Begierde und ihre Folgen: Du bist der Mann - Predigt zu 2.Sam 12,1-10.13-15a von Paul Geiß
12,1-10.13-15a

Begierde und ihre Folgen: Du bist der Mann - Predigt zu 2.Sam 12,1-10.13-15a von Paul Geiß

Begierde und ihre Folgen

12,1 Deshalb sandte der Herr den Propheten Natan zu David. Natan ging zum König und sagte: »Ich muss dir einen Rechtsfall vortragen: Zwei Männer lebten in derselben Stadt. Der eine war reich, der andere arm.
2 Der Reiche besaß eine große Zahl von Schafen und Rindern.
3 Der Arme hatte nichts außer einem einzigen kleinen Lämmchen. Er hatte es gekauft und zog es zusammen mit seinen Kindern bei sich auf. Es aß von seinem Brot, trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß. Er hielt es wie eine Tochter.
4 Eines Tages bekam der reiche Mann Besuch. Er wollte keines von seinen eigenen Schafen oder Rindern für seinen Gast hergeben. Darum nahm er dem Armen das Lamm weg und setzte es seinem Gast vor.«
5 David brach in heftigen Zorn aus und rief: »So gewiss der Herr lebt: Der Mann, der das getan hat, muss sterben! 6 Und das Lamm muss er vierfach ersetzen – als Strafe dafür, dass er diese Untat begangen und kein Mitleid gehabt hat!
7»Du bist der Mann!«, sagte Natan zu David.
»Und so spricht der Herr, der Gott Israels: ›Ich habe dich zum König über Israel gesalbt und dich vor den Nachstellungen Sauls gerettet. 8 Ich habe dir den ganzen Besitz deines Herrn gegeben, habe seine Frauen in deinen Schoß gelegt und dich zum König über Juda und Israel gemacht. Und wenn das noch zu wenig war, hätte ich dir noch dies und das geben können. 9 Warum hast du meine Gebote missachtet und getan, was mir missfällt? Du hast den Hetiter Urija auf dem Gewissen, durch das Schwert der Ammoniter hast du ihn umbringen lassen und dann hast du dir seine Frau genommen. 10 Genauso wird nun das Schwert sich in aller Zukunft in deiner Familie Opfer suchen, weil du mich missachtet und die Frau des Hetiters zu deiner Frau gemacht hast.‹« …
13 David sagte zu Natan: »Ich bekenne mich schuldig vor dem Herrn!« Natan erwiderte: »Auch wenn der Herr über deine Schuld hinwegsieht und du nicht sterben musst – 14 der Sohn, den dir Batseba geboren hat, muss sterben, weil du mit deiner Untat den Herrn verhöhnt hast!«
15 Dann ging Natan nach Hause.

 

Liebe Gemeinde,

In zwei Kapiteln erzählt das 2. Samuelbuch die lange Geschichte von David und Bathseba, die Geschichte von Lust  und Begehren und einer schnellen Befriedigung, dann Vertuschung, Mord und schließlich der ernsthaften Konfrontation mit dem Vergehen und der Rechenschaft vor Gott.

