Abendmahl: Entzaubertes Geheimrezept oder Wegzehrung für alle Zukunft - Predigt zu 1. Korinther 11,23-26 von Markus Kreis
11,23-26

Abendmahl: Entzaubertes Geheimrezept oder Wegzehrung für alle Zukunft

Das Ende ist nah, liebe Gemeinde. Und was für ein Ende. Menschen erheben sich von ihren angestammten Plätzen, sie stehen auf, gehen los, ja, zuweilen strömen sie geradewegs. Nur um dann doch wieder anzuhalten. Und sie warten beharrlich. Sie wollen hineinkommen in die in sich sich gekehrte Runde der Auserwählten. Sie wollen teilhaben an dem Reichtum, der sich in dieser Welt zeigt.

Und sie kommen dran, kommen an die Reihe. Es wird Rücksicht genommen, sie bekommen etwas ab. Nehmen ihren Teil an sich und zu sich. Flüchtende, die es aus den dunklen Ecken ihres Lebens in eine gute, lichte Welt zieht. Menschen, die ihr Leben im Guten und Bösen miteinander teilen und darin Frieden suchen.

Jedes Mal, wenn eine christliche Gemeinde Abendmahl feiert, ereignet sich das,  dieses nahe Ende: das Aufstehen, Losgehen, Anstehen, Rücksicht nehmen, Bekommen, Teilhaben. Das nahe Ende der Welt. Dieses eine nahe, welches jedoch das ferne Ende im Voraus erschaut und vorweg nimmt. In der Feier des Abendmahls kommt Gottes fernes Ende und Ziel uns nahe: die Wallfahrt allen Volkes und aller Völker nach Jerusalem zu einem großen Festmahl.

Hat doch Gott in Jesu Kreuz den Weg in das begonnen und begangen, was ihm fremd war: in den Tod und zu den Heiden. Und von da ist er mit den Fremden als vergrößerte Gefolgschaft zu sich Heim gekehrt. Das gewährt, dass wir im Abendmahl die Überwindung der Distanz zwischen Fremden vorweg nehmen und feiern.

Dieses ferne Ende kommt nahe in der Feier des Abendmahls, Gottes gutes Ende für alles Volk und alle Völker. Gottes gutes Ende, so wie es sich im Glauben der Kirche zeigt und darstellt. Auch wenn es angesichts der aktuellen politischen Ereignisse schwer fallen mag, dies als Gottes gutes Ende zu erkennen. Das erscheint manchem doch recht utopisch in dieser bewegten Welt.

Andererseits: Wer lebt schon ohne Utopien oder Ideale? Ist das in unserer Gesellschaft herrschende persönliche Gesundheitsideal nicht auch utopisch? Und wird doch von nahezu jedermann erachtet als rechtens und als befolgenswert. Und zwar unbeschadet dessen, dass kein Mensch dem biologischen Gesundheitsoptimum entspricht. Auch die Tatsache, dass Operationen und Therapien den ursprünglichen Gesundheitszustand selten wieder herstellen, tut diesem Ideal keinen Abbruch.

Krankheit und Erkrankung wird man nicht ausmerzen können, genauso wenig wie Dummheit und Faulheit. Und trotzdem glauben und verfolgen wir diese Utopie, die Ideale von persönlicher Gesundheit und Bildung. Wir erdenken und tun alles Mögliche, um dem Gesundheitsideal näher zu kommen. Das gilt auch für das Bildungsideal. Was die Völkerfriedensutopie angeht, da schaffen wir das nicht so gut, der wird mit mehr Misstrauen begegnet.

Was der Glaube als wahr behauptet, das ist in der Bibel klar formuliert und liegt eigentlich offen zutage. Und doch gilt: Was der Glaube behauptet, erscheint je nach den in der Welt herrschenden Zuständen recht geheimnisvoll und befremdlich. Das gilt auch für das nahe und ferne Abendmahl und sein Verständnis. Doch wie bereits beschreiben und gesagt: Es handelt sich bei diesem Sakrament nicht um das Geheimrezept eines Wunderdiätmittels.  

