Aufklärung - Predigt zu 2. Korinther 4, 3-6 von Wilhelm v. der Recke
4,3-6

Aufklärung

I.         Aufklärung. – Kinder werden darüber aufgeklärt, wie es sich mit ihrer Sexualität verhält. Verbraucher lassen sich in der Apotheke über Nebenwirkungen von Medikamenten aufklären. Ein großer Bestechungsskandal wird aufgeklärt. Eine ganze Epoche heißt die Zeit der Aufklärung: den Menschen wird Mut gemacht, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen und nicht blind irgendwelchen Autoritäten zu folgen.

Es werde Licht! heißt es am Anfang der Bibel in der Schöpfungsgeschichte. Gott erhellt die Finsternis und bringt Ordnung in das Chaos, das große Tohuwabohu. Er klärt auf. Und seitdem tut er das jeden Morgen neu. Die güldene Sonne bringt Leben und Wonne, die Finsternis weicht, heißt es in einem Morgenlied (EG 444).

Gott bringt Licht in die Welt: Im Anfang war das Wort … und Gott war das Wort, – so beginnt das Johannes–Evangelium. Und dann heißt es weiter: In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und schließlich: Aber die Finsternis hat’s nicht begriffen. Die Menschen begreifen nicht, dass Jesus das Licht der Welt ist.

Von der Herrlichkeit Gottes und dem Licht, das in unserem dunklen Herzen aufgeht, spricht Paulus im 2. Korintherbrief Kapitel 4: [Der Predigttext wird vorgelesen]

II.        Es geht um Aufklärung, um die richtige Erleuchtung. – Das ist ein urmenschliches Verlangen. Schon als kleine Kinder wollen wir Licht in die Welt bringen. Wir wollen all die Dinge um uns herum begreifen. Die Blumen und den tanzenden Schmetterling, die Holzklötzchen und Gummibälle, die brennende Flamme und das fließende Wasser. Mit offenen Augen verfolgen wir, was unsere Mitmenschen tun. Wir lernen das immer besser verstehen und damit auch die komplizierten Regeln des Zusammenlebens. Wir wollen die Gesetze der Natur erkennen – alles, das Ganze. Was die Welt / im Innersten zusammenhält (Goethe). Den Anfang und das Ziel. Das Leben in seiner Fülle und Schönheit. Aber auch, warum es so viel Leid und Ungerechtigkeit und schließlich den Tod gibt. Wer bringt Licht in das Ganze? Wer hat den Schlüssel dazu, wer hilft weiter?

Unser Wissen und Verstand / ist mit Finsternis verhüllet, heißt es in einem Lied (EG 161,2). Wir suchen Erleuchtung und machen die Erfahrung, dass wir aus dem Zwielicht nicht herauskommen. Unsere Kräfte, das Durchsetzungsvermögen, unser Begreifen und Verstehen sind begrenzt. Wir leiden darunter – ja, es kränkt uns immer wieder neu. Selbst unser Wollen und Vollbringen ist beschränkt. In uns gibt es Sperren und Gegenkräfte, so dass wir immer wieder über die eigenen Füße stolpern. Paulus schreibt in einem anderen Brief: Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Und später: Ich armer Mensch, wer kann mich von mir selber erlösen? (Röm. 7, 19; 24) Im Predigttext nun schreibt er, dass der Gott dieser Welt unsere Sinne verblendet habe. Luther nennt ihn den Fürst dieser Welt, also den Teufel. Wer auch immer er sein mag, es gibt das nicht erklärbare Böse, außerhalb und innerhalb von uns selbst.

            So kommt es, dass uns auch das Evangelium häufig verhüllt ist: Wir schlagen die Bibel auf und lesen nichts als alte, manchmal abschreckende Geschichten, mit denen wir wenig anfangen können. Warum soll gerade das die frohe Botschaft sein, die Licht in unser Leben bringt? Es macht uns ratlos und wir reagieren überheblich. Wir brauchen die richtige Erleuchtung, um das Evangelium zu verstehen. Aber das Licht kommt nicht aus unserem Inneren, da sieht es finster aus. Es kommt von außen. Denn es ist kein irdisches, sondern ein göttliches Licht. Im Neuen Testament heißt dieses Licht: der Heilige Geist.

III.      Das Thema des Evangeliums ist Jesus Christus – genauer seine Herrlichkeit. Wie er die Welt verändert hat – so nachhaltig, dass auch wir davon verändert werden. Doch woran erkennen wir das – wir Menschen des 21. Jahrhunderts? Von uns aus können wir das nicht. Wir sehen in Jesus nur einen Menschen. Sicher einen außergewöhnlichen, der viel bewirkt hat und dessen Spuren bis heute nicht zu übersehen sind. Aber eben nur einen Menschen, von dem wir nicht allzu viel wissen. Und das, was wir wissen, klingt manchmal widersprüchlich. Man kann ihm alles Mögliche andichten. Wenn etwa sein Verhältnis zu Maria Magdalena mit einem Augenzwinkern ausgemalt wird. Oder wenn er als weltfremder Idealist oder als gescheiterter jüdischer Patriot geschildert wird. Bei anderen schlägt die Phantasie ins Gegenteil um, und aus Jesus wird ein Übermensch gemacht, eine märchenhafte Gestalt, ein Magier, ein Guru.

