4. Advent: "Ungeahnte und unerwartete Gottesbegegnung" - Predigt über 1. Mose 18, 1-2.9 von Claudia Scharschmidt-15
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4. Advent: "Ungeahnte und unerwartete Gottesbegegnung" - Predigt über 1. Mose 18, 1-2.9 von Claudia Scharschmidt-15

Ungeahnte und unerwartete Gottesbegegnung
Annette versucht, nicht zu weinen. Aber die Tränen laufen ihr unaufhörlich über die Wangen.  Sie kommt gerade vom Arzt, der ihr gesagt hat, dass sie keine Kinder bekommen kann.  Ihr Verlobter Christoph steht vor der Praxis, sie hatten sich verabredet und wollten noch einiges erledigen. Eigentlich war es nur ein jährlicher Routinebesuch, bei dem sie nicht mit einer solchen Diagnose gerechnet hatten.
Vor einigen Monaten  waren sie in die Stadt gezogen. Beide hatten nach dem Studium jeweils eine  gute Stelle gefunden.  Sie haben eine schöne Wohnung und im Sommer ist ein großes Hochzeitsfest geplant. Es hätte alles so schön sein können. Und nun diese Diagnose.
Christoph nimmt Annette in den Arm. Er weiß nicht, was er sagen soll. Etwas sitzt ihm im Hals, dass ihn nicht sprechen lässt. Sie hatten sich die  Zukunft in ihrer Phantasie so schön ausgemalt. Zwei Kinder haben sie sich gewünscht. Zuerst einen Jungen und dann ein Mädchen, damit der große Bruder seine kleine Schwester später einmal beschützen kann. Dass sollte nun nicht sein?
Einige Wochen später hat Annette einen Termin bei einer anderen Ärztin. Sie wollen eine zweite Meinung einholen. Dieses Mal begleitet Christoph sie. Noch einmal möchte er sie nicht alleine lassen. Sie haben Angst. Wird die Ärztin die Diagnose des Kollegen bestätigen oder gibt es nicht doch noch ein kleines Fünkchen Hoffnung? Gespannt sitzen sie nach den Untersuchungen im Beratungszimmer. Die Ärztin erklärt ihnen die Diagnose. Sie ist sich sicher, dass ihr Kinderwunsch nicht hoffnungslos ist. 
Zwei Jahre später sitzen Annette und Christoph in der Kirche, weil sie ihre kleine Tochter Anna taufen lassen wollen. Sie sind voller Dankbarkeit und Glück.
Vielen Paaren kann heute bei einem unerfüllten Kinderwunsch geholfen werden. Aber nicht allen. Ich habe im Internet gelesen, dass es mehr als 10% aller Paare mit Kinderwunsch eines Jahres sind, die kinderlos bleiben (www.wunschkinder.net).  Wie gehen Frauen und Männer mit einer solchen Diagnose um?
Annette, die junge Frau von der ich anfangs erzählte, war nach dem Befund  verzweifelt und haderte mit ihrem Schicksal. Nachdem die aufgewühlten Gefühle wieder zur Ruhe gekommen waren, konnten sie und ihr Verlobter wieder klare Gedanken fassen. Sie wollten nicht so schnell aufgeben und holten sich weiteren Rat.  Sie waren jung und hatten Zeit.
Anders erging es einer Frau mit der ich zufällig ins Gespräch kam. Sie war Mitte 40 und hatte einen kleinen Jungen von  ungefähr  5 Jahren auf ihrem  Schoß. Ihr Kinderwunsch war viele Jahre ohne Erfolg geblieben. Keine Behandlung und keine Therapie konnten ihr helfen. Es war für sie und ihren Mann  eine lange Zeit schwer zu akzeptieren, dass sie Kinderlos bleiben würden. Dann  hatten sie ihr Leben neu aufgestellt, sich in der Gemeinde vor allem in der Kinderarbeit engagiert. In dem Jahr, in dem sie 40 werden sollte, fühlte sie sich immer mal wieder nicht wohl. Sie schob es auf die beginnenden Wechseljahre. Haben.  Während einer  Untersuchung stellte die Ärztin eine Schwangerschaft im vierten Monat fest. „Nein, das kann nicht sein!“ Ungläubiges Lachen war ihre erste Reaktion. Und dann drehte sich alles in ihrem Kopf. Was, wenn doch? Sollte ich nach so vielen Jahren wirklich noch Mutter werden? In meinem Alter? Freude, Unglaube, Zweifel nahmen von ihr Besitz. Ganz langsam nur konnte sie diese Tatsache annehmen und allmählich wuchs die Freude in ihr.
