Lebt als Kinder des Lichts - Predigt zu Eph 5,8b-14 von Bert Hitzegrad
Gnade sei mit uns und Friede von Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus.
Wir hören den Predigttext für den heutigen Sonntag, den 8. Sonntag nach Trinitatis. Er steht im Brief an die Epheser im 5. Kapitel:
8 Ihr ward damals Finsternis, doch jetzt im Herrn seid ihr Licht! So wandelt wie die Kinder des Lichtes. 9 Das Licht bringt seine Frucht in jederlei Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. 10 Prüft was dem Herrn gefällt 11 und beteiligt euch nicht an den fruchtlosen Werken der Finsternis – zieht diese vielmehr ans Licht! 12 Denn was durch diese Leute im Verborgenen geschieht, das ist schon auszusprechen schändlich. 13 Doch wenn dies alles ans Licht gebracht wird, wird es durch das Licht offenbar; 14 denn alles, was offenbar wird, ist Licht. Darum heißt es:
„Wach auf, du Schläfer!
Steh auf von den Toten!
So wird Christus über dir erstrahlen!“
Und Gott segnete dieses Sein Wort an uns und lass es auch durch uns zu einem Segen werden!
Liebe Gemeinde!
Vor kurzem war ich im Bremervörder „Park der Sinne“ – dort gibt es ein „Dunkelhaus“. Man muss durch einen dunkeln Raum gehen und den Weg finden, entdecken, was es in dem Haus alles gibt. Manche Dinge sind leicht zu erkennen, andere sind etwas schwieriger. Ecken und Kanten können zur Stolperfalle werden und man nimmt wahr, dass manches im Dunkel gar nicht zu gebrauchen ist, wie zum Beispiel eine normale Armbanduhr. Eine Steigerung ist das Café „Dunkel“, dort wird im Dunkeln sogar serviert. Wo ist die Kaffeetasse? Wo liegt die Gabel? Was ist das für ein Kuchen? Im Dunkeln ist es schwierig. Als ich wieder draußen im Hellen war, war ich Gott sehr dankbar, dass ich sehen kann.
In Ephesus lebten viele Menschen, die Heiden waren und Christen geworden sind. Sie haben die Erfahrung gemacht, was es heißt im Dunkeln zu leben. Die Angst vor den Göttern, deren Verlangen nach Opfern, nach Unterwerfung und auch materiellen Gütern hat sie nur noch das Dunkel sehen lassen. Das muss eine Befreiung gewesen sein, als sie von Jesus Christus gehört haben. Von dem Mann, der mit seinen Jüngern – ganz „normalen“ Menschen, gegessen hat, gefeiert hat, mit ihnen zusammen war. Der gesagt hat, ich komme, um euch zu befreien, von allem wovor ihr Angst habt, ja sogar von dem, was belastet und krank macht, was die Bibel Sünde nennt. Als sie von Menschen gehört haben, die in einer ganz neuen Weise von einem Gott gesprochen haben, von einem Gott der liebt. Diesen Menschen ist ein Licht aufgegangen. Gott hat sich ihrer angenommen, sie haben sich taufen lassen. Und nun sagt Paulus: „Ihr seid jetzt im Herrn selbst Licht.“ Dieses Licht-werden ist schön zu sehen in der Osternacht, die wir hier in dieser Kirche feiern. Alle bekommen beim Eingang eine Kerze, aber die Kirche ist dunkel. Erst wenn in die dunkle Kirche die Osterkerze getragen wird und der Liedruf erklingt: „Christus ist das Licht!“ wird es heller. Dann wird das Licht von Kerze zu Kerze weitergegeben, bis die ganze Kirche erleuchtet ist.
Die Osterkerze brennt nun zu Taufgottesdiensten und erinnert an das Licht, von dem hier im Predigttext erzählt wird. Nun fordert Paulus auf, auch danach zu leben. Denn das Licht deckt ja auch Verborgenes auf.
Man kann im Dunkelhaus ein zweites Mal durchgehen, dann mit Licht. Es ist doch erstaunlich, was da – bei Licht betrachtet – auf einmal alles zu sehen ist: Die Fußangel ist ein Hocker, der Sessel scheußlich gemustert und in der Ecke liegen Fusseln. Zum Glück können wir das Licht anmachen, aber wir können dann auch sehen, was wir lieber nicht sehen wollen.
Paulus ruft dazu auf, das Licht anzumachen. Das Licht, das die Christen erleuchtet, dazu einzusetzen, auch Helligkeit zu schaffen. Er sagt, „das Licht bringt seine Frucht in jederlei Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft, was dem Herrn gefällt, und beteiligt euch nicht an den fruchtlosen Werken der Finsternis!“
Hier sind wir nicht mehr nur in Ephesus. Hier ruft Paulus diesen Satz uns selber zu: „Wandelt wie die Kinder des Lichts!“ Dumm wäre es, wenn man im Dunkelhaus die Augen zu macht, weil man weiß, dass jetzt das Licht an ist. Nein, wir sollen die Augen auf machen und auf das reagieren, was wir sehen. Der Hocker sollte zur Seite gestellt werden, damit keiner – und erst recht kein Blinder darüber stolpert, den Sessel kann man mit einem Tuch oder neuen Bezug versehen, dass er zu einer Augenweide wird und die Fusseln gehören in den Staubsauger. In so einem Haus ist das vielleicht ja noch einfach zu erledigen. Aber in unserem Leben? „Das Licht bringt seine Frucht in jederlei Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Prüft was dem Herrn gefällt und beteiligt euch nicht an den fruchtlosen Werken der Finsternis – zieht diese vielmehr ans Licht! Denn wenn dies ans Licht gebracht wird, wird es durch das Licht offenbar; denn alles, was offenbar wird, ist Licht.“ schreibt Paulus. Das ist ja eigentlich ganz einfach.
Die Christen in Ephesus hatten es da einfach. Denn sie wussten, wie die Dunkelheit aussieht, sie wussten, wie es ist, wenn man die Dinge in einem neuen Licht sieht. Wissen wir das auch? Wir haben es nie erlebt, Heiden zu sein, von bösartigen, habgierigen Göttern abhängig zu sein. Ich bin schon als Kind getauft worden und mit der Vorstellung vom liebenden Gott groß geworden.
