Alles kann, wer glaubt - Predigt zu Markus 9, 17-27 von Stefan Knobloch
9,17
Eine aufgeregt-spannende Situation führt uns das Evangelium des 17. Sonntags nach Trinitatis vor Augen. Da weiß sich ein Vater mit seinem – würden wir heute sagen – an schweren epileptischen Anfällen leidenden Sohn keinen Rat mehr. Er ist mit seinen Kräften physisch und psychisch am Ende.
In der Situation setzt er seine Hoffnung auf die Jünger Jesu. Doch die können ihm nicht helfen. Ein böser Krankheitsgeist, ein sprachloser, stummer Geist hat sich des Lebens seines Sohnes derart hartnäckig bemächtigt, dass ihre Heilungsbeschwörungen im Namen Jesu nichts fruchten. So kommt es zu Begegnung des Kranken und des Vaters mit Jesus. Im ersten Zusammentreffen zeigt sich der stumme Geist als das, was er ist: als stumm, als sprachlos, als wie nicht präsent. Der Vater schildert, wie es seinem Sohn im Anfallsfall ergehe. Der Geist werfe den Jungen zu Boden, Schaum trete vor seinen Mund, er knirsche mit den Zähnen, bis er wie tot erstarre.
Es mag verwundern, dass Jesus als Erstes daraufhin nicht auf den Vater, sondern auf das Unvermögen der Jünger, dem Jungen zu helfen, reagiert. Er macht seiner Enttäuschung in einer Weise Luft, die an Deutlichkeit kaum noch zu übertreffen ist: Was seid ihr für Luschen, für ungläubige Leute! Ihr macht mir das Leben schwer! Wie lange soll ich euch noch ertragen! Sein Ausbruch ist von solch bizarrer Direktheit, dass sofort deutlich wird: Hier hat die Erzählung ihren ersten Höhepunkt, der in Wahrheit einen Tiefpunkt markiert: Die Jünger gründen noch nicht in der Welt Jesu. Sie mögen guten Willens sein, aber existentiell angenommen haben sie Jesu Botschaft noch nicht. Und das nach im Markusevangelium immerhin vorausgehenden zwölf Wunderheilungen bzw. Sammelberichten von Heilungen. Die Jünger haben diese Heilungen noch nicht als das realisiert, was sie sind: als Hinweise, als Zeichen, als sprechende Symbole der Nähe, die Gott zu den Menschen hat. Wir könnten von „sakramentalen“ Zeichen der Besorgtheit Gottes um die Menschen sprechen.
Ihr glaubenslosen Leute! Ein harter Vorwurf an die Jünger, die doch besten Willens sind, Jesus zu folgen und in seiner Person die Wirklichkeit Gottes in ihrem Leben zu erahnen. Sie empfinden seine Wunderheilungen nicht als stumpfe Mirakel, die allenfalls darauf deuten, was der alles könne!
Der Tiefpunkt der Erzählung entpuppt sich als Appell an die Jünger, sich herauszuarbeiten aus ihren Denk- und Wahrnehmungsschablonen und gläubig in den Kern seiner Botschaft hineinzuarbeiten. Jesus bietet ihnen dazu eine neue Chance. Bringt mir den Jungen!
Kaum weiß sich der stumme Geist der Nähe Jesu ausgesetzt, treibt er mit dem Jungen sein anfalltobendes Unwesen. Hin und her gezerrt knallt der Junge auf den Boden, sich mit Schaum vor dem Munde hin und her wälzend. Jesus aber greift nicht sofort ein, wie es die Situation eigentlich hätte erwarten lassen können. Wie lange hat er das schon? Von Kindheit an.
Ein wichtiges Stichwort: Ein sprachloser, stummer Geist, von Kindheit an! Ich höre daraus eine Anspielung auf die Sprachlosigkeit der Menschen auf Gott hin. Darf das „von Kindheit an“ nicht als Anspielung gedeutet werden, dass - nach dem Markusevangelium - die Menschen des Ersten Testaments, des Alten Testaments, bei allem Bemühen, auf Jahwe zu hören, die Stummheit auf Gott hin nie ganz abgelegt hatten? Eine Stummheit, die auch in den Jesusjüngern weiter wogt. Und auch im Vater des Jungen: Wenn du’s kannst, bitte, heile meinen Jungen! Die Antwort Jesu: Was soll das heißen: Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt.
Darin erreicht das Evangelium seinen Höhepunkt. Allerdings in einer Verknappung, die einem die Haare zu Berge stehen lassen kann. Alles kann, wer glaubt? Wenn das nur so einfach wäre, möchte man einwenden! Aber wer behauptet denn, dass das einfach sei? Der Vater des Jungen gibt da die richtige Antwort, die nicht doppelbödig ist, auch wenn sie so erscheinen mag: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Daraus spricht die Bereitschaft, ja, die Entschlossenheit, oder besser, vorsichtiger gesagt, die Einsicht, im Prozess des Glaubens immer auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.
