(24,4) Jesus sprach zu seinen Jüngern:
Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.
Liebe Gemeinde;
lautstarker Protest erhob sich im Gespräch bei einer Jugendveranstaltung, als es um die Frage ging, wie denn die Folgen menschlichen Lebens aussehen. Einer verwies dabei auf die Taufverheißung aus Markus 16. Dort sagt Jesus seinen Jüngern: 'Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden!' Jesus stellt also dem menschlichen Leben zwei mögliche Ziele vor Augen: die Seligkeit und die Verdammnis. Der jugendliche Protest verwies auf die Liebe Gottes und darauf, dass Jesus selbst die geistlich Armen seligpreist und ihnen das Himmelreich zusagt. Wie könne man da noch von der Verdammnis reden?
Angenehm ist es sicher nicht, davon zu reden, gerne hört es niemand.
Was Jesus Christus im heutigen Evangelium sagt, stellt uns ganz nüchtern und unverblümt die Zukunft vor Augen: Er legt ausführlich und beispielhaft aus, was wir in kurzen Sätzen im Glaubensbekenntnis sprechen: '... von dort wird er kommen, zu richten, die Lebenden und die Toten'. Und im Nicaenum: '... und wird wiederkommen mit Herrlichkeit zu richten die Lebenden und die Toten'. Seinen unangenehmen Beigeschmack bekommt dieses Bekenntnis, wenn es an Beispielen durchbuchstabiert wird. Und wenn dabei klar gesagt wird, das Richten Jesu an seinem Tag bringe einen doppelten Ausgang. Der im irdischen Leben gemeinsame Weg teile sich am Ende in rechts und links.
Untersuchungen von Predigten bringen ans Tageslicht, dass dieses Thema gern umgangen wird. Vom Gericht, das auch in die Verdammnis führen kann, wird wenig geredet. Wahrscheinlich, weil niemand gern davon redet. Wir hören es auch nicht gern. Es klingt furchteinflößend und legt eine Spannung auf unser Leben, von der wir gern befreit wären.
Schon die Psychologie könnte uns lehren, dass eine Angst, die der Mensch verdrängt, damit nicht gelöst ist. Sie schwelt weiter und breitet sich aus. Im schlimmsten Fall kann sie krankmachen. Ziellose und hoffnungslose Angst ist allemal eine Krankheit. Dazu aber redet Jesus Christus nicht vom kommenden Gericht.
Man hat dieses Gleichnis als Kritik an der Kirche und ihren Gliedern immer sehr gern ins Feld geführt. Man hat den Christen ihr Fehlverhalten schön deutlich machen können: 'Seht, was Jesus von euch fordert und was ihr alles unterlassen habt!' Wir werden kleinlaut und erkennen selbst unsere Schwächen. Es ist ja auch nicht schwer, anderen Menschen ihre Fehler und Versäumnisse vorzuhalten. Bloß: Dies Gleichnis haben wir dazu nicht auf unsere Seite. Es gibt keinem Menschen das Recht, andere zu verurteilen. Es geht hier gerade nicht um das Gericht, das Menschen übereinander fällen. Wenn Jesus vom Gericht redet, dann versammelt der Menschensohn alle Völker, also alle Menschen vor sich. Er sammelt und er scheidet. Wir stehen als Menschen alle vor ihm und erwarten, was er zu sagen hat. Wir haben kein Recht, dies Urteil an anderen bereits vorwegzunehmen; aber es hat auch niemand das Recht, vorweg über uns zu richten. Wir erwarten das gerechte Gericht des Menschensohnes.
Es kommt der Tag, an dem menschliches Leben aufgedeckt wird, offenbar. So, wie es Paulus in dem Wort, das uns als Wochenspruch begleitet, gesagt hat: 'Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Gottes'. Der Tag des Gerichts ist ein Tag, der aufdeckt, der offenbart, was bisher verdeckt und unsichtbar, auch unsicher war. Klarheit wird verschafft und Durchsichtigkeit. Die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden hat auf diesem Hintergrund ihren Sinn, dass es überhaupt ein Gericht gibt. Gäbe es am Ende nur einen Weg, den des ewigen Lebens, müsste von einer Rechtfertigung nicht mehr geredet werden. Das reformatorische Erbe, von der Gnade Gottes in Christus, bekennt auch den richtenden Christus. Es ist der Sohn dessen, von dem Luther in den Gebotserklärungen ständig wiederholt, 'wir sollen ihn fürchten und lieben'. Also ernst nehmen und mit ihm rechnen.
