Nach Hause kommen - Predigt zu 2. Samuel 7,4–6.12–14a von Kathrin Oxen
Weihnachten heißt nach Hause kommen. Trotz widriger Witterungsverhältnisse, Schritttempo auf den Autobahnen und erheblicher Zugverspätungen, allen Warnungen und dem Gebot zum Trotz, man möge doch am besten zuhause bleiben, haben sich auch in diesem Jahr wieder viele Menschen zu Weihnachten auf den Weg in ihre Heimatstadt gemacht, auch nach Wittenberg. Nicht, um sich in Steuerlisten eintragen zu lassen, sondern um sich wiederzusehen, zurückzukehren zur Familie, nach Hause zu kommen.
In den Tagen um Weihnachten hat unsere Stadt ein anderes Gesicht als sonst. Viel mehr junge Menschen, viel mehr Familien mit Kindern werden in den kommenden Tagen als Weihnachtsspaziergänger unterwegs sein. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie es wäre, wenn nicht so viele, die aus Wittenberg kommen, ihre Arbeit und ihr Auskommen woanders gefunden hätten, sondern noch hier leben würden. Unsere Stadt hätte ein anderes Gesicht, das Leben hier würde sich anders anfühlen. Wir spüren etwas von dem, was aus wissenschaftlicher Sicht relativ kühl als Folge des „demografischen Wandels“ bezeichnet wird. Uns lässt das nicht kalt.
Weihnachten heißt nach Hause kommen, zurückkehren, ein Zuhause haben, einen Ort, an dem man nicht erst mühsam heimisch werden muss, sondern es immer schon ist. Die Schattenseiten, die diese Rückkehr hätte, wenn sie von Dauer wäre, spielen in diesen Tagen keine Rolle. Die Enge der Kleinstadt, die Enge im Wohnzimmer bei den Eltern, die Reibung durch das engere Miteinander in der Familie, die nicht nur Wärme erzeugt, sondern manchmal auch zu kleineren und größeren Explosionen führen kann, können ausgeblendet bleiben. Nach Hause kommen, ein Zuhause haben, Eine Sehnsucht, nicht nur zu Weihnachten.
In jener Nacht aber erging das Wort des HERRN an Natan: Geh, und sage zu meinem Diener, zu David: So spricht der HERR: Du willst mir ein Haus bauen, damit ich darin wohne? Ich habe nicht in einem Haus gewohnt seit dem Tag, an dem ich die Israeliten aus Ägypten heraufgeführt habe, bis auf den heutigen Tag, ich bin umhergezogen in einem Zelt als Wohnung. (2.Sam 7,4-6)
Nach Hause kommen, eine Zuhause haben. Eine Sehnsucht, die zu uns Menschen gehört. Eine Sehnsucht, die auch Gott haben muss. So denkt König David sich das, als er mit dem Propheten Natan spricht.
Er selbst hat es endlich geschafft, nach Jahren der Ruhelosigkeit und des Umherziehens. Immer auf der Flucht vor seinen Feinden. Jetzt ist er sesshaft geworden und wohnt in einem festen Haus, während die Bundeslade, das Symbol der Gegenwart Gottes bei seinem Volk, immer noch in einem Zelt untergebracht ist. Ein Provisorium, so mag das David vorgekommen sein. Gut, solange das Volk Gottes in der Wüste unterwegs gewesen ist.
Aber nun wird es Zeit. Auch Gott will doch irgendwann einmal ankommen, ein Zuhause haben und einen festen Wohnsitz. Aber meine Sehnsucht, die ist nicht zwangsläufig auch die Sehnsucht eines anderen. Gott sehnt sich offenbar nicht nach einem eigenen Haus, das lässt er David durch den Propheten Natan ziemlich unmissverständlich ausrichten.
Was einer aufgibt, der sich ein Haus baut, wissen wir aus eigener, menschlicher Erfahrung. Die Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit, die ein eigenes Haus bietet, haben ihren Preis. Es wird schwerer, sich noch zu verändern, aufzubrechen und neue Wege zu gehen. Man bindet sich, nicht nur durch den Kredit bei der Bank, sondern auch an den einen Ort, an das eine Leben.
Nach Hause kommen, das ist keine Sehnsucht für Gott. Er lässt sich nicht binden, so gut es David auch mit ihm meint. Wie häufig bei sehr gut gemeinten Vorschlägen, steckt auch in dem Vorschlag Davids ein bisschen Eigennutz. Es geht um Sicherheit, Verlässlichkeit, Geborgenheit, auch für David. Wer Gott ein Haus baut, wer so investiert, zeigt seine Dankbarkeit und hofft gleichzeitig auch wieder auf Dankbarkeit. Ein Haus zu bauen und so ein kleines Guthaben bei Gott einzurichten, das wünscht sich David vielleicht für sein Leben, das wahrhaftig nicht nur gottgefällig gewesen ist und es auch in Zukunft nicht sein wird. Aber mit Gott geht das nicht.
Wenn sich deine Tage vollenden und du dich zu deinen Vorfahren legst, werde ich nach dir deinen Nachkommen, der von dir abstammt, auftreten lassen, und ich werde sein Königtum befestigen. Er wird meinem Namen ein Haus bauen, und für alle Zeiten werde ich den Thron seines Königtums fest stehen lassen. Ich werde ihm Vater sein, und er wird mir Sohn sein. (2.Sam 7,12-14a)
Nach Hause kommen, ein Zuhause haben. Wenn es einen gibt, der diese Sehnsucht erfüllen kann, dann ist es Gott selbst. Es wird ganz anders sein, als du es dir vorstellst, lässt er David ausrichten. Was ich baue, unterscheidet sich sehr von dem, was du da konstruierst.
Wie zerbrechlich alles ist, auf das wir bauen, wissen wir selbst am besten. Gerade zu Weihnachten werden wir an empfindlichen Stellen berührt.
Nicht nach Hause kommen können, nicht wegen der Witterungsverhältnisse, sondern weil das Zuhause, nach dem ich Sehnsucht habe, nicht mehr da ist. Weil die Menschen, die es mit Leben gefüllt haben, nicht mehr da sind. Oder kein Zuhause haben, weil da nie eines gewesen ist in meinem Leben.
Um Häuser aus Steinen geht es beim Nachhausekommen nicht zuerst. Das Zuhause, das sind Menschen. Die Menschen, die vor mir da waren, wie meine Eltern und Großeltern. Menschen, die nach mir da sein werden, wie meine Kinder und Enkelkinder. Und Menschen, die jetzt für mich da sind, bei denen ich mich wohl und zuhause fühle.
Gott baut keine Häuser, sondern bindet sich an Menschen. Dass es dann später auch einen Tempel gegeben hat, den Davids Sohn Salomo gebaut hat, können wir zur Kenntnis nehmen – müssen dann aber gleichzeitig auch zur Kenntnis nehmen, dass auch dieser Tempel wieder zerstört worden ist.
Gott wohnt nicht in Häusern. Deswegen kann die Beziehung zu ihm nicht zerstört werden, wie ein Haus, das erst leer steht und dann irgendwann verfällt. Gott hat sich gebunden an Menschen, an die, die vor uns da waren. Er bindet sich an uns und wird sich auch an die binden, die nach uns da sein werden. Eine Beziehung, die immer weiter geht, die mit David nicht zuende war und mit Salomo nicht und nicht mit ihren Nachkommen. Jesus von Nazareth, aus dem Haus und Geschlecht Davids, hat uns, die wir nicht von Geburt zu Gottes Volk gehören, in diese Beziehung mit hineingenommen. Wir sind eingeladen und willkommen geheißen in einem Haus, das wir nicht selbst gebaut haben.
Nach Hause kommen, ein Zuhause haben.
Gott sucht sich sein Zuhause unter uns anders, als wir uns das vorstellen. Nicht auf der Suche nach Sicherheit, Geborgenheit und Zuverlässigkeit, nicht festgelegt.
Ein Gott, der mitgeht, bei uns ist, für den keine Vorbereitungen zu treffen sind und der nichts voraussetzt. Wie Gott zur Welt kommt, zeigt sich noch einmal deutlich in dem Kind in der Krippe, dem Bündelchen Mensch, zur Welt gekommen am Rande der Nacht, am Rand der Stadt, am Rand der damals bekannten Welt. Es gibt keinen schlechteren Ort, an dem Gott zur Welt kommen könnte und es gibt keinen anderen Ort dafür.
Nach Hause kommen, ein Zuhause haben. Die tiefe Sehnsucht danach berührt uns und alle in dieser Nacht. Sie berührt die, die jetzt endlich einmal wieder zuhause sind – und mehr noch die, die es nicht sind.
Ich denke an die Flüchtlinge, die hier bei uns angekommen sind und versuchen, hier eine Heimat zu finden. An die Kranken in unserem Krankenhaus, an die Alten in den Pflegeheimen, an die Kinder im Heim, alle in Häusern und doch nicht zuhause.
Für sie und auch für mich selbst möchte ich bauen auf die Hoffnung, dass es so ist, wie Gott es David ausrichten lässt. Und dass Gott nicht aufhört, es ausrichten zu lassen unter uns. Ich möchte die Stimme hören in dieser Nacht, die sagt:
Siehe, die Wohnung Gottes bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird mit ihnen sein, ihr Gott. Und abwischen wird er jede Träne von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid, kein Geschrei und keine Mühsal wird mehr sein. (Off 21,3f)
Gott kommt zu uns. Wir kommen nach Hause. Heute nacht.
Amen.
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Familiengeschichten - Predigt zu 2. Samuel 12, 1-10, 13-15 von Lilith Becker und Stephan Krebs
Eine Predigt in der Reihe "Familiengeschichten". evangelisch.de-Redakteurin Lilith Becker predigte gemeinsam mit ihrem Vater, Stephan Krebs, in der Johanneskirche in Langen (Hessen).
Teil 1: Was und wer bringen mir den Glauben näher?
Lilith Becker: Ich nenne drei Erfahrungen, die mir den Glauben näher bringen:
- Biblische Geschichten, die mir etwas sagen, wie die Samuel-Geschichte
Geschichten wie die Samuel-Geschichte können mir den Glauben näher bringen. Die Geschichte erinnert mich selbst daran, von Zeit zu Zeit meine Selbstgerechtigkeit zu überdenken. Sie hält mir den Spiegel vor, beschämt mich – und dann bekomme ich das Versprechen, dass Gott mich anerkennt, wenn ich selbst erkenne, was ich tue – und mich annimmt. Gott kann leichter verzeihen als viele Menschen.
