Auf dem Weg der Liebe - Predigt zu 1. Korinther 14,1-12 von Christiane Quincke
14,1-12

Predigttext 1. Korinther 14,1-12 - als Lesung vorab:
1Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist schenkt – vor allem aber danach, als Prophet zu reden. 2Wer in unbekannten Sprachen redet, spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott.Denn niemand versteht ihn.Was er unter dem Einfluss des Geistes sagt, bleibt vielmehr ein Geheimnis.3Wer dagegen als Prophet redet, spricht zu den Menschen. Er baut die Gemeinde auf, er ermutigt die Menschen und tröstet sie.4Wer in unbekannten Sprachen redet, baut damit nur sich selbst auf. Wer aber als Prophet redet, baut die Gemeinde auf. 5Ich wünschte mir, dass ihr alle in unbekannten Sprachen reden könntet. Noch lieber wäre es mir, wenn ihr als Propheten reden könntet. Wer als Prophet redet, ist bedeutender als derjenige, der in unbekannten Sprachen redet – es sei denn, er deutet seine Rede auch. Das hilft dann mit, die Gemeinde aufzubauen. 6Was wäre, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch komme und in unbekannten Sprachen rede. Was habt ihr davon, wenn ich euch nichts Verständliches vermittle? Das kann eine Vision sein oder eine Erkenntnis, eine prophetische Botschaft oder eine Lehre. 7So ist es ja auch bei den Musikinstrumenten, zum Beispiel bei einer Flöte oder Leier: Nur wenn sich die Töne unterscheiden, kann man die Melodie der Flöte oder Leier erkennen. 8Oder wenn die Trompete kein klares Signal gibt, wer rüstet sich dann zum Kampf? 9Genauso wirkt es, wenn ihr in unbekannten Sprachen redet. Wenn ihr keine verständlichen Worte gebraucht, wie soll man das Gesagte verstehen können? Ihr werdet in den Wind reden! 10Niemand weiß, wie viele Sprachen es auf der Welt gibt. Und kein Volk ist ohne Sprache. 11Wenn ich eine Sprache nicht verstehe, werde ich für den ein Fremder sein, der sie spricht. Und wer sie spricht, ist umgekehrt ein Fremder für mich. 12Das gilt auch für euch. Ihr strebt nach den Gaben des Heiligen Geistes. Dann strebt nach Gaben, die die Gemeinde aufbauen. Davon könnt ihr nicht genug haben.

 

1. Giftpfeilworte

„Mit dieser Hose kannst du doch nicht vor dem Altar stehen!“
„Eine Frau auf der Kanzel? Das geht nicht!“
„Du nimmst die Bibel nicht ernst, sonst würdest du keine Homosexuellen trauen.“
„Du glaubst nicht an Jesus, sonst könntest du nicht mit Muslimen zusammen beten.“

Worte, die ich so oft gehört habe, dass ich sie nicht zählen kann.
Wie Giftpfeile haben sie mich getroffen und treffen mich noch heute.
Und ihre Botschaft ist für mich eindeutig: ich gehöre nicht dazu.
Nicht zum Kreis der Rechtgläubigen. Nicht zu denen, die wissen, was sich gehört.
Und am Ende noch nicht mal zu Jesus.

Genau das soll nicht passieren, sagt Paulus.
In der Gemeinde sollen eure Worte Gemeinde aufbauen, trösten und ermutigen.
Nicht ausgrenzen. Sagt er.
„Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe!

2. Liebe ist der Maßstab

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Die Liebe ist der Maßstab. Auch wenn es um Worte geht.
Auf dem Weg der Liebe wird kein Mensch ausgegrenzt.
Und das buchstabiert Paulus durch.

In Korinth gibt es Christen und Christinnen, die auf ihr inniges Verhältnis zu Gott besonders stolz sind. Sie haben dafür sogar eine eigene Sprache - eine, die nur sie selber und Gott verstehen. Mit Gott auf du und du. 
Das ist okay, aber es hilft den anderen nicht, schreibt Paulus. Im Gegenteil: es schließt die anderen aus, weil sie nicht verstehen, worum es geht. Vielleicht bekommen sie sogar das Gefühl, dass sie noch nicht fest genug glauben oder dass an ihrer Beziehung zu Gott was nicht stimmt. Und das ist lieblos.

3. Verstehen

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Worte sollen verbinden, nicht ausschließen.
Und doch tun sie es. Oft sogar unbeabsichtigt. Auch hier bei uns. Hier in der Kirche.
Bis zur Reformation haben die Pfarrer auf Latein gepredigt. Das Volk verstand sie nicht. Es nahm am Schauspiel der Kleriker teil, aber gehörte nicht wirklich dazu.
Auch die Bibel gab es noch nicht in Deutsch.
Das änderte sich dann. Plötzlich gab es die Muttersprache in der Bibel und auf der Kanzel.
Aber verstanden die Leute wirklich, was gesagt wurde?

Ich fasse mir an meine eigene Nase: Wie oft habe ich viel zu lange Sätze verwendet?
Und Worte, die nur die wirklich Eingeweihten verstehen?
Vor vielen Jahren habe ich ein Gemeindepraktikum in Argentinien gemacht und ich musste auf Spanisch predigen. Das war das Beste, was mir passieren konnte - die beste Übung, von der Gelehrten-Sprache wegzukommen. Denn da konnte ich nicht kompliziert sprechen.
Aber damit es nicht getan. Ich lebe ja auch in meiner Welt, die in vielem anders ist als die meiner Hörer und Hörerinnen. Meine Erfahrungen sind nicht ihre, nicht eure. Viel zu oft denke ich, dass wir dieselbe Sprache haben. Und viel zu oft benutze ich auch Worte, die ausgrenzen, und Sätze, die ihr nicht versteht.