Vielleicht ist es deshalb so schwer zu sehen, wie gut wir es haben. Doch bösartige und habgierige Götter, sind sie uns wirklich unbekannt? Laufen wir ihnen nicht doch nach? Die Götter, die uns die Zeit stehlen, zur Ruhe zu kommen oder uns um unsere Mitmenschen zu kümmern? Da sitzen wir stundenlang vor dem Fernseher, am Smartphone oder spielen Sudoku. Ich jedenfalls erwische mich dabei – nicht dass das grundsätzlich verkehrt ist, nicht dass es unbedingt Werke der Finsternis sind, aber wenn es mein Leben einengt, wenn da Abhängigkeiten, ja sogar Süchte entstehen? Wenn meine Kontakte zu anderen Menschen dadurch abbrechen, wenn ich die Nöte oder Freuden meiner Mitmenschen oder auch meine eigenen nicht mehr wahrnehme? Wenn die Ferne und Exotik meines Urlaubes wichtiger ist, als die Erholung. Wenn ich mich nur darum kümmere, was die Anderen sagen und nicht mehr danach frage, was für mich wichtig ist oder auch was für den Anderen gut ist? Wenn ich mich verstecke hinter einer Fassade der Fröhlichkeit, um nicht gefragt zu werden, wie es mir geht oder ich damit signalisiere, dass mich nichts und keiner interessiert? Oder die Dunkelheit, die in Ablehnung oder gar Hass gegenüber anderen Menschen erscheint. Sind wir davor wirklich verschont? Wir sind zwar im Licht, wir sind in Christus getauft, wir glauben an einen Gott, der es gut mit uns meint. Und doch sind wir auf dieser Welt, wo es die Dunkelheit auch gibt. Auch die Christen in Ephesus waren nicht davor gefeit, deshalb wurde ja auch dieser Brief verfasst, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Dunkelheit nicht weg ist. So soll aber der Brief auch uns heute Mut machen, das Licht zu sehen, das uns von Gott her leuchtet. Das in der Ewigkeit Gottes immer leuchtet und uns frei macht von allem Schweren. Das glauben wir und deshalb können wir auch in unserer Trauer um geliebte Menschen Licht sehen.
Als meine Großmutter verstarb, ich war gerade 13, da habe ich diese Dunkelheit gespürt. Es war das erste Mal, dass ich bewusst erlebt habe, dass der Tod mir einen lieben Menschen nimmt. Meine Großmutter hat mir viel von ihrem Glauben weitergegeben, sie hat mit mir gebetet, sie hat mich, als ich Konfirmand war, zu den Gottesdiensten begleitet, sie war es auch, die mir den Weg in das Theologiestudium zeigte… Der Verlust stimmt mich noch immer traurig, doch mit der Dankbarkeit leuchtet jedes Mal ein helles Licht auf in meinem Leben.
Es wird Zeit, dass Gott uns die Augen öffnet und wir dieses Licht sehen, dass wir die Stolpersteine, die traurigen, die hässlichen Dinge und den Dreck in unserem persönlichen Dunkelhaus sehen und dass wir etwas ändern, nicht weil es von uns verlangt wird, sondern weil wir es sehen. Weil Gott uns die Augen öffnet für das Schöne, das hinter dem Dunkel liegt. Dass wir entdecken, dass Jesus mit anderen Maßstäben misst, dass Gott auch uns im Licht seiner Liebe sieht, dann können wir vielleicht leichter loslassen was uns bedrängt oder woran wir meinten uns festhalten zu müssen.
Wenn wir in unserem Dunkelhaus Licht machen, dann können auch die anderen sehen, denn das Licht leuchtet auch denen, die mit uns im Haus sind. Dazu gebe uns Gott uns das Licht seiner Liebe. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe eine ganz normale „Trinitatisgemeinde“, das bedeutet, eine Gemeinde im Sommerloch, recht ausgedünnt, die Kerngemeinde, die nicht im Sommerurlaub ist… Vielleicht hat sich der eine oder andere Urlauber in unseren Gottesdienst verirrt – die Urlauberseelsorge findet allerdings an anderen Orten statt. Die Gemeinde kommt mit den Dunkelheiten dieser Tage in den Gottesdienst, Kriegsberichte aus der Ukraine und aus Israel, Aufrüsten in Russland und bei der NATO, Gewalt statt demokratische Auseinandersetzung in den USA bei der Vorbereitung der Präsidentschaftswahl. Viele Menschen suchen ein Licht am Ende dieses Tunnels, ein Licht der Zuversicht und Hoffnung…
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Gegensätze hell-dunkel, Licht-Finsternis sind anschaulich und reizen mit ihnen zu spielen. Bei der Vorbereitung erinnerte ich mich, dass ich einmal im „Park der Sinne“ in Bremervörde war. Dort gibt es einen Dunkel-Raum und ein „Café Dunkel“, wo ganz anschaulich die Erfahrung von Dunkelheit und Blindheit in der Finsternis gemacht werden kann. Davon ausgehend möchte ich die erhellende Erfahrung weitergeben, wenn etwas ins rechte Licht gerückt wird oder die Schatten der Dunkelheit verliert.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Symbolkraft des Lichtes ist natürlich unübertroffen. In der Osternacht wird die Osterkerze entzündet, bei Taufen reichen wir die Taufkerzen weiter, um auf dieses Licht, das Christus selbst ist, hinzuweisen. Der Verfasser des Epheserbriefes macht aber ganz deutlich, dass es nicht reicht, dieses Licht zu empfangen, sondern wir zu Lichtträgern werden, um das Licht weiter zu reichen und um mit der eigenen Zuversicht und Hoffnung andere Menschen aus der Dunkelheit zu holen. Christus ist das Licht, das die Kraft und die Energie dazu gibt.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Zunächst eine wohltuende und wohlwollende Rückmeldung und eine Analyse, die dem Prediger und der Predigt mit ihrem Anliegen völlig gerecht wurde. Hilfreich ist der Hinweis, stärker die eigene Person des Predigers zu Wort kommen zu lassen. Nicht Verallgemeinerungen zu nennen, sondern von konkreten Erfahrungen zu berichten. Diese Impulse werden über die konkrete Predigtarbeit hinaus bleiben. DANKE!
Link zur Online-Bibel
Damit aus Fremden Freunde werden! - Predigt zu Eph 2,17-22 von Elke Markmann
Lied vor der Predigt: EG 674 (EG RWL)
1. Menschen aus der Ferne und Menschen aus der Nähe – wer ist was?
Damit aus Fremden Freunde werden – so haben wir gerade gesungen. Wer sind eigentlich Fremde?
Wer meine Freunde sind, kann ich relativ leicht beantworten. Aber wer ist für mich fremd? Warum sind Menschen fremd?
(Vielleicht ist es möglich, während der Predigt ins Gespräch zu kommen. Diese Frage nicht nur rhetorisch, sondern wirklich zu stellen und auf Antworten warten, wäre hier eine gute Gelegenheit.)
Fremde kenne ich nicht – das ist die einfachste Erklärung. Aber Fremde sind auch welche, die irgendwie aus der Gruppe heraus auffallen. In einer Gruppe Frauen wirkt ein Mann eher schon mal fremd. Wenn ein Merkmal anders ist als bei den anderen, kann das fremd wirken: Menschen, die eine andere Sprache sprechen. Oder solche, die sich anders verhalten oder anders kleiden oder anderes essen. Eine Vegetarierin kann sich an einem Grillabend sehr fremd fühlen!
Unser Predigttext für heute unterscheidet nicht Fremde und Freunde, sondern redet von „Menschen aus der Ferne“ und „Menschen aus der Nähe“. Die Menschen mit jüdischen Wurzeln kennen die Speisevorschriften und die Verhaltensnormen. Dies sind die Menschen aus der Nähe. Sie sind nah an den jüdischen Traditionen. Die Menschen aus der Ferne sind die, die nicht aus den jüdischen Gemeinden oder aus dem Volk Israel stammen. Denen sind manche Regeln sehr fremd.
