Bäume, die dem Tsunami trotzen – Predigt zu Epheser 4, 11- 16 von Ulrich Kappes
4,11-16

Vor dem Verlesen des Predigttextes möchte ich zwei Bemerkungen voraus schicken.

Einmal: So schwer verständlich der Text beim Hören auch sein mag, so intensiv sind zwei Bildworte in ihm, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollten: das Bild des Leibes für die Kirche und das Bild vom Wind, der Wogen hervorbringt, die alles vor sich her treiben. Vielleicht hören Sie beides beim Vorlesen schon heraus.

Zum anderen: Der Epheserbrief stammt nach Ansicht der meisten Bibelwissenschaftler nicht von dem Apostel Paulus. Er ist „nachpaulinisch“. 1Wenn wir also gleich hören werden, dass Christus in seiner Gemeinde Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer einsetzt, so spannt der Verfasser den Bogen von der Entstehung der Kirche bis in seine Gegenwart hinein. In seiner Gegenwart gab es nur noch „Evangelisten, Hirten, Lehrer“. Wie ist das zu begründen? In einem sehr späten Brief des Neuen Testamentes, im 2. Timotheusbrief (4,5), heißt es Timotheus gegenüber: „Verrichte das Werk des „Evangelisten“. Die Ehrentitel „Apostel“ und „Propheten“ waren nur den Augenzeugen Jesu und Paulus vorbehalten.2

 

Epheser 4, 11–16

Und er hat einige als Apostel gesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erneuert werden, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von einem jedem Wind der Lehre bewegen und umher treiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen. Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am anderen hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, dass der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe.

Ein Schlüsselwort des Briefabschnittes ist das Wort, das gleich am Anfang steht. Luther hat es mit „zurüsten“ übersetzt: „Und er – Christus - hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche zu Propheten, etliche zu Evangelisten, etliche zu Hirten und Lehrern, dass die Heiligen zugerüstet würden …“ Greift man zum Wörterbuch, so gibt es hier für das griechische Wort mehrere Übersetzungen. An Stelle von„zurüsten“ ist als Übersetzung „würdig machen“, „einen Menschen zur Würde erziehen“, „ihn lehren, würdig sein Schicksal zu tragen“3 möglich. Die Apostel und Propheten der Urgemeinde sowie die Evangelisten, Hirten und Lehrer der damaligen Gegenwart sollten Christen mit Würde ausstatten. Es geht, so das Thema des zweiten Pfingsttages, um uns und die Kirche, die wir gemeinsam in dieser unserer Welt vertreten. An diesem Pfingsttag ist die Rede von dem einzelnen Christen als Teil des Ganzen, das die Kirche ist.

Als erstes trage ich einige Gedanken zu dem Thema „zurüsten“, einen Menschen anleiten, „würdig“ zu leben vor.

„Evangelisten, Hirten und Lehrer“. Die Benennungen haben sich in unserer Zeit gewandelt. Wir sprechen heute von den Pfarrerinnen und den Pfarrern, den Predigerinnen und den Predigern. Christus, so die feste Überzeugung des Epheserbriefautors, beruft immer von neuem Menschen zur Zurüstung seiner Gemeinde. Die Voraussetzung für eine Zurüstung der Gemeinde war nicht die Ordination im heutigen Sinn, sondern die einfache Handauflegung. Uns allen wurde zur Taufe und Konfirmation die segnende Hand aufgelegt. Darum kann eine jede und ein jeder von uns einen anderen „zurüsten“, ihm helfen und raten, wie er sein Leben in Würde trägt.

Der Epheserbrief betont, dass es in der Kirche kein anderes Haupt als Christus gibt. Versuche ich die Konsequenz aus diesen Worten zu ziehen, so gilt, dass Zurüstung unter einer Art Autoritätsvorbehalt steht. Christus ist das Haupt der Kirche, nicht ein Mensch. Das bedeutet, dass keiner den anderen „von oben herab“ zurüsten kann. Christus ist unsere Autorität, unter die wir uns beugen, nie aber ein Mensch.