Anfang der sechziger Jahre im vergangenen Jahrhundert wurde diese Geschichte in Bibelarbeiten auf Sommerlagern und Jugendfreizeiten bearbeitet. Tief sind wir in die Dramatik von Gleichnis, Verfehlung gegen Gottes Gebot, Schuldhinweis und Schuldbekenntnis eingetaucht und haben sie auf uns übertragen.
David war für uns von Kindesbeinen an immer ein Held. Seine Geschichten konnten wir seit den Zeiten im Kindergottesdienst im sogenannten Gottbüchlein verfolgen, eine im deutschen Sprachraum in vielen christlichen Familien weit verbreitete Kinderbibel. Da war David, der verehrte König in Israel, der sich nach dem Motto „Klein gegen Groß“ in Israel durchgesetzt hat. Er wurde von den acht Söhnen des Isai als jüngster auserwählt, um von Samuel gesalbt zu werden, er hat Goliath besiegt, er hat den König Saul mit Musik besänftigt. Er war mit dessen Sohn Jonathan befreundet und hat sich dann so langsam in eine Machtstellung emporgearbeitet, die ihn als Nachfolger des in Ungnade gefallenen Königs Saul selbst König werden ließ.
Die Bearbeitung dieser Schuldgeschichte mit Bathseba führte dazu, dass die Jugendlichen die eigenen Fehler gespiegelt bekamen, wie Nathan es mit dem Gleichnis vom reichen und vom armen Mann getan hat. Es führte dazu die eigenen Fehler und Übertretungen erkennen zu können wie David und mit diesem Bekenntnis sich ganz Gottes Erbarmen auszuliefern. Der entscheidende Hinweis des Nathan auf David: „Du bist der Mann“ war der Schlüsselsatz zur Offenbarung der eigenen Fehler vor Gott. Wie der reiche Mann den armen um sein geliebtes Schaf gebracht hat und damit Gottes Recht grob gebrochen hat, so hat David Gott missachtet, in dem er sich zur Befriedigung seiner Lust zu, Ehebruch und Mord hat hinreißen lassen.
Und Gottes Gebote zu missachten: In dieser Gefahr sah man vor allem Jugendliche, die in diesen Sommerlagern lernen sollten, wahre Christinnen und Christen zu sein. Jugendliche sollten lernen, den Verlockungen und Versuchungen der aufkeimenden Sexualität widerstehen zu können. Das war der Bogen, der damals geschlagen wurde.
Als Mädchen und als Junge ist man in einem Alter, in dem das Rätsel „Frau“ oder das Rätsel „Mann“ mehr und mehr zu irritieren beginnt. Es geht um die eigene Identität als Mann und als Frau. Die Aufklärungsbücher der damaligen Zeit waren nicht sehr hilfreich, sie engten die Möglichkeit eher ein, sich mit liebevoller Erwartung seiner eigenen Sexualität zu vergewissern. Sexualität war gefährlich, eine Frau zu begehren ohne eine ernsthafte Beziehung zu ihr anzustreben, war verwerflich. Der erste Kuss konnte eine dauerhafte Bindung hervorrufen, stand in den Aufklärungsheftchen, die zur Verfügung standen. Wenn man sich einem Mädchen näherte, fingen die Kameraden an zu tuscheln und Vermutungen anzustellen, die ihrer eigenen vielleicht „schmutzigen“ Phantasie entsprangen.
Der Diakon, der bei uns die Bibelarbeit leitete, insistierte auf dem martialischen Satz des Nathan: „Du bist der Mann“ und auf dem überraschenden Zusammenbruch des David: „Ich bekenne mich schuldig vor dem Herrn!“ Das alles auf dem Hintergrund der gefährlichen Sexualität.

David, der selbst als König genug Frauen in seinem Harem hat, begehrt Bathseba, die er zufällig von seinem Palast aus bei ihrem Bad beobachtet. Gesehen, von Lust ergriffen, begehrt!
Er lässt sie zu sich rufen und schläft mit ihr. Minutiös beschreibt Nathan die einzelnen Schritte, mit denen sich David mit krimineller Energie Bathseba verfügbar macht. Plötzlich sind seine Frauen in seinem Harem nichts mehr wert gegen diese Frau, die er haben will. Sie selbst musste wohl dem König seinen Willen lassen und konnte sich ihm nicht widersetzen, davon wird nichts Genaueres berichtet.
Das Begehren führt zur Sünde, die zu erkennen und David mitzuteilen war Nathan als Hofprophet von Gott berufen. Das dem Potentaten direkt zuzusprechen, war mit hohem Risiko behaftet. David hätte ihn abweisen können, verfolgen, wie später Isebel den Propheten Elia nach dem Gottesurteil am Karmel. Aber nein, der Satz des Nathan im Namen Gottes: Warum hast du meine Gebote missachtet und getan, was mir missfällt? trifft ihn ins Mark.
David bricht zusammen, bereut, bekennt Nathan seine Schuld vor Gott und gegenüber der Frau und ihrem Kind. Nathan erteilt ihm eine sonderbare Absolution: Du wirst verschont, aber das Kind, das Dir Bathseba geboren hat, wird sterben. Und Bathseba? Wie ist es ihr ergangen? Die Geschichte endet abrupt: Dann ging Nathan nach Hause.

Diese Geschichte von der Verurteilung Davids durch Gott wegen des Missbrauchs der Bathseba, wegen dem Mord an ihrem Ehemann Uria und der Legalisierung der Beziehung: Diese Geschichte habe ich so nicht im Kindergottesdienst gehört, ich hätte sie auch noch nicht verstanden. Diese Geschichte löst so viele Fragen aus, dass es nicht leicht ist, darin Gottes Barmherzigkeit zu erkennen.
Warum kommt der König mit Mißbrauch, Ehebruch und Mord davon? Warum musste das Kind sterben? Wie ist es Bathseba ergangen?