Beide Gruppen fanden sich in den jungen neuen Gemeinden, in denen sich Menschen trafen, die von Jesus Christus fasziniert waren. Jesus selbst war Jude. Ihm folgten Menschen aus dem Judentum. Aber eben auch darüber hinaus. Besonders in Ephesus, weit entfernt von Israel, gehörten oft nicht-jüdische Menschen zu den Gemeinden.
Wenn aber doch Jesus ein Jude war und die Bewegung sich von Jerusalem aus in die Welt verbreitete, stellte sich eine Frage: Müssen dann nicht alle „Fremden“ auch die jüdischen Gesetze einhalten? Mussten sie nicht die Speisegebote einhalten und sich beschneiden lassen, um dazugehören zu können? Menschen, die dem Judentum nahe standen, und Menschen, die dem Judentum sehr fern waren, kamen zusammen. Wie sollten die Gemeinden damit umgehen? Die jüdischen Regeln hatten für die einen einen hohen Stellenwert. Für die anderen waren sie egal. Das konnte zu Spannungen führen.
Wir hören den Predigttext aus dem Brief an die Gemeinde in Ephesus:
17Jesus kam und verkündete Frieden:
Frieden für euch in der Ferne
und Frieden für die in der Nähe.
18Denn durch ihn haben wir beide
in ein und demselben Geist Zugang zum Vater.
19Ihr seid also nicht mehr Fremde
und ohne Rechte in Israel.
Ihr seid vielmehr Mitbürger der Heiligen
und Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft.
20Ihr seid gegründet
auf dem Fundament der Apostel und Propheten,
dessen Grundstein Christus Jesus ist.
21Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten.
So wächst er zu einem heiligen Tempel empor,
der dem Herrn gehört.
22Weil ihr zum Herrn gehört, werdet auch ihr
als Bausteine in diesen Tempel eingefügt.
Gott wohnt darin durch den Heiligen Geist.
(Eph 2, 17-22, Basisbibel)
2. Jesus kam und verkündete Frieden
Wie sollten die Gemeinden mit dieser Herausforderung umgehen? Die Antwort ist klar und einfach: Jesus kam nicht nur für die Menschen in Israel. Er kam nicht nur zum jüdischen Volk. Jesus machte keine Unterschiede. Wer ihm folgte, gehörte dazu. Egal, wer das war. Er saß immer wieder mit anderen Menschen zusammen, unterhielt sich mit völlig Fremden oder kehrte bei Menschen ein, die in der Gesellschaft nicht so gut angesehen waren.
Wer zu ihm kam, wer ihm zuhörte und ihm folgte, musste keine Gesetze beachten, sondern wurde durch Jesus in die Gemeinschaft aufgenommen.
3. Keine Unterschiede in der Nachfolge!
Im Brief an die Gemeinde in Ephesus steht klar und deutlich: Es gibt keine Unterschiede in den christlichen Gemeinden. Ganz deutlich steht es da in diesem Brief an die Gemeinde in Ephesus:
18Denn durch ihn haben wir beide
in ein und demselben Geist Zugang zum Vater.
19Ihr seid also nicht mehr Fremde
und ohne Rechte in Israel.
Ihr seid vielmehr Mitbürger der Heiligen
und Mitglieder von Gottes Hausgemeinschaft.
Die Unterscheidung in Ferne und Nahe ist nichtig und überflüssig. Alle sind Gottes Hausgemeinschaft. Diese Gemeinschaft ist gegründet auf dem Glauben an Jesus Christus, nicht auf Speisevorschriften oder anderen Unterschieden.
4. Menschen aus der Ferne und aus der Nähe damals und heute
Ich kann mir vorstellen, dass das in der Praxis trotzdem schwer blieb in Ephesus und anderswo. Wenn die einen gerne Schweinefleisch essen und die anderen sich das überhaupt nicht vorstellen können, kann das bei gemeinsamen Mahlzeiten schwierig werden. Dann sitzen vielleicht doch an dem einen Tisch die einen und an dem anderen Tisch die anderen. Sicherlich konnten auch nicht alle akzeptieren, dass keine Beschneidung notwendig ist. Die alten Traditionen aus der jüdischen Religion sind dem einen oder der anderen wahrscheinlich sehr wichtig gewesen.
Wie ist das eigentlich bei uns heute? Sind bei uns alle willkommen?
Wir haben in unseren Gottesdiensten viele Regeln und Sitten, die fremd wirken, wenn jemand sie zum ersten Mal erlebt. Das fällt den damit Vertrauten gar nicht auf. Wer in Dortmund in den Gottesdienst geht, findet in München ähnliche Gebete und Gesänge und findet sich schnell zurecht. Wer aber Gottesdienst-unerfahren ist, ist oft genug verwirrt, wenn die Gemeinde plötzlich laut und auswendig Gott lobt und preist oder um Erbarmen bittet.
Neulich kamen Angehörige nach der Beerdigung einer Angehörigen in die Kirche. Sie gehören zu den Kirchen-Fernen. Als die Gemeinde auswendig sang, blieben sie stumm. Aber sie blätterten in ihren Gesangbüchern und fanden nicht, was gerade passierte.
So geht es Euch Konfis auch oft genug, wenn Ihr noch nicht so richtig geübt seid.
Wir möchten gerne offen sein für Menschen aus der Nähe und aus der Ferne. Bei uns sind alle willkommen. Aber fühlen das auch alle?
Bei Taufgottesdiensten nehme ich gerne ein anderes Glaubensbekenntnis als das apostolische, das viele von uns auswendig können. Wenn aber ungeübte Eltern und Patinnen und Paten im Gottesdienst ein Glaubensbekenntnis sprechen sollen – was können sie tun? Schließlich werden sie gefragt, ob sie wollen, dass ihr Kind auf den Namen dieses Gottes getauft werden soll! Sie zeigen ihr Fremdsein sofort, wenn sie dann das Gesangbuch aufschlagen, während andere auswendig sprechen. Wenn aber alle ein anderes Glaubensbekenntnis sprechen, müssen alle ablesen. Und so stehen wir doch wieder alle gleich da.
Sie kennen wahrscheinlich ähnliche Beispiele.
In unseren Gruppen und Kreisen ist es ähnlich. Wie gehen wir mit Fremden und Neuen in unseren Gemeinden um? Wenn ich irgendwo neu bin, freue ich mich, wenn mich jemand persönlich begrüßt und mich einweist oder vorstellt. Dann spüre ich: Ich bin willkommen! Aus einem Chor kenne ich eine Art „Patenmodell“. Wenn jemand neu kommt, setzt sich eine oder einer neben die Neuen und erklärt alles, was notwendig ist. So kann es auch in anderen Gruppen sein.
Welche Ideen haben Sie? Wie können wir für Menschen aus der Ferne offener werden? Nur so können wir eine Gemeinschaft werden oder sein. Eine Gemeinschaft in unseren Gemeinden, offen für Nahe und Ferne.
5. Durch Christus verbunden.
Im Brief an die Gemeinde in Ephesus wird an das Verbindende erinnert. Es geht um das, was Jesus von Gottes Liebe und Gerechtigkeit erzählte. Die Werte, die Jesus vertrat und predigte, verbanden die Menschen miteinander.