- Menschen, die sich engagieren, wie im Kirchenasyl
Bis Ende des Jahres 2015 werden wahrscheinlich weit mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland Asyl suchen – nur in diesem Jahr! Die Erstaufnahmeeinrichtungen sind völlig überbelegt und mittlerweile gibt es wahrscheinlich kaum eine Kommune, die nicht mindestens einen Flüchtling bei sich aufnimmt. Für meine Arbeit – als Redakteurin für evangelisch.de – höre und erzähle ich mittlerweile fast wöchentlich Geschichten aus christlichen Gemeinden, die sich für die Menschen in Not engagieren. Ohne Ehrenamt wäre es kaum möglich, so vielen Menschen zu helfen. Die Begeisterung, die ehrliche Anteilnahme und die Herzenswärme, die ich von vielen Christen erlebe, machen mich glücklich und bestärken mich selbst in meinem Glauben.
- Meine Kinder, die mich lehren, dass vieles nicht in meiner Hand liegt – Vertrauen
Dann lehren mich meine Kinder, dass ich nicht alles unter Kontrolle habe: mit der Schwangerschaft hat dieses Gefühl angefangen, als mein erstes Kind zur Welt kam, war es besonders schlimm: ich hatte ständig Angst und es gibt genügend traurige Geschichten.
Das Leben liegt nur zu einem ganz geringen Teil in meiner Hand. Wenn ich nicht ständig Angst haben will, muss ich vertrauen: in das Leben und in Gott – der mich auch lehrt zu bedenken, dass ich sterben muss.
Stephan Krebs: Alle drei Aspekte gelten auch für mich. Zusätzlich nenne ich drei weitere Erfahrungen, die mir den Glauben näher bringen:
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Meine Eltern, die ihr Leben dafür einsetzten
Mein Vater, der Pfarrer war, und meine Mutter, die eine klassische Pfarrfrau war. Beide sahen das ganze Leben als ein Christ-Sein, als einen Gottesdienst. Wie es der Reformator Martin Luther formuliert hatte „Euer ganzes Leben sei ein Gottesdienst“. Das prägt. Das färbt ab. Wie bei vielen. Fast jeder, der zum Glauben findet, kann eine Person nennen, die ihm den Glauben vorgelebt hat: Die Eltern, die Großeltern, Tanten und Onkel, Religionslehrerinnen und Pfarrer.
Das gelingt allerdings nur, wenn sich deren Glauben nicht auf äußerliche Rituale beschränkt, sondern wenn der an dem erkennbar wird, was die Menschen tun und was sie im Herzen tragen, wie es der Evangelist Lukas in der Geschichte vom Zöllner und vom Pharisäer darstellt.
Der Pharisäer mag mehr über Gott wissen und äußerlich die religiösen Vorschiften besser einhalten. Der Zöllner trägt Gott wirklich im Herzen. Und er legt sich einfach – ganz ohne Sicherheitsnetz - vertrauensvoll in Gottes Hände.
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Chor und Musik, die mich Hören und Denken lehrten
Musik hat mir manches vom Glauben eröffnet. Jahrzehntelang habe ich gesungen im Gottesdienst, in Kinderchor, später in Jugend- und Erwachsenenchören. Die Verbindung von Klang und Wort öffnet manche Tiefendimension des Menschseins. Es gibt Texte, manchmal nur kleine Textstückchen, die prägen sich tief in die Seele ein. Ein Beispiel will ich nennen aus dem Lied „Jesu meine Freude, meines Herzens Weide.“ (EG 396) Die letzte Strophe lautet
"Weicht, ihr Trauergeister,
denn mein Freudenmeister Jesus tritt herein.
Denen, die Gott lieben,
muss auch ihr Betrüben lauter Freude sein.
Duld ich schon hier Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu meine Freude."
3. Das sind starke Worte, die trösten, die herausfordern, an denen ich mich reibe, an die ich mich schmiege. Die Natur, die mich das Staunen und die Dankbarkeit lehrt. Ich laufe durch die Natur, freue mich am saftigen Grün der Blumen, am Blau des Himmels, an den Farben der Blumen, an der Vielfalt der Tiere, an den Möglichkeiten des Menschseins. Ich möchte dafür danken – wem? Dem Schöpfer. Ich denke darüber nach: Wie und warum ist das alles geworden? Und lande im Denken wieder bei Gott. Ich bin froh in ihm jemanden zu haben, der die Welt nicht dem Zufall und der Beliebigkeit überlässt. Nicht ihren Anfang und auch nicht ihr Ende. Das Leben hat einen Sinn. Von Anfang bis Ende.Teil 2: Was und wer machen mir den Glauben schwer?
Lilith Becker: Kommen wir zu der Frage, Was und wer machen mir den Glauben schwer? Als wir beide darüber sprachen, waren wir überrascht: Wir kamen auf dieselben drei Punkte.
1. Wir sind aufgeklärt und abgelenkt
Die Naturwissenschaft versucht ohne Gott auszukommen. Sie bestimmt weithin unser heutiges Denken. Selten erlebe ich Momente, in denen kein Weg an Gott vorbei führt:
Der Blick in den sternenklaren Nachthimmel, der mir die Unendlichkeit vor Augen führt, die ich für mich gar nicht denken kann. Er wird weggeleuchtet vom ewigen Licht der Straßenbeleuchtung und vom Flackern der Bildschirme.
Die Begegnung mit dem Tod, die mich kompromisslos mit der Frage nach dem Sinn meines Lebens konfrontiert: von guter Medizin verdrängt – zum Glück, und zumeist weggesperrt in die Krankenhäuser.
Die Erfahrung des Ausgeliefert Seins, die Begegnung mit der eigenen Ohnmacht im Falle von Missernten, Stürmen, Blitzeinschlag, Feuer und anderer höherer Gewalt – zum Glück ferngehalten durch kluge Technik und abgefedert durch Versicherungen.
All das möchte ich nicht missen – aber es bringt ein eigenes Risiko mit sich: Den Irrtum, es ginge auch ohne Gott, allein aus eigener menschlicher Kraft.
Fazit: Oft habe ich das Gefühl keine Gott zu brauchen, weil der Mensch doch alles naturwissenschaftlich erklären kann und auch danach strebt alles allein im Griff zu haben.
2. Die Reizüberflutung des Alltags (Überflussgesellschaft)
Stephan Krebs: Eigentlich möchte ich gerne viel mehr beten, viel mehr an Gott denken, viel mehr ihn loben. Aber ich komme so selten dazu. Am Anfang eines Tages ist so viel zu tun. Am Ende des Tages ist immer noch so viel zu tun, so viele Telefonate zu führen, so viele Fernsehprogramme zu erleben, Bücher zu lesen, so viele interessante Veranstaltungen zu besuchen - fordernde Reizüberflutung Tag für Tag. Sie frisst die Zeit, sie verlockt mit leichtem Reizen. Wie oft stoße ich gar nicht mehr vor zu den Fragen, die die Tür in die Tiefe des Lebens öffnen und die zu Gott führen?!
3. Die Theodizee-Frage
Lilith Becker: Wenn ich sehe, wie ungerecht das Glück des materiellen Wohlstands auf dieser Welt verteilt ist, zweifle ich an Gott. Wenn ich mir bewusst werde, wie unverdient beschenkt ich bin, wie unverdient bedrückt andere sind. Dann erscheint mir ein Lied wie dieses als der reine Hohn:
"Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret,
der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet,
der dich erhält, wie es dir selber gefällt
hast du nicht dieses verspüret?"
Stephan Krebs:
Dieses Lied führt mitten hinein in einer der zentralen Fragen unseres Glaubens. Ist Gott wirklich beides: allmächtig und liebevoll? Joachim Neander hat das Lied geschrieben - 1680, in der Blütezeit des Absolutismus. Die Könige herrschten über alles, wohnten in Palästen, die mit Prunk und Herrlichkeit wetteiferten. Die Könige waren zugleich Gesetzgeber, Durchführer ihrer Gesetze und oberster Richter, zugleich Kriegsherren und Beschützer ihrer Untertanen.
Diese Rolle überträgt das Lied auf Gott, indem es den Absolutismus noch übersteigert. Es erklärt Gott zum Herrscher der Herrscher: „Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret“. In großartigen Momenten möchte man ihm auch heute noch Recht geben. In Momenten des Glücks, der Freude – da passen diese überschwänglichen Worte.
Aber es gibt auch andere Momente, in denen auch mir der Überschwang des Liedes ganz fremd ist. Dann widerspreche ich innerlich, wenn ich singen soll: „der dich erhält, wie es dir selber gefällt“.
Das Lied führt uns direkt in das Dilemma: Ist Gott allmächtig? Das sagt ja nicht nur das Lied, sondern auch unser Glaubensbekenntnis. Vorhin haben wir zusammen gesprochen „Wir glauben an Gott, den Vater, den Allmächtigen“. Also: Wenn Gott allmächtig ist, dann ist er auch verantwortlich für alles, was geschieht, für alles schöne, was wir ihm gerne zusprechen. Aber auch für alles grässliche, alles Grausame.
Natürlich kann man bei Vielem auf die Menschen verweisen, die einander vieles antun. Aber sie sind geschaffene Wesen, von Gott ausdrücklich gewollt. Deshalb muss gesagt werden: Gott verhindert all das nicht – zum Beispiel Kriege, Krankheiten oder Erdbeben. Er lässt es zumindest geschehen. Dann aber, so scheint es, ist er nicht mehr allein der liebevolle, freundliche und zugewandte Gott. Sondern noch etwas anderes. Also zugespitzt: So wie die Welt ist, ist Gott entweder liebevoll oder allmächtig. Aber nicht beides, jedenfalls nicht uneingeschränkt beides.
Gott ist nicht nur zum Lieben, sondern auch zum Fürchten. Daran haben Christen von Anfang an herumgegrübelt. Auch Luther. Und ehrlich, wie er war, hat er diesen Widerspruch nicht klein- oder weggeredet. Er hat ihn ganz glasklar beschrieben. Für ihn ist Gott ein „Backofen voller Liebe“ – ein herrlicher Begriff!
Daneben beschreibt Luther aber eben auch eine dunkle Seite Gottes. Sie ist uns nicht zugänglich, sie ist uns fremd und bedrohlich: Gottes dunkle und verborgene Seite. Luther nennt sie auf lateinisch deus absconditus, der verborgene, der geradezu abwesende Gott. Es gibt diese Erfahrung – schon immer und noch immer. Und sie bleibt bestehen, auch wenn sich Gott inzwischen in einem kleinen Kind selbst zum Menschen gemacht hat, um Mensch unter Menschen zu sein, um seine Liebe zu leben und in die Welt zu tragen.
Jesus Christus ist der Beweis für Gottes Liebe. In ihm teilt Gott den Lebenskampf von uns Menschen und bekommt ihn am eigenen Leben zu spüren. Das gilt – uneingeschränkt. Aber damit hat Gott die Welt nicht in ein problemfreies Schlaraffenland verwandelt und aus uns Menschen keine sanften Lämmer gemacht. Niemandem hat Gott ein sorgloses und schmerzbefreites Leben versprochen. Er hat nur versprochen: „Ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt.“ Das ist die Situation. Unverrückbar. Und sie kann hart sein, unglaublich hart. Daran haben viele unter uns zu tragen.