Völkerwallfahrt nach Jerusalem mit Festmahl: das wäre wie Nahosttourismus – bloß ganz ohne Gewalt im Hinterkopf. Nur lauter Vergebung. Das wäre wie ein Galadiner – ganz ohne Widerwille, bloß eine gesellschaftliche Pflichtveranstaltung über sich ergehen lassen zu müssen - mit Conveniencefood und lästigen Tischnachbarn. Nur lautere Freude aneinander und muntere Gespräche.

Was zieht uns mehr in den Bann? Was spricht uns heuer mehr an? Das Märchen von der Versöhnung fremder Personen und Kulturen? So wie es im Film namens Ziemlich beste Freunde erzählt wird? Wo der eine dem anderen trotz dessen fragwürdiger Vergangenheit nicht laufend mit Generalmisstrauen begegnet. Und der andere jenem echtes Mitgefühl erweist. Und zwar indem er ihm gangbare Wege aus seiner Opferrolle zumutet. Und ihm Nähe und Hilfe dabei leistet.

Oder bannt uns die Story, die erzählt, wie wilde Wanderwölfe alle Guten aus dem deutschen Märchenpersonal auffressen? Schön in Blauweiß mit vielen roten Einsprengseln.

Viele Kirchen und Gemeinden jedenfalls wollen das ihre zur Versöhnung von fremden Kulturen und Personen beitragen. Und so helfen sie. Und machen und tun. Hören zu und sprechen an.

Christen kennen auch eine andere Erfahrung als guten Mut und Zuversicht: Es gibt einige, die verlieren den Glauben trotz dessen Fremdheit nicht - im Gegenteil. Sie tun alles, was in ihrer Kraft steht, um zu bezeugen, dass Gottes Menschenwelt und unsere Konflikt beladene Menschenwelt vereinbar sind. 

Aber sie scheitern, sie verzweifeln dabei, weil sie mit ihrem Tun aus Glauben den offensichtlichen Gegensatz nicht zu überwinden vermögen. Sie verzweifeln an der Unversöhnlichkeit dieser gegensätzlichen Wirklichkeiten. Sie leiden unter der offensichtlichen Vergeblichkeit und Absurdität. Denn ihr Vorhaben wird allzu oft von Menschen gemachten Umständen torpediert – ganz anders als im Film ziemlich beste Freunde

Es gibt noch ein weiteres. Wie Verzweiflung ist Glaube ist eine inwendige Angelegenheit. Und manchmal wird der Glaube so sehr inwendig, dass er keinen Weg zu unserem Bewusstsein findet. So dass wir ihn offensichtlich verloren haben. Innere Emigration, Auswanderung in die bewusste Innerlichkeit – aber nicht wie in der NS Zeit wegen gottloser Verhältnisse in der Heimat. Sondern ins gottlose Exil trotz ausgeglichener Verhältnisse in den Kirchengemeinden.   

Oder der Glaube wird aus dem Bewusstsein verdrängt, wenn er gar zu Ungeheuerliches oder Unwahrscheinliches behauptet. Da wird ruckzuck der Fremde von der Liebe ausgeschlossen und Nächstenliebe in Hass für Glaubensfeinde verwandelt. Dann hängen wir ersatzweise irgendeinem Irrglauben oder aberwitzigem Wahn an. Und mit dem erklären wir uns dann Gott und die Welt so hin, wie wir es gern hätten.

Aber der Glaube herrscht in uns. Auch wenn wir nichts davon mitkriegen. Gottes Glaube bestimmt uns, auch wenn wir uns explizit gegen das aussprechen, was er beansprucht. Gottes Glaube regiert in uns ohne unser Wissen. Auch wenn wir das nicht glauben können.

