Allein aus Gnade! - Predigt zu Eph 2,4-10 von Andreas Pawlas
2,4-10

Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr selig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

 

Liebe Gemeinde!
Was ist das für ein altertümliches Wort, dieses Wort „Gnade“! Wir benutzen es doch gar nicht mehr in unserem Alltagssprachgebrauch. Und vielleicht wissen junge Menschen darum auch gar nicht mehr, was sich an Großem oder Kleinem hinter diesem altertümlichen Wort verbirgt.
So häufig sagte man doch früher: „Gnädiger Herr, oder gnädige Frau“. Aber, die Älteren unter uns, die mögen das noch wissen: So manches Mal waren dabei weder der Herr noch die Frau eigentlich gnädig, sondern nur herrisch oder aufgeblasen, und es war nur eine Art Schmeichelei.
Heutzutage höre ich nur noch manchmal, wenn Kinder schlecht geschlafen haben und mürrisch und knatterig aufwachen, dass man dann witzelnd sagt: „Oh, der Herr ist ungnädig“ oder „Oh, die Dame ist ungnädig.“ Aber dabei wissen wir doch, dass das alles kein ernsthafter Gebrauch des gewichtigen Wortes Gnade ist.
Wenn es also wirklich so ist, dass wir das Wort Gnade eigentlich nicht mehr ernsthaft kennen, was heißt das für uns? Sollte das etwa ein Zeichen dafür sein, dass wir in einer ungnädigen, unbarmherzigen Zeit leben, die etwa Fehler und Missgeschicke nicht zu verzeihen weiß? Wenn das tatsächlich wahr ist, dann müsste uns das nachdenklich stimmen. Denn vom Aufwachsen unserer Kinder wissen wird doch, dass man vielfach nur durch Fehler lernt und dass Kinder beim Laufenlernen erst einmal viel und tüchtig hinfallen und auch hinfallen müssen. Und trotzdem soll es in unserer modernen und erwachsen gewordenen Welt so sein, dass Gnade unbekannt und gnädiges, liebevolles Vergeben von Fehlern nicht üblich ist? Warum?
Ob das etwa daran liegt, dass wir meist glauben, alles aus eigener Kraft und Machtvollkommenheit selbst und perfekt machen zu können? Müssen deshalb Fehler meist unverzeihlich sein? Können deshalb Fehler heutzutage meist nicht mehr gnädig vergeben werden, sondern müssen unbarmherzig verfolgt werden?

Sie meinen, das stimmt nicht? Schauen wir doch einmal in die Betriebe: Werden dort nicht Mitarbeiter, die Fehler machen, zuerst streng abgemahnt und dann unbarmherzig herausgeworfen? Schauen wir doch einmal in die Politik: Werden dort nicht Politiker, die Fehler machen, von Zeitungen oder im Internet-shitstorm bis zum Letzten bloßgestellt und dann unbarmherzig ausgezählt? Nein, Gnade scheint in unserem Lande wirklich nicht mehr bekannt zu sein. Offenbar scheint man sich vielfach wirklich nicht mehr vorstellen zu können, was sich Großes oder Kleines hinter dem Begriff Gnade und vor allem  hinter dem Begriff der Gnade Gottes verbirgt.
Darum: Wie sollte es uns modernen Menschen dann möglich sein, diesen Satz des Apostels verstehen können: „Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.“

