9 Oder wißt ihr nicht, daß die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Laßt euch nicht irreführen! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder, 10 Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes ererben. 11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes. 12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangennehmen. 13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichte machen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. 14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. 15 Wißt ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne! 16 Oder wißt ihr nicht: wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: »Die zwei werden ein Fleisch sein« (1. Mose 2,24). 17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm. 18 Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe. 19 Oder wißt ihr nicht, daß a euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und daß ihr nicht euch selbst gehört? 20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.
Liebe Gemeinde!
„Viel mehr tut ihr Unrecht und übervorteilt“, schreibt Paulus im Vers vor unserem Abschnitt. Und dann: „Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?“ Das ist kein sanftes Säuseln, sondern konfrontative Kommunikation, oder einfacher: Zurechtweisung mit klaren Worten. Nicht jeder kann das, nicht jede darf sich das rausnehmen, aber Paulus als Gründer-Vater der Gemeinde erlaubt sich solche Worte. Ob sie angekommen sind, angenommen wurden? Die Briefe an die Christen in Korinth spiegeln uns, dass die Position des Paulus nicht unangefochten war. Wie so oft unter Menschen gab es Mitbewerber, Prediger, sogenannte Apostel, die mitreißend predigten; da erschien Paulus als lahme Ente, dem manchmal schwer zu folgen war.
„Viel mehr tut ihr Unrecht und übervorteilt“. „Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?“ Was Paulus damals der christlichen Gemeinde in Korinth geschrieben hat, gilt nicht automatisch auch uns. Aber weil die damals und wir heute Menschen sind, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch wir uns angesprochen fühlen könnten. Weil die damals und wir heute Christinnen und Christen sind, versuchen wir respektvoll auf Paulus zu hören. Was er beschreibt, ist uns nicht fremd: Wie schnell ignorieren wir Grenzen, wenn uns ein Vorteil winkt! Und beruhigen das schlechte Gewissen damit, dass Grenzüberschreitungen zum Menschsein gehören, andere dasselbe tun und wir doch letztlich aus Glauben gerechtfertigt sind. Dabei wissen wir doch, gerechtfertigt aus dem Glauben an Jesus Christus heißt zugleich, wir sind ausgerüstet und gesandt zu einem Leben, in dem „Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Römer 14, 17) sichtbar werden.
„Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?“ Ungerechtigkeit ist Grenzüberschreitung zu Lasten der Mitmenschen, Missachtung göttlicher Weisung, Minderung oder Zerstörung von Leben. „Der HERR hat dich wissen lassen, Mensch, was gut ist und was er von dir erwartet: Halte dich an das Recht, sei menschlich zu deinen Mitmenschen und lebe in steter Verbindung mit deinem Gott!“, so heißt es beim Propheten Micha. (6,8) Wer durch Jesus Christus mit Gott verbunden ist, weiß darum, was gut ist und das Leben fördert. Das eigene Leben ist doch in dieser Verbindung zu Gott zum Frieden gelangt, hat eine gute, bewahrende Ordnung bekommen. Im Vertrauen auf Jesus wissen wir: ER hat überbrückt, was von Gott trennt, so dass Gottes Segen nicht mehr verdirbt, sondern unser Leben grünen lässt wie einen Garten, der gute Erde, Wasser und eine pflegende Hand erfährt. Deshalb kann weder im Bereich der Sexualität noch des Umgangs mit Geld und Gut Gier und Selbstsucht das Verhalten bestimmen.
Ich nehme aus den von Paulus genannten Grenzüberschreitungen den Ehebruch heraus. In der griechischen Welt war die Ehe vor allem deshalb geschützt, weil die Legitimität des Nachwuchses wichtig war. Die Familie war entscheidender Pfeiler des Staatswesens. Ein Besuch im Bordell war für den verheirateten Mann kein Problem. Aber in die Ehe eines anderen Bürgers einzudringen war untersagt. Paulus dagegen denkt von der Bibel her. In eines anderen Ehe eindringen geht nicht; aber auch der Besuch im Bordell ist für Christen keine Möglichkeit. Paulus hat nicht nur Gottes Gebote (2.Mose 20, 14; 3. Mose 20, 10) vor Augen, sondern auch die Spruchweisheit Israels und die Lehre Jesu (vgl. Sprüche 6, 20-7, 27; Sirach 9, 1-13). In Sprüche 23, 26-28 heißt es: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen. Denn die Hure ist eine tiefe Grube, und die fremde Frau ist ein enger Brunnen. Auch lauert sie wie ein Räuber und mehrt die Treulosen unter den Menschen.“ Mann und Frau werden im Vollzug der Ehe eins mit Leib und Seele (1. Mose 2, 24; Mt. 19, 5-6). Ehe und Familie verleihen dem Leben Stabilität; vor allem die Familie war das soziale Netz. All das steht hinter dem Gebot „Du sollst nicht ehebrechen!“ Für Paulus und die ganze Bibel ist dieses Gebot nicht nur eine vernünftige, das Leben stabilisierende Regel, sondern ein Gebot Gottes. Und noch etwas: Die Übertretung dieses Gebotes bringt nicht nur Unsicherheit ins Leben, sondern sie macht treulos. „Und mehrt die Treulosen unter den Menschen“, sagt die Spruchweisheit. Treue hat mit Vertrauen zu tun; die Grenzüberschreitung im Ehebruch erschüttert das Vertrauen wie auch die Fähigkeit zu vertrauen.