Daran erinnern uns in diesen Monaten nicht nur die Medien mit ihren Nachrichten aus den Elendsregionen dieser Welt. Nein, diese Nachrichten kommen inzwischen auch auf zwei Beinen zu uns, in Gestalt von Menschen, die um ihr Leben schwimmen und laufen – und vor allem: sie hoffen. Das alles geschieht – in der Welt, in der uns Gott zugleich als Weltherrscher und als bedürftiges Flüchtlingskind entgegentritt.
Schluss:
So steckt mitten in der Bedrohung des Glaubens durch das Elend in der Welt und durch die Ferne Gottes auch die entscheidende Quelle der Hoffnung unseres Glaubens: Gott bleibt nicht verborgen. Im Gegenteil. Er zeigt sich. Besser noch: Er kommt zu uns. Noch besser: Er wird einer von uns – in Jesus Christus. Wir nennen ihn Gottes Sohn, weil in ihm Gott ist. Und zugleich ist er ein Mensch, einer wie du und ich. Der zeigt der Welt, wie sie sein könnte und wie sie nach Gottes Willen werden soll. Das nächste Lied bringt das besser zum Klingen, als wir es predigen könnten. . "Einer ist unser Leben." Amen.
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David – auch im Scheitern ein frommer König - Predigt zu 2. Samuel 12,1-10.13-15a von Wilhelm v. der Recke
David – auch im Scheitern ein frommer König
Gott widersteht dem Hochmütigen, aber dem Demütigen gibt er Gnade. So heißt es im Wochenspruch. Wie sehr das Wort zutrifft, zeigt ein Ereignis aus dem Leben des Königs David – ein schreckliches, einschneidenden Ereignis. Die Vorgeschichte werden manche von Ihnen kennen:
Der Hirtenjunge hat es zum König gebracht! Alles ist ihm geglückt. Er ist der allgemeine Liebling – von Gott und den Menschen, von seinen Kameraden und den Frauen. Doch nun ist er tief gestürzt. Er hat einen Ehebruch begangen, dessen Folgen er kaum beherrschen kann: In der Abenddämmerung erholt sich David auf dem Dach seines Hauses in Jerusalem. Von dort kann er eine schöne Frau bei der Abendtoilette beobachten. Er schickt zu ihr, sie kommt, und die beiden schlafen miteinander. Das war nicht schwer zu arrangieren, weil ihr Mann abwesend ist. Uria ist Offizier und auf einem Feldzug. Bathseba – so heißt seine Frau – wird schwanger. Als David davon erfährt, lädt er Uria großzügig zu einem Heimaturlaub ein. Offenbar will er erreichen, dass er so schnell wie möglich mit seiner Frau zusammen kommt. Dann kann er ihm das Kind als Kuckuckskind unterschieben.
Aber Uria spielt nicht mit. Er kommt zwar nach Jerusalem, aber er kehrt nicht in das eigene Haus ein. Auch als ihn David betrunken macht, schläft er draußen im Hof wie die anderen Soldaten. Seine Kameraden sind im Krieg, er will es nicht besser haben als sie. Vermutlich riecht er den Braten, aber er äußert sich nicht dazu. – David gerät in Panik. Er ordnet ein Himmelfahrtskommando an. Sein Feldherr versteht und befiehlt den Offizier zu einem waghalsigen Unternehmen. Dabei kommt Uria um. Als es David gemeldet wird, schickt er dem beunruhigten Feldherrn eine abwiegelnde Botschaft. Mit beispiellosem Zynismus schreibt er: „Nimm es nicht so schwer. So ist das Leben. Mal trifft es den einen, mal den anderen.“
Vermutlich ist David froh, dass er noch einmal glimpflich davon gekommen ist. Aber er hat keine gute Figur gemacht, und wahrscheinlich quält ihn auch sein Gewissen. Er versucht, zur Tagesordnung zurückzukehren. Immerhin ist Bathseba auf diesem Weg Witwe geworden, sie ist frei, und er kann sie nach einer Anstandspflicht heiraten. Doch er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht …
Es folgt der Text aus 2. Samuel 12
I. Eine starke Geschichte! Es ist stark, wie der Prophet Nathan dem König furchtlos die Wahrheit sagt. Und es ist stark, wie David darauf reagiert. „Ich habe gesündigt gegen den Herrn“, bricht es aus ihm heraus.
Er sagt nicht: „Da habe ich einen Fehler gemacht!“ – So hört man das heute häufig aus dem Mund von Politikern, Wirtschaftskapitänen und selbst von Bischöfen, wenn sie öffentlich eines Vergehens überführt werden. Ob es wirklich schlimm ist oder nicht ganz so schlimm, immer sagen sie: Da habe ich einen Fehler gemacht. Es war nur ein Fehler, als ich Millionen Gelder selbstherrlich verbaut habe. Ein Fehler, als ich mein Vermögen am Fiskus vorbei in ein Steuerparadies geschleust habe. Ein Fehler, als ich mich an kleinen Jungen vergriffen habe – aber das ist doch jetzt 30 Jahre her. Wenn es hoch kommt, heißt es: Dafür übernehme ich die politische Verantwortung.
Uns allen unterlaufen ständig Fehler. Wenn eine Studentin in einer Gastwirtschaft aushilft und sich abends um 11 Uhr bei der Rechnung, beim Zusammenzählen, vertut – macht sie einen Fehler. Es ist wirklich nur ein Fehler. Das ist nicht weiter schlimm. Jedenfalls ist es nicht im Entferntesten mit den Vorgängen zu vergleichen, die in manchen Skandalen zutage treten, und die dann als dummer Fehler dargestellt werden.
Wer sagt heute schon in aller Öffentlichkeit: Da habe ich Schuld auf mich geladen. Ich habe mich wirklich unmöglich verhalten – das ist unverzeihlich.
Wer sagt gar, ohne damit zu kokettieren: Ich habe gesündigt. Ich habe mich gegen Gott und die Menschen versündigt. – Aber vielleicht gehört das so auch nicht in die Öffentlichkeit. David sagt es unter vier Augen. Das gehört eher in den Beichtstuhl.
Etwas anderes ist es, die Schuld öffentlich auf sich zu nehmen und sich zu ihr zu bekennen. Wer ein öffentliches Amt hat und sich in gröbster Weise vergeht, der soll auch in aller Öffentlichkeit dazu stehen und um Entschuldigung bitten – ganz egal, ob er Christ oder Atheist ist.
II. David bekennt sich ohne Umschweife zu seiner Schuld. Das ist bewundernswert.
Es folgt die nächste Überraschung: Nathan spricht ihm im Namen Gottes die Vergebung zu – auch ohne Wenn und Aber, ohne Verwarnung, ohne Bedingungen, ohne alle moralische Vorhaltungen. Einfach so: „So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.“
Auch das ist heute nicht selbstverständlich, ja es ist anstößig. Plötzlich reagieren wir moralisch. Wir sind aufgebracht darüber, wie einfach es sich der Prophet macht – wie es dann heißt. Man stelle sich nur die Flut von Leserbriefen und Facebook Eintragungen vor: Dieser Kerl, der über einen ganzen Harem verfügt, macht sich über die Frau eines Soldaten her, der den Kopf für seinen König hinhält. Dieser Kerl, der sich alles erlaubt und seine Macht dazu benutzt, den rechtmäßigen Ehemann aus dem Wege zu räumen. Und anschließend legalisiert er sein Verhältnis zu dieser Frau. – Und nun gerade mal drei Worte: Ich habe gesündigt. Und alles ist in Butter!?
Ist das so? – Ja und nein. – Nein, denn David ist ehrlich empört über den, der so etwas getan hat – wie es seine Reaktion auf die Geschichte zeigt, von der ihm Nathan berichtet. Und nun, wo er sich selbst in dieser Geschichte, in diesem Gleichnis wiedererkennt, ist er zu tiefst getroffen, er ist fassungslos und am Boden zerstört. (Vermutlich hat das Gespräch zwischen Nathan und dem König in Wirklichkeit auch viel länger gedauert, als es hier dargestellt wird. Ganz so kurz und bündig ging es wohl nicht zu).
Ja! Auch das Ja gehört zu der Frage, ob Gott so einfach vergeben kann. Ja, er kann es, und er tut es. So ist Gott. Er vergibt. Bei ihm läuft es anders als bei uns – uns, denen es schwer fällt, Schuld zuzugeben; und uns, denen es schwer fällt, fremde Schuld zu vergeben.
Gott ist anders – er ist absolut souverän, in dem was er tut. Und er ist voller Mitgefühl und Erbarmen. Er wendet sich dem freundlich zu, dessen böse Taten ihn so empört, so enttäuscht und beleidigt haben. Dem, der ihn herzlich um Vergebung bittet. Das ist der Gott, der uns im Alten Testament begegnet, und das ist der Gott, der uns im Neuen Testament begegnet – Jesus hat das ausdrücklich bekräftigt.
III. Überraschend ist schließlich, wie es weitergeht. Wie hier unterschieden wird zwischen der Schuld – die David auf sich geladen, die er bekannt hat und die ihm vergeben worden ist – und den Folgen seines üblen Tuns. Das ist eine andere Geschichte, und die bleibt ihm nicht erspart. Der mit Bathseba gezeugte Sohn muss sterben, und das ist für den Vater ganz, ganz bitter. Es ist bewegend zu lesen, wie David im weiteren Verlauf der Geschichte um das Leben seines Sohnes kämpft, wie er darum fleht, wie er fastet und in Sack und Asche geht – ohne sein Schicksal wenden zu können.
Uns fällt es schwer zu akzeptieren, dass das Kind für das büßen soll, was der Vater Böses getan hat. Ist das Gerechtigkeit? So fragen wir heute und müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass man das damals anders sah. David hatte nach israelitischem Recht sein Leben auf doppelte Weise verwirkt – wegen des Ehebruchs und wegen des Meuchelmordes an Uria. Leben für Leben. Wenn nicht Davids Leben, dann eben das seines namenlosen Kindes. Es wird Opfer einer übergeordneten Gerechtigkeit, die wir mit unserem Glauben nicht mehr rechtfertigen können. Aber schon im Alten Testament wird sie in Frage gestellt (z. B. Hesekiel 18).
Gleichzeitig müssen wir die dahinterstehende Unterscheidung anerkennen. Die Folgen einer bösen Tat kann man nicht einfach unter den Teppich kehren. Vergeben und vergessen, Schwamm drüber – so einfach geht das nicht. Angenommen, mein Nachbar fährt in meinen Zaun – egal ob er angetrunken ist oder nicht. Wenn er mich darum bittet, werde ich ihm – vielleicht schweren Herzens – vergeben. Aber für den entstandenen Schaden muss er aufkommen. Das muss man unterscheiden.
