Aus Abend und Morgen ein neuer Tag - Predigt zu 1. Petrus 1,3-9 von Martin Schmid
1,3-9

Aus Abend und Morgen ein neuer Tag - Predigt zu 1. Petrus 1,3-9 von Martin Schmid

Aus Abend und Morgen ein neuer Tag

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit. Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus. Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit

Liebe Gemeinde!

Fast überwältigt uns dieser Text. Was für eine Fülle. Was für große Worte. Es hört sich an, wie wenn sich Musiker vor einem Konzert einspielen. Einzelne Stimmen treten kurz heraus, einzelne Motive klingen an: lebendige Hoffnung, erprobter Glaube, Freude und Seligkeit, die Erinnerung an die Auferstehung Christi, die Erwartung einer erfreulichen Zukunft .. Vielleicht kann man diese Vielfalt auch vergleichen mit dem Zusammenklingen von Vogelstimmen am frühen Morgen. Denn es liegt über dieser ganzen Vielstimmigkeit eine Morgenstimmung, eine freudige Erwartung.

Was man freilich daneben nicht übersehen darf: durch den Jubel hindurch zieht sich eine dunkle Spur von Schmerzen, Angst und Verlassenheit. Sie wird begleitet von den hellen Tönen. Aber sie wird von ihnen nicht verdeckt. Am Sonntag nach Ostern liegt noch ein Jubel in der Luft. Aber auch am Sonntag nach Ostern ist die Luft noch geschwängert von dem, was Menschen belastet.

(Wiedergeboren)
Wenn wir uns zwischen den Freudentönen hier und den dunklen Anklängen dort nun selber einen Platz suchen, dann wird der vielleicht weder ganz auf der einen noch ganz auf der anderen Seite sein, sondern irgendwo dazwischen. Wir werden deshalb den ersten Petrusbrief in seinem Anliegen verstehen können. Denn er wendet sich an Menschen  in diesem Schwebezustand zwischen Nacht und Tag, zwischen Hangen und Bangen. Bei näherem Zusehen entdecken wir drei verschiedene Bilder, welche diesen Zustand beschreiben.

Da ist zuerst der Ausdruck „wiedergeboren“. Das lässt uns an Menschen denken, die Schweres hinter sich gebracht haben und denen nun zumute ist, als hätten sie das Licht der Welt ganz neu erblickt. Bei manchen wird der Ausdruck aber auch die Erinnerung wecken an das mühe- und beschwerdevolle Ereignis einer Geburt, das sich so unerträglich hinziehen kann. Es könnte diese Zwangslage, wo es nicht weitergeht und wo die Nacht nicht enden will, womöglich einen ganzen Lebensabschnitt ausmachen oder sogar einen Abschnitt in der Geschichte unserer Kirche.

Auch lesen wir weiter von Traurigkeit und Anfechtungen, die sich anfühlen, wie wenn Gold durchs Feuer ausgeschmolzen wird. Dann muss das etwas sein, was dauert und was schmerzt. „Traurigkeit“ ist dafür eigentlich ein schwacher Ausdruck, und auch das Wort „Anfechtung“ lässt uns kaum mehr so recht nachfühlen, was Menschen in der Gluthitze ihres Elends manchmal mitmachen müssen. Es gibt Zeiten, wo einen das Leben foltert.

Es findet sich schließlich ein dritter Ausdruck für jenen Zwischenzustand:

„Ihn, Jesus Christus, habt ihr nicht gesehen.“ Es ist damit mehr gesagt, als dass die Angesprochenen die Zeit des irdischen Jesus nicht miterlebt haben. Es könnte auch bedeuten, dass sie Jesus Christus bisweilen vermisst haben. Vielleicht ist es immer noch so. Gerade in dem, was tagtäglich mit ihnen geschieht, könnte ihnen schmerzlich bewusst werden, dass sie Jesus Christus nicht sehen. Und das ist ein Eindruck, der auch uns nur allzu bekannt ist: Dass Jesus Christus nicht da ist, wo wir ihn doch nötig brauchen könnten. Dass sich ein Gefühl der Verlassenheit auf das Häuflein seiner Freunde legt.