Der Gott, den wir fürchten und lieben sollen, flößt aber keine Angst ein; die ist nicht Antriebsfeder christlichen Lebens. Das Gleichnis macht in seinen Feinheiten viel davon deutlich, worum es Christus geht.
Da fällt zunächst auf, wie die, die gerettet werden, angesprochen werden: 'Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!' Auf ihnen liegt der Segen Gottes, seine Zuwendung geht mit ihnen, ist mit ihnen gegangen; seine Liebe und Treue hat sie umgeben. Sie haben ein Startkapital bekommen und ein großes Ziel vor Augen. Sie sind Kinder Gottes schon von Anfang an gewesen und darum ist ihnen das Erbe schon längst zugesagt. Sie sind keine unbeschriebenen Blätter gewesen, die mit ihrem Leben aus eigenem Antrieb Gutes zu vollbringen gehabt hätten. Die Grundlagen und Möglichkeiten waren gegeben, zur Verfügung gestellt. Sie haben von Beginn an von der Liebe des Vaters gelebt und das hat ihr Leben widergespiegelt. Sie haben gelebt, was sie empfangen haben. Sie haben andere spüren lassen, wovon sie selbst gelebt haben; sie haben weitergegeben, womit sie selbst beschenkt wurden.
Das Gleichnis macht es ganz deutlich: Die Gerechten haben sich nicht deswegen hilfreich den Notleidenden zugewendet, weil sie wussten, darin verbirgt sich der Herr, oder: Wenn ich jetzt helfe, verdiene ich mir den Zugang zum Reich Gottes.
Die Botschaft dieser Predigt kann darum nicht sein: Seid immer hilfsbereit zu den Hilfsbedürftigen, ihr helft damit Christus und entgeht so der ewigen Verdammnis.
Die Gerechten waren ja überrascht darüber, was sie selbst getan hatten, und an eine solch bedeutsame Folge ihres Tuns hatten sie nie gedacht.
Sie haben bloß den Segen und die Liebe Gottes nicht für sich behalten; sie erachteten es für selbstverständlich, sich denen zuzuwenden, denen sie helfen konnten.
Und die Liebe fragt eben nicht nach Lohn.
Wir fragen: Was ist der Maßstab für das Gericht? Antwort: Das Doppelgebot der Liebe: 'Du sollst deinen Herrn lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst.'
Die Liebe, die lebendig ist, die im Menschen lebt und sein Handeln bestimmt, braucht eigentlich keine Beispiele. Die verführen immer zu Ausreden (Das kann ich gar nicht; solche Menschen gibt es hier nicht, ich kenne sie nicht), oder Selbstbestätigungen (das tue ich doch).
Jesus Christus zeigt mit diesem Gleichnis auf sich selbst, auf seine Liebe, die keine Grenzen kannte, die jeden mitnahm, ohne nach Antwort zu fragen. Die Menschen in Not - in welcher auch immer - waren in seinem Blick. Er hat sie geliebt und darum hat er sie auch gesehen.
Keiner muss Menschen in Not suchen; die Liebe zeigt sie ihm schon. Die Gerechten haben auch nicht die Welt verbessert, haben den Hunger nicht beseitigt, die Einsamkeit nicht beendet - einem einzigen Menschen haben sie sich jeweils zugewendet; aber darin hat sich ihre Liebe als lebendig erwiesen, als uneigennützig, als selbstverständlich, als keiner Rede, keines Lobes, keines Lohnes wert.
Ihr Tun hat seine Motivation allein in der Liebe; in der Liebe, die Gott ihnen geschenkt hat. Und diese Liebe Gottes lässt in jedem Menschen das Angesicht Jesu Christi aufleuchten. Er hat sich auf die Seite der Bedürftigen, Armen, Kranken, Verlassenen gestellt. Und da bleibt er, solange diese Erde steht. Sich den Menschen am Rand zuzuwenden ist gelebte Liebe und gelebter Glauben an Jesus Christus.
Dementsprechend gilt dann auch die Formulierung von der negativen Seite: Lieblosigkeit ist ein Zeichen dafür, nicht an Christus zu glauben; wer nicht liebt, leugnet die Liebe Christi, missachtet auch, dass Christus selbst auf der Seite der Leidenden steht.
Wer nicht liebt, will diesen Christus nicht, glaubt nicht an den Christus, den die Heilige Schrift bezeugt und wird darum auch den ewigen Fluch bekommen, die ewige Trennung von ihm, oder, wie das Gleichnis sagt, das ewige Feuer.