Und wenn ihm das mit dem Zaun alle paar Monate passiert? Dann muss er eben jedes Mal wieder die Reparaturkosten übernehmen – wenn er nicht besser das Auto überhaupt in der Garage stehen lässt. Und ich soll ihm – wenn er mich darum bittet – immer wieder neu vergeben. So sagt es die Bibel. Als Petrus fragt, wie oft er seinem Bruder vergeben müsse, ob nicht siebenmal reiche – antwortet Jesus: siebenmal siebzigmal, also immer. Immer neu sollen wir versuchen, uns mit unserem Nächsten wieder an einen Tisch zu setzen. Wir müssen ihn nicht innig lieben – so ist das Gebot der Nächstenliebe nicht gemeint – aber wir sollen ihn leben lassen. Wir sollen ihm sein Leben gönnen. Wir sollen – soweit es an uns ist – das Kriegsbeil begraben.
Ist das nicht eine Zumutung, manchmal eine unmögliche Zumutung? Ja, das ist eine Zumutung. Aber wir muten Gott ja auch einiges zu.
Es empfiehlt sich natürlich, die Vorgeschichte in die Predigt einzubeziehen. Und damit würde ich beginnen. Ich mache dafür einen Vorschlag, aber ich würde die Vorgeschichte unbedingt frei erzählen, bestenfalls auf ein paar Stichworte gestützt.
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Der König sieht seine Verantwortung - Predigt zu 2. Samuel 12,1-10.13-15a von Katharina Wiefel-Jenner
Der König sieht seine Verantwortung
Und der HERR sandte Natan zu David. Und der kam zu ihm und sprach zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine war reich, und der andere war arm. Der Reiche besass Schafe und Rinder in grosser Zahl, der Arme aber besass nichts ausser einem einzigen kleinen Lamm, das er gekauft hatte, und er zog es auf, und zusammen mit seinen Kindern wurde es bei ihm gross. Es ass von seinem Bissen, trank aus seinem Becher und schlief an seiner Brust, und es war für ihn wie eine Tochter. Da kam ein Besucher zu dem reichen Mann, und diesen reute es, eines von seinen eigenen Schafen oder Rindern zu nehmen, um es für den Reisenden zuzubereiten, der zu ihm gekommen war. Und so nahm er das Lamm des armen Mannes und bereitete es für den Mann zu, der zu ihm gekommen war. Da entbrannte der Zorn Davids heftig über den Mann, und er sprach zu Natan: So wahr der HERR lebt: Der Mann, der das getan hat, ist ein Kind des Todes! Und das Lamm soll er vierfach ersetzen, weil er das getan hat und weil er kein Mitleid hatte. Natan aber sprach zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König über Israel gesalbt und habe dich aus der Hand Sauls gerettet. Und ich habe dir das Haus deines Herrn gegeben, und die Frauen deines Herrn habe ich an deine Brust gelegt, und ich habe dir das Haus Israel und Juda gegeben, und wenn das zu wenig ist, will ich dir darüber hinaus noch manches geben. Warum hast du das Wort des HERRN verachtet und getan, was ihm missfällt? Urija, den Hetiter, hast du mit dem Schwert erschlagen, und seine Frau hast du dir zur Frau genommen, und ihn selbst hast du durch das Schwert der Ammoniter umgebracht. 1So soll nun das Schwert nie von deinem Haus weichen, weil du mich verachtet und die Frau Urijas, des Hetiters, genommen hast, damit sie deine Frau werde.
Da sprach David zu Natan: Ich habe gegen den HERRN gesündigt. Und Natan sprach zu David: So sieht der HERR über deine Sünde hinweg: Du musst nicht sterben! Aber weil du mit dieser Tat den HERRN so verachtet hast, muss nun der Sohn, der dir geboren worden ist, sterben! Und Natan ging in sein Haus.
Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm.
Die Nachricht von der Beteiligung Davids an Urias Tod schlug wie eine Bombe ein. Die sozialen Netzwerke überschlugen sich. Sondersendungen. Interviews. Presseerklärungen. Der Skandal verdrängte alles andere. Die üblichen Nachrichten vom Krieg, vom Flüchtlingselend, vom Wetter – sie verloren an Bedeutung. Abend für Abend Talkrunden:
- Wieso war er eigentlich nicht an der Front? ... Typisch, die da oben machen es sich in ihren Palästen mit zig Schlafzimmern und goldenen Wasserhähnen bequem, die Truppen müssen Hitze und Dreck aushalten.
- Unglaublich wie viel Geld ihre Garderobe gekostet hat!
- Hatte Uria wirklich nichts gewusst? ... So wie er sich verhalten hatte, muss er es doch darauf angelegt haben, seine Frau zu demütigen! Warum hatte er sich sonst geweigert, bei ihr zu schlafen?
- Wollte Uria Rache! Wie dumm kann man sein, um sich an denen da oben rächen zu wollen?
- Genügt ein Befehl von ganz oben und der kleine Mann hat keine Chance mehr?
- Wusste Joab eigentlich Bescheid? Wie sehr war der General in die Angelegenheit verstrickt?
- Überhaupt, was hat sie eigentlich vorher gemacht War sie nicht ...?
- Wie lange wird er sich noch an der Macht halten können?
Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm.
Der mächtige David auf dem Höhepunkt seiner Macht. Alles war gelungen. Alles! Er war Gesalbter, Herrscher, Sieger, Sänger, König von Juda, König von Israel, Stadtkönig von Jerusalem, Stadtfürst von Ziklag. Die Könige der Nachbarvölker waren seine persönlichen Vasallen. Und er sah auch noch gut aus. Mit den Frauen war es zwar nicht ganz so einfach, aber nun hatte er Batseba. Vergessen wir ihr Vorleben.
David war oben angelangt. Alles war in seine Hand gegeben.
Nun geht der Blick nur noch nach unten: Oh, da unten - die schöne Frau! Ich will sie! Jetzt!
Alles war in seine Hand gegeben:
Kleine Probleme – seine Truppen regeln das!
Nicht vorhersehbare Zwischenfälle – die Pressesprecher finden eine Sprachregelung!
Ein widerspenstiger Ehemann – wozu hat er einen Büroleiter! Oben angelangt.
Der Blick geht nur noch nach unten.
Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm.
Die Gerüchte um den günstigen Tod des störenden Ehemanns waren längst verstummt. Uria war vorschriftsgemäß betrauert worden, Batseba im Palast eingezogen. Ein Sohn war geboren, ein bisschen früh, aber so etwas kommt vor. David, der Gesalbte, der Herrscher, der Sieger, der König residierte hoch oben in seiner Stadt.
Der Sturm bricht wie aus dem Nichts los. „Du bist der Mann!“
Der Skandal verdrängt alle anderen Meldungen. Talkrunden im Stundentakt. Wetten werden abgegeben, wer als Bauernopfer herhalten muss. Wird er die Beschuldigung als Unsinn abtun? Wird er womöglich sein Ehrenwort geben? Alles wartet auf die Presseerklärung mit den üblichen Worthülsen. Die Presse hat sich versammelt, Liveschaltungen und Eilmeldungen sind in Vorbereitung.
David, der Gesalbte, der Herrscher, der Sieger, der König ist sich dessen bewusst. Der Gesalbte, der König weiß: Wer mit dem Aufzug nach oben fährt, wird auch wieder abwärts fahren.
David tritt vor die Kameras: „Ich habe gegen den Herrn gesündigt“.
Der König bekennt sich schuldig. Der König sieht seine Verantwortung. Der König zeigt Reue und sagt nur einen Satz: „Ich habe gegen den Herrn gesündigt“.
Das Schuldbekenntnis ist die Sensation. Fassungslosigkeit bei allen. Ein König, der sich nicht aus der Affäre ziehen will. Ein König, der seine Verantwortung nicht abstreitet, sie nicht wegdelegiert, der keine Bauernopfer braucht, der sich der Wahrheit stellt. Das war noch nie da gewesen und wird wohl auch nicht so schnell wieder kommen. Sein Vorgänger Saul hat in einer vergleichbaren Lage dem Volk die Schuld gegeben. Wie es mit ihm endetet, weiß man. Der alte Adam steckt eben in allen, fast allen. David, der Gesalbte bekennt sich. Auf dem Höhepunkt seiner Macht bekennt sich David als schuldig. Es ist ihm gleichgültig, dass der Aufzug nun abwärts fahren wird.
Die sozialen Netzwerke überschlagen sich noch einmal. Experten leuchteten in die Seelenlage der Königs aus. Die schwere Krankheit des Neugeborenen habe ihn traumatisiert. Nach einer angemessenen Zeit und durch gute psychologische Betreuung werde das posttraumatische Syndrom abklingen und er wird wieder der vertraute Machtpolitiker werden. Ein paar Paparazzi haben anrührende Bilder geschossen, auf denen man sieht, wie Batseba und David zusammen weinen. Ein paar Insider berichteten, dass er vor Nathan sein Innerstes nach außen gestülpt habe. Der Gesalbte sei vor Gottes Propheten auf die Knie gegangen. Er habe vor Gottes Propheten sein ganzes Leben ausgebreitet. Weinend habe David gebetet und sich selbst so erkannt, wie er eigentlich war.
Dann kehrt Ruhe bei David ein, Batseba bekommt endlich den geliebten Sohn Salomo und Nathan darf ihn erziehen. Aber der König, der Herrscher, der Gesalbte, der Sieger hat den Zenit seiner Macht überschritten. Seine Söhne bringen ihn in Bedrängnis und er nun nimmt sich nicht mehr, was er nur mit Gewalt bekommen kann. Nun begnügt er sich mit dem, was Gott gibt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nun ist er keiner mehr, der um jeden Preis siegen will. Nun nimmt er Verluste hin und wehrt sich nicht mehr dagegen. Nun ist er demütig geworden. Erst nach diesen ganzen Ereignissen wurde er zu dem König, der er sein sollte. Kein König vor ihm hat das getan. Ein gerechter und ein Helfer, ein milder König, dessen Sohn die Tochter Zions sehnlichst erwartete.
Bei den sozialen Netzwerke blieb David präsent, aber ganz große Trendthemen kamen nicht mehr von. Die kamen stattdessen von dem, der seinen Thron auf ewig ererbt hat, der in der Davidsstadt sanftmütig einzog und der für uns elendig starb.
Jahre später gelangten übrigens die Aufzeichnungen eines Psalms an die Öffentlichkeit, den David gesungen hatte, „als der Prophet Natan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba gegangen war“ (Psalm 51,2). Wie ein Virus hat sich der Text verbreitet und wird immer noch geteilt.