4. Jede*r gehört dazu

Ich hoffe, dass ihr mich jetzt versteht.
Dass ich euch, die ihr mir zuhört, mitgenommen habe. Dass ihr noch dabei seid.
Denn jede und jeder von euch gehört dazu.
Mir liegt an einer Kirche, die niemanden ausgrenzt.
Ich will mit euch eine Kirche gestalten, die den Weg der Liebe geht.
Eine Kirche, die für euch alle ein guter, ein sicherer, ein liebevoller Ort ist.

Ich weiß, dass der Weg noch weit ist.
Immer noch denken viele, dass Kinder nicht zum Abendmahl dürfen, weil sie es angeblich nicht verstehen.
Immer noch gibt es evangelische Kirchen, die Frauen nicht auf die Kanzeln lassen. Ja, dazu hat auch Paulus beigetragen. Er hat seine eigenen Worte nicht ernstgenommen.
Immer noch hören viel zu viele Menschen, dass sie nicht willkommen sind, nur weil sie anders lieben, anders fühlen, anders sind, als die sogenannte Norm. Gerade erst wieder musste ich in einer kirchlichen Zeitschrift lesen, dass sie krank seien oder sündig und pervers leben - auch daran trägt Paulus seinen Anteil. Und ich schäme mich dafür, dass das immer noch passiert.
Ja, und immer noch lassen wir Menschen mit Behinderungen nicht wirklich zu Wort kommen.

5. Willkommen heißen

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Jesus lebt sie, diese Liebe. Geht diesen Weg.
Vor 2000 Jahren hat er Kinder in den Arm genommen, Zachäus vom Baum geholt und sich vor die Frau gestellt, die vom Mob gelyncht werden soll.
Vor wen würde er sich heute stellen?
Vor die Synagoge, vor die Moschee, vor die Beratungsstelle für Abtreibungen vielleicht?
An seinem Tisch sitzen sie alle, die nirgendwo einen Platz bekommen.
Die immer weggejagt werden, die sind willkommen.
Und das gilt auch für mich. Und für euch.
Niemand wird weggeschickt. Jedes verwundete Herz wird umarmt.

6. Mit Worten verbinden

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe.
Geht ihn weiter, ihr Christen und Christinnen.
Mit euren vielen Stimmen und den vielen Weisen zu leben.
Geht den Weg nicht für euch allein, sondern zusammen mit allen, die lieben.
Geht ihn mit den Muslimen und den Jüdinnen, den Atheistinnen und den Frommen.
Die Liebe hört an den Kirchenmauern nicht auf.
Sie gehört hinein in die Welt.
In die Flüchtlingsheime und in das Rathaus.
Ans Krankenbett und ins Nagelstudio.
Sprecht Worte, die verbinden.
Öffnet euer Herz für die, die anders sind als ihr.
Denn das ist der Weg von Jesus. Kein anderer.

7. Willkommensworte

Lasst uns die Giftpfeilworte in Willkommensworte verwandeln:
Auch vor dem Altar darf jede sein, wie sie ist.
Jede soll viele Fragen stellen!
Eine Frau auf der Kanzel? Wunderbar!
Wir nehmen die Liebe Gottes ernst. Darum trauen wir Homosexuell Liebende.
Wir glauben an die Größe Gottes und darum beten wir mit Muslimen zusammen.
Könnten Willkommensworte so klingen?
Worte, die verwundete Herzen umarmen.
Die ermutigen und trösten.
Prophetische Worte der Liebe.
Worte, die ich noch mehr hören will und anderen sagen will.
Denn sie verbinden. Mit Jesus. Euch und mich und die ganze Welt.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Christiane Quincke

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Unsere analoge Gottesdienstsituation ist immer noch von vielen Barrieren (Abstand!) und kurzen Gottesdiensten geprägt. Das Ringen um Zugänglichkeit ist allgegenwärtig. Dies betrifft auch die digitalen Formen, die die Frage nach der Verständlichkeit unserer kirchlichen Sprache oft noch viel direkter aufwerfen. „Glossolalie“ wird in den landeskirchlichen Gemeinden ja nicht gepflegt. Aber das Thema „Verstehbarkeit“ ist geblieben.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Dass Sprache ausgrenzen oder verbinden kann, ist derzeit wieder sehr aktuell (z.B. Debatte um Gendergerechte Sprache). Auch in der evangelischen Kirche wird es debattiert. Mich hat insbesondere der Kontext des Predigttextes dazu motiviert, vom Aspekt der „Liebe“ auszugehen (siehe das 13. Kapitel) und die Ziel von Paulus aufzunehmen, eine inklusive Kirche zu bauen.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Auch ich grenze aus - meistens unbewusst. Es ist herausfordernd, dass meine Welt und die meiner Hörer*innen nicht dieselbe ist. Wie können wir dennoch einander verstehen und dafür sorgen, dass wir - auch sprachlich! - niemanden ausgrenzen? Die Vielstimmigkeit, die Paulus neben dem Aspekt der Verständlichkeit ins Spiel bringt, könnte hier ein Wegweiser sein.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das sorgfältige Lesen und die behutsamen Hinweise meiner Coach Christine Schlund waren für mich sehr hilfreich. Sie ermutigte mich, konsequenter im Fokus zu sein und manche Klischees rauszuwerfen. Zwei weitere Kolleg*innen haben ebenfalls nochmal „drüber geschaut“ und hilfreiche Anregungen gegeben. Ich bin dankbar für diese Möglichkeiten des Predigtcoachings.

Perikope
13.06.2021
14,1-12