Aktualisiert (aufgrund der Lage in Israel)! Predigt zu Hesekiel 18,1-4.(20).21-24.30-32 von Bernd Vogel
18,1-4.(20).21-24.30-32

Des HERRN Wort geschah zu mir:

Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: »Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden«?

So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel.

Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben.

.. nur wer sündigt, der soll sterben. Der Sohn soll nicht tragen die Schuld des Vaters, und der Vater soll nicht tragen die Schuld des Sohnes, sondern die Gerechtigkeit des Gerechten soll ihm allein zugute kommen, und die Ungerechtigkeit des Ungerechten soll nur auf ihm allein lasten.

Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und  nicht sterben.

Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat.

Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der HERR, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?

Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben.

Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der HERR. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt.

Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel?

Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.

„18 Tage des Bangens und Betens sind vergangen, 18 Tage einer Militäroperation mit eiserner Faust, und nun hat Israel Gewissheit: Eyal Yifrach, Gelad Schaer und Naftali Frenkel sind tot. .. An einem Hufen Steine zerschellt die letzte Hoffnung. .. Hier an diesem schäbigen, verdammten Ort im Westjordanland endet die Suche nach den drei entführten Jugendlichen. Sie endet mit der längst schon befürchteten Katastrophe. Und niemand weiß, was nun beginnt.“ (nach einem SZ – Artikel von Peter Münch am 2.7.2014, Seite Drei). Israels Premier Benjamin Netanjahu stellt die Grausamkeit der Mörder und ihrer Kultur Israels „Barmherzigkeit“ gegenüber. Und es stimmt hinten und vorne nicht in diesem wie verflucht erscheinenden Heiligen Land.    

„Jeder, der sündigt, soll sterben.“ Israels Staatsverfassung und Gesetze beziehen sich auf die von Gott gegebene Torah als ihre Grundlage. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ … das ist nicht mit Jesus von Nazareth abgetanes jüdisches Denken – der Juden Sachsenspiegel, wie Luther leicht verächtlich sagen konnte, weil uns Christen im Wesentlichen nichts mehr anginge: Vergangenheit, abgetan, überholt durch Besseres .. Auge um Auge, Zahn um Zahn war zu seiner Zeit (!) ein bedeutender Fortschritt in der Kulturgeschichte der Menschheit: Nicht Blutrache, erst Recht nicht maßloses Wüten verwundeter Menschen, nicht Rache – die Rache ist mein, spricht der Gott Israels! – sondern Ausgleich zwischen Tätern und Opfern, Gerechtigkeit als Unterbrechung der Gewaltspirale!

„Jeder, der sündigt, soll sterben.“ Das bedeutet nach Israels Torah eben nicht Krieg im Gaza – Streifen, nicht Bomben auf Häuser von unbeteiligten Zivilisten. Es bedeutet Strafverfolgung und im Kontext einer rechtstaatlichen Demokratie im 21. Jahrhundert Strafverfolgung nach den rechtlichen Normen des 21. Jahrhunderts, nicht des 5. Jahrhunderts vor Christus.

Der lebendige Gott Israels, den die Christen und recht verstanden auch die Muslime als denselben EINEN Gott anbeten, ist kein Gott vergangener Rechtssätze, sondern ein Gott wirksam je heute. Die Frage, die die Rabbis und Politiker in Israel zu beantworten haben, lautet: Was bedeutet dieser feige, grausame Mord an unschuldigen Jugendlichen für unser Handeln aufgrund der Torah?

„Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der HERR, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?“

Ezechiel schreibt am Ende des babylonischen Exils. Das fromme Israel hat bis in die Tage des Jesus von Nazareth und des Saulus – Paulus aus Tarsus hinein darauf gehofft, dass das Exil wirklich endet, dass Israel wieder unumschränkt Herr im eigenen Land ist und friedlich und nach Gottes Weisung gerecht lebt, ein Licht für die Völker, wie dem Abraham verheißen.

Mit der Unterbrechung durch die Herrschaft der Makkabäer ist es nie dazu gekommen. Bis zum Untergang des Staates im jüdischen Krieg 66 – 70 und der Nachgeschichte bei der Festung von Massada 115 haben die Frommen in Israel das tiefe Empfinden gehabt: Der politische Zustand, in dem wir hier leben, unterdrückt von Persern, Griechen und Römern, kann nicht das sein, was Adonaj uns versprochen hat. Das ist noch nicht das Ende des Exils. Immer noch leben wir als Fremdlinge im eigenen Land.

