Auf dem Weg gen Zion - Predigt zu Hebräer 12,12-18.22-25a von Christoph Römhild
12, 12-18.22-25a

Auf dem Weg gen Zion - Predigt zu Hebräer 12,12-18.22-25a von Christoph Römhild

Auf dem Weg gen Zion

Liebe Gemeinde!
wir befinden uns mitten in der Epiphaniaszeit. „Epiphanie“ bedeutet die Offenbarung Gottes gegenüber den Menschen. Früher konnte dies eine Erscheinung sein wie das Feuer eines Vulkans, in dem man eine Gottheit vermutete.
Epiphanias handelt von der Offenbarung Gottes in Jesus selbst.
An diesen Sonntagen hören wir wundervolle Erzählungen, in denen Jesu Bedeutung entfaltet wird! Weihnachten wird gleichsam entfaltet in diesen Sonntagen und es wird deutlich, warum dieser Mensch Jesus so bedeutsam ist und warum seine Geburt so bedeutsam war.
Seit dem Christfest erscheint uns in ihm das Licht, das die Welt erhellt:
Er wird als zukünftiger König vorgestellt, den König Herodes schon fürchtet.
Er wird durch Johannes den Täufer als Messias vorgestellt, und dann getauft.
Er wird auf der Hochzeit zu Kana, von der wir heute hörten, als Wundermann vorgestellt. Die Erzählung der Verwandlung von Wasser in Wein: Was für eine wunderbare, liebevolle Erzählung!
Das allererste Wunder Jesu, das Johannes berichtet. Und Jesus ist hier nicht sinnenfeindlich, nicht asketisch, sondern ein Mensch, der Feste liebt, vielleicht schon als Gegenbild zu Johannes dem Täufer[2].
Jesus der Fest-Mensch. Jesus der Freudenmeister.

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Diese Hochzeit ist nicht nur der Auftakt zu einer Ehe, sondern auch der Auftakt zu Jesu öffentlicher Wirksamkeit. Es ist Jesu erstes Wunder.
All diese Geschichten sind überhaupt Auftaktgeschichten: Auftakt zu einem neuen Kirchenjahr, Auftakt auch zu einem neuen Kalenderjahr.
Und es ist ein Auftakt voller Freude. Es ist ein Neubeginn, eine neue Lebensphase, für das unbekannte Hochzeitspaar, für Jesus und für Maria. Und ich finde das ermutigend, dass es hier einen Neubeginn gibt. Denn diese Geschichte erzählt nicht von Beharren, sondern von Weichheit. Sie erzählt nicht vom Recht haben, sondern vom „Um-Entscheiden“, vom neu entscheiden, nicht von der Angst, sondern vom Mut. Sie erzählt von innerer Beweglichkeit.

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Und so, in dieser Gestimmtheit der Freude, verstehe ich auch den heutigen Predigttext. Er steht im Hebräerbrief. Der Hebräerbrief stammt von einem unbekannten Verfasser, möglicherweise von Barnabas oder sogar Paulus. Er wendet sich überaus kenntnisreich an jüdische Christen, die sehr mit unserem Alten Testament, der Bibel Jesu, vertraut sind. So argumentiert der Hebräerbrief auch mit kenntnisreichen Zitaten aus dem Alten Testament für den christlichen Glauben. Die Strukturen des Alten Testaments wie Exodus oder Opfer werden auf Jesus übertragen und durch das Neue Testament überboten, so der Hebräerbrief – eine Denkfigur, die wir in geschwisterlicher Verbundenheit zum Judentum heute nicht mehr so sagen würden.

Der Text beginnt mit stärkenden, anspornenden Worten:
Wir sollen unsere Hände und Knie stärken
wir sollen gesund werden
wir sollen der Gnade Gottes vertrauen
Wir sollen als Gemeinde zusammen stehen und füreinander eintreten

Es folgt ein Exkurs zu Esau.
In seiner zweiten Hälfte begründet der Text in wundervollen Worten diese stärkenden Worte mit den Vorzügen, die wir haben, die besondere Nähe zu Gott und die Gnade, die wir durch die Heilstat Jesu erfahren.
Wundervolle aufbauende Worte, wenn man einmal die Negativfolie des jüdischen Glaubens beiseite lässt.
Ich verlese den Predigttext aus dem 12. Kapitel des Hebräerbriefes:
Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie
und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.

Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung,
ohne die niemand den Herrn sehen wird,
und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume;
dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden;
dass nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte.
Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte.

Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte und der mit Feuer brannte, und nicht in Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter
[…]
Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und
zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem,
und zu den vielen tausend Engeln und zu der Versammlung
und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind,
und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten
und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung,
das besser redet als Abels Blut.
Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet.

Gott segne sein Wort, das an uns ergeht.

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Sie sehen, der Text wimmelt so vor kenntnisreichen Anspielungen aus dem Alten Testament:
Da ist die Heiligung, in Verbindung mit der Verheißung, Gott zu sehen, ein Wunsch, den schon Mose und Elia hatten.
Da ist natürlich Esau, der seinen Erstgeburtsrecht und -segen gegen ein Linsengericht tauschte.
Und dann der Gegensatz zwischen dem Mose-Berg Sinai und dem Berg Zion.
Schließlich Jesus selbst, der uns mit seinem Kreuzestod in den Gnadenstand hebt, alttestamentlich ausgedrückt als das Blut der Besprengung, also Christi Blut, das zur Reinigung unserer Herzen dient (10,22).

Liebe Gemeinde,
dieser wundervolle Text ermutigt uns im neuen Jahr, er gibt unseren Händen und unseren Beinen wirklich neue Kraft.
Optimismus und ein neuer, wacher Blick für die Vielfalt der Möglichkeiten. Keine falschen Ängste und verfrühten Befürchtungen, sondern Besonnenheit, Kraft und Zuversicht (nach 2. Timotheus 1,7).
Epiphanias ist ein Lichtfest, in die Finsternis kam ein Licht. In unsere Dunkelheit kommt das Licht Jesu, kommt seine Gnade, an die wir uns halten können. Jesus ist das Licht in der Finsternis:
Jesus geht für uns in die Finsternis hinein, in das Leid und in das Dunkel hinein und in die Verzweiflung (Joh 1,5).
Er kommt ins unsere Dunkelheit. Damit es für uns einfacher wird. Damit die von uns, die im Dunkeln und in der Verzweiflung sind, auch dort nicht mehr alleine sein müssen.
Jesus ist mit ihnen.
Er kennt die Finsternis und das Dunkle und er kennt die Verzweiflung.
Er weiß, wie es sich anfühlt, wenn keiner mehr an einen glaubt.
Alle seine Jünger und Freunde fliehen in die Nacht an Gründonnerstag.
Nicht einer bleibt.
Er wird verraten und verkauft und verleugnet.
Verstanden hat ihn da niemand mehr.
All das bis ans Kreuz nimmt er für uns in Kauf.
Um uns loszukaufen (Offb 5,9 u.ö.).
Um uns das Licht zu bringen.
Um uns freizukaufen durch sein Blut (Heb 12,24).

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Paulus oder der Verfasser des Hebräerbriefes stellt uns ein machtvolles Ziel vor Augen, auf wir als Christen alle zugehen, gemeinsam mit unseren Geschwistern jüdischen Glaubens:
Zion, das himmlische Jerusalem, die kommende Stadt (12,22).
In ihr zu leben, sind wir gemeinsam auserwählt!
Das dürfen wir nie aus den Augen verlieren:
Wir sind die Erstgeborenen!
Wir sind auserwählt in Zion zu leben, unsere Namen stehen im Himmel aufgeschrieben (12,23), wir stehen auf der Gästeliste ganz oben.
Paulus fährt hier alles auf, was er zu bieten hat, das sind keine Nebensächlichkeiten, hier geht es ums Ganze.
Der Berg Zion ist die Stadt des lebendigen Gottes, der uns persönlich zu sich einlädt.
Und wer da alles steht auf dieser Gästeliste!
Viele tausend Engel (12,22), die Seelen der Gerechten (12,23), sie werden mit uns an der Hochzeitsstafel sitzen im himmlischen Jerusalem.
In diese Gemeinschaft gehören wir hinein!
Und Jesus ist da, unser Mittler, unser Fürsprecher, unser Bruder.
So sehr sieht Gott uns an, so sehr liebt er uns, so sehr lädt er uns ein.
Die Zeile aus dem Glaubensbekenntnis: Gemeinschaft der Heiligen – das sind wir.
Das ist ganz wichtig, das nicht zu vergessen: Wir alle werden einen Ehrenplatz haben an dieser Tafel.
Gott will uns die Krone des Lebens geben (Offenbarung 2, 10).
Paulus fährt hier alles auf: Größer und bedeutsamer geht es nicht mehr.
Er stellt es uns ganz klar vor Augen: Gott meint uns. Er ruft uns.