(Gelobt sei Gott)

Aber dann ändert sich etwas. In der ersten Morgendämmerung schlagen welche die Augen auf. Die in der Gluthitze hatten ausharren müssen, fühlen sich von einem Wind umfächelt, der ihnen wohltut. Und die von Verlassenheitsängsten geplagt worden waren, hören etwas, das sie anspricht. Das kommt alles von dem Wort, das wie ein Seufzer der Erleichterung klingt und wie ein dankbares Stoßgebet und wie eine große Ermutigung: „Gelobt sei Gott“. Es ist der Vogelruf, mit dem nach einer langen Nacht der Morgen beginnt.  Es ist die Stimme, die das Schweigen beendet, das um die Verlassenen war. Mit „Gelobt sei Gott“ schlägt die Hoffnung die Augen auf. Das „Gelobt sei Gott“ hat die Hoffnung zur Welt gebracht. In dem Zwischenraum zwischen Hangen und Bangen, zwischen Nacht und Tag steht nun dieses „Gelobt sei Gott“. Aber wo kommt es auf einmal her?

Es hatte keinen Platz mehr in der Welt, als Jesus starb. Wer wollte Gott loben,  wenn sein Sohn gekreuzigt wird? Und wer wollte Gott noch loben, wenn seine Kinder gefoltert werden? Wenn die, die auch seine Kinder sind, im Mittelmeer ertrinken? Wenn andere, die ihm nicht weniger lieb sein können, im Schlamm von Idomeni versinken? Wenn Unschuldige  von Bomben zerrissen werden? Es gibt keinen Raum mehr für ein „Gelobt sei Gott“. Doch. Wir wagen es kaum zu sagen und sagen es doch: Es fand sich ein Raum. Im Sterben Jesu starb das Gotteslob nicht. Im Sterben Jesu erwachte es neu. Der Tod Jesu ist das Samenkorn für ein neues „Gelobt sei Gott“. Aus dem Tod Jesu heraus kam es zur Welt und wurde es wiedergeboren, quasi modo geniti, wie ein neugeborenes Kindlein. Ebenso will es nun auch bei uns geboren werden und die Augen aufschlagen und seinen Hunger nach unserer Zuwendung anmelden. Bei uns will das „Gelobt sei Gott“ erste und dann immer weitere Schritte tun.

Wie dieses „Gelobt sei Gott“ seinen Weg zu uns nimmt, hat Johann Sebastian Bach zum Beispiel in seiner Johannespassion gezeigt. Dies ist ein Werk, welches das Karfreitagsgeschehen ausdeutet. Es  beginnt, ehe die Stimme eines Sängers zu hören ist, mit einer Einleitung durch die Instrumente. Da laufen auf den Zuhörer musikalische Bewegungen zu, die Wellen gleichen. Sie steigern sich. Zuletzt setzt der Chor ein mit dem Lobgesang „Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist.“ Der Tod Jesu am Kreuz hat Wellen ausgelöst, Schockwellen. Das Neue Testament spricht von einem Erdbeben. Und wie die Wellen vom Urknall der Schöpfung wohl noch immer durch das Weltall laufen, so laufen auch die Energiewellen des Bebens von Golgatha noch immer durch die Welt. Sie können uns erschüttern und ermutigen. Wo sie einen Menschen erreichen, da reißen sie ihn heraus aus dem Gewohnten und Vertrauten, aber sie beleben ihn auch und lassen ihn Hoffnung schöpfen. Das „Gelobt sei Gott“ ändert danach gewissermaßen die Richtung. Erst will es bei uns ankommen – der erste Petrusbrief nennt das „Gottes Energie durch den Glauben bewahren“ - , dann will es von uns ausgehen. Mit „Gelobt sei Gott“ können wir den Raum sondieren, den Gott uns geschenkt hat. So weit, wie wir sagen können „Gelobt sei Gott“, können wir uns hinauswagen ins Unbekannte. Manche haben in einem Krankenzimmer mit „Gelobt sei Gott“ den Raum ausgemessen, der ihnen geblieben ist. Manche haben sich mit „Gelobt sei Gott“ in Einöden und Wüsten gewagt, auch in Einöden der Menschlichkeit, wo keiner sich mehr um den andern kümmern wollte. Und sie haben erfahren, dass „Gelobt sei Gott“ zu den Worten gehören, die nicht leer zurückkommen. Weil der Vater Jesu Christi  ein Gott ist, dessen Gunst darin besteht, dass er uns etwas gönnt. Er gönnt uns nicht zuletzt einen Raum, in dem wir leben können, sinnvoll, dankbar und hoffnungsvoll.