Aber vielleicht kann jetzt die Erinnerung an eine kleine Geschichte aus alter Zeit helfen, die von einem weisen und darum gnädigen König handelt. Und damals waren ja die Könige noch unumstrittene Herren über Tod und Leben ihrer Untertanen. Sie waren darum auch oberste Richter, was sich für uns teilweise hart und gruselig anhört. Auf jeden Fall bekam nun dieser gnädige König von seinem Kanzler ein sorgfältig auf Pergament geschriebenes Todesurteil zur Unterschrift vorgelegt.
Nach den harten Gesetzesvorschriften der damaligen Zeit, die schon Diebstahl mit dem Tode bedrohten, war da völlig berechtigt, was in großen Lettern dick unterstrichen und unübersehbar auf dem Pergament stand: „Gnade unmöglich, aufhängen!“ Ich wiederhole mit gesprochenem Satzzeichen: „Gnade unmöglich (Komma) aufhängen!“
Da aber nun unser König ein König war, den Gott mit Weisheit und Barmherzigkeit begnadet und beschenkt hatte (was ja nicht selbstverständlich ist bei Regierenden aller Zeiten), weil also unser König ein wirklich gnädiger König war, ließ er sich den Fall trotzdem noch einmal eingehend von seinem Kanzler erläutern. Und was musste er da hören von der Not des Verurteilten und vom Elend seiner ganzen Familie. Und das alles würde ja nach der Hinrichtung des Ernährers der Familie noch viel schlimmer werden.
Jetzt begann der König sich zu besinnen. Und der Verurteilte, was konnte der in dieser so schlimmen Situation tun? Nichts! Gar nichts! Aber der König, der tat etwas! Denn er bewegte alles sorgfältig in seinem Herzen. Kam ihm dabei vielleicht in den Sinn, wie oft Gott ihm selbst bei seinen Fehlern barmherzig war? Erinnerte er sich etwa an eigenes Versagen, das aber dann durch Gottes Gnade zum Guten gewendet wurde? Oder wurde sein Herz einfach tief angerührt durch das ganze Elend des Verurteilten? Am Ende stand jedenfalls Gnade und Barmherzigkeit. Ja, so beschloß der König völlig überraschend, barmherzig zu sein und Gnade walten zu lassen.
Aber wie er nun dieses für den Verurteilten und seine Familie so Gewaltiges und Einschneidendes machte, das ist das Erstaunliche: Denn er tat nichts, überhaupt nichts äußerlich Gewaltiges, sondern er veränderte nur an dem so sorgfältig, langwierig und mühselig auf kostbarem Pergament vorgeschriebenen Urteil eine einzige Winzigkeit. Er veränderte nur das Komma - und der Mann war frei. Er hatte das Komma nur ein Wort weiter nach vorn im Satz gezogen und schon hießen die gleichen Worte: „Gnade, unmöglich aufhängen!“. also „Gnade(Komma) unmöglich aufhängen!“.

Schauen Sie, es war etwas so Kleines, in dem sich die Gnade ausdrückte -, eben nur die Stellung eines Kommas - und doch war die Wirkung so gewaltig. So gewaltig, dass sie für den Verurteilten neues Leben und Freiheit brachte.

Aber so ist es auch häufig in den Dingen, in denen Gott in unser Leben eingreift. Was Gott in seiner Liebe für uns tut, ist manches Mal so klein, dass wir es leicht übersehen und an allem nichts mitwirken können, so wie der Verurteilte in unserer Geschichte selbst an allem nichts hat mitwirken können. Und ich weiß gar nicht, ob er überhaupt noch in der Lage war, auf das zu hoffen, was der König dann gnädig überraschend tat. Und natürlich mögen wir heutzutage solche Abhängigkeit überhaupt nicht und haben deshalb ja auch bei uns im Lande das Königtum abgeschafft. Wir wollen eben alles selber machen und selber erreichen. Aber vielleicht sind wir eben genau deshalb in der heutigen Zeit so unbarmherzig, so lieblos und ungnädig.
Nun kann man natürlich fragen, ob diese gegenwärtig populäre Haltung, nach der man alles selber machen und erzwingen will und deshalb nicht mehr gnädig ist, ob die eigentlich realistisch ist? Wenn wir auch gern fleißig und tüchtig sind und auch sein sollen, können wir denn wirklich durch unseren Fleiß und durch unsere Tüchtigkeit, oder gegebenenfalls durch Kampf oder Treten und Schlagen unser Lebensglück und das Gelingen unseres Lebens tatsächlich erzwingen und an uns reißen?
Nein! Und jeder, der genau in unsere Welt schaut, der weiß, dass das im Grunde nicht geht, sondern eigentlich nur Verkrampfung, Lieblosigkeit, Selbstüberforderung, Enttäuschung und letztlich sogar ein verzweifeltes Sterben mit sich bringt. Übrigens sagt der Apostel zu diesem allein um sich kreisenden egoistischen Zustand des Menschen „tot sein in Sünden“.
Dagegen kann doch jeder, der genau in unsere Welt schaut, sehen, dass wahre Erfüllung, Zufriedenheit für ein Leben oder auch heitere Gelassenheit eigentlich nur geschenkt werden können. Und zwar aus einer Lebensdimension, die so ganz anders ist als unsere alltägliche Lebenswelt.