Im Prinzip dasselbe lässt Jesus an der Heilung des Jungen erkennen, wenn wir sie als Bild der Glaubensgenese deuten. Alles kann, wer glaubt. Das gilt zunächst von Jesus. Aber der Vorgang der Heilung des Jungen kann auf die innere Struktur eines Glaubensprozesses gedeutet werden. Die von Jesus in Gang gesetzte Wunderheilung ist kein einfacher Prozess. Der Junge wird nämlich noch einmal kräftig hin und her gezerrt, bevor der sprachlose, stumme Geist „mit einem lauten Schrei“ von dem Jungen lässt. Und in der Folge liegt der Junge wie tot da. So, wie immer nach Anfällen? Nein, diesmal ist es anders. Der tot Scheinende ist wie neugeboren, und Jesus nimmt ihn bei der Hand und führt ihn seinem neuen Leben zu.
Was bedeutet diese Heilung für die Lesart der knappen Formel: „Alles kann, wer glaubt“? Die Heilung erlaubt es gewissermaßen, die Glaubensgenese prozessual zu sehen. Es ist eben nicht einfach sofort alles da. Der stumme Geist zerrt noch an dem Jungen, bevor er ihn verlässt. Es ist eben so wenig ausreichend, zu Jesus „Herr, Herr“ zu sagen, und zu meinen, damit sei der Glaubenserweis erbracht. Der Glaube, der schließlich alles kann, setzt Prozesse des Abschieds, des Los- und Zurücklassens, bildlich gesprochen, des Todes“, voraus. So wie der geheilte Junge schließlich wie tot daliegt. Was er aber nicht mehr ist. Jesus erhebt ihn. So kann es auch uns ergehen, aber eben wohl erst dann, wenn wir Totes bzw. Todesräume unseres Lebens im Vertrauen auf Gott zurücklassen.
Das aber meint in aller Regel keinen radikalen Schnitt, keine Amputationen unserer sozialen Beziehungen, kein verkrampftes die Zähne Aufeinanderbeißen. Es meint eher, unser Leben unter eine Perspektive zu stellen. Es meint, unser Leben unter der Perspektive zu sehen, von Gott angenommen zu sein, von ihm getragen zu sein, ihm vertrauen zu dürfen. So könnten sich die Fesseln unserer „seelischen Epilepsien“ langsam lösen. Und das weniger aus eigener Kraft als aus der Strahlkraft unserer neuen Perspektive, unter der sich unser Leben entfalten kann.
Alles kann, wer glaubt! Es klingt nach wie vor mächtig und unzugänglich. Vielleicht findet das Gemeinte eher unsere innere Zustimmung in der Fassung: Gott kann mit uns alles, wenn wir glauben. Und das im langen Prozess unseres Lebens.
In der Situation setzt er seine Hoffnung auf die Jünger Jesu. Doch die können ihm nicht helfen. Ein böser Krankheitsgeist, ein sprachloser, stummer Geist hat sich des Lebens seines Sohnes derart hartnäckig bemächtigt, dass ihre Heilungsbeschwörungen im Namen Jesu nichts fruchten. So kommt es zu Begegnung des Kranken und des Vaters mit Jesus. Im ersten Zusammentreffen zeigt sich der stumme Geist als das, was er ist: als stumm, als sprachlos, als wie nicht präsent. Der Vater schildert, wie es seinem Sohn im Anfallsfall ergehe. Der Geist werfe den Jungen zu Boden, Schaum trete vor seinen Mund, er knirsche mit den Zähnen, bis er wie tot erstarre.
Es mag verwundern, dass Jesus als Erstes daraufhin nicht auf den Vater, sondern auf das Unvermögen der Jünger, dem Jungen zu helfen, reagiert. Er macht seiner Enttäuschung in einer Weise Luft, die an Deutlichkeit kaum noch zu übertreffen ist: Was seid ihr für Luschen, für ungläubige Leute! Ihr macht mir das Leben schwer! Wie lange soll ich euch noch ertragen! Sein Ausbruch ist von solch bizarrer Direktheit, dass sofort deutlich wird: Hier hat die Erzählung ihren ersten Höhepunkt, der in Wahrheit einen Tiefpunkt markiert: Die Jünger gründen noch nicht in der Welt Jesu. Sie mögen guten Willens sein, aber existentiell angenommen haben sie Jesu Botschaft noch nicht. Und das nach im Markusevangelium immerhin vorausgehenden zwölf Wunderheilungen bzw. Sammelberichten von Heilungen. Die Jünger haben diese Heilungen noch nicht als das realisiert, was sie sind: als Hinweise, als Zeichen, als sprechende Symbole der Nähe, die Gott zu den Menschen hat. Wir könnten von „sakramentalen“ Zeichen der Besorgtheit Gottes um die Menschen sprechen.
Ihr glaubenslosen Leute! Ein harter Vorwurf an die Jünger, die doch besten Willens sind, Jesus zu folgen und in seiner Person die Wirklichkeit Gottes in ihrem Leben zu erahnen. Sie empfinden seine Wunderheilungen nicht als stumpfe Mirakel, die allenfalls darauf deuten, was der alles könne!