So betete David:
Sei mir gnädig, Gott, nach deiner Güte,
nach dem Mass deines Erbarmens tilge meine Freveltaten.
Wasche mich rein von meiner Schuld,
und reinige mich von meiner Sünde.
Denn meine Freveltaten kenne ich wohl,
und immer steht meine Sünde mir vor Augen.
An dir allein habe ich gesündigt,
und ich habe getan, was dir missfällt.
Schaffe mir, Gott, ein reines Herz,
und gib mir einen neuen, beständigen Geist.
Verstosse mich nicht von deinem Angesicht,
und deinen heiligen Geist nimm nicht von mir.
Bringe mir wieder die Freude deiner Hilfe,
und stärke mich mit einem willigen Geist.
(Psalm 51,3-5,12-14)
Gott aber hat ihn und alle erhört, die so beten. Amen.
Bibeltext in der Übersetzung der Zürcher Bibel (2007)
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KONFI-IMPULS zu 2. Samuel 12,1-15 von Christina Hirt
Konfi-Impuls zu 2. Samuel 12,1-15
Da der Sonntag in die Ferienzeit fällt, hier einige Konfizitate zum Text.
Kommentare zur Erzählung vom Armen, dessen geliebtes Schaf geraubt wird:
Wie geht es dem armen Mann, was denkt er?
- er ist sehr traurig, vielleicht bricht er körperlich zusammen.
- er fühlt sich voll ungerecht behandelt
- mit dem Lamm hat er sein ein und alles verloren
- er hasst den Reichen für das, was er ihm angetan hat
Warum hat der Reiche so gehandelt?
- weil er egoistisch war
- weil er zeigen wollte, dass er mächtig ist
- weil er geizig war und selbst von seinem Überfluss nichts für seinen Gast übrig hatte
- weil er keine Ahnung hat, wie es ist, arm zu sein
- weil er den Armen fertig machen wollte, der würde eh bald sterben
Wie würde Gott auf diese Geschichte reagieren?
- Gott würde den Reichen in die Mangel nehmen, vielleicht ein Unglück schicken zur Strafe
- er würde ihm einreden, dass er sich entschuldigt und dem anderen eine Entschädigung zahlt
- er würde jemanden schicken, der ihm ins Gewissen redet
Die eigene Fortsetzung der Geschichte
In einem zweiten Schritt haben die Konfirmanden ihre eigene Fortsetzung zu der Geschichte geschrieben. Auffällig war, dass in der Mädchengruppe die meisten mit der Einsicht des Reichen rechneten und dem Armen eine angemessene Entschädigung zukommen ließen. „Der Reiche hat sein Geld, der Arme hat ein Herz“ war der Kommentar eines Mädchens, in dessen Fortsetzungsgeschichte der Reiche den Armen letztlich um seine liebevolle Beziehung zu seinem Tier beneidete und seine Tat schließlich bereute. „Vielleicht hilft dann der Reiche dem Armen, weil er einsieht, dass Geld nicht alles im Leben ist.“ Bei der Jungengruppe war die Fortsetzung eher nicht so versöhnlich. Entweder rächte sich der Arme (er stiehlt die Tiere des Reichen, er bringt ihn um) oder aber der Reiche ging völlig unberührt aus der Geschichte hervor, weil er den Richter bestechen konnte.
Bei der Einschätzung, wie es denn real mit der Gerechtigkeit in unserer Welt besteht, waren sich aber die meisten einig: in der Hälfte der Fälle wird dem Recht genüge getan, in der anderen Hälfte siegt die Ungerechtigkeit. Beispiele aus der Schule wurden genannt, wo einer etwas verbockt hatte und die ganze Klassengemeinschaft dafür büßen musste.
Gottes Urteil über David
Kommentare zur gesamten Textstelle 2. Samuel 12,1-15:
- Die angekündigte Strafe (10f) ist gerecht, weil David das erleiden muss, was er selbst anderen angetan hat.
- Das erste Urteil von Gott ist ziemlich hart. Es gibt ja gar keine zeitliche Begrenzung, wann David oder seine Familie die Strafe abgegolten haben. Nach einiger Zeit könnte Gott ihm schon einen Teil erlassen.
- Es ist gut, dass Gott auch straft, denn nur so kann ich auch aus meinen Fehlern lernen.
- Dass David büßen muss, ist in Ordnung. Aber es ist unfair, dass andere auch mit hineingezogen werden. Vor allem das Kind kann ja wirklich nichts dafür!
- David dürfte auf jeden Fall kein König mehr bleiben.
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Der mutige Mediator und der Weg zur Einsicht - Predigt zu 2. Samuel 12,1-10.12-15a von Mira Stare
„Du selbst bist der Mann.“ (2 Sam 12,7) / Der mutige Mediator und der Weg zur Einsicht
Liebe Glaubende,
unser Leben besteht aus einem Beziehungsnetz. Wir sind mit anderen Menschen gegenseitig verbunden. Dabei haben wir keine neutrale Rolle. Unser Dasein, unsere Einstellungen, Worte und Taten prägen diese Beziehungen. Nicht immer wirken wir aufbauend und konstruktiv, sondern auch verletzend und destruktiv. Es kann uns passieren, dass wir für unser Fehlverhalten gegenüber anderen Menschen blind bleiben – unabsichtlich oder sogar absichtlich.
Solche Probleme sind nicht von heute, sondern durchziehen die Geschichte der Menschheit. Wir entdecken sie wiederholt auch in der Bibel. Die heutige Schriftlesung ist ein Zeugnis dieser Problematik. Vor dem sündigen Verhalten bleiben sogar die Autoritäten des Volkes Israels, zu denen auch der König David zählt, nicht verschont. Denn David begeht Ehebruch und Mord. Er nimmt sich Batseba, die Frau des Urija, der einer seiner Krieger ist, und schickt Urija in den Tod. Das Verhalten Davids gefällt Gott nicht. Er greift in dieses Geschehen ein und schickt seinen Propheten Natan zu Daivd. Dieser tritt als Mediator Gottes auf und verhilft David zur Einsicht in seine falschen und sündigen Taten. Auffällig ist die indirekte Art, auf welche Natan dem David die Augen öffnet. Er erzählt zuerst eine Parabel, die sogenannte Natansparabel. Es geht um die Geschichte zweier Männer, eines Reichen und eines Armen. Der reiche Mann, der viele Schafe und Rinder besitzt, beutet den armen Mann, der nur ein kleines Lamm besitzt, aus. Denn er nimmt für die Bewirtung seines Besuches dieses einzige Lamm des armen Mannes. Auf die Natansparabel äußert sich David sofort und verurteilt den reichen Mann. Nach seiner Meinung verdient dieser den Tod. Ebenso ist für David der Schadenersatz für das Lamm, das an den armen Mann ergehen soll, wichtig.
Nun kommt die entscheidende Wende im Gespräch zwischen Natan und David. Mit Hilfe dieser Parabel eröffnet Natan dem David die Augen:
„Du selbst bist der Mann.“ (2 Sam 12,7)
So bringt Natan den Ehebruch und den Mord, den David begeht, direkt zur Sprache. Im Namen Gottes erweist sich Natan als mutiger Mediator. Wie David auf seine Worte reagieren wird, weiß er vorher nicht. In jedem Fall erfährt David auf dem Höhepunkt seiner Macht auch seine größte persönliche Niederlage (Ehebruch und Mord). Natan gelingt es tatsächlich, die Augen des Königs Davids zu öffnen und ihn zur Einsicht seiner schweren Vergehen und Sünden zu bringen. Demzufolge bekennt David:
„Ich habe gegen den Herrn gesündigt.“ (2 Sam 12,13a)
Natan, der Mediator Gottes, richtet dem David nun noch eine Botschaft aus:
„Der Herr hat dir deine Sünde vergeben; du wirst nicht sterben.
Weil du aber die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern veranlasst hast,
muss der Sohn, der dir geboren wird, sterben.“ (2 Sam 12,13b-14)
David, der seine Sünde bereut, ist die Vergebung Gottes geschenkt. Er selbst bleibt am Leben. Sein sündiges Verhalten führt jedoch zu Konsequenzen, nämlich zum Tod des Kindes, das er mit Batseba erwartet. Auch diese schweren Worte des Natan gehen in Erfüllung. Erst das zweite Kind von David und Betseba, nämlich Salomo, bleibt am Leben. Im Namen Gottes nennt Natan dieses Kind auch Jedidja (Liebling des Herrn).
Die Geschichte Davids zeigt uns, wie schwer es ist, zur Einsicht in die eigenen Fehler und Sünden zu kommen, obgleich diese groß und zum Himmel schreiend sind (wie die Kombination von Ehebruch und Mord). Erst mit Hilfe des mutigen Propheten und Mediators Natan ist sich David seines verletzenden und mörderischen Verhaltens bewusst.
Auch im Neuen Testament gibt es Textzeugnisse mit dieser Problematik. Jesus zeigt immer wieder Mut und versucht die Menschen, die für eigene Fehler und Sünden blind sind, zur Einsicht zu bringen. Diesbezüglich finden wir wichtige Worte in der Feldrede Jesu im Lukasevangelium:
„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders,
aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?
Wie kannst du zu deinem Bruder sagen:
Bruder, lasse mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!,
während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht siehst?
Du Heuchler!
Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge;
dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen.“ (Lk 6,41-42)
Jesus zeigt auf, dass es leichter ist, die kleinen Hindernisse, den Splitter, bei anderen Menschen zu sehen, und bereit zu sein, ihnen bei der Behebung dieses Hindernisses zu helfen, als das viel größere Hindernis, den Balken, im eignen Auge zu sehen und dieses zu entfernen.
Weiter rettet Jesus eine Frau vor der Steinigung mit dem Hinweis auf die Sünde derjenigen, die sie wegen ihres Ehebruchs verurteilen und steinigen möchten. Es ergeht dieser Frau nach ihrem Ehebruch völlig anders als dem König David nach seinem Ehebruch. Diese Frau befindet sich nun vor dem Todesurteil und der Steinigung, der König David begeht nach dem Ehebruch noch den Mord, um sich selber zu schützen. Das Johannesevangelium berichtet nun über die Intervention Jesu in dieser gespannten Situation:
„Als sie (die Schriftgelehrten und Pharisäer) hartnäckig weiterfragten,
richtete er sich auf und sagte zu ihnen:
Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.
Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort,
zuerst die Ältesten.
Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand.“
(Joh 8,7-9)
Jesus rettet diese Frau, die wegen des Ehebruchs belastet ist, vom Verurteilen und Tod. Sie wird nun von ihm aufgefordert, ihren Weg zu gehen, aber nicht mehr zu sündigen.