Das Abendmahl ist nicht nur das entzauberte Geheimrezept, sondern auch Gottes Lebensmittel. Das Abendmahl ist Gottes Wegzehrung für uns. Proviant, der beim Überwinden der Distanz zwischen fremden Kulturen und Personen hilft.

Für Katholiken ist das vielleicht etwas leichter einzusehen als für Protestanten. Distanzüberwindungsproviant. Unter ihrem Dach dürften sich mehr verschiedene Kulturen und Typen finden als bei den evangelischen Kirchen.

Andererseits: Kolossale Fremdheit soll es sogar zwischen alteingesessenen Bewohnern eines evangelischen Dorfes gegeben haben. Und immer noch geben. Ebenso allerdings deren Überwindung in der Abendmahlsfeier.

Gottes gibt uns in Brot und Wein seine Wegzehrung. Denn der Weg zum Fremden zehrt an uns. Angst essen Seele auf. Wir verlieren den Glauben. Wir glauben, aber wir verzweifeln an der Vergeblichkeit unserer Bemühungen. Wir flüchten in Wahn und Aberglaube vor den Realitäten. Die Distanz zum Fremden zu überwinden - das kostet uns so einiges an Überwindung.

Diese Dienstreisekosten gleicht Gott mit seiner Wegzehrung aus. Irrglaube und Wahn verlieren sich. Verlorener Glaube findet sich wieder. Der Glaube an sich und an seine Talente stellt sich wieder ein. So wie der Glaube an die eigene Aufgabe vor Gott. Mitsamt dem Glauben an die Menschlichkeit auch noch so fremder Menschen. Egal, ob sie aus dem eigenen Quartier oder von den Enden der Erde stammen.

Verzweiflung und Vergeblichkeit münden in der Bitte um Vergebung für eigene unerkannte Fehler. Ja, es gibt noch mehr zu hoffen: Verzweiflung und Vergeblichkeit verwandeln sich durch Einsicht des Gegenüber in die eigene Vergebungsbedürftigkeit.

Der Andere, der Fremde erahnt seine Unzulänglichkeit und bittet um Vergebung. So kann aus Verzweiflung und Ohnmacht Mut und Ausdauer entstehen. Keiner muss in der Opferrolle verharren. Denn der andere verhilft ihm zu gangbaren Wegen daraus. Keiner wird bei seiner Vergangenheit behaftet,

denn er zahlt kleine Vertrauensvorschüsse mit gleicher Münze zurück. Kleine Fortschritte überwinden große Distanzen.

Als echte Himmelsspeise versiegt Gottes Proviant für uns erst, wenn der Herr kommt. Will sagen: Gottes Wegzehrung für uns wirkt immer stärker als die menschlichen und unmenschlichen Kräfte, die uns auf Gottes Weg zusetzen. Die Überwindung der Distanz wird gelingen.

So gesehen enthält das Abendmahl als göttliche Wegzehrung noch eine dritte Bedeutung: Die Distanz verzehrt sich. Der Weg wird sich von selbst verzehren. Die Distanz zwischen fremden Personen und Kulturen wird sich zwangsläufig aufheben in ein neues Miteinander. Unaufhaltbares Überwinden. So wie im Frühling Wurzeln ihre Triebe aus dem Dunkel ins Licht winden. Ein Wunder.

Kein Wunder. Hat doch Gott in Jesu Kreuz den Weg in das begonnen und begangen, was ihm fremd war: in den Tod und zu den Heiden. Und von da ist er mit den Fremden als vergrößerte Gefolgschaft zu sich Heim gekehrt. Das gewährt, dass wir im Abendmahl die überwundene Distanz zwischen Fremden vorweg nehmen und feiern. Das zeigt, dass wir in der Abendmahlsfeier auf Gottes guten Wegen wandeln. Amen.

 

Perikope
24.03.2016
11,23-26