Ohne die Aufklärung durch den Heiligen Geist verstehen wir nicht, wer Jesus in Wirklichkeit ist. Einerseits ist er das im Stall zur Welt gekommene Kind armer Leute. – Andererseits ist er Gottes Kind: Nicht nur irgendein Mensch, sondern  d e r  neue Mensch; das Ebenbild Gottes; der Mensch wie ihn Gott eigentlich gedacht hat.

Einerseits ist er ein schlichter Wanderprediger – wie viele andere damals. Er zieht mit seinen Jüngern herum, er lehrt und betet, arbeitet und ruht, isst und trinkt, lacht und weint. Andererseits redet er mit einer solchen Überzeugungskraft, solcher Autorität und Klarheit, dass die Frauen und Männer in seiner Umgebung Gottes eigene Stimme zu hören meinen. Er handelt, hilft und heilt in einer Weise, dass vielen, die dabei sind, die Augen aufgehen: Sie erkennen, Gott selbst ist hier am Werk.

Einerseits stirbt Jesus so erbärmlich wie ein armer Mensch nur sterben kann: Von seinen Feinden übel zugerichtet und verspottet; von den eigenen Freunden im Stich gelassen; selbst von Gott offensichtlich aufgegeben. Andererseits spüren schon einige von denen, die bei seiner Kreuzigung dabei sind, dass hier mehr im Spiel ist. Selbst der heidnische Hauptmann bekennt erschüttert: Wahrhaftig, dieser ist Gottes Sohn! Am Ostertag hören die Jünger von den Frauen, dass das Grab Jesu leer ist, einige von ihnen haben eine Begegnung mit ihm. Fassungslos erkennen sie: Diesem kann selbst der Tod nichts anhaben. Er ist stärker. Er ist unsterblich. Das verändert für sie alles. Schon in diesem Leben, und darüber hinaus.

IV.      Einerseits, andererseits. Ganz Mensch –eine armselige Gestalt – und ganz Gott. In dem, was Jesus gesagt und getan hat und was ihm geschehen ist, hat sich Gott gezeigt. Aber dieses Andererseits ist uns nicht von uns aus zugänglich. Dafür müssen uns die Augen geöffnet werden, die Augen des Glaubens. Dafür brauchen wir die richtige Erleuchtung. Darüber kann uns nur Gott aufklären, und er tut es durch seinen Heiligen Geist. Sein Licht erhellt unser Herz.

            Dieser einzigartige Mensch ist wie ein QR-Code. Gottes Geist kann ihn uns aufschlüsseln. Und plötzlich sehen wir Jesus mit anderen Augen. Wir sehen in ihm den Abglanz Gottes: Der ferne, unsichtbare Gott, der unser Wissen und Verstehen so unendlich übersteigt, bekommt mit einem Male Konturen, eine Gestalt, ein Gesicht. In dem, was Jesus sagt und tut, wird die Güte und Gerechtigkeit, die Größe und Herrlichkeit Gottes erkennbar.

V.        Ein Wunder. Ein immer neues Wunder, das sich jeden Tag überall auf der Welt ereignet. Dort wo zwei oder drei oder manchmal auch tausende in Jesu Namen zusammen sind. Dort wo Christen das Herz übergeht, wenn sie von Jesus reden, und andere Menschen sich davon ergreifen lassen. Dort wo es ihm seine Nachfolger nachmachen und sich den Ärmsten der Armen zuwenden; wo sie um seinetwillen bereit sind, selbst Unrecht zu erleiden.

            Das heißt nicht, dass sie perfekt sind; dass wir perfekt sein müssten. Wer ist das schon? Das wäre übermenschlich, ja unmenschlich. Paulus schreibt offen davon, dass er kein großer Redner sei und oft keine gute Figur mache. Und von den ersten Aposteln wissen wir, was für schwache und unzuverlässige Mitarbeiter sie manchmal für Jesus waren. Nein, keiner von uns kann und muss perfekt sein: kein Star auf der Kanzel und kein Heiliger im Leben. Aber glaubwürdig sollen wir sein, gerade dann, wenn wir schwach sind und Schuld auf uns laden.

            Wir dürfen anderen Menschen nicht den Blick auf Jesus verstellen. Mehr noch – wir sollen ihren Blick auf Jesus lenken. Wir sollen das Licht, das von ihm auf uns fällt, weiterleiten. Wie Sonnenkollektoren, die Licht und Wärme nicht nur für sich selber sammeln, sondern für andere. Er hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns die Erleuchtung entstünde, schreibt Paulus. Wir werden also Beleuchter. Unseren Mitmenschen sollen mit unserer Hilfe die Augen aufgehen: Sie können im Geschick des armen Menschen Jesus die Güte und Gerechtigkeit Gottes erkennen, seine überwältigende Herrlichkeit. – Darüber werden sie froh und danken und loben Gott.

Perikope