Baut Häuser, pflanzt Gärten! – Predigt zu Jer 29,1.4-7.10-14 von Barbara Eberhardt
29,1.4-7.10-14

Lena fühlt sich, als hätte sie ihre Heimat verloren. Jahrelang ist sie Konfi-Teamerin gewesen. Das hat riesig Spaß gemacht. Zu überlegen, wie sie Jüngeren die Kirche nahebringen konnte. Den Glauben an Gott und an Jesus und an die Gemeinschaft. Das Schönste waren immer die Gottesdienste gewesen, die sie gemeinsam vorbereitet hatten. Moderne Lieder und jeder, auch noch der schüchternste Konfi, hat etwas dazu beigetragen. Wundervoll war das. Und irgendwann war es vorbei. Die anderen aus ihrem Team sind zum Studium weggezogen oder hatten keine Zeit mehr. Neue Konfi-Teamer waren nachgerückt, viel jünger als sie. Sie war nicht mehr am richtigen Platz. Das spürte sie. Und verabschiedete sich aus dem Konfi-Team. Ein paar Mal hat sie es mit dem normalen Sonntagsvormittagsgottesdienst versucht. Aber das war nicht ihr Ding. Einfach in der Kirchenbank sitzen, alte Kirchenchoräle singen. Sollte sie einfach gehen, aus der Kirche austreten wie so viele andere in ihrem Alter? Nein, so war sie nicht. Sie war schon immer eine, die etwas schaffen wollte. Die Kirche mitgestalten. Ihren Glauben leben. Gemeinsam mit anderen. Also hat sie sich als Kandidatin für den Kirchenvorstand aufstellen lassen. Vielleicht, so hofft sie, kann sie ja wieder eine Heimat finden. Und anderen eine Heimat geben.

Lena geht auf den Dachboden. Dort steht die alte Kiste, die ihre Mutter ins Altpapier geben will. Sie hat es nie leiden können, Sachen einfach wegzuwerfen. Wie eine Löwin hat sie als Kind um ihre alten Schulhefte gekämpft und sie vor der Mülltonne bewahrt, hat eins nach dem anderen durchgeblättert und sorgfältig aussortiert.
Und jetzt diese Kiste, die Jahrzehnte vor sich hin gestanden hat. Lena sitzt davor und macht sie auf. Eine Ansichtskarte aus Lloret de Mar aus den 80ern. Eine von der Insel Mainau, auf der säuberlich das Datum geschrieben ist: 16. April 1962. Zeitungsausschnitte aus dem Lokalteil. Todesanzeigen von Menschen, die sie nicht kennt. Ein Album mit weiteren Ansichtskarten. Sie will es schon weglegen, da fällt ein Brief heraus.
Liebste Inge, steht da mit zittriger Handschrift. Wie geht es euch? Hoffe, ihr seid wohlbehalten. Denke oft an dich und die Kinder. Wie groß sie wohl schon sind?! Mir geht es gut, werde aber vorläufig nicht kommen können. Wenn Du kannst, schick mir warme Unterhosen und einen Mantel. Gebt auf Euch acht! Baut Häuser und pflanzt Gärten! Gott schütze Euch! In Liebe, Dein Karl
Sie dreht den Brief vorsichtig um. Worte in kyrillischer Schrift. Adresse und Absender in Schreibschrift. Das muss ein Brief ihres Urgroßvaters aus russischer Kriegsgefangenschaft sein. Sie weiß, dass ihre Urgroßmutter mit den Kindern aus Schlesien geflohen ist, während ihr Mann in Gefangenschaft war. Aber: Baut Häuser und pflanzt Gärten? Dazu wären sie doch damals nie in der Lage gewesen. Sie muss ihre Mutter fragen.

73 Jahre ist es jetzt her, dass der Zweite Weltkrieg geendet hat. Gott sei Dank! Denn damit war dem Morden des Nazireiches ein Ende gesetzt. Das Leiden war allerdings nicht vorbei gewesen. Schwer traumatisierte Menschen, die alles verloren hatten. Männer in Kriegsgefangenschaft. Flüchtlinge. Allein in Westdeutschland waren es zehn Millionen. Sie wurden untergebracht in Baracken, auf Bauernhöfen, in Privatwohnungen. Und was ihnen entgegenschlug, war oft keine Willkommenskultur, sondern Ablehnung. Sie waren zu viele, sie waren fremd. Aber im Lauf der Jahre haben viele von ihnen Erstaunliches geleistet. Sie bauten Häuser, pflanzten Gärten, gingen in die Gottesdienste im Ort und engagierten sich in Vereinen. Manchen von ihnen hat ihr Glaube geholfen. Abends, wenn die Arme und Beine schwer waren von der Arbeit, blätterten sie in ihren abgewetzten Bibeln und Gebetsbüchern und fanden Trost in den Worten.

Mit dem alten Brief in der Hand geht Lena nach unten. Ihre Mutter schnippelt gerade Gemüse für das Abendessen. „Was bedeutet: Baut Häuser, pflanzt Gärten!“, fragt Lena. Ihre Mutter lacht. „Woher hast du denn das her?“ „Ich habe einen Brief gefunden“, sagt Lena, „von meinem Uropa aus der Kriegsgefangenschaft. Er schreibt: Baut Häuser, pflanzt Gärten!“ „Also“, sagt Lenas Mutter. „Das war so eine Redewendung bei uns. Immer wenn wir konstruktiv denken sollten, hieß es: Baut Häuser, pflanzt Gärten!“ „Konstruktiv denken?“ „Na ja, zum Beispiel als die Uhrenfabrik geschlossen wurde. Meine Eltern haben ja beide dort gearbeitet. Plötzlich waren sie arbeitslos und sie hatten noch Schulden. Da waren sie völlig fertig, als sie das erfahren haben. Keiner wollte was sagen beim Abendessen, sogar wir Kinder waren still. Und schließlich sagte mein Vater: Baut Häuser, pflanzt Gärten! Da mussten wir alle lachen, haben zusammen abgespült, und danach haben meine Eltern die Stellenanzeigen in der Zeitung durchgesehen. Oder damals, als die Schnellstraße durch unseren Ort gebaut werden sollte. Da hieß es wieder: Baut Häuser, pflanzt Gärten! Dann haben sie sich mit Nachbarn zusammengetan und eine Bürgerinitiative gegründet. Sie haben es geschafft, dass die Schnellstraße außenrum gebaut wurde. Woher sie das Baut-Häuser-pflanzt-Gärten haben, weiß ich allerdings nicht.“ „Es ist schön“, sagte Lena.

Der 21. Oktober ist Kirchenvorstandswahltag. Lena geht in den Gottesdienst. Warum weiß sie selbst nicht. Vielleicht um noch etwas Segen zu bekommen für die Wahl. Sie will wirklich gern im Kirchenvorstand mitarbeiten. Häuser bauen, Gärten pflanzen. Etwas voranbringen. Konstruktiv sein. Die Lieder im Gottesdienst sind nicht ganz so schlimm, wie sie es in Erinnerung hat. Eines gefällt ihr sogar richtig gut. Die Pfarrerin erzählt etwas von einem Brief, den der Prophet Jeremia in die Fremde geschrieben hat. Wie der Brief von meinem Uropa, denkt Lena. Und hört die Worte:

Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte. So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's euch auch wohl. Denn so spricht der Herr: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der Herr, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.

Amen.

Perikope
21.10.2018
29,1.4-7.10-14