(Die lebendige Hoffnung)

Wo Menschen sich ansprechen lassen von dem Ruf „Gelobt sei Gott“, möchte sich somit wiederholen, was die Jünger Jesu gleich nach Ostern erlebt hatten. Eingeschnürt in ihre Angst waren sie hinter verschlossenen Fenstern und verriegelten Türen gesessen, als Jesus zu ihnen hereinkam. Er brachte den Frieden, er öffnete die Türen und er sandte sie aus. Immer hat Jesus seine Jünger so ausgesandt: ohne Geld und Taschen, mit nur einem Rock, ohne Schuhe und Stöcke. Das heißt aber umgekehrt, dass er sie immer ausgesandt hat mit dieser dreifachen Hoffnung: dass sie bekommen werden, was sie brauchen, dass sie den Widrigkeiten werden trotzen können und dass sie ohne Stützen und Krücken auskommen.

Das Wort, das lange nach Ostern nun im Namen Jesu Christi auch noch uns heutigen Menschen die Tür aufmacht, gibt uns ebenso eine dreifache Ermutigung mit. Es ist dies ein hoffnungsvolles „Ja“ und ein hoffnungsvolles „Trotzdem“ und ein hoffnungsvolles „Nein“.

Die „lebendige Hoffnung“, von welcher der erste Petrusbrief spricht, ist eine bejahende Hoffnung. Wie manche Leute in jeder Suppe ein Haar finden, findet diese Hoffnung umgekehrt in jeder Lage etwas, was glänzt wie Gold und was die geschenkte Zeit kostbar macht. Die nachösterliche Morgenstund hat Gold im Mund. Dazu braucht es bei denen, die sich davon aufwecken lassen, eine gewisse Goldsucher-Mentalität. Denn wenn es so ist, wie der Apostel Paulus gesagt hat, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, dann braucht es Menschen, die dazu selbst auch Ja sagen und dieses Gottesgeschenk annehmen. Vielleicht müssen wir dann unsere Einstellung ändern; Freude und Glückseligkeit müssen von hoffenden Menschen immer wieder herausgewaschen werden aus dem Lebenssand.

Die „lebendige Hoffnung“  ist zugleich eine trotzige Hoffnung. Osterlieder sind Trotzlieder: „Nun kann kein Feind uns schaden mehr, ob er gleich murrt, ist’s ohn Gefahr!“ Oder „Sein Raum der Tod musst geben her, das Leben siegt und ward ihm Herr.“ Und natürlich „Trotz dem alten Drachen, Trotz dem Todesrachen, Trotz der Furcht dazu!“

Die Trotzlieder, die man nach Ostern singt,  sind aber, genau besehen, immer mindestens zweistimmig. Sie geben dem Schmerz noch Raum. Sie setzen ihm jedoch einen Lebensmut entgegen, der auch den schwierigen Zeiten noch einen Sinn abtrotzt. So entsteht eine doppelte Linie, eine Schmerzlinie und eine Trotzlinie. - Die trotzige Hoffnung lässt sich dabei berühren von Jesus Christus. Sie glaubt an Jesus Christus und setzt darauf, dass er nicht nur für sich den Tod überwunden hat, sondern auch für uns.

Die „lebendige Hoffnung“  kennt schließlich nicht nur ihren Glauben, sondern auch ihren Unglauben. Sie ist eine Hoffnung ohne Stock, ohne Krücken, ohne falsche Stützen. Der Vertröstung glaubt sie nicht. Der Verbrämung traut sie nicht. Sie möchte sich nicht darauf stützen, dass schon alles irgendwie gut gehen wird. Sie sagt aber auch ein „Nein“ zu dem um sich greifenden Irrglauben, man könne sich selber retten, ohne den andern zu helfen. Diese Auffassung ist aus der Angst geboren. Und von der Angst geleitet sind auch die, welche sich so stark geben, dass sie Schutzsuchenden mit einer Drohgebärde entgegen treten. An die Parole „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ glaubt die lebendige Hoffnung nicht.

Die Schöpfungsgeschichte der Bibel zählt die Schöpfungswerke Gottes nach Tagen; aus Abend und Morgen wird immer wieder ein neuer Tag. Und aus Abend und Morgen entsteht bis heute immer wieder eine neue Hoffnung. Sie steigt hinaus über den Abend und hofft hinaus über die Nacht und freut sich, wenn es hell wird. Doch bleibt ihr Lied zweistimmig, mit einer unteren Linie und einer oberen. Darin klingt beides nach, Karfreitag und Ostern. Amen.