Befreiendes Wort - "Wir können neu ins Leben gehen" - Predigt zu Markus 2,1-12 von Heinz Janssen
2,1-12

Befreiendes Wort - "Wir können neu ins Leben gehen"

Liebe Gemeinde,

ein Haus, berstend voll, weil dort einer "das Wort" sagt. Ein kraftvolles und befreiendes Wort. Wie spannend, wie kraftvoll und mitreißend muss dieses Sagen, Aussprechen von lebenswichtigen Einsichten gewesen sein. Es muss sich um ein besonderes Wort gehandelt haben, dem die Menschen sogar die Kraft zutrauten, einen gelähmten Menschen aus seiner „Unbeweglichkeit“ herauszuholen. Es das Wort (vom Reich) Gottes, das die Menschen in jenem Haus zusammenkommen ließ. Er, Jesus von Nazareth, der Gottes Wort weitersagte, war der umringte Mittelpunkt.

Geschlossener Raum, geschlossene Gesellschaft?

Hörende, Zuhörende, Neugierige, Wissbegierige, Skeptiker und Glaubende bilden für einen kleinen Trupp ein Hindernis: für vier Menschen, die eine Liege mit einem Gelähmten tragen. Kein Durchkommen, keine Gasse, die sich bildet. Das Haus erweist sich als geschlossener Raum, die Hörenden als geschlossene Gesellschaft. Kein Durchkommen. Schlimm, wenn heute unsere Kirche, unser Land, unser Europa, ein geschlossener Raum wäre und die Menschen sich als geschlossene Gesellschaft verstehen würden. Hören wir noch etwas mehr in die Bibelgeschichte hinein. Seltsam, die Träger waren doch nicht stumm. Haben sie nicht gerufen, um Platz gebeten, erst leise, dann laut?

Lähmungen entgegenwirken

Dem Evangelisten Markus scheint es nicht allein um eine körperliche Lähmung zu gehen, nicht allein um eine einzige betroffene Person. Mit "Platz da", "aus dem Weg", "Jesus, hilf uns", hätte sich doch alles leichter regeln lassen. Waren die Zungen der Träger gelähmt? War es einfach nur pfiffiger, das mit Lehm bedeckte Flachdach abzudecken oder war es als Erzählung für den Evangelisten interessanter?

Übertragen wir das Geschehen in unser Leben heute: Ein Mensch ist uns anvertraut, der sich selbst nicht helfen kann – so wie in dieser Geschichte. Anvertraut, er braucht unser Vertrauen, er ist mit uns in eine Beziehung gebracht, er ist uns meist sogar sehr vertraut als Familienangehöriger, befreundet, Nachbar, Kollege oder Kollegin. Vertraut sind wir dann auch mit seinem Schicksal, welches die Lähmung oder Hilfsbedürftigkeit ausmacht. Wir sind mit hineingezogen in die Lebensgeschichte, in Irrungen und Wirrungen oder in das Unglück. Wir sind Mitbetroffene (Beispiele ...) - und Betroffenheit kann sprachlos machen, die Zunge lähmen.

Mitbetroffen, mitverwickelt sein, bedeutet: Ich muss an der Befreiung von der Lähmung mitarbeiten, meinen aktiven Anteil an Arbeit bei der Entwirrung und dem Aufdecken der Ursachen tun. In der Bibelgeschichte decken sie das Dach des Hauses auf, in dem das Wort Gottes als Lebensmitte von Jesus gesagt wird. Die vier Träger verschaffen sich Zugang zum Zentrum, können sehen, erkennen und erst jetzt den nächsten wesentlichen Schritt wagen. Die gelähmte Person Jesus präsentieren, darbieten, vor die Füße legen.

Krankheiten - eine Strafe Gottes?

Als Jesus – so hören wir – ihren Glauben sah, wurde er aktiv. Nicht der Gelähmte wird genannt, nein die Träger. Weil sie glauben, spricht Jesus dem Gelähmten die Vergebung der Sünden zu. Laufen kann der Gelähmte dadurch noch nicht. Zuerst weist Jesus auch auf etwas ganz anderes hin. Vier Tragende, Mittragende, legen Jesus den anvertrauten Gelähmten vor die Füße. Jesus erkennt die wechselseitigen Beziehungen der kleinen Gemeinschaft, die Auswirkungen von lähmenden Sünden auf die eine Person und ihr Umfeld. Von anderen Bibelstellen, besonders von der Heilung eines blindgeborenen Menschen (Johannes 9), wissen wir sehr genau: Krankheiten, also auch die Lähmung, sind nach Auffassung Jesu keine Strafe Gottes für begangene Sünden.

Was aber einleuchtend ist: es gibt sündiges, verfehltes Leben, das krank macht.
Verhindertes Gehen auf guten Wegen durch Verstrickung in Lügen, Gewalt und Betrug kann zum Beispiel Lähmungen bewirken. Hier bin ich, um herauszukommen, auf Vergebung angewiesen. Habe ich diese Vergebung erfahren, so wirkt es sich bei den Trägern, den Mittragenden, aus, gleichgültig, ob sie Mitträger des Guten oder des bösartig lähmenden Verhaltens waren. Die ganze Gemeinschaft ist betroffen, der tragende wie der getragene Mensch. Noch hat der Verlauf der Erzählung dem Gelähmten nicht zum Gehen verholfen.

Die Vollmacht Jesu wird in Frage gestellt. War die Menschenmasse erst noch an seinem Wort interessiert, bezweifelten es diejenigen, welche sich mit Gott auszukennen meinten. Die Kircheninsider sozusagen sind sogar entsetzt, bis ins Herz getroffen. Jesus konfrontiert sie mit der Frage: Was ist leichter zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Dann erst schickt Jesus den Gelähmten heraus aus der Lähmung in die Bewegung.

Das eigentliche Wunder

Einfach nur ein Machtexempel? Nur eine rhetorische Frage wie die: Wer war zuerst da – die Henne oder das Ei? – Nein, Jesus gibt die Antwort: Wenn Gott vergibt – und wir dürfen seine Vergebung weitergeben -, kann ein Mensch wieder in Bewegung kommen, dann ist er in der Lage, sogar seine Liege, sein Bett, zu nehmen wie einen Teil seiner Lebensgeschichte, zuzupacken und zu tragen, ohne daran unbeweglich gefesselt zu sein. Das ist das eigentliche Wunder, das Wunder, das auch heute immer noch geschehen kann: Dir sind deine Sünden vergeben, steht auf, nimm dein ganzes Leben in die Hand, du kannst es tragen, du bist in Bewegung gekommen, geh deinen Weg mit Gott!

Kirche ein offenes Haus – Gemeinde eine tragende Gemeinschaft

In diesem Sinn soll unsere Kirche ein offener Raum, ein offenes Haus für alle sein - und die Menschen, denen sie wichtig ist, sollen eine offene, hörende und helfende, eine tragende und mittragende Gemeinde sein. So können wir, wie wir es gleich singen (EG 432), "neu ins Leben gehen".
 

Perikope
11.10.2015
2,1-12