Das Fundament für das gemeinsame Haus wird beschrieben:
20Ihr seid gegründet
auf dem Fundament der Apostel und Propheten,
dessen Grundstein Christus Jesus ist.
21Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten.
So wächst er zu einem heiligen Tempel empor,
der dem Herrn gehört.
22Weil ihr zum Herrn gehört, werdet auch ihr
als Bausteine in diesen Tempel eingefügt.
Gott wohnt darin durch den Heiligen Geist.
Die Tradition spielt schon eine Rolle. Aber nicht die Tradition der äußeren Regeln, sondern die Apostel und Propheten, also die Inhalte. Jesus stellte sich in die Tradition der Propheten. Er kannte sich gut aus in den biblischen Schriften. Er wusste, wie Gottes Gerechtigkeit auf der Erde aussehen könnte. Er wusste, was Gott für die Menschen möchte: Frieden!
Frieden für euch in der Ferne
und Frieden für die in der Nähe.
18Denn durch Jesus haben wir beide
in ein und demselben Geist Zugang zum Vater.
Wer diese Werte teilt, gehört zusammen: Gerechtigkeit und Frieden sind das Fundament. Wer darauf gründet, kann an Gottes Haus, an Gottes Reich mitbauen. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich aus Israel komme oder aus Deutschland, aus Hamburg oder Leipzig. Dabei spielt es keine Rolle, was ich esse oder mit welcher Hand ich schreibe, welche Augen- oder Haarfarbe ich habe. All die Unterschiede, die wir Menschen machen, sind bei Gott unwichtig. Das lehrte und lebte Jesus. Das gilt für die Gemeinden, die ihm nachfolgen. Damals und heute.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich bin immer wieder in anderen Gemeinden unterwegs. Diese Predigt werde ich in einer Kirche in einem Unnaer Vorort halten. Die Gemeinde, die ich vor Augen habe, besteht zum großen Teil aus älteren Menschen (60+), die sich der Gemeinde verbunden wissen. Außerdem werden einige Konfis im Gottesdienst sitzen, die ich aber nicht selbst in ihrer Konfizeit begleite.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Gedanke an die Fernen und die Nahen setzte bei mir sofort viele Assoziationen frei. Schnell sah ich vor mir Trauernde, die im Gottesdienst waren, nachdem ihre Angehörigen beerdigt waren. Ich hatte sie eingeladen, weil wir im Gottesdienst für die Verstorbenen beten würden. Ich spürte an vielen Stellen deren Verunsicherung, weil sie im Gesangbuch blätterten, als die Gemeinde die liturgischen Stücke sang. Ich stand vorne und schämte mich für unsere fehlende Gastfreundschaft.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie können wir offen und einladend sein als Kirche? Ich habe das Gefühl, dass wir viele Regeln haben, die den „Fremden“ oder „Fernen“ das Ankommen schwer machen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
In meiner Predigt hatte ich unterschiedliche Themenbereiche angesprochen. Durch die Kommentare der Predigtcoach konnte ich an manchen Stellen konkretisieren oder entfalten. Ich fürchte aber auch, dass die Predigt dadurch etwas lang geworden ist. Wer sie nutzt, kann vielleicht hier oder da kürzen. Oder zu einer Ideenwerkstatt einladen und anderes kürzen.
Link zur Online-Bibel
21.07.2024 - 8. Sonntag nach Trinitatis
09.06.2024 - 2. Sonntag nach Trinitatis
Himmel pflücken - Predigt zu Eph 5,15-20 von Matthias Storck
Vom Einüben in die Weisheit
Manchmal hing der Himmel meiner Kindheit zum Greifen nah über der Wiese. Dann klaubte ich mir die besten Wörter, Namen und Gestalten aus dem Blau und türmte mir unter den Wolkenbergen neue Geschichten zusammen. Zuerst die, die gern mal den Himmel kopfstehen lassen oder für einen Anflug von Ratlosigkeit sorgen: Mose, der vor lauter ungebremster Wut die nagelneuen Gebotstafeln Gottes zertrümmert. Der verlorene Sohn, der den halben Hof und (fast) den ganzen Himmel verprasst und trotzdem geliebt wird. Oder der ungläubige Thomas, der Gott erst anfassen muss, um glauben zu können. Da ist die sprechende Eselin und ihr liebenswürdig störrischer Reiter Bileam. Oder Jona, der Prophet, der ein ganz falsches Schiff bucht, um Gottes lästigen Aufträgen zu entkommen. Ich bewunderte Rebekka, die ihrem Schoßkind Jakob listig zu einem Segen verhalf, der seinem Zwillingsbruder versprochen war. Alles unter den Augen Gottes. Manchmal besuchte ich den Träumer Joseph, der seinen Träumen mehr traute als den verzweifelten Bosheiten seiner Brüder. Der lehrte mich, nicht alles zu glauben, was vor Augen ist. Mit der Weisheit seines Herzens bewahrte er ganz Ägypten vor der Hungersnot. Und schließlich: Von Sara lernte ich, dass ich von Herzen über die Engel Gottes lachen darf.
Meine aufsässigen Weisen haben alle Gott auf dem Herzen. Leidenschaftlich und immer angefochten fragen sie sich durch die Welt, wenn es sein muss, bis zu Gott. Alle haben ein unbeirrbares kindliches Herz. Leicht zu erkennen, denn so ein Herz hört niemals auf zu fragen.
„Begreift, was der Herr von euch will!“ heißt es im Text (V.17). So lange ein Mensch danach fragt, ist er unterwegs zu Gott.
In meinem kindlichen Herzen sorgte ich deshalb immer gern für aufregende Nachbarschaftshilfe. Pünktchen und Anton durften an die Krippe, Pippi Langstrumpf in Abrahams Schoß und Timm Thaler wusste möglicherweise am besten, wann man die Zeit besser nicht „auskauft“. Alle zusammen sahen zu, wie ernst es werden kann, wenn die Weisheit kämpfen muss: Don Quijote jagte mal wieder eine Gruppe Soldaten in die Flucht, die auch von ferne nicht harmlos aussahen – wie etwa Schafe oder Windmühlen. Der unbestechliche Bilderbuchritter ließ sich von niemandem etwas vormachen. Von ihm lernte ich, wie man die Erde lesen muss, wenn man den Himmel pflücken will. Dabei achtete er nicht auf berühmte Zaungäste. Schon gar nicht hörte er auf seinen neunmalklugen Freund Sancho, der mit seinem sachlichen Scharfblick die wirkliche Welt und erst recht den Himmel fast immer verfehlte.
Ob es um Weisheit geht oder um Glaubensdinge, ich habe meine himmlischen Lehrerinnen und Berater fast immer und überall bei mir. Sie bewohnen meinen „Himmel zum Mitnehmen“ bis auf den heutigen Tag. Mühsam habe ich gelernt, sorgsam auf sie zu hören. Ich lernte auch, dass so ein Himmel allezeit von neuem gefügt werden muss: mal zu einem Mosaik aus tausend Scherben, mal zu einem Wort aus tausend Wörtern. Mein liebes blaues Puzzle weiß in allen erdenklichen Farben zu leuchten. Aber es bleibt ein Himmel auf Abruf. Dennoch habe ich nicht verlernt, ihn überall zu „pflücken“, wie einen Strauß Wiesenblumen.