Er lässt nicht mit sich spaßen, das zeigt Esau, der trotz seiner Tränen und Reue keine Chance mehr hatte (12,17). Aber für uns, die wir die Chance ergriffen haben, ist die Fülle da.
Und deswegen, weil so viel an uns hängt, weil Gott alles an uns liegt,
will Paulus uns auch so sehr stärken im ersten Teil des Textes, deswegen ruft er uns zu,
dass wir in der Gemeinde auch einander die Hände und Knie stärken sollen.
Das ist ganz wichtig: Dieser Zusammenhalt in unseren Gemeinden.
Das wir es uns gegenseitig sagen:
Mensch, vergiss es nicht, es geht gen Zion für uns. Gemeinsam.

Das ist der zentrale Punkt: Die Gemeinde ist unsere Weggemeinschaft auf Zion hin.
Der Einzelne kann es nicht erreichen, er würde straucheln (12,13).
Aber als Gemeinde sind wir Leib Christi und einander das strahlende Licht in der Finsternis.
Deswegen sollen wir uns strecken nach ihm hin und gesund werden (12,13) und es uns immer bewusst machen: Auf uns kommt es an!
Wir haben ja Gottes Gnade, das dürfen wir nicht vergessen (12,15). Wir haben den Segen, wir brauchen uns nicht bange machen zu lassen.
Wir gehen gemeinsam als Gemeinde auf diesem Weg, wir helfen einander in Liebe (12,14) und wir heiligen (12,14) uns auf diesem Weg, wir halten uns an Jesus und seine Rettungstat (12,24).
Und wir verlieren das Ziel nicht aus den Augen.
So wie Israel auf dem Weg durch die Wüste in das gelobte Land,
so auch wir auf unserem Weg als Gemeinde.
Wir haben ein klares Ziel vor Augen:
Wir möchten nach Hause, wir gehen gen Zion.

Jesus ist auf diesem Weg immer bei uns. Er hält unseren Weg in seiner Hand.
Wir können darauf vertrauen, dass am Ende des Weges die goldenen Straßen Zions für uns bereitet sind.

Was für eine Vorstellung, wenn ich mir vorstelle, dass unser Leben, unser gemeinsamer Weg, unser Lebensweg, dass dieser Weg sicher in Gottes Hand ruht.
Es ist ein sicherer, ein guter Weg! Denn Gott hält ihn.
Gott führt ihn!

Ja, noch mehr:
Ich bin der Weg, spricht Jesus Christus.

Was für eine Vorstellung,
dass unser Lebensweg,
mit all seinen scheinbar überflüssigen Umwegen,
seinen Abwegen,
seinen dunklen Tälern,
dass dieser unsichere, gebrochene Weg in Jesu Hand liegt, der selber so gebrochen am Kreuze hing. Jesus rettet uns am Kreuz durch sein Blut. Dass wir so gesund werden (12,13) von unserem giftigen Schaden (EG 66,7).

Und so ist es doch: Wie hoffnungsvoll ist es für uns, dass eben dieser gebrochene Leib Jesu die Auferstehung erfährt.

So wie unser Lebensweg, auch der ungeradeste und verworrenste, seine Heilung erfährt, wenn uns jeder Umweg als notwendig und sinnvoll einleuchten wird.
Jesus Christus spricht "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben." (Joh 14, 6).
Wir vertrauen darauf, dass er uns auf unserem Lebensweg begleitet, dass er uns trägt auf diesem Weg gen Zion.

In seinem Namen und im Glauben an ihn und an die Art, wie er lebte, haben wir Geborgenheit und Zuversicht:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Amen

Der offene Himmel und der Friede Gottes
sei mit euch allen!
Amen.

Liedvorschläge:
Epiphaniasabschnitt im Gesangbuch (z.B. EG 66 (Vers 7!), 69, 70) und evtl. zum Jahreswechsel: Jesus soll die Losung sein (EG 62), Von guten Mächten (EG 65) oder „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“ (Text und Melodie: Anne Quigley, deutsche Übertragung Eugen Ecken)[1]