Ja, es ist die Christenheit, die bezeugt, dass allein von Gott, aus seiner ganz anderen Wirklichkeit für ein Leben Erfüllung, Zufriedenheit oder heitere Gelassenheit geschenkt werden kann. Durch den Blick auf das Leben und Leiden Jesu Christi dürfen wir sogar gewiss sein, dass der, der so wie Christus allein Gott vertraut im Leben und im Sterben, dass der nicht nur Lebenserfüllung haben wird, sondern genauso wie Christus Auferstehung und ewiges Leben. Und genau diese Gewissheit, dass das so ist, die können wir uns in keiner Weise erarbeiten, kaufen oder an uns reißen. Sondern wir können uns diese Glaubensgewissheit nur schenken lassen - aus Gnade. Und dazu gibt es auch kein großes oder aufwendiges Spektakel. Keine Show, kein Flutlicht, keine Tanzgruppe mit überlauter Musik, kein Aufmarsch oder Fackelzug, sondern in der Taufe allein ein paar Worte und ein paar Tropfen Wasser. Das ist vom Äußerlichen sicherlich genauso wenig wie die Kommaverschiebung des weisen Königs, mit der er dem Verurteilten Leben und Freiheit schenkte.
Aber genauso wird Leben und Freiheit geschenkt durch die Taufe. Und eben noch mehr: Leben wird durch Christus nicht nur für die Gegenwart geschenkt, sondern sogar auf ewig. Und Freiheit gibt es eben nicht nur zu leben, sondern um erfüllt und froh zu leben, weil alle Lebensverfehlung und alle Schuld aus Gnade, aus Liebe zu uns von dem übernommen und getragen wird, der für uns ans Kreuz gegangen ist: von Jesus Christus!
Und wenn einem endlich die Augen geöffnet werden, das zu sehen und zu erkennen, das zu spüren und zu schmecken, dann kann man wirklich nur staunen über die Wunder, die Gott für uns tut, die wir doch nur für eine kurze Zeit Gast auf Erden sind. Und Gott will dabei nicht knausern. Sondern er will uns im Glauben mehr geben, als wir uns so üblicherweise ausmalen. Darum spricht der Apostel vom „überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.“

Und dieser Reichtum ist kein klebriger Reichtum, der geizig an uns haften bleibt. Sondern wem die Augen und das Herz für Gottes Gnade geöffnet sind, bei dem quillt es über, der freut sich so, dass er ganz von selbst weitergibt, weitererzählt, mit anderen mitlacht und mitweint - nicht weil er selbst so stark, tüchtig und einfühlsam ist, sondern weil er sich von Gott im Glauben beschenkt und reich gemacht fühlt. Ein solches durch Gottes Gnade reiches und erfülltes Leben schenke der Herr uns jetzt und ewig. Amen.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastor i.R. Dr. Andreas Pawlas

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine Vorstadt-Gemeinde versammelt, Alt und Jung sind beieinander. Kinder sind zuerst beim Gottesdienst dabei, dann aber kommt nach dem Evangelium der Auszug der Kinder zum parallelen Kindergottesdienst.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die vielen Schattierungen des Worte „Gnade“.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Bitte und die Hoffnung, mich selbst auch auf die Gnade Christi verlassen zu können.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe gern Anregung des Predigtcoaches zur Zuspitzung der Beispielgeschichte aufgenommen.

Perikope
15.08.2021
2,4-10