Adventsaufforderungen – Predigt zu Römer 15,4-13 von Kathrin Oxen
15,4-13

Liebe Gemeinde,

die Adventszeit ist die Zeit der Aufforderungen. Es ist schwer, sich ihnen zu entziehen. Ein Einkaufsbummel, ein Blick in die Zeitung genügt. „Machen sie Wünsche wahr!“ „Lassen Sie Kinderaugen leuchten!“, „Zaubern Sie Weihnachtsstimmung!“, „Überraschen sie Ihre Lieben!“.

Diese ganze Aufforderungen und Ausrufezeichen können einem entsetzlich auf die Nerven gehen. Sie lösen bei einigen Menschen regelrechte Fluchtreflexe aus.

Wer in der Lage ist, sich den populären Adventsaufforderungen zu entziehen, ist sie aber immer noch nicht los. Auch hier, in der Gemeinde, unter den Christen, wimmelt es nur so von Adventsaufforderungen.

Ich nenne Ihnen mal die Titel einiger Stücke, die wir im Kirchenchor in der Adventszeit singen: „Singet fröhlich im Advent!“ „Freue dich, Welt!“, „Macht das Tor weit!“, „Tochter Zion, freue dich!“

Auch wir haben eben schon mit einer Aufforderung begonnen „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Ausrufezeichen, wohin man blickt, auch hier, kein Wunder eigentlich, denn wir haben die ganze Sache mit Weihnachten ja angefangen. Vielleicht haben wir es als Christen sogar doppelt schwer: Wir sind dem ganzen Weihnachtsrummel ausgesetzt und dazu noch unserem Anspruch, uns wirklich zu freuen über das Wunder, das Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist. Den Adventsaufforderungen kann man sich so noch schwerer entziehen.

 

Leider kennt auch Paulus mit uns heute keine Erbarmen: Eine große Aufforderung steht im Mittelpunkt „Nehmt einander an!“ Auch das noch, könnte man da fast denken. Eigentlich reicht es doch wirklich mit den Aufforderungen. Wer sich dieses „Nehmt einander an“ nun auch noch zu Herzen nimmt, feiert bestimmt nicht entspannter Weihnachten. Gerade im Advent, gerade in der Vorbereitung auf Weihnachten und an Weihnachten selbst wird das „Einander annehmen“ auf eine harte Probe gestellt. Gerade, wer sich richtig Mühe gibt, wird wahrscheinlich enttäuscht:

Ich schreibe zwanzig Freunden eine Karte und bekomme drei – von Leuten, denen ich nicht geschrieben habe. Das Weihnachtsessen, für das ich Stunden in der Küche verbracht habe, ist in fünfzehn Minuten gegessen und ich muss mir zum Nachtisch anhören, dass diese ganze Fresserei doch einfach furchtbar ist. Ich überreiche Geschenke, bei denen ich mir etwas gedacht, die ich liebevoll ausgesucht habe und bekomme Gutscheine, damit ich mir selbst was aussuchen kann.

Die Advents- und Weihnachtszeit kann frustierend sein, gerade für die, bei denen die Adventsaufforderungen nicht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus gehen, die es ernst meinen, die anderen wirklich eine Freude machen möchten. Von Frieden und Freude im eigenen Herzen bleibt da manchmal bis zum Heiligabend nichts übrig.

 

„Nehmt einander an“, so heißt die Adventsaufforderung des Paulus.

Zu unserem Glück geht dieser Satz noch weiter. Paulus bleibt nicht stehen bei einer von vielen Adventsaufforderungen. Der Satz geht auch anders weiter, als wir das formulieren würden. Es heißt nicht „Nehmt einander an und ihr werdet angenommen“ -so läuft das, wenn es gut geht, bei uns. Wenn wir spüren, dass die Mühe und die Zuwendung, die wir anderen geben, auch uns entgegengebracht wird. Viel zu oft und gerade zu Weihnachten passiert das nicht.

Der Satz des Paulus ist kein Satz, der uns aufruft, an die anderen zu denken, kein Satz, der einstimmt in das Geschrei der Adventsaufforderungen beim Einkaufsbummel und in den Werbeblöcken. Paulus ruft uns zu uns selbst und deswegen geht der Satz bei ihm anders weiter: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat“.

Es heißt nicht mehr „Nimm den anderen an, dann wirst du auch angenommen“, sondern „Du bist angenommen, darum nimm andere an“. Du bist angenommen, geliebt, getröstet und nur deswegen kannst du etwas davon weitergeben. Das Stichwort „Trost“ kommt mehrmals vor.