Liebe Glaubende, diese Begebenheiten aus der Bibel stellen auch uns vor die Frage, ob wir uns unserer Grenzen wie auch unserer Fehlverhaltens und unserer Sünden bewusst sind. Wenn wir im Familien- und Freundeskreis, auf dem Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit Konflikte oder sogar Streit und Verletzungen erfahren, geben wir die Hauptverantwortung dafür anderen oder sehen wir uns als Mitverantwortliche/r? Gibt es Mediatoren, die uns die Augen aufmachen und zur Einsicht verhelfen? Oder wirken auch wir als Mediatoren und haben Mut, die Worte der Wahrheit zu sprechen, wo andere nicht mehr ihr Fehlverhalten und die destruktiven Konsequenzen ihrer Worten und Taten sehen? Finden wir dabei die richtige Art, die andere Menschen dabei nicht verletzt?
Der Weg zur Einsicht ist nicht leicht und oft gelingt sie erst durch das Mitwirken der anderen Menschen (wie bei David durch die Mediation von Natan). Er ist jedoch der Weg, der die Wende mit sich bringt, der die Augen öffnet, den Stachel der Sünde und der Gewalt bricht und der das neue Leben uns und unseren Menschen bringt. Bleiben wir aufmerksam darauf, wo Gott uns durch andere Mitmenschen anspricht! Haben wir aber auch Mut, im Namen Gottes aufzutreten, dort wo er uns als seine Mediatoren und Botschafter ruft! Denn unser Leben geschieht in Beziehungen und wir können dabei keine neutrale Rolle spielen.
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Vergebung – der Verzicht Gottes, Predigt zu 2.Samuel 12,1-10.13-15a von Angelika Volkmann
Vergebung – der Verzicht Gottes
Liebe Gemeinde,
für das Wichtigste genügen wenige Worte.
„Ich bin schwanger.“
„Du bist der Mann!“
„Ich habe gesündigt gegen Gott.“
Batseba, Nathan und David, die Menschen in dieser Geschichte, äußern sich an den entscheidenden Stelle in unübertrefflicher Kürze. Es geht um große Lebensthemen. Es geht um eine Verfehlung und ihre Folgen. Im Hebräischen sind das jeweils zwei Worte, zwei knappe entscheidende Worte, mit denen alles gesagt ist. Von diesen drei Äußerungen aus begeben wir uns in die Geschichte hinein und sehen, was sie uns zu sagen hat.
„Ich bin schwanger“.
Das ist die einzige Äußerung aus Jahrzehnten, die von Batseba überliefert ist. Dieser eine Satz. Ein bedeutender Satz im Leben von vielen Frauen. „Ich bin schwanger.“ Je nach Situation kann da große Freude mitschwingen oder auch Angst, gar Entsetzen.
Es ist Frühling. Zeit, Krieg zu führen. Batseba ist Soldatenfrau. Ihr Mann Uria ist im Einsatz. Das Heer belagert Rabba, die Hauptsstadt der Ammoniter. Jeden Tag muss sie darauf gefasst sein eine schlimme Nachricht zu erhalten. Sie wartet ins Ungewisse hinein darauf, dass er kommt.
König David ist in Jerusalem. Das ist nicht ungewöhnlich. Der König ist nur bei den wichtigsten militärischen Operationen anwesend. Nach seiner Ruhe während der heißesten Zeit des Tages ergeht sich der König auf dem Dach des Palastes – und erblickt Batseba, die sich wäscht - vermutlich in einem Innenhof eines Hauses am Hang. David sieht, dass Batseba von sehr schöner Gestalt ist – und begehrt sie. Das Weitere ist schnell geschehen. Er erkundigt sich, wer sie ist – und die Tatsache, dass sie die Frau Urias ist, eines erfahrenen und momentan sich im Feld befindenden Hauptmannes und damit unter einem besonderen Tabu steht, hindert ihn nicht, sie in den Palast zu rufen und mit ihr zu schlafen.
Wie das für Batseba ist, erfahren wir nicht. Hätte sie sich widersetzen können, wenn der König sie ruft? Ihn vor Zeugen seiner Untat bezichtigen? Oder wollte sie selber, was sie tat, war Verliebtheit und Lust im Spiel? Oder eine Art Ergebenheit in den Gang des Lebens in der Ausnahmesituation einer Kriegszeit? Drängte es sie, der Todesmaschinerie ein stilles Zeichen des Lebens entgegenzustellen? Kriegszeiten sind Zeiten für Kuckuckskinder. Was nicht bedeutet, dass ihre Liebe zu ihrem Mann Uria erloschen ist. Sie kehrt zurück in ihr Haus.
Als sie kurz darauf feststellt, dass sie schwanger ist, schickt sie jemanden zu David und lässt ihm ausrichten: „Ich bin schwanger.“ Mehr sagt sie nicht. Er ist König. Er soll sehen und entscheiden, was in dieser verworrenen Situation zu tun ist.
König David möchte die Folgen des Schäferstündchens geschickt auflösen. Unter einem Vorwand lässt er Uria von der Front zu sich kommen und schickt ihn anschließend nach Hause. Er will ihm das Kind unterschieben. Doch Uria weigert sich mit Entschiedenheit, in sein eigenes Haus zu gehen, dort zu essen und zu trinken und bei seiner Frau zu liegen während seine Kameraden im Feld sind. Ist er so vorbildlich in seinem Charakter? Oder ahnt er etwas, ist ihm der Hoftratsch zu Ohren gekommen – und jetzt möchte er nicht den ahnungslosen Ehemann und Vater eines fremden Kindes geben?
Dieser Plan von David geht also nicht auf. Was also tun? Scheinbar gibt es nicht viele Möglichkeiten. Einen Ehebruch kann er sich als König nicht leisten. Es darf auf keinen Fall herauskommen. Die Gedanken verengen sich in solchen Situationen. Die Möglichkeit, zu seinem Handeln zu stehen und die Konsequenzen zu tragen, die gibt es auch jetzt. Doch David ist blind dafür. Der Preis dafür ist ihm zu hoch. Stattdessen tut er etwas, was ihn noch viel mehr kostet. Er erteilt den Befehl, dass Uria dort eingesetzt wird, wo der Kampf am härtesten ist und schlimmer noch, dass sich die Deckung in der Kampfsituation zurückziehen soll, damit Uria im Kampf getötet wird. So geschieht es.
Batseba hört, dass ihr Mann Uria tot ist. Ahnt sie, wie das gekommen ist? Will sie es wissen? Sie hält die Totenklage um ihn.
Nachdem diese vorbei ist, lässt David sie in seinen Palast holen, heiratet sie, und das Kind, das Monate später geboren wird, ist nun ganz offiziell Davids Sohn.
Aber Gott missfiel die Tat, die David getan hatte.
„Du bist der Mann!“
Das sagt Nathan, der Hofprophet. Er hat David verkündet, dass Gott ihm und seinen Nachkommen einen beständigen Königsthron geben wird. Und nun das!
Für David scheint die Sache ausgestanden zu sein. Monate sind ins Land gegangen, er ist beschäftigt und denkt nicht mehr an die Heimlichkeiten, denkt nicht mehr an Uria.
Da kommt Nathan zu ihm. Von Gott geschickt. Das wird Nathan Mut gekostet haben. Den König zu kritisieren ist gefährlich. Das muss man unter Umständen mit dem Leben bezahlen.
Nathan kennt David und seinen Sinn für Gerechtigkeit, sein Urteil gegen Ungerechtigkeit. Nathan ist weise. David soll von selber zur Einsicht kommen. Er erzählt ihm eine kunstvolle Geschichte, die Parabel vom Lamm des Armen:
Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder, aber der Arme hatte nichts als ein kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank von seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt’s wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, bracht er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
In der Annahme, Nathan berichte ihm einen konkreten Vorfall, gerät David in großen Zorn: „Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.“
Davids Zorn ist zu groß. Ein gestohlenes Tier vierfach zu ersetzen, das verlangt auch die Tora – aber ein Todesurteil? Das ist unangemessen, eine Überreaktion. Für seinen eigenen Fehler ist David nach wie vor blind. So sind wir Menschen. Die Fehler der anderen sehen wir viel deutlicher. Davids großer Zorn ist wohl ein Zeichen dafür, wie sehr er sich in einer geheimen Kammer seines Herzens selbst verurteilt. Er spricht das Urteil über sich selbst. Doch er weiß es nicht!
Da sagt Nathan zu David: „Du bist der Mann!“
Das trifft. Das sitzt. Es fällt David wie Schuppen von den Augen. Dem hat er nichts entgegenzusetzen. Mit einem Mal sieht er die Wahrheit über sich selber. Er ist schockiert. Schockiert über sich selbst und das, was er getan hat. Er hat viele Frauen und hätte noch weitere haben können – und nimmt Batseba und zerstört deren Leben und das von Uria – und damit nicht genug, er tötet ihn noch. Das ist unverzeihlich.
„Du bist der Mann!“ sagt Nathan und fährt fort: „So spricht der Herr, der Gott Israels.“ Es ist eine Gottesrede an David, die nun folgt. „Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des Herrn missachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durch das Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. So spricht der Herr: Siehe, ich will Unrecht über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause.“
Ja, das ist die Wahrheit. David ist einsichtig. Er will sich aus dieser Sache gar nicht herausreden. Er lässt sich in der Seele erreichen von diesem Wort Gottes.
„Ich habe gesündigt gegen Gott.“
Davids Worte. Unumwunden bekennt er sich zu seiner Schuld, zu dem, was er getan hat. Er redet sich nicht heraus wie Saul oder wie Adam. In vollem Umfang steht er zu seiner Schuld. Nicht nur gegen Batseba und Uria hat er gesündigt, sondern gegen Gott. Ehebruch und Mord, das ist ungeheuerlich.
„Ich habe gesündigt gegen Gott.“ Er weiß nicht, wie es weitergehen soll, er ist blamiert, er hat den Tod verdient, er hat alle enttäuscht und seine Lebensaufgabe verraten. Er ist am absoluten Tiefpunkt. Er wendet sich an Gott.
„Gott sei mir gnädig nach deiner Güte
und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.
Wasche mich rein von meiner Missetat
und reinige mich von meiner Sünde;
Denn ich erkenne meine Missetat,
und meine Sünde ist immer vor mir.
An dir allein habe ich gesündigt
und übel vor dir getan,
auf dass du Recht behaltest in deinen Worten
und rein dastehst, wenn du richtest.“
Diese Psalmverse aus dem 51. Psalm haben wir vorhin gebetet. Es ist der Psalm, der David zugeschrieben wird, in dieser Situation.