Wenn wir zugerüstet werden und diese Zurüstung etwas bewirkt, so sollten wir gerade am Pfingstfest daran denken, dass sie  „im Geist“ geschieht. Der Verfasser des 1. Timotheusbriefes beschreibt aus seiner Sicht, was dieser Geist an uns verrichtet. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim 1,7) Die Tugend, die in uns zum Leben erweckt wird, ist die Besonnenheit. Gottes Geist und unsere Besonnenheit gehören zusammen. Gott will nicht, dass es bei einer Zurüstung  nach dem Prinzip: „Friss Vogel oder stirb!“ geht. Der Gottesgeist leitet uns vielmehr zu einer prüfenden Besonnenheit an. Was der Besonnenheit und Vernunft zuwiderläuft geht, kann nicht mit dem Geist Gottes zusammengehen.

Der Epheserbriefverfasser warnt davor, dass wir uns „von jedem Wind einer Lehre bewegen und umtreiben lassen“. – Das ist der zweite Teil der Predigt.

Ich möchte das in einer kleinen Parabel erläutern.

Stellen wir uns einen Schwimmer vor. Das Schwimmen gehört zu seiner täglichen Arbeit. Der See, in dem er schwimmt, liegt an Berghängen, von denen her unberechnet Fallwinde herunter kommen. Sie treffen aus verschiedenen Richtungen auf den See, lassen hohe Wellen entstehen und werfen den Schwimmer aus der Bahn. Sie haben die Kraft eines lokalen Szunamis.

Der Schwimmer kennt das, deshalb hat er sich Baumstämme geholt, sie angespitzt und in den Treibsand des Sees gerammt. Das macht er Zeit seines Lebens. Warum macht er das? Kommt ein Wind auf und treibt ihn mit den Wasserwogen hin und her, dass er sich zu verlieren droht, so versucht er sich mit aller Macht an so einen Baumstamm heranzuarbeiten. Dort macht er sich fest und übersteht den Wind und seine gefährlichen Wellen. Ich verstehe die Parabel so: Der Mann arbeitet unablässig daran,  sich Halt und Hilfe zu schaffen. Die Baumstämme und das Einbringen der Baumstämme stehen für die Zurüstung durch die Bibel. Die Schrift täglich lesen, sie hineinzutragen in unser Leben, bedeutet Halt zu finden oder einfach zu wissen, wo es Halt gibt. Es gibt den Halt nur hier und nur so. Das Zugerüstet-Werden ist wie das Erlernen einer Sprache. Wer die wichtigen Vokabeln nicht immer erneut wiederholt, wird die Sprache nicht erlernen.

Stelle ich mit diesen Worten ein Ideal vor unsere Augen, das wir nicht erfüllen können? Wo ist die Zeit dafür in dem umfangreichen Aufgabenbereich, der uns täglich in Anspruch nimmt, die Schrift und eine Auslegung der Schrift zu lesen und zu bedenken? Habe wir für eine Zeit der Bibellektüre und einer Auslegung dazu, da wir  alle Anstrengung brauchen, um den Alltag zu bewältigen?

Die Parabel vom Schwimmen in einem unberechenbaren See und das Einbringen der Stämme in den See will sagen, dass wir es schlicht brauchen, immer und immer von neuem, uns zu dem durchzuarbeiten, was uns Halt bringt. Es ist keine Moralpredigt, sondern die Anleitung, wie wir im Glauben bleiben.

Schließlich drittens. Unser Predigttext wird von einem Bild beherrscht, das bisher in der Predigt nur angeklungen ist. Es prägt den ganzen Epheserbrief, es durchtränkt ihn sozusagen, es ist der Schlüssel zu ihm. Am Ende unseres Predigtabschnittes heißt es: „Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe … und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am anderen hängt.“

Die Kern der Botschaft lautet: „Christus hat den ganzen Leib zusammengefügt“.

Was heißt das? Ich sage zuerst, was des nicht heißt: Die Aussage des Epheserbrief-Autors ist nicht, dass wir „wie ein Leib sind“. Das hörten wir vorhin in der Epistel. Es ging darum, dass wir uns mit unseren unterschiedlichen Begabungen wie ein Leib verstehen sollen, bei dem jedes Organ gebraucht wird.