Im Heidelberger Katechismus, der genau wie Luthers Kleinem Katechismus als Einführung in das Wesentliche des christlichen Glaubens gedacht ist, geht es um eine einzige Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Sie wird beantwortet, in dem sie von „Von des Menschen Elend“, „Von des Menschen Erlösung“ und „Von der Dankbarkeit“ spricht. So bildet der Katechismus bildet genau das ab, was Paulus hier deutlich zu machen versucht: „Nehmt einander an, weil ihr angenommen seid.“ Nicht, damit ihr angenommen werdet.

 

Ein Beispiel gibt es dafür.  Wir gehören zu den Heiden, weil wir nicht durch Geburt zu Gottes erwähltem Volk Israel gehören. Aber Gott hat uns mit im Blick und im Glauben an Jesus Christus haben wir einen Zugang zu ihm. Wir werden angenommen. Jesus aus Nazareth, dessen Geburt wir feiern, ist die Hoffnung und die Möglichkeit für uns, dass wir als geborene Heiden zu Gottes Volk dazu kommen können. Der Spross aus der Wurzel Isais, Jesus aus Nazareth, als Sohn einer jüdischen Mutter geborener Jude, ist die Hoffnung für uns, dass wir zu dem Gott gehören können, den er seinen Vater nennt.

Wir sind angenommen durch Jesus Christus und können darum andere annehmen. Mich daran zu erinnern, dass wir Heiden waren und bedingungslos, aus Liebe angenommen worden sind, zeigt mir, wie wir mit den „Heiden“, die uns begegnen, umzugehen haben: Die anderen, die nicht glauben, die Konfessionslosen, die „religiös Indifferenten“ oder wie immer man sie nennen will. Sie annehmen in bedingungsloser Zuwendung heißt, nicht von oben herab zu denken, dass ihnen etwas fehlt. Sondern mit ehrlichem Interesse fragen, was ihnen wichtig ist in ihrem Leben. Und sehen, wo wir Gemeinsamkeiten haben.

 

Die Adventsaufforderung „Nehmt einander an!“ ist keine von den gewöhnlichen Aufforderungen. Sie hetzt uns nicht, sie ruft nicht dazu auf, sich um andere zu bemühen, um dadurch etwas für uns herauszuholen. Sie lenkt unseren Blick auf uns selbst, auf die Frage, wie es mit unserem Gefühl des Angenommenseins eigentlich bestellt ist. Ohne dieses Gefühl können wir nicht leben. Das Kind, das keine Annahme erfährt, wird seelisch niemals wachsen können. Der Erwachsene, der zu oft die Erfahrung macht, nicht angenommen zu sein, im Beruf, in der Partnerschaft, in der Familie, wird sich irgendwann enttäuscht und verbittert zurückziehen.

Auch in der Gemeinde leben wir davon, dass wir als die, die schon angenommen sind, andere annehmen. Das ist unsere Stärke, unsere Anziehungskraft, die sich mit dem Wort „Gemeinschaft“ nur unzureichend beschreiben lässt.

Ich glaube nicht, dass wir in der Zusammensetzung, in der wir heute hier sind, an irgendeinem anderen Ort zusammen sein könnten, dazu sind wir viel zu unterschiedlich. Aber weil wir glauben und hoffen, dass einer uns angenommen hat, können wir einander annehmen.

 

Das in der Adventszeit zu entdecken, dazu lädt Paulus uns ein. Das Geschrei der Adventsaufforderungen will uns mit aller Kraft nach außen lenken, auf den anderen Menschen und seine Wünsche und Bedürfnisse.

Für Paulus steht der andere an zweiter Stelle. Er ermutigt uns, zuerst ganz bei uns zu bleiben und das Geschenk zu entdecken, das uns mit der Geburt Jesu Christi gemacht ist. Aus dieser Entdeckung folgt dann, was zu Weihnachten gehört: Einander annehmen, weil wir angenommen sind, schenken, weil wir beschenkt sind, Wünsche erfüllen, weil unser Herzenswunsch nach bedingungsloser Zuwendung erfüllt worden ist.

Ohne das Innehalten und Nachsehen bei mir selbst bleibt vielleicht nicht der Gabentisch, aber mein Herz leer. „Der Gott der Hoffnung aber erfülle uns mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.“

 

Amen.

 

 

 

 

Perikope
17.12.2017
15,4-13