Es tut ihm Leid! Am liebsten würde er alles rückgängig machen, würde sich gerne bewähren in der Situation, in der er sich so verfehlt hat. Das zeichnet ihn aus. Für viele Menschen ist es sehr schwer, Fehler zuzugeben, auch viel kleinere Fehler. Grundsätzlich reden wir uns gerne raus, bestreiten, etwas dafür zu können, bringen Erklärungen für das Geschehene, werfen Nebel darüber, rechtfertigen uns selber, drehen Worte ins Gegenteil usw.
Dabei ist es erlösend, Schuld zuzugeben! Verschwiegenes Unrecht fügt einem Menschen großen Schaden zu, es zerstört die Seele, die Integrität. David hingegen wird durch seine Reue zu dem, der er ist. Er behält seine Würde, er gelangt dadurch zu seiner wahren Identität. Ja, er ist einer, der zu so etwas fähig ist. Und er ist einer, der die Stärke hat, es zuzugeben und zu bereuen, einer, der die Verantwortung für seine Tat übernimmt. Er ist jemand, der sich an einem solchen Tiefpunkt Gott zuwendet und sich bei Gott aufgehoben weiß. Er weiß, dass er auf Gottes Gnade angewiesen ist. Er ist im besten Sinne demütig. Wem viel vergeben ist, der liebt viel.
„Ich habe gesündigt gegen Gott.“ Mit diesen knappen Worten ist alles gesagt. Es ist die große Stärke Davids, das zuzugeben. Es ist befreiend und vorbildlich. Es zeugt von Treue zu Gott und von Treue zu sich selbst. Es ist der einzige Weg, wenn es gut weitergehen soll.
Nathan spricht ihm Gottes Vergebung zu. „So hat auch der Herr deine Sünde hinweggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.“
Gott vergibt ihm! Sein Leben darf segensreich weitergehen. Wie gut! Ihm wird vergeben.
Und Vergebung bedeutet nicht, der Konsequenzen einer schlimmen Tat enthoben zu sein. Vergebung bedeutet nicht, eine Tat zu verharmlosen.
David hat Tod und Trauer in die Welt gebracht und Tod und Trauer sind durch ihn in der Welt. Wir mögen uns fragen, was denn sein kleiner neugeborener Sohn dafür kann. Er kann nichts dafür. David hat seinen Tod und die Schmerzen Batsebas zu verantworten. Ihm gilt diese Strafe.
David sucht Gott um dieses Kindes willen, er betet und fastet tagelang, und wenn er nach Hause kommt, legt er sich über Nacht auf die Erde, lässt sich nicht aufheben von den Ältesten des Hauses und isst nicht mit ihnen.
David hat es verstanden. Er leugnet nichts mehr, im Gegenteil, so intensiv wie es ihm möglich ist setzt er sich mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele dafür ein, dass dieses Kind am Leben bleiben kann. Er hat sich gewandelt. Er hat jetzt ein Gespür für diese Dimensionen des Lebens, mit denen er so leichtfertig umgegangen ist. Das ist seine Heilung.
Am siebten Tag stirbt das Kind. Für sich wird David das akzeptiert haben, die damit verbundene Last und Trauer angenommen haben.
Nun geht er zu Batseba und tröstet sie.
Auch ihr gegenüber übernimmt er die Verantwortung für all das, was geschehen ist. Ja, ich habe dich kommen lassen damals, obwohl du einen Mann hast und obwohl er im Feld war. Ja, ich habe ihn getötet. Ja, ich trage die Verantwortung dafür, dass unser Kind nun auch sterben musste. Ich habe so vieles zerstört in meinem Egoismus. Ja, ich bin einer, der zu so etwas fähig ist. Es gehört Größe dazu, so zu trösten, sich so zu versöhnen.
Und auch für Batseba gehört Größe dazu, sich all das anzuhören von David, der ihr nicht ausweicht, der zu allem steht, was er getan hat. Es gehört Größe dazu, zu sehen, dass er jetzt wirklich begriffen hat, dass er sich gewandelt hat; es gehört Größe von ihr dazu, sich trösten zu lassen. So kann es geschehen, „dass aus zwei unbesonnenen Verliebten zwei solch verantwortungsbewusste, belastbare Persönlichkeiten werden“. *
Das ist es, was Gott will. Er will vergeben und versöhnen und dass die Menschen sich vergeben und versöhnen. Gott hört nicht auf, uns dazu zu rufen, um uns zu werben. Wir können uns glücklich schätzen, wenn er auch uns einen Nathan schickt, jemanden, der uns die Augen öffnet für das Leid, das wir anderen angetan haben. Und dann ist noch lange nicht alles aus.
Simone Weil schreibt: „Jemand, den ich liebe, enttäuscht mich. Ich habe ihm geschrieben. Unmöglich, dass er mir nicht das Gleiche antwortet, was ich mir selber in seinem Namen gesagt habe. Die Menschen schulden uns, was wir in unserer Einbildung von ihnen erwarten. Ihnen diese Schuld erlassen. Hinnehmen, dass sie anders sind als in unserer Einbildung, heißt, den Verzicht Gottes nachahmen. Auch ich bin anders, als zu sein ich mir einbilde. Dies wissen, das ist die Vergebung.“ ** Vergebung – der Verzicht Gottes. Er hätte es auch anders gewollt. Und doch: selbst wenn die Schuld groß und die Situation sehr verfahren ist, schenkt er die Gnade neuen segensreichen Lebens.
Nachdem David Batseba getröstet hatte, ging er zu ihr hinein und wohnte ihr bei. Und sie gebar einen Sohn, den nannte er Salomo. Und der Herr liebte ihn.
Amen.
*Susanne Schöllkopf, 11.Sonntag nach Trinitatis: 2.Sam 12,1-10.13-15a, Wem wenig vergeben ist, der liebt wenig, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext zu Perikopenreihe, Herausgegeben von Studium in Israel e.V., Wernsbach 2007 s.279-282. Dieser Meditation habe ich außer diesem Zitat weitere Gedanken und Anregungen, vor allem über Batseba entnommen.
** Simone Weil, zitiert bei Barbara Rohr, Verwurzelt im Ortlosen, Einblicke in Leben und Werk von Simone Weil, LIT Bd. 16, Münster 2000, S. 88 (gefunden bei Susanne Schöllkopf a.a.O.)
Weitere Einsichten verdanke ich der Auslegung von Robert Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Band 4, Stuttgart 1989, Die alttestamentlichen Predigtexte des 6. Jahrgangs, S. 136-155: Das Gleichnis vom „Lamm des Armen“ – 2Sam 12,1-10.13-15a
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Predigt zu 2. Samuel 12,1-10.13-15a von Wolfgang Vögele
„Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt's wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. (…) Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. Und Nathan ging heim.“
Liebe Gemeinde,
über die Predigt zu dieser bekannten Geschichte aus der Bibel mußte ich lange nachdenken. Als ich gestern abend endlich auf die Taste drückte, um die vier Blätter auszudrucken, kam statt der Predigt ein Brief aus dem Druckerschacht. Ich überflog den Brief, las ihn dann mehrmals, und ich war so bewegt, daß ich entschieden habe, Ihnen den Brief in diesem Gottesdienst vorzulesen.
„Liebe Eltern, lieber Vater David, liebe Mutter Bathseba, lieber Prophet Nathan,
ich bin das Kind, das nur noch wenige Tage zu leben hatte. Ich war nicht mehr als ein Jahr alt, und mir wurde gesagt, daß Gott meinen Tod bestimmt habe. Nicht mich, sondern meinen Papa, den König habe Gott damit bestrafen wollen. So sagten es jedenfalls die Geschichtsschreiber Davids. Ich sollte sterben, ohne daß ich etwas dazu getan hätte.
Und ich starb.
Diesem Unrecht will ich Worte verleihen. Eigentlich kann ich nur schreien oder quengeln. Aber wenn man mir die Chance nimmt, erwachsen zu werden, muß ich früher das Wort ergreifen, obwohl es eigentlich unwahrscheinlich ist, daß ein Baby denkt und schreibt. Als ich lebte, konnten die meisten Menschen nicht schreiben. Und wer schreiben konnte, formulierte keine persönlichen Briefe.
Das Unrecht hat sich aufgestaut, ich habe Jahrtausende lang geschwiegen. Jetzt muß es endlich heraus. Wer nicht reden kann, muß wenigstens aufschreiben, gegen alle Wahrscheinlichkeit. Ich will endlich die Gelegenheit zur Klage nutzen.
Liebe Mama, Du hast es schnell gemerkt, als Du mit mir schwanger warst. Ich habe absichtlich heftig in Deinem Bauch gestrampelt. Mehrfach. Ganz erschrocken bist Du sofort zum König gelaufen. Der König, mein Vater, hat sich dann große Mühe gegeben, Deine Schwangerschaft und meine Existenz zu vertuschen. Aber der erste raffiniert ausgeheckte Plan ist ja schnell gescheitert. Dein erster Ehemann, der General Uria wollte nicht mit Dir schlafen, als er vom Krieg nach Hause kam. Die zweite Intrige, die mein Vater in Gang setzte, klappte besser, und Uria kam bei der Schlacht ums Leben. Seine Soldaten haben ihn dafür als Helden geehrt. Der Heerführer des Königs hatte ihn dafür eigens an die vorderste Front beordert, auf ein Himmelfahrtskommando. Es sah alles so aus, als sei Dein Ehemann Uria einen ehrenvollen Tod auf dem Schlachtfeld gestorben. Niemand durchschaute das Spiel, das Dein geliebter David, den alle Politiker und Hofschranzen so schätzten, hinterhältig inszeniert hatte. Geheiratet hast Du ihn dann trotzdem. Ihr seid zusammengezogen in den Palast.
Und ich bin dann geboren worden, nach zwölf Stunden Wehen. Das dauerte so lange, weil ich der Welt mißtraute, in die ich geboren werden sollte. Ansonsten schien alles in Ordnung. Natürlich hast Du, lieber Vater, nicht die Nabelschnur durchschnitten.
Merkwürdig nur, daß niemand meinen Namen kannte. Ich war für alle nur das „Kind, das Urias Frau David geboren hatte“. Schon dieser behelfsmäßige Name sollte zeigen, was jeder wußte, aber nicht aussprach: Ich war Unrecht, an mir haftete ein Makel, ich störte – in der Politik und gleichzeitig im Familienleben. Im Königshaus läßt sich beides ja oft nur schlecht auseinanderhalten. Liebe Mama, ich kann verstehen, daß Du in den Palast gezogen bist. Nach dem Tod Deines ersten Mannes, des Heldengenerals, wolltest Du ja versorgt sein. Und Papa, der König, hat sich um Dich gekümmert, er hat Dich auch geliebt. Über die Intrige hat er sich keine großen Gedanken mehr gemacht. Der Vorfall in der Schlacht war schnell vergessen. Kriege kosten eben Menschenleben. Und manchmal trifft es genau den Richtigen. Oder den Falschen, wie man es nimmt.