Heutige Politiker werden bei solchen in die Öffentlichkeit gebrachten Skandalen durch die Presse vorgeführt und müssen sich in der Öffentlichkeit peinlichen Befragungen stellen, landen allerdings wie die meisten diktatorischen Potentaten nicht vor Gericht. Manchmal scheint ihnen der öffentliche Skandal nichts anhaben zu können. Von Reuebekenntnissen außer lahmen öffentlichen Entschuldigungen hört man selten. Wer bekennt sich schon öffentlich so zu seinen Fehlern wie König David?

Warum wehrt sich Bathseba nicht wie andere Frauen im Alten Testament? Es gibt zwar viele wehrhafte, starke Frauen, aber dagegen, zum sexuellen Objekt degradiert zu werden, wehren sie sich selten. Sie hat in der orientalischen patriarchalen Gesellschaftsstruktur nur die Position, Unrecht erleiden zu müssen wie viele Frauen seit Jahrtausenden. Auch in den Kriegen der Gegenwart wird die sexuelle Demütigung von jugendlichen oder verheirateten Frauen gezielt eingesetzt, um Niederlagen zu besiegeln.
Bathseba bleibt eher passiv erleidend und erduldend, sie hat sich dann nach dem Tod ihres Mannes und der vorgeschriebenen jüdischen Trauerzeit von David heiraten lassen. Hätte sie sich wehren können? Hätte sie sich wehren wollen?

Der entscheidende Satz, den Nathan zu David sagen muss, ist der: Gott fragt Dich ernsthaft und unnachgiebig: Warum hast du meine Gebote missachtet und getan, was mir missfällt? Das trifft David ins Herz und zwingt ihn zum Bekenntnis seiner Schuld. Und die bekennt er gegenüber Nathan vor Gott, es wird nicht berichtet, ob er sie auch Bathseba gegenüber bekannt hat. Das Schuldbekenntnis Gott gegenüber scheint wichtiger zu sein als Bathseba gegenüber. Aber wir wissen es nicht.

 

Seit vielen Jahren werden immer wieder in Kirche und Gesellschaft Missbrauchsskandale aufgedeckt. Pfarrer und Priester vergehen sich an ihren Schutzbefohlenen, Lehrer besonders in Internaten, Sozialarbeiter in kirchlichen und staatlichen Heimen, Trainer gegenüber ihren Sportlern und Sportlerinnen. Die bösartige Lust, sich an Körper, Geist und Seele von anvertrauten Untergebenen zu vergehen, richtet entsetzliche Schäden an. Und das ist ein Vergehen an diesen Menschen und eine Missachtung von Gottes Geboten, sie missfallen Gott ausdrücklich.

Auf der einen Seite Gottes Gebote, eine Ethik zum Schutz aller Menschen, auf der anderen Seite die Versuchungen der Macht, der Missbrauch der eigenen Stellung zur Befriedigung der eigenen Gelüste, das ist ein in der Geschichte der Menschheit immer wiederkehrendes Verbrechen. In dieser Spannung steht die Geschichte von Nathan und David.
Und David bricht zusammen, er bekennt sich schuldig in einer Art Beichte, nicht in der Öffentlichkeit, aber vor einem Propheten und Priester, vor Nathan. Er entschuldigt sich nicht nur, wie viele, auch kirchliche Potentaten es tun, er räumt seinen Missbrauch unumwunden ein und stellt sich seiner Schuld vor Gott..

Gerade im Zusammenhang mit den öffentlichen Entschuldigungen wegen des hundertausendfachen Missbrauchs habe ich immer nur Entschuldigung gegenüber den Opfern gehört, wohl das mindeste. Aber dass sich die Täterinnen und Täter gegenüber Gottes Gebot schuldig gemacht haben und damit Gott verachtet, das habe ich nicht gehört, aber vielleicht gehört das auch in das Kämmerlein des Beichtbekenntnisses, das hoffe ich und will es nicht ausschließen.
Mit diesem Zusammenbruch vor Nathan gewinnt David auch wieder an Größe, an Achtung und an Format. Seine Schuld als Missachtung Gottes einzugestehen und sich seinem Urteil auszuliefern, das lerne ich mehr und mehr an ihm zu bewundern.
Dabei immer wieder auch an uns die Frage: Was bringt mich dazu, Schuld zu erkennen und einzugestehen? Was bringt mich dazu, Kyrie eleison zu rufen, Herr, erbarme Dich, denn wir haben uns auch an ihm und seinen Geboten vergangen.