Es folgten die Endzeitprediger und Gesalbten Gottes, ausgerufene, selbst ernannte und von Priestern Gesalbte. Sie alle sahen die Stunde gekommen für die große Geschichtswende. Sie sahen Gott am Werk. Sie drängten sich hinein ins Geschehen, riefen ihr Volk auf zur Umkehr, zum Widerstand, zu den Waffen.   

„Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der HERR, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?“

Jesus stand als Prophet aus Nazareth zunächst nicht im Fokus der Einflussreichen in Israel. Er kam aus der ‚falschen‘ Gegend, aus dem teilweise gemischtgläubigen Norden des Landes. Und er vertrat eine irritierend andere Sicht auf die Menschen, auf Gott und die Geschichte.

Das Wort des Ezechiel von dem Gott, der keinen Gefallen hat am Tod des Gottlosen, hätte er mitsprechen können. Auch er aber hatte zunächst nur die Wiederherstellung Israels im Blick, keinesfalls von Anfang an das Heil der „Welt“, der ungläubigen Völker. Im Neuen Testament wird die Geschichte der syro – phönizischen Frau erzählt, die den Nazarener mit klugen Worten erst überzeugen, ja bekehren muss, sie und ihre Tochter, Ausländer, Ungläubige in den Blick eines Heilands zu nehmen. Es war dann der Jude Saulus – Paulus, der aufgrund seines Damaskus – Erlebnisses die Botschaft in die Welt verbreitete: Der Gott Israels und der Welt hat in diesem gekreuzigten und auferstandenen Menschen aus dem Hause David der ganzen Welt die geschichtliche Wende zum Guten, das „Evangelium“ gebracht! 

Nun – aus der Perspektive des Paulus heraus – wurde die Jesus – Geschichte neu erinnert und neu erzählt. Fast 20 Jahre nach Paulus erst schreibt Markus das erste „Evangelium“.

Und nun erinnert man sich an einen welthistorisch wichtigen Wandel, den der Nazarener eingeleitet hatte:

„Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben.“

Eben  d a s  konnte und wollte Jesus  n i c h t  mehr sagen. Er, der fromme Jude, der nicht wollte, dass auch nur ein Buchstabe aus der Torah ausgebrochen werden sollte (!), legte die ganze Torah völlig neu aus, weil er erfahren und begriffen hatte, dass das Volk überfordert war:

„Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.“

Nicht erst Luther, schon Jesus fragte sich: Wie soll das gehen, dass  Menschen sich ein neues Herz und einen neuen Geist  „m a c h e n“? Geht es nicht gerade darum, nichts aus sich zu machen, darauf zu verzichten, aus sich etwas zu machen und ginge es darum, sich ein neues Fühlen und Denken, einen neuen „Spirit“ anzueignen?!  

Schon die Zuhörer des Ezechiel konnten dessen Predigt kaum hören: „Ihr aber sagt: „Der HERR handelt nicht recht“ Hört doch, ihr vom Hause Israel: Mein Verhalten soll nicht richtig sein?  Nein,  e u e r  Verhalten ist nicht richtig“ (V. 25 und V.29).

Ezechiel behaftet sein Volk bei seiner Verantwortung. Jeden individuell. Niemand kann sich auf die „Sünden“ seiner Väter und Mütter herausreden. Von wegen: Die Väter haben saure Trauben gegessen … und wir sind unschuldige Opfer! Nein, ihr seid selbst verantwortlich und werdet zur Rechenschaft gezogen. Tod folgt auf schwere Sünde. Leben kommt aus gerechtem Handeln. So einfach ist das, so klar.

D a s  hat auch Jesus nicht verneint und nicht aufgehoben. „Kehrt um!“ heißt ja auch: Ändert euer Leben. Lebt nach den Weisungen Gottes! „.. denn das Reich Gottes ist nahe ..“! Das ist der jesuanische Akzent, der das ganze Bild verändert, das Vorzeichen vor der Klammer: Gott kommt und ändert euer Herz. Seid ihr nur bereit dafür. Verschließt euch nicht. Lasst es geschehen. Lasst es zu – und Geschichte wird sich zum Guten verändern! 