Was aber, wenn dieser Himmel eines Tages schließt? Wenn wir neu leben lernen müssten in einer mündigen Welt, „als ob es Gott nicht gäbe“? So jedenfalls hat es Dietrich Bonhoeffer in einer überaus „bösen Zeit“ formuliert. Hält unser Glaube auch das noch aus?
Stell dir vor, du legst dich schlafen zu deiner Zeit und erwachst in der
Haut- und Knochenzeit
So jedenfalls erging es Leonhard Auberg, dem Ich-Erzähler in dem Roman „Atemschaukel“ von Herta Müller.
Sein heiterer Himmel war mit einem Schlag rabenschwarz geworden, als er am 17. Januar 1945 nachts um drei aus dem Schlaf gerissen und von einer Patrouille abgeholt wird. Als Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien wird er, kaum siebzehn Jahre alt, in ein Arbeitslager im Donbass deportiert.
In seiner Erinnerung weinte die Mutter ihm noch lange nach. Aber die Großmutter sprach ihm auf dem Hausflur eine Gewissheit ins Herz: „ICH WEIß, DU KOMMST WIEDER“. An diese fünf Worte wird er sich klammern. Denn schon während des wochenlangen Transports im Viehwagen bleiben viele teuer bezahlte Wahrheiten auf der Strecke und türmen sich zwischen den Bahngleisen zu „böser Zeit“.
„Kaufet die Zeit aus“, sagt der Predigttext. Aber im Lager ist die Zeit umstellt und bewacht von scharfen Wächtern: „Trübsal, Angst, Hunger, Kälte, Blöße, Gefahr und Krieg“ (Römer 8).
Schon bei der Ankunft haben viele Alltagsworte abgelaufene Schuhe. Auch ewige Gewissheiten verstummen langsam. Und Gott selbst scheint betreten zu schweigen. Die meisten Worte sind todmüde. Die meisten Menschen auch.
Immer wieder dreht sich der Zeitkreisel, droht der „Hungerengel“.
Phantomschmerzen der Kuckucksuhr
Das „Auskaufen der Zeit“ wird im Lager mit Seelengeld bezahlt. Das belegt eine Kuckucksuhr, die plötzlich in der Baracke am Nagel über dem Blecheimer hing und die böse Zeit hütete. Niemand wusste, woher sie gekommen war. Niemand wollte sie haben. Denn “… sie belästigte uns alle zusammen und jeden einzeln. Im leeren Nachmittag horchte das Ticken, ob man kam, ging, in seinem Bett schlief. Oder nur dalag, in sich selbst gekehrt oder abwartend, weil man zu hungrig zum Einschlafen und zum Aufstehen zu matt war. Aber nach dem Abwarten kam nichts, außer dem Ticken im Gaumenzäpfchen verdoppelt vom Ticken der Uhr. Eigentlich gehörte die Kuckucksuhr dem Hungerengel. Es ging hier im Lager doch gar nicht um unsere Zeit, nur um die Frage: Kuckuck, wie lang leb ich noch?“
Bis einer den Kuckuck von der Wand schlug. Aber der Phantomschmerz blieb lange.
Beschriftete Schätze
In Herta Müllers Buch gibt Leonhard Auberg nach fünf Jahren Zwangsarbeit Auskunft über sein wunderbares Überleben. Was er bewahrt, und vor allem, was ihn bewahrt hat, erzählt er mit ganz ungewohnten Worten. Meinen Weisheitshimmel kannte er ja nicht. Er hat ganz anders lernen müssen, seine Zeit abzusuchen und auszukaufen. Fünf Jahre. Tag für Tag. Pausenlos. Allerböseste Zeit. Was er nach der Haft nach Hause bringt, lässt aufhorchen:
„Kleine Schätze sind die, auf denen steht: Da bin ich. Größere Schätze sind die, auf denen steht: Weißt du noch?.
Die schönsten Schätze aber sind die, auf denen stehen wird: Da war ich.“
„Da bin ich“
Überlebensschätze liegen nicht auf der Straße. Stehen sie in der Bibel? Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Auberg musste sie jedenfalls mitten im Lager einsammeln, verstecken und behüten, wenn zwischen Alltagsangst oder Sonntagsenge die Zeit zuzuschlagen drohte:
Der graue Putz auf der Barackenwand macht Ernst mit einem Sonnenstrahl. Später tanzt der Mai durch die Brennnesseln. Eine Linde verborgt ihren Schatten an einen kurzen Sommertag. In einer Fensterzeile macht der alte Himmel ein paar Minuten Kopfstand.
Man lernt, ein helles Rechteck auf der weißen Wand des Wachturms lieb zu gewinnen. Das ist eine gute Übung. Alle Schätze fangen unten an.
„Weißt du noch?“
steht auf den größeren Schätzen. Aber wie Mehltau legt sich flüchtiges Heimweh darauf. Es stört und stöbert. Begegnungen, Erzählungen, sogar Umarmungen werden durchkämmt.
Die meisten Menschen hängen mit ihren Erinnerungen an einer Landschaft fest. An einem Gebirge, einem Fluss, einem Stadtviertel, einer Straße von früher. Manchen genügt ein Treppenhaus, ein Lichtmuster auf dem Asphalt, die untrügliche Farbe des Ginsters. Dann kommt zutage, „was allen in die Kindheit scheint“. Das erste buchstabierte Wort, sogar ein Brief an den lieben Gott. Auf allem steht: Weißt du noch?
Herzhimmel
Der schönste Himmel kann auf einmal leer sein, auch außerhalb aller Lager. Überall, wo das Diktat der bösen Zeit die Oberhand gewinnt, erscheint das Vertrauteste schnell fremd: Gott. Erst recht der Heilige Geist. Und alle Engel.
In einen fremden Himmel hängt niemand Geigen.
Zuerst vergeht einem das Singen. Dann das Beten. Zuletzt die Verheißungen. Aber der Geist weht, wo er will, fremd oder nicht, in der besten und in der bösesten Zeit.
Deshalb sind die schönsten Schätze die, auf denen stehen wird: Da war ich.
Sie klingen nach in einem Wiegenlied oder in einem Wind in den Weidenbäumen. Sie werden sichtbar in einer schnellen Schrift am Rand einer Buchseite. Oder in einem heimlichen Freudentanz nach der Heimkehr.
Da stößt der Erzähler am Ende des Romans noch einmal auf den Predigttext. Weltlich, aber treffsicher:
„Ich habe Zeit… Wenn der Uhrturm halb drei schlägt, fällt die Sonne ins Zimmer. Auf dem Fußboden ist der Schatten meines Tischchens ein Grammophonkoffer. Er spielt mir das Lied vom Seidelbast oder die plissiert getanzte Paloma. Ich hole das Kissen vom Sofa und tanze in meinen plumpen Nachmittag.“
Seither sind seine Lieder in meinem Herzhimmel aufgeschrieben.
Der Himmel hat eine große Weite.