Kinder wollen wir dazu bringen, sich zu entschuldigen, um Frieden zu stiften. Können wir das denn selbst tun, wenn es nötig ist? Diese brennende Frage verfolgt auch mich nach dieser eindringlichen biblischen Geschichte.

In der nachfolgenden Erzählung wird berichtet, wie David versucht, sein Kind zu retten, er demütigt sich vor Gott, weint und fleht um das Leben seines Kindes, ringt um dessen Leben tage- und nächtelang, aber es stirbt. Und David muss mit dieser Konsequenz weiterleben, weiter regieren und weiter mit seinem Hofstaat, seinem Harem und mit Bathseba zusammenleben. Sie scheinen sich wieder einander angenähert zu haben. Nach der fürchterlichen Verfehlung des David und dem Schock des Kindstodes kann er sie trösten und wieder mit ihr zusammen leben, zusammen schlafen, der spätere Großkönig Salomo wird gezeugt und geboren.
Ist das die gute Wendung nach Davids Zusammenbruch? Vielleicht ist es wichtig, dass die biblischen Geschichten des Alten Testamentes immer wieder heruntergebrochen werden auf die Tatsachen, dass auch bei den Heldinnen und Helden Verbrechen gegen Gottes Gebote, Schuld und Sühne schonungslos berichtet werden.

Im Stammbaum Jesu nach dem Matthäusevangelium tauchen sie auf, die mutigen Frauen, die zur Heilsgeschichte gehören, Thamar, Ruth, Bathseba, sie alle haben sich dann ihrem Schicksal  gestellt in der patriarchalen Struktur im Volk Israel im Alten Testament und haben in ihren berichteten Krisen dazu beigetragen, dass Jesus in der Folge der Könige nach David in Bethlehem, in der Stadt Davids geboren werden konnte. Und das ist dann wirklich eine atemberaubende Wendung in der Schuldgeschichte des David.

Sich zur eigenen Schuld zu bekennen, damit umgehen und leben zu lernen, und dennoch weiter nach dem richtigen und guten Leben vor Gott zu streben, das ist die eine Seite, dann aber auch von Gott dies zugesagt zu bekommen, zum Beispiel in der in jedem Gottesdienst auf das Sündenbekenntnis folgenden Gnadenzusage, das ist die andere Seite.
Dazu bedarf es Mut und der Fähigkeit, sich im rechten Moment nicht mehr verstecken zu wollen. Deshalb sind diese Elemente Sündenbekenntnis und Gnadenzusage im Gottesdienst zusammen mit der Feier des Abendmahles wichtig.

Für mich und sicher auch für Sie alle ist die Erzählung Anstoß, sich in entscheidenden Momenten auch zur eigenen Schuld zu bekennen und dann umso mehr auf Gottes Barmherzigkeit zu vertrauen. Dazu endet heute der Gottesdienst nicht als Bitte im Konjunktiv, in der Möglichkeitsform, sondern als gegenwärtige Zusage:

Der Herr segnet Dich und behütet Dich, der Herr lässt sein Angesicht leuchten über Dir und ist Dir gnädig, der Herr hebt sein Angesicht auf Dich und gibt Dir Frieden.

AMEN.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Paul Geiß: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Normale Gemeinde nach den Sommerferien, schöne oder wilde Erlebnisse in der Ausnahmesituation des Urlaubs, Chancen für ein neues anderes Leben. Was will ich anders machen, wie kontrolliere ich mich, dass ich das tatsächlich umsetzen kann?

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
David hat sich zu seiner Schuld vor Gott und den Menschen bekannt. Und ich, wir, Sie?

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Schuld und Fehler widersprechen nicht nur der eigentlich ungebundenen „humanistischen“ Ethik, sondern auch Gottes Gebot und das ist viel wichtiger!

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Klarere Gliederung, Verzicht auf zu viele Assoziationen, präzise Ausrichtung auf das Schuldbekenntnis vor Gott.

 

Perikope
Datum 28.08.2022
Bibelbuch: 2. Samuel
Kapitel / Verse: 12,1-10.13-15a