Ob wir Deutsche aus unserer Geschichte gelernt haben? Nicht alle. Und viele nicht genug. Und doch einige und einiges. Nach der Katastrophe des 1. Weltkriegs brachen die Fundamente des christlichen Abendlandes nach und nach in sich zusammen. „Für König und Vaterland“ war nun suspekt, der preußische König als Oberhaupt der evangelischen Kirche ausgedient. Wache Geister riefen Alarm. Die deutsche Mehrheit verschlief den Ernst der Stunde. Als Hitler seine Macht bekam, war die Mehrheit der evangelischen Christen mindestens mit halbem Herzen an seiner Seite. „Führer befiehl, wir folgen ..!“ 

Es hat mehr als eine Generation gedauert bis heute deutlich wird: Wer als Nachfahre von Deutschen geboren wird, trägt angesichts der Geschichte eine spezifische Verantwortung, hat aber wegen Hitler weder Schuld noch Grund zur Scham. Stattdessen: Deutsche sollten aufmerksam sein können für die Verführbarkeit des Menschen. Deutsche sollten fähig sein, im Lichtglanz den möglichen Schatten zu sehen, beim Sieger immer auch den Verlierer, in der Dunkelheit die Sehnsucht nach Licht. Die Katastrophen 1914 – 1918 und 1933 – 1945 machen Deutsche nicht zu „besseren“ Menschen (das wäre die Falle anders herum), aber sind doch eingeschrieben in unser „Herz“ und unseren „Geist“. Sie wirken sich nach wie vor aus. Es ist segensreich, sich diesem Erbe bewusst zu stellen.    

„Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und  nicht sterben. Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat.“

Der Gott der Bibel, wie Ezechiel ihn hört, legt den Finger in die Wunde des Menschen, der vor der Wahrheit flieht und sich seine eigene „Wahrheit“ dichtet: Wenn du  m e i n e  Gebote (Gesetze) hältst, wirst du leben. Wenn nicht, wirst du sterben. Das ist die schlichte und radikale Wahrheit des Propheten in der Stunde des Exils. Keine Ausflucht mehr zur Schuld der Väter! Keine Selbst – Entschuldigung mehr, indem wir uns zu den Opfern unserer Vorgänger-Generation erklären! Kein Abschieben der Schuld und ihrer Folgen mehr auf Gott, als ob Gott es nicht „recht“ machte! Sondern nun: D u  bist gemeint. D u ganz für dich selbst. D u und D u. Jeder Einzelne. Nicht mehr das „Volk“ ist „alles“ und „Du“ etwa „nichts“. ... sondern D u , höre auf Gottes Wort! D u, höre Gottes Gebot! D u, halte dich an Gottes Weisung. So wirst du  l e b e n.

Welche Antwort wird Israel finden auf die furchtbaren Morde?`

Wird es genug Besinnung geben auf die lebendige Stimme Gottes? Werden die alten Texte neu gelesen – oder liest man nur, was man schon vorher weiß? Wird Rache das Handeln bestimmen, militärische Überlegenheit, Verachtung für das Nachbarvolk? Auf beiden Seiten. Wie Israel die Torah, so ist Palästina mehrheitlich auf den Koran verpflichtet. Jeder individuell. Und da steht nichts von der Ermordung unschuldiger Jugendlicher. Und „Dschihad“ ist mit „heiliger Krieg“ zumindest missverständlich übersetzt. In Wahrheit geht es um die Anstrengung mit sich selbst, mit der eigenen Lebensführung nach Gottes Geboten.

Der Gott Jesu droht nicht. Er geht am Ende den Weg an das Kreuz. Der Gott Jesu will uns nicht klein kriegen, sondern macht uns in seiner unbedingten Liebe groß. Der Gott Jesu wirft nicht verzehrendes Feuer auf die Erde und rottet die Gottlosen aus, sondern geht in den Tod, weil ihn das Feuer einer Liebe ohne Grenzen dazu befähigt und führt.

Ob diese Botschaft gehört werden kann. Bei uns zuerst und jenseits der Grenzen der Religion und Nationalitäten?

„Des HERRN Wort geschah zu mir ..“ - Wo „des HERRN Wort“ uns „geschieht“, gewinnen wir für Augenblicke den Durchblick. „Inspiration“. Neues Herz und neuer Geist.

Amen.

Perikope
06.07.2014
18,1-4.(20).21-24.30-32