Für Lieder. Für Gebete. Für Erinnerungen. Für Wunder. Für alle Nähe und für alles Ferne. Für Gott und für den Heiligen Geist. Und für seine schönsten Schätze:
Abrahams Schoß und Saras Lächeln. Moses Körbchen und Miriams Trommeln. Sogar Posaunen von Jericho. Eine Sprosse von Jakobs Leiter, ein Muster von Josephs Rock. Eine Saite von Davids Harfe und Salomonis Seide.
Im Herzhimmel gibt es kein einziges Haus aus fremdem Lehm.
Überall wird draufstehen: Da war ich.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt ist für eine Stadtteilgemeinde geschrieben, die eine rege, gut gemischte Zuhörerschaft erwarten lässt. Durch die Pandemie und vor allem vor dem anhaltenden Hintergrund des Krieges ist die Gemeinde hellhörig geworden und fragt: „Halten unsere Gewissheiten besser stand als unsere Gewohnheiten?“
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Buch „Atemschaukel“ von Herta Müller. Darin wird die Aufforderung des Predigttextes, „die Zeit auszukaufen“, dem Härtetest eines Gefangenenlagers ausgesetzt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass es kindliche Gewissheiten gibt, die tröstlicher sind als alle erwachsenen Weisheiten zusammen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe mit der Predigtcoach einen sehr lebendigen Dialog geführt. Ihre behutsamen Hinweise haben mich bestärkt, meinen Entwurf sehr verbessert und – sogar lang gehegte Denkgewohnheiten korrigiert.
Link zur Online-Bibel
16.10.2022 - 18. Sonntag nach Trinitatis
Allein aus Gnade! - Predigt zu Eph 2,4-10 von Andreas Pawlas
Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr selig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.
Liebe Gemeinde!
Was ist das für ein altertümliches Wort, dieses Wort „Gnade“! Wir benutzen es doch gar nicht mehr in unserem Alltagssprachgebrauch. Und vielleicht wissen junge Menschen darum auch gar nicht mehr, was sich an Großem oder Kleinem hinter diesem altertümlichen Wort verbirgt.
So häufig sagte man doch früher: „Gnädiger Herr, oder gnädige Frau“. Aber, die Älteren unter uns, die mögen das noch wissen: So manches Mal waren dabei weder der Herr noch die Frau eigentlich gnädig, sondern nur herrisch oder aufgeblasen, und es war nur eine Art Schmeichelei.
Heutzutage höre ich nur noch manchmal, wenn Kinder schlecht geschlafen haben und mürrisch und knatterig aufwachen, dass man dann witzelnd sagt: „Oh, der Herr ist ungnädig“ oder „Oh, die Dame ist ungnädig.“ Aber dabei wissen wir doch, dass das alles kein ernsthafter Gebrauch des gewichtigen Wortes Gnade ist.
Wenn es also wirklich so ist, dass wir das Wort Gnade eigentlich nicht mehr ernsthaft kennen, was heißt das für uns? Sollte das etwa ein Zeichen dafür sein, dass wir in einer ungnädigen, unbarmherzigen Zeit leben, die etwa Fehler und Missgeschicke nicht zu verzeihen weiß? Wenn das tatsächlich wahr ist, dann müsste uns das nachdenklich stimmen. Denn vom Aufwachsen unserer Kinder wissen wird doch, dass man vielfach nur durch Fehler lernt und dass Kinder beim Laufenlernen erst einmal viel und tüchtig hinfallen und auch hinfallen müssen. Und trotzdem soll es in unserer modernen und erwachsen gewordenen Welt so sein, dass Gnade unbekannt und gnädiges, liebevolles Vergeben von Fehlern nicht üblich ist? Warum?
Ob das etwa daran liegt, dass wir meist glauben, alles aus eigener Kraft und Machtvollkommenheit selbst und perfekt machen zu können? Müssen deshalb Fehler meist unverzeihlich sein? Können deshalb Fehler heutzutage meist nicht mehr gnädig vergeben werden, sondern müssen unbarmherzig verfolgt werden?
Sie meinen, das stimmt nicht? Schauen wir doch einmal in die Betriebe: Werden dort nicht Mitarbeiter, die Fehler machen, zuerst streng abgemahnt und dann unbarmherzig herausgeworfen? Schauen wir doch einmal in die Politik: Werden dort nicht Politiker, die Fehler machen, von Zeitungen oder im Internet-shitstorm bis zum Letzten bloßgestellt und dann unbarmherzig ausgezählt? Nein, Gnade scheint in unserem Lande wirklich nicht mehr bekannt zu sein. Offenbar scheint man sich vielfach wirklich nicht mehr vorstellen zu können, was sich Großes oder Kleines hinter dem Begriff Gnade und vor allem hinter dem Begriff der Gnade Gottes verbirgt.
Darum: Wie sollte es uns modernen Menschen dann möglich sein, diesen Satz des Apostels verstehen können: „Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.“
Aber vielleicht kann jetzt die Erinnerung an eine kleine Geschichte aus alter Zeit helfen, die von einem weisen und darum gnädigen König handelt. Und damals waren ja die Könige noch unumstrittene Herren über Tod und Leben ihrer Untertanen. Sie waren darum auch oberste Richter, was sich für uns teilweise hart und gruselig anhört. Auf jeden Fall bekam nun dieser gnädige König von seinem Kanzler ein sorgfältig auf Pergament geschriebenes Todesurteil zur Unterschrift vorgelegt.
Nach den harten Gesetzesvorschriften der damaligen Zeit, die schon Diebstahl mit dem Tode bedrohten, war da völlig berechtigt, was in großen Lettern dick unterstrichen und unübersehbar auf dem Pergament stand: „Gnade unmöglich, aufhängen!“ Ich wiederhole mit gesprochenem Satzzeichen: „Gnade unmöglich (Komma) aufhängen!“
Da aber nun unser König ein König war, den Gott mit Weisheit und Barmherzigkeit begnadet und beschenkt hatte (was ja nicht selbstverständlich ist bei Regierenden aller Zeiten), weil also unser König ein wirklich gnädiger König war, ließ er sich den Fall trotzdem noch einmal eingehend von seinem Kanzler erläutern. Und was musste er da hören von der Not des Verurteilten und vom Elend seiner ganzen Familie. Und das alles würde ja nach der Hinrichtung des Ernährers der Familie noch viel schlimmer werden.
Jetzt begann der König sich zu besinnen. Und der Verurteilte, was konnte der in dieser so schlimmen Situation tun? Nichts! Gar nichts! Aber der König, der tat etwas! Denn er bewegte alles sorgfältig in seinem Herzen. Kam ihm dabei vielleicht in den Sinn, wie oft Gott ihm selbst bei seinen Fehlern barmherzig war? Erinnerte er sich etwa an eigenes Versagen, das aber dann durch Gottes Gnade zum Guten gewendet wurde? Oder wurde sein Herz einfach tief angerührt durch das ganze Elend des Verurteilten? Am Ende stand jedenfalls Gnade und Barmherzigkeit. Ja, so beschloß der König völlig überraschend, barmherzig zu sein und Gnade walten zu lassen.