Der Tiefpunkt der Erzählung entpuppt sich als Appell an die Jünger, sich herauszuarbeiten aus ihren Denk- und Wahrnehmungsschablonen und gläubig in den Kern seiner Botschaft hineinzuarbeiten. Jesus bietet ihnen dazu eine neue Chance. Bringt mir den Jungen!
Kaum weiß sich der stumme Geist der Nähe Jesu ausgesetzt, treibt er mit dem Jungen sein anfalltobendes Unwesen. Hin und her gezerrt knallt der Junge auf den Boden, sich mit Schaum vor dem Munde hin und her wälzend. Jesus aber greift nicht sofort ein, wie es die Situation eigentlich hätte erwarten lassen können. Wie lange hat er das schon? Von Kindheit an.
Ein wichtiges Stichwort: Ein sprachloser, stummer Geist, von Kindheit an! Ich höre daraus eine Anspielung auf die Sprachlosigkeit der Menschen auf Gott hin. Darf das „von Kindheit an“ nicht als Anspielung gedeutet werden, dass - nach dem Markusevangelium - die Menschen des Ersten Testaments, des Alten Testaments, bei allem Bemühen, auf Jahwe zu hören, die Stummheit auf Gott hin nie ganz abgelegt hatten? Eine Stummheit, die auch in den Jesusjüngern weiter wogt. Und auch im Vater des Jungen: Wenn du’s kannst, bitte, heile meinen Jungen! Die Antwort Jesu: Was soll das heißen: Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt.
Darin erreicht das Evangelium seinen Höhepunkt. Allerdings in einer Verknappung, die einem die Haare zu Berge stehen lassen kann. Alles kann, wer glaubt? Wenn das nur so einfach wäre, möchte man einwenden! Aber wer behauptet denn, dass das einfach sei? Der Vater des Jungen gibt da die richtige Antwort, die nicht doppelbödig ist, auch wenn sie so erscheinen mag: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Daraus spricht die Bereitschaft, ja, die Entschlossenheit, oder besser, vorsichtiger gesagt, die Einsicht, im Prozess des Glaubens immer auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.
Im Prinzip dasselbe lässt Jesus an der Heilung des Jungen erkennen, wenn wir sie als Bild der Glaubensgenese deuten. Alles kann, wer glaubt. Das gilt zunächst von Jesus. Aber der Vorgang der Heilung des Jungen kann auf die innere Struktur eines Glaubensprozesses gedeutet werden. Die von Jesus in Gang gesetzte Wunderheilung ist kein einfacher Prozess. Der Junge wird nämlich noch einmal kräftig hin und her gezerrt, bevor der sprachlose, stumme Geist „mit einem lauten Schrei“ von dem Jungen lässt. Und in der Folge liegt der Junge wie tot da. So, wie immer nach Anfällen? Nein, diesmal ist es anders. Der tot Scheinende ist wie neugeboren, und Jesus nimmt ihn bei der Hand und führt ihn seinem neuen Leben zu.
Was bedeutet diese Heilung für die Lesart der knappen Formel: „Alles kann, wer glaubt“? Die Heilung erlaubt es gewissermaßen, die Glaubensgenese prozessual zu sehen. Es ist eben nicht einfach sofort alles da. Der stumme Geist zerrt noch an dem Jungen, bevor er ihn verlässt. Es ist eben so wenig ausreichend, zu Jesus „Herr, Herr“ zu sagen, und zu meinen, damit sei der Glaubenserweis erbracht. Der Glaube, der schließlich alles kann, setzt Prozesse des Abschieds, des Los- und Zurücklassens, bildlich gesprochen, des Todes“, voraus. So wie der geheilte Junge schließlich wie tot daliegt. Was er aber nicht mehr ist. Jesus erhebt ihn. So kann es auch uns ergehen, aber eben wohl erst dann, wenn wir Totes bzw. Todesräume unseres Lebens im Vertrauen auf Gott zurücklassen.
Das aber meint in aller Regel keinen radikalen Schnitt, keine Amputationen unserer sozialen Beziehungen, kein verkrampftes die Zähne Aufeinanderbeißen. Es meint eher, unser Leben unter eine Perspektive zu stellen. Es meint, unser Leben unter der Perspektive zu sehen, von Gott angenommen zu sein, von ihm getragen zu sein, ihm vertrauen zu dürfen. So könnten sich die Fesseln unserer „seelischen Epilepsien“ langsam lösen. Und das weniger aus eigener Kraft als aus der Strahlkraft unserer neuen Perspektive, unter der sich unser Leben entfalten kann.
Alles kann, wer glaubt! Es klingt nach wie vor mächtig und unzugänglich. Vielleicht findet das Gemeinte eher unsere innere Zustimmung in der Fassung: Gott kann mit uns alles, wenn wir glauben. Und das im langen Prozess unseres Lebens.
Perikope