser verkaufen zu können, wird vielleicht verunsichert von Luther hören, dass man seine Arbeit als Beruf und Berufung verstehen können soll, als Gabe Gottes, der Menschheit Gutes zu tun.
Wer täglich nach seiner jeweiligen Leistung berechnet wird – kann der hören, dass das Fundament eigentlich da wäre, um bebaut zu werden und nicht aus dem nichts geschaffen werden muss?
Papst Benedikt XVI. hat die Frage nach dem Fundament sehr gründlich bedacht und geschrieben, dass das Abendland seinen Namen heutzutage überhaupt erst richtig verdient. Das Abendland – vorgestellt als abendlicher Lebensort der Erschöpften, die vom ewigen Entscheidenmüssen über Fels und/oder Sand müde geworden sind und sich nach Ruhe und Rekreation sehnen.
Es ist wahr: Jeder Fels wird – irgendwann – Sand werden. Aber darin liegt der tiefe Trost: Aus Sand wird über die Zeiten auch wieder Stein: Sandstein. Das passiert nicht in einem kleinen Menschenleben, dazu braucht es die Zeiten Gottes. Es mag 26 Millionen Jahre her sein, da hatte Appenzell noch eine Küste mit Sandstränden – und der Sand dieses Steins lag dort unbeachtet und wie überflüssig herum, denn die Dinosaurier waren damals schon alle tot. Damals konnte außer Gott niemand wissen, dass dieser Sand als Stein heute für die Predigt in Brittnau gebraucht werden würde und nachher Emanuele zur Erinnerung an seine Taufe geschenkt werden wird und er ihn – wohlmöglich, wer weiß – von nun auf seiner Lebensfahrt begleitet wird.
Sandstein ist das Symbol für einen schwer zu lernenden Trost: Wenn es sich begeben sollte, dass ich mit aller Dummheit etwas völlig in den Sand setze, dann mag es lange dauern, bis der Schaden wieder gut gemacht ist, aber es muss nicht ewig derselbe Sand bleiben. Mit der Zeit, die ich nicht überblicke, unter Druck und Temperatur, die ich mir nicht vorstellen kann, wird wieder Stein daraus.
Es kann wieder Sandstein werden, ein Stein, der form- und gestaltbar ist, aus dem man wunderbare Städte wie Dresden oder – dasselbe in Grün – Bern bauen kann, die, zwar von Menschenhand geschaffen, doch wieder gewisse Zeiten überdauern kann.
Liebe Gemeinde,
was haben wir gehört am Fuße der Bergpredigt? Von einer verwirrenden Fülle von Fundamenten: Fels und Sand und Granit und Staub und Geröll und Sandstein und mittendrin wir mit unseren Hütten, mehr oder weniger stabil.
Was sollen wir nun tun am Fuße der Bergpredigt, wenn wir das alles gehört haben? Ich beende meine Predigt mit zwei sehr harmlosen Taten, die in der Bergpredigt geraten werden. Wer sie sicher beherrscht, kann auf dieses Fundament aufbauen und weiter vordringen bis zum Unser Vater und der Feindesliebe.
Banal, aber hilfreich ist erstens:
Richtet nicht! (Mt 7,1)Wir sind nicht gefragt als gegenseitige Gutachter und Kontrolleure und Oberwachtmeister unserer Fundamente. Wer etwas in den Sand setzt, hat keinen spottenden Besserwisser nötig, sondern einen, der ein neues Fundament bauen hilft, der zeigt, was ihm selbst einst geholfen hat.
Zweitens ist immer gut:
Und wenn dich jemand zwingt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei! (Mt 5, 41)Wir sind nicht gefragt als starre, sture, stumme Wegweiser zu den eigentlichen Fundamenten, sondern als solche, die mitgehen, damit wir die Erschöpften stützen können, denen unterwegs der Weg weit wird, damit wir nicht vergessen, dass auch wir immer noch suchen und uns nicht mit Fundamenten brüsten, die wir gar nicht gelegt haben, sondern unsere Vorfahren und Freunde und Gott.                                                           
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus                                Amen.

  
  
    [1] Bis zum Theologiestudium dachte ich, dass die Bergpredigt genau deshalb Bergpredigt heißt, weil sie ein solch überwältigendes Wort- und Wahrheitsgebirge ist, an dem man sich die Zähne ausbeißen muss.