Aber wie er nun dieses für den Verurteilten und seine Familie so Gewaltiges und Einschneidendes machte, das ist das Erstaunliche: Denn er tat nichts, überhaupt nichts äußerlich Gewaltiges, sondern er veränderte nur an dem so sorgfältig, langwierig und mühselig auf kostbarem Pergament vorgeschriebenen Urteil eine einzige Winzigkeit. Er veränderte nur das Komma - und der Mann war frei. Er hatte das Komma nur ein Wort weiter nach vorn im Satz gezogen und schon hießen die gleichen Worte: „Gnade, unmöglich aufhängen!“. also „Gnade(Komma) unmöglich aufhängen!“.
Schauen Sie, es war etwas so Kleines, in dem sich die Gnade ausdrückte -, eben nur die Stellung eines Kommas - und doch war die Wirkung so gewaltig. So gewaltig, dass sie für den Verurteilten neues Leben und Freiheit brachte.
Aber so ist es auch häufig in den Dingen, in denen Gott in unser Leben eingreift. Was Gott in seiner Liebe für uns tut, ist manches Mal so klein, dass wir es leicht übersehen und an allem nichts mitwirken können, so wie der Verurteilte in unserer Geschichte selbst an allem nichts hat mitwirken können. Und ich weiß gar nicht, ob er überhaupt noch in der Lage war, auf das zu hoffen, was der König dann gnädig überraschend tat. Und natürlich mögen wir heutzutage solche Abhängigkeit überhaupt nicht und haben deshalb ja auch bei uns im Lande das Königtum abgeschafft. Wir wollen eben alles selber machen und selber erreichen. Aber vielleicht sind wir eben genau deshalb in der heutigen Zeit so unbarmherzig, so lieblos und ungnädig.
Nun kann man natürlich fragen, ob diese gegenwärtig populäre Haltung, nach der man alles selber machen und erzwingen will und deshalb nicht mehr gnädig ist, ob die eigentlich realistisch ist? Wenn wir auch gern fleißig und tüchtig sind und auch sein sollen, können wir denn wirklich durch unseren Fleiß und durch unsere Tüchtigkeit, oder gegebenenfalls durch Kampf oder Treten und Schlagen unser Lebensglück und das Gelingen unseres Lebens tatsächlich erzwingen und an uns reißen?
Nein! Und jeder, der genau in unsere Welt schaut, der weiß, dass das im Grunde nicht geht, sondern eigentlich nur Verkrampfung, Lieblosigkeit, Selbstüberforderung, Enttäuschung und letztlich sogar ein verzweifeltes Sterben mit sich bringt. Übrigens sagt der Apostel zu diesem allein um sich kreisenden egoistischen Zustand des Menschen „tot sein in Sünden“.
Dagegen kann doch jeder, der genau in unsere Welt schaut, sehen, dass wahre Erfüllung, Zufriedenheit für ein Leben oder auch heitere Gelassenheit eigentlich nur geschenkt werden können. Und zwar aus einer Lebensdimension, die so ganz anders ist als unsere alltägliche Lebenswelt.
Ja, es ist die Christenheit, die bezeugt, dass allein von Gott, aus seiner ganz anderen Wirklichkeit für ein Leben Erfüllung, Zufriedenheit oder heitere Gelassenheit geschenkt werden kann. Durch den Blick auf das Leben und Leiden Jesu Christi dürfen wir sogar gewiss sein, dass der, der so wie Christus allein Gott vertraut im Leben und im Sterben, dass der nicht nur Lebenserfüllung haben wird, sondern genauso wie Christus Auferstehung und ewiges Leben. Und genau diese Gewissheit, dass das so ist, die können wir uns in keiner Weise erarbeiten, kaufen oder an uns reißen. Sondern wir können uns diese Glaubensgewissheit nur schenken lassen - aus Gnade. Und dazu gibt es auch kein großes oder aufwendiges Spektakel. Keine Show, kein Flutlicht, keine Tanzgruppe mit überlauter Musik, kein Aufmarsch oder Fackelzug, sondern in der Taufe allein ein paar Worte und ein paar Tropfen Wasser. Das ist vom Äußerlichen sicherlich genauso wenig wie die Kommaverschiebung des weisen Königs, mit der er dem Verurteilten Leben und Freiheit schenkte.
Aber genauso wird Leben und Freiheit geschenkt durch die Taufe. Und eben noch mehr: Leben wird durch Christus nicht nur für die Gegenwart geschenkt, sondern sogar auf ewig. Und Freiheit gibt es eben nicht nur zu leben, sondern um erfüllt und froh zu leben, weil alle Lebensverfehlung und alle Schuld aus Gnade, aus Liebe zu uns von dem übernommen und getragen wird, der für uns ans Kreuz gegangen ist: von Jesus Christus!
Und wenn einem endlich die Augen geöffnet werden, das zu sehen und zu erkennen, das zu spüren und zu schmecken, dann kann man wirklich nur staunen über die Wunder, die Gott für uns tut, die wir doch nur für eine kurze Zeit Gast auf Erden sind. Und Gott will dabei nicht knausern. Sondern er will uns im Glauben mehr geben, als wir uns so üblicherweise ausmalen. Darum spricht der Apostel vom „überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.“
Und dieser Reichtum ist kein klebriger Reichtum, der geizig an uns haften bleibt. Sondern wem die Augen und das Herz für Gottes Gnade geöffnet sind, bei dem quillt es über, der freut sich so, dass er ganz von selbst weitergibt, weitererzählt, mit anderen mitlacht und mitweint - nicht weil er selbst so stark, tüchtig und einfühlsam ist, sondern weil er sich von Gott im Glauben beschenkt und reich gemacht fühlt. Ein solches durch Gottes Gnade reiches und erfülltes Leben schenke der Herr uns jetzt und ewig. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine Vorstadt-Gemeinde versammelt, Alt und Jung sind beieinander. Kinder sind zuerst beim Gottesdienst dabei, dann aber kommt nach dem Evangelium der Auszug der Kinder zum parallelen Kindergottesdienst.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die vielen Schattierungen des Worte „Gnade“.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Bitte und die Hoffnung, mich selbst auch auf die Gnade Christi verlassen zu können.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe gern Anregung des Predigtcoaches zur Zuspitzung der Beispielgeschichte aufgenommen.
Link zur Online-Bibel
Der Blick geht nach oben - Predigt zu Epheser 1,(15-20a)20b-23 von Karoline Läger-Reinbold
Christi Himmelfahrt
Vierzig Tage nach Ostern. Heute ist Christi Himmelfahrt. Die Bibel erzählt1, dass es in dieser Zeit nach dem Ostersonntag noch viele Begegnungen gab – zwischen Jesus, dem Auferstandenen, seinen Jüngerinnen und Jüngern. Er war wieder aufgetaucht. Sie haben ihn gesehen, konnten nochmal mit ihm sprechen, und fast war es wie früher. Als wäre er immer noch da.
Aber heute stehen sie und schauen in den Himmel. Recken die Hälse in die Luft. Bis eben war er ganz nah, jetzt ist er – entrückt. In den Himmel gehoben. Wenn die Kinder in der Grundschule ein Bild dazu malen, dann kann man sehen, wie die Gestalt in der Wolke verschwindet – die Füße gucken unten noch ein bisschen raus2. Weil er ja irgendwie bleibt, auch wenn man ihn nicht mehr sieht.
