«Als ob»
Predigt zu 1 Kor 7,29-31
Berner Münster, Vesper zum 20. Sonntag nach Trinitatis, 13.10.2018, Martina Schwarz
Doris Grozdanovic
In Terezin – Theresienstadt blühen die Kastanien.
Wir steigen aus dem Reisebus.
Eine kleine Frau winkt uns schon von Weitem. Sie trägt von Kopf bis Fuss lila. Ihre Haare hat sie rötlich getönt. Und ihre Haut geht gegen neunzig zu. Ihre Augen allerdings blitzen immer noch schelmisch und blau. Sie bedankt sich bei unserer Reisegruppe für jede einzelne Frage. Als sie von ihrer zurückgelassenen Katze in Brünn erzählt, mischen sich Tränen in ihre Worte. Ganz ohne Tränen erzählt sie von der Trennung der Familie im Lager, von der Krankheit der Mutter und von ihrem Tod. Und wie sie alleine übrig blieb damals mit sechzehn. Im kleinen Museum in Terezin hängt heute ein Bild von ihr als Schafhirtin. Doris hat überlebt.
Wir essen unser mitgebrachtes Picknick in der Frühlingssonne. Kinder spielen Fussball.
Am Himmel leuchten die Kastanienkerzen, ein Kreuz und ein Davidsstern.
Später führt uns Doris durchs Museum.
Im Lager lebte auch ein Dichter, Leo Straus. Die zarte Frau führt uns zu seinem Gedicht, das ihrer Meinung nach, das ganze Lager zusammenfasst. Falls man Schreckliches zusammenfassen kann.
Es heisst: „als ob“
Und die letzte Strophe geht so:
„Man trägt das schwere Schicksal,
als ob es nicht so schwer,
und spricht von schönrer Zukunft,
als obs schon morgen wär.“(Leo Straus, 1942)
«Als ob Musik»
Vor ein paar Jahren wurde in der französischen Kirche Musik aufgeführt, die in Theresienstadt komponiert und gespielt wurde. «Als ob» nannte sich das Konzert des Ensembles I Salonisti. Es waren leichtfüssige Stücke und schluchzende Töne dabei.
Die Musik riss einen Spalt durch die Mauern im Lager, und Schönheit blitzte rein. Eine Melodie, die weit machte, was eng und bedrängend. Wir weinten die Tränen, die all die Dichter, Komponisten und Schafhüterinnen abends im Kopfkissen erstickten.
«Als ob-Musik» des Paulus
Paulus hat auch «als ob-Musik» komponiert in seinen Briefzeilen an die Geschwister in Korinth.
Er weiss, dass ihre Zeit aus den Fugen geraten ist. Paulus schreibt: Die Zeit drängt. Und meint sie ist bedrängend. Neunzig Prozent der Menschen leben an der Armutsgrenze. Wie soll man da eine Frau heiraten, eine Familie gründen? Es reicht gerade mal für ein Ein-Mann-Leben mit von-der-Hand-in- den Mund. Eng ist`s in den Garküchen unten am Hafen.
Die Mietskasernen der armen Leute kennen keine Küchen. Überfüllte Kneipen. Stickige Luft.
Am Hafen werben Kinder für ihre Mütter, die sich prostituieren. Salz und Schmutz in den Haaren.
Weit weg liegt die Shopping-Meile mit Blick auf die Landenge von Isthmus.
Elegante Villen propagieren einen römischen Lebensstil, wie man ihn überall sieht, auf Gebäudefassaden und in Heldenstatuen hoch über dem Hafen. Einkaufsläden und Tempel gehen ineinander über. Daneben Bilder von Gewalt und pornographische Szenen auf harmlosen Öllämpchen. Ein Netz von Bordellen überzog die Stadt. Auch innerhalb der Wohnhäuser reicher Familien gabs oft noch einen kleinen «Club» für den gestressten Hausherrn. Pater familias.
Heilig sein heisst genügen
Paulus sieht sich die Welt an.
So wie Christus sie angesehen hätte. All die Entwurzelten in Korinth. Die von den Römern Angesiedelten. Die Heimatlosen, die sich am Hafen rumtreiben und am Sonntag in den Katakomben Lieder singen. Auch die vielen alleinstehenden Frauen. Für sie will er Würde und einen Schutzraum für Seele und Gebet. Kein Jagen zum «Gefallen».
Was eigentlich «genügen» heisst. Und heilig sein.
Er spricht viel von diesen Frauen. Dass sie wichtig seien für die «messianische Gemeinde».
Prophetinnen der Katakomben.
Heilige an Leib und Seele.
Als ob – das Lied der Freiheit
Frei statt Freiwild.
Wie sonst in der Gesellschaft.
Unverheiratete Frau.
Witwe und wie die Ausgrenzungen damals hiessen. Heute noch.
Queer zu jeder Norm.
Für sie singt Paulus sein Lied.
Und uns:
Den einen Körper Christi:
niederkommend
schwitzend
schön.
Als ob schon gälte:
Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus. (Gal 3,28)
Als gäbs keine Ausbeutung mehr an den Geschöpfen
Rückgang des Permafrost und schrumpfende Gletscher.
Keinen Billigflug mehr nach Mallorca
Bloss langsame Schritte im herbstlichen Gold
Als obs schon morgen wär
Amen