Und ich möchte heute noch von einer dritten Frau erzählen, von Sara. Ihr Leben beeindruckt mich. Sie ist eine starke Frau des Alten Testaments, die Höhen und Tiefen erlebt hat. Noch im vorgerückten Alter zieht sie mit ihrem Ehemann Abraham auf Gottes Geheiß hin in ein fremdes Land. Sie lassen alles hinter sich, allen Komfort, alles Gewohnte und Vertraute. Sie tauschen das bequeme Stadtleben gegen die Strapazen eines Nomadenlebens. Auf ihrer Wanderschaft begleitet sie  der Segen Gottes, wie im 1. Buch Mose berichtet wird (1. Mose 17,16) „Denn ich will sie segnen, und auch von ihr will ich dir einen Sohn geben; ich will sie segnen, und Völker sollen aus ihr werden und Könige über viele Völker.“
Sara vertraut und glaubt Gottes Verheißung, auch wenn sie nicht mehr in einem Alter ist, in dem Frauen noch schwanger werden. Und es passiert nichts. Sie wird nicht schwanger. Wer kann es  dann nicht verstehen, dass sie zu zweifeln beginnt. Wie mag sie sich gefühlt haben, als sie zu der Überzeugung kommt, dass sich ihr Wunsch nach einem Kind nicht erfüllen wird. Ich denke, die Enttäuschung und Verzweiflung waren sehr groß. Vielleicht drückte sie auch die Last der Schuld, Abraham keinen Erben gebären zu können. Wie sehr ihre eigenen Gedanken über Schuld Versagen und Enttäuschung sie belasteten, weiß ich nicht. Aber ich kann mir gut vorstellen, wie ihr zumute war. Und ist es nicht so, dass Menschen in solchen belastenden Situationen auf die verrücktesten Ideen kommen? Obwohl, so verrückt war es ja gar nicht. Es war jüdisches Recht, dass eine Sklavin stellvertretend für die Herrin schwanger wurde und für sie ein Kind zur Welt brachte, um die Erbfolge zu sichern.  Also legte Sara ihre Magd Hagar in das Bett Abrahams. Wie war das für Sara zu sehen, dass die andere, die jüngere  Frau Abrahams Kind erwartete? Es ging ihr nicht gut, was sich sehr deutlich an ihrem Verhalten der Magd und ihrem Sohn gegenüber erkennen lässt. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich hier nicht weiter verfolgen will.
Sara ist inzwischen in einem Alter, in dem sich heute Rentner über ihre Urenkel freuen. Hat sie manchmal noch an die Verheißung Gottes gedacht, in der es heißt, dass sie ein Kind Abrahams gebären wird? Ich kann mir gut vorstellen, dass sie es aufgegeben hat. Nicht weil sie nicht Gott geglaubt hat, sondern um sich davor zu bewahren, eine verbitterte alte Frau zu werden.
Wie es weitergeht, erzählt unser Bibeltext: Gott kommt zu Abraham und Sara und erneuert seine Verheißung. „Da sprach Gott: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben. Das hörte Sara hinter ihm, hinter der Tür des Zeltes.“ (1. Mose 18,10) Und was macht Sara, als sie das hört? Sie lacht! Lacht sie Gott voller Unglauben aus, wie es manchmal ausgelegt wurde? Ich glaube nicht! Ich glaube es ist „das Lachen des unerwarteten Glücks“ wie Dorothee Sölle es nennt. (Dorothee Sölle Gottes starke Töchter /  Große Frauen der Bibel © Matthias Grünewald-Verlag Ostfildern) Sara ist eine Frau, die sich nicht enttäuscht und verbittert von Gott abgewendet hat. Sie glaubt an ihn und seinen Verheißungen. Und dann holen sie Logik und Verstand doch wieder ein und sie erschrickt über ihre aufflammende Hoffnung und verleugnet sie.
Das Leben Saras ist für mich ein Beispiel für die Liebe und Treue Gottes, die er den Menschen schenkt. Sie hat sich in keiner Lebenslage, mochte es für sie noch so schwer sein,  von ihm abgewandt. Er hält sein Versprechen und macht unmögliches möglich. Sara bekommt das ersehnte Kind in einem Alter, in dem es nach menschlichem Ermessen nicht mehr möglich ist und sie nicht mehr damit rechnet.
Saras Leben steht auch für mein Leben, für unser aller Leben. Gott hat uns zugesagt, mit uns zu gehen, uns zu stärken und zu schützen. Er hat uns in unserer Taufe gesegnet und wir sind seine geliebten Kinder. Vielleicht kennen sie auch das Gefühl, so wie Sara, die die Nähe Gottes in ihrem Leben nicht immer spüren konnte. Aber doch war er da und so ist er da, auch für uns. Er wirkt in unser Leben hinein. Es liegt an uns, es zu erkennen und es anzunehmen, wenn er uns beschenkt. Die biblische Geschichte von Sara zeigt mir, dass Gott in Situationen in mein  Leben eingreift, in denen ich am wenigsten damit rechne. Ich will vertrauen und mich überraschen lassen! Und ich hoffe sehr, dass ich seine Zuwendung erkenne und nicht achtlos darüber hinweggehe. Denn nicht immer kommt Gott in spektakulären Gesten wie z.B. in der Geburt eines Kindes und macht es mir leicht, ihn dadurch  zu erkennen. Oft ist es leise und alltäglich. So wird es bestimmt in den kommenden Tage eine große Herausforderung sein zu erkennen, wie Gott durch die Geburt seines Sohnes auch heute noch  in unser Leben hineinwirken will.