Jesus ist fort, und dennoch halten wir Kontakt. Kaum zu glauben ist das, und gleichzeitig schön. Denn es gibt Spuren seiner Gegenwart. Zusammen mit den Jüngern halten wir Ausschau nach ihm.
Der Blick geht nach oben
Ja, Himmelfahrt ist so ein Tag: Der Blick geht nach oben. In unserem Kirchenkreis geht es wie eh und je hinaus. Gottesdienst im Freien – seit Corona sind wir da Profis geworden. Nehmen mit, was wir brauchen: Regenschirm oder Sonnencreme, Sitzkissen, Strickjacke, Taschentuch, Tee.
Der Blick in den Himmel ist ein Gebet, er ist Hoffnung und Hilferuf. Der Blick in den Himmel richtet mich aus auf eine Wirklichkeit, die mehr ist als das, was vor Augen steht. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“ heißt es im Psalm (Ps 121,1; vgl. auch EG 296). Woher kommen Zuversicht, Trost und neuer Mut in dieser Zeit?
Viele von uns sind „mütend“ (müde und wütend), ungeduldig, ausgelaugt, verzweifelt, erschöpft. Wir sind pandemüde, weil so viel fehlt, seit über einem ganzen Jahr. Der Geburtstag mit Freunden. Der Ausflug ans Meer. Stattdessen in der kleinen Wohnung eingesperrt. Niemand kommt zu Besuch. Fast jede und jeder kennt einen, den es erwischt hat. Die Quarantäne und die Angst. Die Sorge, was passiert, wenn dich die Krankheit wirklich trifft. Wie lange wird das wohl noch gehen?
Komm runter und schau es dir an, Gott. Schick uns Impfstoff, Vernunft, gute Nerven und Hilfe, das alles wird dringend gebraucht. Und nicht nur bei uns, an vielen Orten sieht es richtig finster aus.
Der Blick geht nach oben.
Der Predigttext
Der Verfasser des Epheserbriefs hat einen anderen Blick. Mit etwas Abstand schaut er auf seine Gemeinde und schreibt:
„Darum, nachdem auch ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen. Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke. Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“ (Epheser 1,15-23)
Das ist ein staunender Blick, voll Dankbarkeit und Freude. Ein Blick voller Liebe und Wertschätzung. Der Apostel hat erkannt, welch starker Glauben in den Menschen wohnt, und er zeichnet ein eigenes Bild. Da ist Christus im Himmel, ganz nahe bei Gott, unserem Vater. Seinem Leib, der Gemeinde, bleibt er verbunden. Und der Briefschreiber wünscht:
„Er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke.“ (Epheser 1,18-19)
Es ist eine andere Perspektive. Auch wenn wir uns hier unten sehen in all unserer Not und Ratlosigkeit: Wir sind doch Teil eines Großen und Ganzen. Wir gehören zum Christusleib. Wir haben Hoffnung, denn wir sind verbunden mit Gottes Kraft, mit seiner Stärke und Fülle. So sieht es der Epheserbrief.
Gottes Herrlichkeit sehen
Erleuchtete Augen des Herzens. Dass ich die Hoffnung sehen kann, den Reichtum seiner Herrlichkeit, Gottes unbändige Kraft, seine Stärke.
Wenn ich zurückdenke an die vergangenen Monate, dann spüre ich, wie sehr ich mich sehne nach diesen Zeichen seiner Herrlichkeit. Die guten Nachrichten, so unscheinbar sie auch sind. Der Sohn der Freundin: Als er im letzten Jahr mit seiner Schule fertig war, schienen alle Pläne dahin. Keine Reisen, keine Ausbildung, kein erster Job, überall nur Corona. So viele Bewerbungen und keine Rückmeldung, allenfalls mal ein Anruf oder ein Videochat. Dann plötzlich fand er seine Chance. Seit ein paar Wochen hilft er jetzt im Impfzentrum und kommt an jedem Abend fröhlich heim. Die Stimmung ist gut, die Menschen sind freundlich, er hat etwas zu tun und schon manch interessanten Kontakt geknüpft.
Erleuchtete Augen des Herzens. Dass ich die Hoffnung sehen kann. Manchmal, wenn die Sonne scheint und ich mittags etwas Zeit habe, gehe ich zum Gastwirt um die Ecke, kaufe einen Kaffee, und wir halten einen kurzen Plausch. Jaja, die Zeiten sind schlecht, sagt er dann, aber schön, dass du da bist, und irgendwann wird es vorbei sein.
Der Himmel ist weit und trotzdem ganz nah.
Und ich denke an die alte Frau im Krankenhaus, die ich vor Jahren besucht habe. Schon eine ganze Weile lag sie dort, und niemand wusste, wie es mit ihr weiter geht. Wir haben nur kurz miteinander gesprochen, doch ihre Worte haben mich lange begleitet, auf meinem Heimweg und darüber hinaus.
„Ich liege, ich sehe nach oben.“ Ganz ohne Unterton sagte sie das. So viel Vertrauen, viel Ruhe und Gelassenheit. So, wie es kommt, ist es gut.
Amen.
1 I Epistel Apg 1,3-11 und Evangelium Luk 24,(44-49)50-53. Wenn auf die Lesung dieser Texte verzichtet wird, lohnt es vielleicht, an dieser Stelle etwas ausführlicher zu referieren.
2 I Vgl. auch das Bild des Hans Süß von Kulmbach, Christi Himmelfahrt (16. Jh.): https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hans_S%C3%BC%C3%9F_von_Kulmbach…
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine muntere Stadtteilgemeinde mit Familien, Jugendlichen, Alleinstehenden, Älteren – die Pandemie hat ihr Leben verändert. Alle sind froh, dass es nun wieder wärmer wird und man sich draußen treffen kann. Der Gottesdienst am Himmelfahrtstag wird vom Posaunenchor begleitet und findet traditionell im Pfarrgarten statt. Sofern die aktuelle Corona-Verordnung es gestattet, kann es ein Kirchen-Café unter freiem Himmel geben.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der liebevolle Blick, mit dem der Verfasser des Epheserbriefs seine Gemeinde betrachtet, bietet einen starken Kontrast zur Wahrnehmung der aktuellen Situation. Zum klagenden, trotzigen, fordernden Blick in den Himmel gehört daher unbedingt diese andere Perspek-tive: Die erleuchteten Augen des Herzens; das hoffende, starke Vertrauen auf den Vater im Himmel und auf den Sohn, der fern und gleichzeitig nah ist.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Erleuchtete Augen des Herzens zu haben bedeutet: Die vielen kleinen Zeichen zu er-kennen, in denen sich Christi Nähe, seine Kraft und Wirksamkeit zeigen. Die Füße des Auferstandenen, die noch aus den Wolken ragen, sind dafür ein schönes Symbol.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Aus der Fülle der Assoziationen die eine zu wählen, bei der ich verweilen kann, und die anderen „für die nächste Predigt aufsparen“ (so der Rat des Predigtcoachs) – das fällt mir nicht leicht. Umso schöner zu sehen, wie ein Gedanke an Kraft gewinnt, wenn er Platz hat zur freien Entfaltung.