Jesus nahm mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. (Matthäus 17,1-9)
Liebe Leserin, lieber Leser!
Jesus nahm die drei Jünger, die ihm die Vertrautesten waren, und stieg mit ihnen auf einen hohen Berg. Die Menschen, die ständig was von ihnen wollten, ließen sie zurück. Dafür hatten sie nun den Berg mit seinen Steigungen vor sich. Und je länger das geht, das Bergsteigen, desto anstrengender wird es. Man kommt ins Schwitzen, der Atem geht schneller, die Zunge klebt am Gaumen. Zwangsläufig wird man einsilbig, hängt den eigenen Gedanken nach: Was ist eigentlich an Jesus – so mögen die drei Jünger sich gefragt haben –, dass wir unsere Tage mit ihm verbringen? Gewiss, die Menschen hier in Galiläa laufen ihm nach. Aber er ist doch weit davon entfernt, auch die führenden Kreise von sich zu überzeugen. Und dann erst die Römer! Wie will er die denn aus dem Land bekommen? Von einem, der sich nicht wehrt, der dem Schläger auch noch die andere Wange hinhält, lassen die sich mit Sicherheit nicht beeindrucken! Da musst du schon kämpfen und die Zähne zusammenbeißen, wie jetzt an diesem Berg, wo es gilt, die letzte nicht enden wollende Strecke zum Gipfel zu bewältigen.
Wenn sie es geschafft haben, wenn sie oben sind, werden sie etwas Wunderbares erleben.
Bevor wir uns das näher ansehen, möchte ich festhalten: Vor der Begegnung mit dem Außergewöhnlichen müssen Menschen sich aus ihrer gewohnten Umgebung lösen und Anstrengungen dürfen sie dabei nicht scheuen. Gewiss: Glückserfahrungen im Glauben können nicht durch uns „gemacht“ werden. Sie sind reines Geschenk. Doch die Begegnung mit dem Heiligen überfällt uns nicht in den Banalitäten des Lebens.
Wo die Klarheit des Herrn leuchten soll, müssen Menschen hellwach sein wie die Hirten auf dem Feld. Wo der Auferstandene erkannt werden soll, müssen Menschen sich suchend und fragend auf den Weg gemacht haben wie die Jünger von Emmaus oder Maria Magdalena auf dem Weg zum Grab. Die Nachtwache, der Weg, der Berg - immer geht es um Menschen, die sich aufgemacht, das Leben der anderen hinter sich gelassen haben. Zeit und Aufmerksamkeit gehören schon dazu, wenn ich etwas von Gott mitbekommen will. Die Aktion „Sieben Wochen ohne“ wird wieder dazu anregen, auf liebgewordene Gewohnheiten zu verzichten. Damit wir Kopf und Herz freibekommen für das, was Gott uns sagen will.
Oben angekommen – da, wo sie wieder durchatmen konnten und der Blick nicht mehr verstellt war durch das, was noch vor ihnen lag – da sehen sie, wie Jesus sich in eine himmlische Gestalt verwandelt. Er, der eben noch neben ihnen gekeucht und geschwitzt hat, erscheint in blendendem Licht. Mit einem Schlage gibt es keinen Zweifel mehr: Dieser Mensch ist ganz und gar durchdrungen vom Glanz Gottes. In ihm kommt der Himmel auf die Erde. Und im wahrsten Sinne des Wortes: Alles ist klar. Und das gilt nicht nur für diesen Augenblick und nicht nur für die drei Männer. Das gilt für alle Zeit und die ganze Welt. Das wird deutlich an den beiden anderen Gestalten, die ebenfalls erschienen sind: Mose und Elia.
In der Gestalt des Mose wird die heilige Vergangenheit des Gottesvolkes sichtbar. Mose steht für die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten, für den Zug durchs Rote Meer, für die Bewahrung in der Wüste und für den Bund am Sinai mit der großen Lebens- und Glaubensordnung, in der sich Israel bis heute als Gottes Volk erlebt. Und neben Mose Elia, jener Prophet, der der Abgötterei in Israel ein Ende gemacht hat. Und der deshalb wieder erwartet wird am Ende der Tage, wenn Gott kommt, um nicht nur der Abgötterei, sondern ebenso der Ungerechtigkeit und dem Leiden auf der Welt ein Ende zu machen. Mose und Elia stehen für die großen Heilstaten Gottes, die von alters her dafür stehen, dass am Ende alles gut wird. Sie reden mit dem verklärten Jesus. Er ist mit einbezogen in diese Heilsgeschichte, durchstrahlt sie und bringt die von Gott geprägte Vergangenheit und Zukunft ganz in die Gegenwart.