In der Bergpredigt legt Jesus das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ so aus: „Ich aber sage euch: Wer eine (verheiratete) Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ (Mt. 5, 27-28). Aus unserer Sicht wirkt diese Auslegung des Gebots wie eine Anweisung zu einem verkrüppelten Leben! Wer kann schon verhindern, dass eine andere Frau, ein anderer Mann begehrenswert erscheint. Dass ein Kopfkino losgeht und vorspielt, wie spannend eine Begegnung mit der anderen Person sein würde. Muss man sich immer kontrollieren, immer auf die Bremse treten? Aber wer sich und das Leben ein bisschen kennt, weiß auch: Das Glücksversprechen, das eine andere Person darstellt, ist eine Projektion der eigenen Vorstellungskraft und hat mit der Wirklichkeit nur eine begrenzte Schnittmenge. Und: Hier auf der Erde gibt es nicht das ultimative Glück. Wir sind Menschen, jede und jeder hat seine Defizite, seinen Pferdefuß; keine Liebesbeziehung ohne Enttäuschung. Es muss gravierende Gründe geben, wenn ich mich aus meiner Ehe lösen und mit einer anderen Person neu anfangen will. Jesu Mahnung macht realistisch und das tut uns gut.
Auf Arte war am 4. 7. 21 eine Dokumentation zu sehen unter dem Titel „Wenn Liebe fremdgeht“. Sie kam sehr spät am Abend, ich habe nur einen Teil gesehen. Mir fiel auf: Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war Fremdgehen in manchen Staaten Europas verpönt, durchaus auch im ursprünglichen Sinn des Wortes – strafbewehrt. Heute wird es akzeptiert, es ist kein großes Ärgernis, kein Aufreger mehr. Sogenannte Stars machen es vor, Filme zeigen bildreich, wie spannend Sex neben der Normalspur der Ehe ist. Wer fremdgeht, hat vermutlich einen (guten?) Grund dafür. Umso mehr fällt auf, dass die Sprengwirkung eines Ehebruchs heftig sein kann. Nachdem der Ehemann den Ehebruch zugegeben hat, wirft ihn seine Frau sofort aus dem Haus. In den Schilderungen Betrogener fällt auf, wie tief die Verletzung durch das Fremdgehen des Partners empfunden wird; so tiefgehend, als wäre das Fundament des eigenen Lebens weggebrochen. Gesellschaftlich scheinbar kein Problem wird Fremdgehen im Persönlichen oft als Desaster empfunden. Im Anschluss an die biblische Spruchweisheit sage ich: Die Beheimatung im Leben ist gestört; die Erfahrung von Treulosigkeit raubt dem Leben Zuversicht und Stabilität.
Zurück zu unserem Bibelwort: Paulus stellt fest: Solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.“
Das ist unser Stand als Christinnen und Christen: Wir haben Vergebung unserer Schuld! Paulus erinnert an die Erfahrung der Taufe; durch den Namen Jesu - Gott hat ihn zum Herrn gemacht - und bestätigt durch den Geist Gottes seid ihr freigesprochen im Gericht Gottes. Das ist das Versprechen der guten Nachricht von Jesus. Deshalb gilt: Unsere Freiheit als Christen soll nicht die geistliche Gemeinschaft mit dem Herrn (zer-)stören.
„Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.“ Paulus zitiert vermutlich mit dem allerersten Teil des Satzes eine Meinung in der korinthischen Gemeinde. Die starke Betonung der christlichen Freiheit verweist auf eine Gemeinde, die sich geistlich noch in der „Pubertät“ befindet. Die noch lernen muss, dass bindungslose Freiheit zerstörerisch ist. Bindungslose Freiheit zerstört die Verbindung zu Jesus, dem Herrn. Christinnen und Christen haben sich IHM anvertraut mit Leib, Seele und Geist. Deshalb sind sie nicht frei mit ihrem Leib, Unzucht zu treiben und z. B. ins Bordell zu gehen. Als ganze Menschen sind sie erlöst und das heißt, gehen sie zu auf die Auferweckung der Toten. Als ganze Menschen sind sie Tempel des Heiligen Geistes und damit geheiligt für Gott. Gott hat sie durch Jesus als ganze Menschen freigekauft, nicht nur ihre Seele erlöst. Paulus meint das Bild vom Leib als Tempel des Heiligen Geistes realistisch; für ihn ist der Heilige Geist und sein Wirken nicht nur eine Vorstellung, sondern konkrete Erfahrung. Gottes Geist schenkt wirkliche Gewissheit des Glaubens, Gottes Geist erfüllt wirklich mit Hoffnung, Gottes Geist macht wirklich frei von zerstörerischen Bindungen; ja Gottes Geist wirkt da und dort Einsicht in Kommendes und Heilung aus Krankheit. Vor allem erfüllt er mit tiefer Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Das alles nicht deshalb, weil jemand sich aufgeschwungen hat zu Gott, sondern weil Gott durch Jesus die Tür zu einem neuen Leben aufgestoßen hat! Die Verbindung zu Jesus ist der Schlüssel zu diesem neuen Leben. Gott sei dafür Dank und Anbetung. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe zwei Gruppen von Menschen vor Augen: Menschen meiner Odenwälder Kleinstadt Bad König, aber auch die Leser und Leserinnen der Predigt im Internet.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Erst einmal stand ich vor diesem Bibelwort wie vor einem schwer zu erklimmenden Gebirge! Mit dem zweiten Predigtentwurf haben sich die Themen konkretisiert. Beflügelt? Ich wollte verstehen, was Paulus' harsche Worte für uns bedeuten.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie wichtig die Christus-Verbindung für das Leben der Christinnen und Christen ist. Ein Geist mit dem Herrn sein, Tempel des Heiligen Geistes, Gott mit meinem ganzen Menschsein preisen, das sind riesige Themen, die sich in meinem Leben und Denken noch viel mehr verwirklichen müssen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Predigt ist nach und nach gewachsen; neue Teile kamen dazu. Das kann ich mir nur als Ruheständler leisten, im aktiven Dienst fehlt dafür meist die Zeit.