Der Epheserbriefautor und Schüler des Paulus schreibt aber vielmehr, dass die Kirche ein Leib ist. ‚Christus hat diesen Leib geschaffen und von Christus her wird der ganze Leib zusammengefügt’. Er greift damit auf, was er schon ganz am Anfang seines Briefes schrieb: Gott gab uns Christus, das Haupt der Kirche, die sein Leib ist. (1,23) Was ist die Kirche? Der Epheserbrief antwortet: Sie ist ein spiritueller und dabei wirklicher Leib, der sich über die ganze Erde erstreckt.

Nur eines will ich zu diesen Worten sagen, die in die Auslegungsgeschichte als das Mysterium des Leibes Christi eingegangen sind.4 Die erste und wichtigste Folgerung aus dem eben Gesagten ist: Weil Christus die Kirche geschaffen hat als seinen Leib und ihn als Kirche in unserer Welt erbaut (1,11), wird diese Kirche nie vergehen.

Und es heißt zweitens, dass wir, die wir von ihm zusammen gefügt werden, immer wieder zusammengebracht werden

Ist das bloße Utopie, der übliche christologische Schluss nahezu jeder Predigt: Es wird stereotyp alles bei Christus abgeladen, ‚der es schon ohne uns schon richten wird’? Verkünde ich jetzt „das Evangelium“, was für uns immer wieder ein gemächliches Zurücklehnen bedeutet? Wo ist denn, bitteschön, eine konkrete Erneuerung in den Kirchen unserer Erde?

Am vergangenen Sonntag ging der Katholikentag zu Ende. Die Gläubigen forderten mit großem Nachdruck, dass in einer konfessionsverschiedenen Ehe auch der Nicht-Katholik das Abendmahl empfangen dürfe. Ein großer Teil der deutschen Bischöfe befürwortet das, was vor zehn Jahren noch undenkbar war. Der österreichische Priester Gotthold Hasenhüttl wurde aus der katholischen Kirche exkommuniziert, weil er während des ökumenischen Kirchentages 2003 in Berlin auch Protestanten das Abendmahl reichte. Einen Kommunionsausschluss gab es bei dem Kirchentag in Münster zum Abschlussgottesdienst am 13. Mai jedenfalls nicht mehr.

Nachdem sich vor wohl drei bis vier Wochen abgezeichnet hatte, dass es nunmehr eine Mehrheit innerhalb der Bischöfe für eine Änderung der bisherigen Praxis gebe, schrieben einige Bischöfe um den Kölner Kardinal Woelki, der Papst möchte ein Machtwort sprechen. Der Papst antwortete aber, dass er das nicht tun werde, sondern die deutsche Bischofskonferenz zu entscheiden und das Machtwort zu sprechen habe.

Ist es Christi Geist, der vor unseren Augen auch heute am Werk ist und langsam und behutsam die Kirche, in diesem Fall die katholische Kirche, verändert?

Wie es der Abendmahlsstreit in der katholischen Kirche auch ausgeht, so stehen unübersehbar die die Zeichen auf Veränderung. Der Christusgeist ist da und erneuert uns, jede und jeden. Das ist kein billiger Schluss, sondern die Hoffnung, an die wir glauben wollen. Erkennbare Zeichen hinterlässt, so meine ich, Gottes Geist auch in unseren Tagen.                                 

AMEN

 

ANMERKUNGEN

1 I „Da der Kol nicht von Paulus stammt, gilt das erst recht für den Eph“ – Günter Baumbach in: Die Bibel mit Erklärungen, Berlin und Altenburg 1989, S. 378.

2 I „Für den realen Verfasser des Eph ist zumindestens das Amt des Apostels eine vergangene Größe.“ Gerhard Sellin: Der Brief an die Epheser, Göttingen 2008, S. 339.

3 I Nach Gerhard Delling, in: Artikel „artios“, ThWb, 1. Band, Stuttgart 1933S. 474 ff.

4 I Eine Darstellung der theologischen Komplexität der Leib-Christi-Thematik gibt Karl Martin Fischer: Tendenz und Absicht des Epheserbriefes, Berlin1973, S. 48–78.

Perikope
21.05.2018
4,11-16