Hier zeigt sich einer der Momente, die von der Nähe Gottes so erfüllt sind, dass es keinen Zweifel mehr gibt. Woher ich komme, wohin ich gehe, warum und wozu ich da bin: alles ist klar. Weil er da ist voller Licht und Wärme und ich in ihm völlig aufgehe: Alles ist gut, alles stimmt. Momente, von denen unser Glaube ausgeht, durch die er bestätigt und gestärkt wird. Auf der Höhe sein in meinem Glauben, high sein, ganz im Reinen mit Gott und der Welt – Gott sei Dank, das gibt es. Und ich bin sicher, jeder von uns hat von solchen Momenten auch schon etwas gespürt. Bei mir spielt die Musik dabei eine große Rolle. Da kann Freude und Jubel mich überschwemmen. Da fange ich im Inneren mit an zu singen und einzustimmen in das Loben und Danken.
Ein Jammer nur, dass wir solche Momente nicht festhalten und nicht wiederholen können. Wie gut ist da der Petrus zu verstehen mit seinem Vorschlag, Hütten zu bauen für Jesus und Mose und Elia. Damit sie nicht wieder gehen, sondern sich niederlassen und bleiben.
Denn „alle Lust“ – so heißt es bei Nietzsche – „will tiefe, tiefe Ewigkeit.“
„Doch, als er noch redete, überschattete sie eine lichte Wolke.“ Noch ist sie hell, die Wolke. Das Erleben Gottes wird nicht mit einem Schlag beendet. Doch in dem Augenblick, in dem wir die Gegenwart verlängern möchten, fällt der Schatten der Vergänglichkeit auf sie. Und nun kommt etwas, was die die Jünger im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen hat: Die Wolke der Vergänglichkeit, die Wolke, die das unmittelbare Erleben Gottes überschattet und beendet – sie trennt nicht von Gott. Aus ihr ist eine Stimme zu hören, die sagt: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Den sollt ihr hören.“ In dem Augenblick, in dem das religiöse Hochgefühl weicht und Gott uns wieder entschwindet, da ist von seinem Wohlgefallen zu hören. Ihm gefällt es, in den Zeiten seiner Abwesenheit – und die sind ja die Regel – in Jesus den Sohn, den Menschen zu haben, der ihn unter uns vertritt.
Also: Gott will seine Gegenwart verhüllen, will sich der Nachprüfbarkeit, der Beweisbarkeit entziehen, will, dass die Menschen über ihn rätseln bis dahin, dass sie ihn für nichtexistent erklären und nur noch ein mitleidiges Lächeln haben für die, die "noch" an ihn glauben. Gott will das. Daran wird sich vor dem Jüngsten Tage nichts ändern. Das ist in der Tat erschreckend und kann Menschen, die an ihm hängen, die sich verzehren vor Sehnsucht nach ihm, schon zu Boden werfen.
„Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: 'Steht auf und fürchtet euch nicht!'“ Denn Gott will, dass wir einen haben, der uns zu aufrechtem Gang verhilft. Einen, der mit uns hinabsteigt in die Niederungen eines Lebens, in dem von Gott nichts zu spüren ist. Der vom Berg herabsteigt, um sich den Menschen auszusetzen. Menschen, die sein Angesicht, das eben noch leuchtete wie die Sonne, bespucken. Menschen, die ihm die Kleider, die eben noch weiß waren wie das Licht, vom Leibe reißen und darum würfeln.
Von ihm war nichts mehr zu erwarten. Doch wie die Jünger nach Ostern haben wir seine Worte. Und die haben den Tod und all die Zeiten der Gottesferne überdauert.
Gut, dass es die Gipfelstunden des Glaubens gibt. Sie machen uns gewiss: Beim Hören wird es nicht bleiben. Die Zeit wird kommen, wenn Gott selbst seine Hütte unter uns Menschen hat und wir ihn stets vor Augen haben. Bis dahin wird nichts von dem, was wir vor Augen haben, bleiben, wie es ist. Die Worte Jesu aber, Worte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, Worte des Lebens – sie bleiben bis in Ewigkeit.
Amen
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe Menschen vor Augen, die im Internet auf diese Predigt gestoßen sind und sie lesen möchten. Unter ihnen sind vielleicht Kolleginnen und Kollegen, die auf der Suche nach Impulsen für ihre eigne Predigt sind.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Tatsache, dass die Jünger erst nach der Verklärung Jesu von seiner Gottessohnschaft zu hören bekommen.
Seine Nähe zu Gott wird dann wichtig, wenn die Gotteserfahrung selbst im Abklingen bzw. gar nicht da ist.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Jesus den am Boden Liegenden aufhilft und sie anregt, sich furchtlos ihrem Alltag zu stellen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Eine bessere Lesbarkeit, weil komplizierte Sätze aufgelöst wurden und der Gedankengang stringenter hervortritt.