Die Liebe - empfangen und gelebt - ist der Maßstab im Jüngsten Gericht. Das ist kein Widerspruch dazu, dass es die Rechtfertigung nur aus Glauben gibt. Denn einen Glauben ohne Liebe kennt die Bibel nicht. An Christus zu glauben, verbindet mit den Menschen; einen christlichen Glauben ganz für sich allein - und darum blind für die Not der Menschen - gibt es nicht.
In ihrem Buch 'Die Egoismus-Falle' zeigt die Psychologin Ursula Nuber, dass es hierzulande schon länger eine neue Hinwendung zur Religion gibt, allerdings nicht zum Christentum. Es sind esoterische Religionen wie Buddhismus, Hinduismus oder Brahman, die wie in einem religiösen Supermarkt für jeden etwas bereithalten, vor allem aber das eine: Selbstverwirklichung. Dagegen schreibt sie: 'Man mag zur Lehre Jesu stehen wie man will, unsozial und ichbezogen ist sie nicht. ... Nicht ... das Selbst steht im Zentrum, sondern das Sich-Ereignen von Beziehung. Jesus predigt die Liebe zum Nächsten, setzt sich für Schwache ... ein und fordert unser aller verantwortliches Handeln den Menschen gegenüber: 'Was ihr getan habt dem geringsten meiner Brüder, das habt ihr mir getan'.
Sie folgert schließlich: Möglicherweise ist die Unbeliebtheit der Lehre Jesu heute unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass sie nicht das Ich mit seinen egoistischen Bedürfnissen, sondern den Mitmenschen in den Mittelpunkt stellt.'
Sie hat es offensichtlich zutreffend beobachtet. Es scheitert am Ende der mit seinem Leben vor Gott, der zur Liebe nicht bereit war, der nur sich selbst mit seinen Sorgen und Freuden, Problemen und Hoffnungen, nicht aber den Mitmenschen in Not gesehen hat.
Am Ende gehört zu jedem Leben sein Ziel: Die einen bleiben von Christus getrennt - nun ewig, denn sie haben ihm nicht vertraut, ihn und ihre Mitmenschen nicht geliebt und also seine Nähe nicht gewollt.
Die anderen erben das, was ihnen längst zugesagt war, was ihnen geschenkt wurde, worüber sie sich gefreut, was sie gehofft und was sie auch gelebt haben - im Vertrauen und in der Liebe: die Nähe zu Jesus Christus. Das werden sie nun ewig leben. Unsere Zukunft ist klar und offengelegt; wir sind gesegnet, wir sind erwählt, das Erbe ist uns zugesagt. Die Liebe Gottes, die seinen Sohn leiden und sterben lässt, umschließt unser Leben. Wir sind geliebt, Gerechtigkeit ist uns geschenkt - unser Leben bietet unendlich viele Möglichkeiten, zu lieben. Wir wissen, auf wessen Seite wir stehen: auf der Seite Jesu, und damit auf der Seite der Menschen in Not. Die Liebe verbindet uns - mit Christus und untereinander. Die Liebe stellt uns auf die rechte Seite. Gott sei Dank. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Sonntag folgt auf die Synode unserer Kirche. Eine große personelle Umbruchsituation steht bevor, dazu auch knapper werdende finanzielle Ressourcen. Das betrifft auch die Gemeinde, die gerade mehrere schöne, festliche und gut besuchte Gottesdienste gefeiert hat. Die Kirchenjahreszeit passt gerade zum Wetter; dazu kommt ein bekanntes und vertrautes und doch irgendwie immer fremd bleibendes Gotteswort. Ja, kenne ich – ist in der durchaus biblisch fundierten Gemeinde eine mögliche Reaktion. Bekannt und doch neu. Herausfordernd, aber nicht zum Verzweifeln. Menschen sind besorgt, was wird. Kann die Predigt stärken und Vertrauen vermitteln?
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Eine bekannte und doch immer wieder neue Beobachtung: Jesus ist anders als erwartet. Kein Schema fängt ihn ein. Es bleibt – auch persönlich – eine Herausforderung. Ich wollte und will mich dem stellen, auch wenn es mich persönlich in Frage stellt. An sich kann ich nur scheitern. Und doch ‚gesegnet‘ und ‚Erbe‘.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren. Wie oft geht es (mir) und theoretische Debatten, Auseinandersetzung, wer Recht hat und wer Anspruch auf Wahrheit erhebt. Wichtiger sind Menschen, die Hilfe und Zuwendung brauchen, die machtlos sind und leicht übersehen werden. Was ist meine Aufgabe und mein Platz?