Aktion Wüstentrost – Predigt zu Römer 15,4-13 von Nico Szameitat
15,4-13

Wir haben uns auf dem Weihnachtsmarkt verabredet. Schon einige Zeit haben wir uns nicht mehr gesehen. Und auch wenn es Telefon und WhatsApp gibt – so persönlich sich treffen und miteinander reden ist doch etwas anderes. Und irgendwas hat er auf dem Herzen.
Ich bin früh da und habe noch Zeit. Lauter Menschen, die an den Buden stehen, Glühwein trinken, Backfisch oder Bratwurst essen, lachen. Da gibt es Sterne in allen Farben, da Schaffelle und bunte Tücher, und dort Räuchermännchen mit dazugehörigem Duft von „Advent“ bis „Weihrauch“. Und über das Lachen und Quatschen hinweg hört man von irgendwoher Musik. Ich folge ihr und stehe dann vor einem Mann, der auf der Panflöte „Alle Jahre wieder“ spielt. Ich summe mit. Und ich bin nicht der einzige. Ich liebe Weihnachtsmärkte!
Ah, da ist er ja, pünktlich am Treffpunkt. Zusammen schlendern wir weiter über den Markt und quatschen über dieses oder jenes. An einem Glühweinstand am Rand machen wir Halt. „Zwei Glühwein, bitte! Nee, ganz normal, ohne Schuss.“ Neben der Bude ist ein dunkler Unterstand mit einer Art Theke zum Markt hin. Wir stellen uns hinein, lehnen uns auf die Theke, wärmen uns die Hände an den heißen Bechern, schauen auf den Trubel, pusten und schlürfen vorsichtig. Nach einem halben Becher beginnt er zu erzählen. „Weißt Du, meine Freundin und ich haben eine Beziehungskrise. Und eigentlich ist das Wort „Krise“ noch untertrieben…“ Fünf Jahre sind sie nun schon zusammen. Nun hat er sich in eine andere verliebt. Das kam zwar schon mal vor, also sich so in andere vergucken, aber so richtig verlieben, jetzt scheint es wohl ernst zu sein, oder nicht? Er hat es seiner Freundin gleich gesagt. Und ja, sie findet auch, dass sich ihre Beziehung verändert hat, aber nein, so schlimm wäre diese Veränderung doch nicht, dass man nun gleich die ganze Beziehung…
Und doch steht alles in Frage: Trennung - zumindest auf Zeit? Auszug - noch vor Weihnachten? Und je mehr er erzählt und je tiefer ich hinein tauche in sein Leben, umso mehr verschwindet vor meinen Augen der Weihnachtsmarkt, verschwinden Duft und Lichterketten, verschwinden die lachenden Menschen. Die Frage, die mir gerade noch auf der Zunge lag, was er denn Weihnachten so vorhat, kann ich mir sparen. Wüstenzeit statt Weihnachtszeit.
 

Alles, was in früherer Zeit dort  aufgeschrieben wurde, wurde festgehalten, damit wir daraus lernen. Denn wir sollen die Hoffnung nicht aufgeben. Dabei helfen uns die Ausdauer und die Ermutigung,  wie wir sie aus den Heiligen Schriften gewinnen können. Diese Ausdauer und diese Ermutigung kommen von Gott. Er gebe euch, dass ihr euch untereinander einig seid – so wie es Christus Jesus angemessen ist. Dann könnt ihr alle miteinander den und Vater unseres Herrn Jesus Christus  wie aus einem Munde loben. Daher bitte ich euch: Nehmt einander an, so wie Christus euch angenommen hat, damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird. (…) Auch die Heiden haben allen Grund, Gott für sein Erbarmen zu loben. Denn in der Heiligen Schrift steht: „Darum will ich mich bei den Heiden zu dir bekennen und deinen Namen mit Liedern preisen.“ An einer anderen Stelle heißt es: (…) „Aus der Wurzel Isai wird ein neuer Spross hervorgehen. Er wird sich erheben, um über die Heiden zu herrschen. Und auf ihn werden sie seine Hoffnung setzen.“ (…)

(BasisBibel Röm 15,4-13 i.A.)
 

Wüstenzeit statt Weihnachtszeit. In den letzten beiden Wochen bin ich mehreren Menschen begegnet, die dieses Jahr überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung sind, weil ihr Leben gerade ganz andere Wege geht, und die sind nicht immer weihnachtsmarktschön. Mir ging es mal ähnlich. Damals habe ich zuhause nichts geschmückt. Die Weihnachts-CDs blieben genauso wie die Plätzchenrezepte im Schrank und der Baum an Heiligabend war so schlichttraurig wie nie zuvor.
 

Die Wüste vor Augen, unwegsam,finstere, frostige Nacht. Wird Glauben noch taugen, unwegsam, hungriger Zweifel erwacht. (freiTöne 58 „Die Wüste vor Augen“)

Und während draußen auf dem Weihnachtsmarkt der Trubelzug mit Volldampf auf das Weihnachtsfest zurollt, stehen mitten unter uns diese Wüstenmenschen.
 

Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom. Eine Gemeinde, die er persönlich gar nicht kennt. Aber er weiß, dass dort trostbedürftige Wüstenmenschen sitzen und so schreibt er ihnen. Er schreibt, dass er sie gerne bald besuchen und kennenlernen möchte, aber vorerst müsse halt der Brief genügen. Aber wie tröstet man nun jemanden, den man gar nicht kennt, von dem man nie ein Bild gesehen, dessen Stimme man nie gehört hat? Und wie tröstet man in einem Brief, der Tage oder Wochen unterwegs ist, bevor er gelesen wird? Paulus verweist auf die Heiligen Schriften, gewissermaßen die damalige Bibel. Dort würde man Hoffnung, Ausdauer und Ermutigung finden. Und steht es da nicht geschrieben? „Am Ende werden sogar die Heiden singen!“?
 

Lieber Paulus, bitte verstehe mich nicht falsch, aber ich glaube das klappt heute nicht mehr. Es ist ja wunderbar, wenn Du die Leute zu Deiner Zeit mit Deinen großen Worten, mit dem Verweis auf die Heilige Schrift trösten konntest, aber das funktioniert nicht mehr. Meinem Freund in der Beziehungskrise würde das nicht helfen. Viele große Worte – Trost, Gnade, Barmherzigkeit – , sind zwar schön zu hören, aber sie haben im Laufe der Zeit ihren Glanz und ihren Geschmack verloren.  Zusammen mit Floskeln und endlos gedroschenen Phrasen wurden sie in unseren Kirchen wieder und wieder gebraucht, bis sie fast verbraucht waren. Sorry, wenn ich das so deutlich sage, aber viele Deiner geliebten Worte sind für heutige Ohren zu pappigen Worthülsen geworden. Ich brauche in der Wüste aber keine Pappsterne, sondern echte Sterne! Verstehst du mich? Ich hoffe es.
 

Auch dieses Jahr gab es mancherorts die Diskussion, ob man die Weihnachtsmärkte nicht Wintermärkte nennen sollte. Na klar, warum nicht?  Ist der Weihnachtsmarkt nicht längst eine heidnische Veranstaltung geworden, wo es vor allem um Essen und Trinken geht? Auf einmal stehe ich wieder vor dem Flötenspieler. Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde wieder, wo wir Menschen sind. Und da summen doch ganz viele Heiden mit! Und da ist doch der Räuchernikolaus mit der Bischofsmütze! Und da der Stern von Bethlehem! Das alles sind doch Schätze und Symbole, die aus der Kirche kommen! Der Theologe Fulbert Steffensky sagte mal, dass die Kirche zu Weihnachten zu einer  „Kostüm- und Sprachverleihanstalt“ wird. Es geht nicht um alte Worthülsen, sondern darum, dass wir Kleider, Masken, Sprachen und Lieder, Gesten ausleihen an die, die keine eigenen haben und die doch gelegentlich spüren, dass sie sie brauchen. Und dann schauen nämlich doch alle in die Krippe, fremde Wörter wie „Sanftmütigkeit“ beginnen zu glänzen und alle summen mit.
 

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat! Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh. Und es nimmt euch an. Es lauscht und schaut. Und es nimmt die ganze Welt in sich auf. Den himmlischen Gesang, die kalte Nacht, die knieenden Menschen. Alle Freude, allen Zweifel nimmt es an. Und das Kind wird groß werden, ein Großer, der sich klein hält, der zu den Wüstenmenschen geht, der lauscht und schaut, der mit ihnen isst und lacht, Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, steht auch dir zur Seite, still und unerkannt.
 

Am Tag danach schickt mein Freund mir eine Nachricht über WhatsApp: „Huhu, Vielen Dank für unser Treffen gestern, das Gespräch und dein Dasein. Smiley.“
 

Mit dem heutigen Tag beginnt der Hohe Advent, so heißt die letzte Woche vor Weihnachten. Hoher Advent, denn es ist höchste Zeit! Die Weihnachtsmenschen finden schon fröhlich triumphierend selber den Weg. Aber es ist höchste Zeit, zu den Wüstenmenschen zu gehen, und zwar nicht, um sie in Weihnachtsfröhlichkeit zu zwingen.

In der Wüste stehen wir gemeinsam da,
auf den Tresen gelehnt,
mit dem wärmenden Glühwein in der Hand,
Seit an Seit,
und schauen in die finstere, frostige Nacht.
Und die Sterne leuchten in unerhörter Klarheit.
Keine Pappe. Licht!
In dieser Nacht hört die Wüste
nicht auf zu existieren.
Aber sie ist nicht länger trostlos.
Und der Zweifel wird nicht mehr so hungrig sein.
Denn alles kommt zusammen,
das Reden, das Zuhören,
das Dasein, die Sterne.
Und es macht wie Manna
das Herz ein wenig satt.
Ein bisschen. Für den Moment.
Ich summe.
Und ich summe für dich mit.
 

Amen.

 

 

 

Lesungen

Jes 40,1-11 und Lk 1,67-80

 

Liedvorschläge
freiTöne 58 „Die Wüste vor Augen“
EG 10 „Mit Ernst o Menschenkinder“
EG 16 „Die Nacht ist vorgedrungen“

EG reg. „Stern über Bethlehem“, Strophe 1

Perikope
17.12.2017
15,4-13