Lieber Natan, Du hast die ganze abgefeimte Sache dann ans Licht gebracht. Ich fand das mutig, wie Du geredet hast, erhobenen Hauptes und auf Augenhöhe mit dem König, obwohl Du nur ein im Palast angestellter Prophetenbeamter warst. Das hätte Dich leicht Deine Pension kosten können. Wenn Du Angst hattest, gespürt hat sie niemand von denen, die zugehört haben. Du hast diese Geschichte erzählt vom reichen Mann mit den vielen Schafen und vom armen Mann mit dem einen Schaf. Mein Vater hat es nicht gemerkt, wie er hereingelegt wurde und sich selbst verurteilte.
Lieber Natan, das war ein sehr geschickter Schachzug, diese Geschichte zu erfinden. Wenn ich mir vorstelle, Du hättest Deinen Dienstherrn direkt auf den Ehebruch angesprochen. Ich kann mir denken, was der König befohlen hätte: Disziplinarverfahren, Entlassung, Bestrafung, vielleicht Hinrichtung, Löwen oder Steine. Der Prophet, der das Unangenehme, Unpassende ausspricht, begibt sich in große Gefahr. Oder er muß großes Vertrauen zu Gott haben. Du aber hast zu einer List gegriffen und die Geschichte vom Reichen erzählt, der dem Armen das Schaf wegnimmt, um einen Gast zu bewirten. Und mein Vater hat Dir sofort zugestimmt in dem, was Du ihm nahegelegt hast. Wer als Reicher ausgerechnet einem Armen den einzigen Besitz raubt, muß sterben. Was im übrigen ein wenig übertrieben war, denn eigentlich steht auf den Raub eines Schafes nicht die Todesstrafe. Auf Ehebruch steht sehr wohl die Todesstrafe, obwohl man auch das für übertrieben halten kann. David ist in die Falle gegangen, die Du ihm gestellt hast. Ich gratuliere Dir dafür. Das war ein sehr geschickter Schachzug. Es erinnert mich an die Listen des schlauen Odysseus. So konnte der König nicht mehr ausweichen. Wenn er Dich trotzdem entlassen hätte, jeder hätte gewußt, daß er den Boten für seine Botschaft bestraft.
Lieber David! Lieber Papa, hoch geehrter Herrscher und Befehlshaber der Truppen! Sehr geehrter Angeklagter! Ich weiß nicht, was ich von Dir halten soll. Es gäbe mich nicht, wenn Du Dich nicht in eine verheiratete Frau verliebt hättest. Ich wüßte gerne, ob es schön war für Dich, als Du mit meiner Mutter geschlafen hast. Hast Du sie wenigstens geküßt? Hast Du kein Unrechtsbewußtsein gehabt, kein schlechtes Gewissen? Konntest Du Dich nicht ein einziges Mal zurückhalten? Hast Du nicht ahnen können, daß die Verwicklungen, die Du mit Deiner Affäre ausgelöst hast, kein gutes Ende nehmen werden? Ich weiß, in dem Buch, das Deine Nachkommen die Bibel nennen, wirst Du ganz einhellig gepriesen und bewundert. Du bist das Vorbild aller Könige Israels, Du bist der sensible Psalmendichter, Deine kluge Herrschaft brachte außenpolitischen Erfolg und Stabilität im Innern, Wirtschaftswachstum und Wohlstand, eine längere Phase des Friedens in einem geeinten Land. Du hast die übermächtigen Philister besiegt. Die Art und Weise, wie Du mit Goliath gekämpft hast, hat mir sehr gefallen. Ich mußte schmunzeln, als ich die Geschichte mit der Schleuder zum ersten Mal hörte. Alle loben und preisen dich. Wenn die Leute darüber nachdenken, welche guten Eigenschaften ein König haben müßte, dann sagen sie: Er soll so sein wie Du. Denn Du bist der einzige, der Gott stets treu blieb.
Spätere Historiker haben dann einschränkend vermerkt: „außer in der Sache mit Uria, dem Hetiter“ (1Kön 15,5). Ich hätte es schön gefunden, wenn dabei auch ich, das königliche Baby, das sterben mußte, erwähnt worden wäre. Liebe Konfliktbeteiligte, ich hätte mir gewünscht, ich wäre etwas mehr wie das „Royal Baby“ behandelt worden, wie George, der Sohn von Prince William und Herzogin Kate. Nur auf die Fotografen hätte ich verzichten können.
Lieber Papa, an einer Stelle kann auch ich Dir meine Bewunderung nicht versagen. Als Dir Natan die Geschichte vom Reichen und vom Armen erzählt hat, hast Du Deinen Fehler ohne langes Drumherumreden sofort eingestanden. Dir war das alles vorher schon klar. Du hast gewußt, daß Dein Verhalten nicht richtig war. Und Du hättest gerne gehabt, wenn die Öffentlichkeit Deinen Fehler vergessen hätte. Politiker und Könige beherrschen alle meisterhaft die Kunst der Vertuschung, der Verheimlichung und des Verschweigens. Ich habe übrigens später das Dossier gelesen, das ein Schriftsteller unter dem Titel „Der König-David-Bericht“ veröffentlicht hat. Wenn von dem, was darin dokumentiert ist, nur ein Zehntel stimmt, dann…
Aber als dann alles aufgeflogen war, hast Du nicht gezögert, Dich zu Deinem Fehler, zu Deiner Sünde zu bekennen. Das unterscheidet Dich übrigens von anderen Politikern. In Deutschland, habe ich gehört, warten heute noch Menschen darauf, daß einer der Bundeskanzler im Ruhestand endlich preisgibt, von wem er gewisse Parteispenden empfangen hat. Dieser Bundeskanzler außer Diensten fühlt sich an ein Ehrenwort gebunden, obwohl er genau weiß, daß er von Gesetzes wegen die Namen der Spender nennen müßte.
Du, mein König und Vater, fühlst Dich an Gottes Wort gebunden. Und Dein Schuldbekenntnis vor Nathan zeigt, daß Du es damit ernst meinst. Du bist ja auch als Lyriker hervorgetreten. Einer Deiner Psalmen, nach späterer Zählung der einundfünfzigste, trägt ja den Untertitel: „Als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba eingegangen war.“ (Ps 51,2) Vielleicht hast Du diesen Psalm gar nicht geschrieben, diejenigen, die man später Exegeten nennt, halten das für wahrscheinlich. Aber dennoch die Frage: Wieso hast Du in diesem Psalm nur von Dir selbst und Gott geredet? Wieso hast Du Deine Frau und Dein Kind, Deinen Sohn, mich, nicht erwähnt? Ich bin offensichtlich nicht wichtig genug. Obwohl ich wenige Tage nach Deinem Schuldbekenntnis gestorben bin. Und daran störe ich mich.
Lieber Vater, lieber Prophet, ich bin der übriggebliebene Rest dieser Sünde. Ich bin der Schrei der Verzweiflung. Ihr alle wißt, daß ich wenige Wochen nach Nathans Prophetenspruch wirklich gestorben bin. Nathan und andere haben diesen Tod als den Willen Gottes ausgegeben. Ich bin damit nicht einverstanden. Der biblische Historiker schreibt: „Und der HERR schlug das Kind, das Urias Frau David geboren hatte, sodaß es todkrank wurde.“ (2 Sam 12,15) Übrigens ein Wort an die Nachgeborenen: Es stört mich auch, daß die Ordnung der Predigttexte diese meine Krankheit und meinen frühen Tod im ausgeschnittenen Predigttext einfach wegläßt, so als ob durch Verschweigen theologische Probleme gelöst werden könnten.
Aber es hilft alles nichts: Genauso schwer wie das Bekennen, das Verzeihen und das Vergeben ist die Versöhnungsarbeit, die darauf folgt. Manche Schuld läßt sich zwar vergeben, aber nicht in allen ihren Wirkungen beseitigen. Mein Tod erscheint in der Geschichte wie ein hoch willkommener dramaturgischer Kniff. Durch meinen frühen, vorzeitigen Tod störe ich die Thronfolge nicht mehr: Wie könnte ein namenloses Kind, das Ergebnis eines Ehebruchs, einmal König in Israel werden? Das kann sich kein Kammerherr bei Hofe vorstellen. König sollte dann mein jüngerer Bruder Salomo werden, der erst geboren wurde, als ihr beide, David und Bathseba, rechtmäßig verheiratet wart. Er sollte seine Sache gut machen und endlich den lange ersehnten Tempel bauen. Der Ruhm für seine Gottesfurcht, für seine Treue und Weisheit sei ihm gegönnt.
Aber ich erhebe energischen Einspruch gegen die Erklärung, Gott habe meine Krankheit und meinen frühen Tod veranlaßt und bewirkt. Ich kann mir das nicht vorstellen, und mittlerweile weiß ich es auch besser als jeder Lebende. Ich weiß, die Geschichtsschreiber, die alles notieren mußten, hatten ihre besonderen Anweisungen. David, der große König und helle Stern über Jerusalem, sollte nicht allzu schlecht wegkommen. Auf keinen Fall sollten Zweifel an der Thronfolge Salomos aufkommen. Das Ineinander von Schuld und Vergebung sollte möglich paßgenau aufgehen. Ich war der einzige „Rest“, der übrigblieb und darum pflichtschuldigst beseitigt werden mußte. Ich war nicht einmal der Sündenbock, ich war schlicht und einfach überflüssig. Es ist nicht schön, wenn dann ausgerechnet Gott in Anspruch genommen wird, um diesen „Überrest“ sprachlos und unauffällig zu beseitigen. Ich weiß, kleine Kinder galten nicht viel in einer Zeit mit grassierender Kindersterblichkeit. Man hatte nicht die Zeit, um jedes einzelne der vielen Kinder zu trauern. Aber ich hätte mir doch etwas mehr Fürsorge und Rücksicht gewünscht.
Gestorben bin ich dann doch nach einer Woche, gegen die Infektion konnte sich mein Körper nicht wehren. Hier im Himmel fühle ich mich nun …“
Liebe Gemeinde, an dieser Stelle bricht der Brief ab. Das Druckerpapier war ausgegangen. Ich bin sicher, wir alle hätten gerne erfahren, wie sich der namenlose Sohn Davids und Bathsebas bei Gott eingerichtet hat. Und wir hoffen alle, daß es ihm gut geht. Wir hoffen, daß er bei Gott die Gerechtigkeit gefunden hat, die ihm auf Erden vorenthalten wurde.
Von der Geschichte bleibt auf der einen Seite ein Gefühl der Trauer, ein Gefühl der Unzulänglichkeit, daß nicht jede Intrige, jede Attacke, jede Verschlagenheit ihren gerechten Ausgleich findet. Auf der einen Seite bewundere ich den Freimut des Nathan, diese besondere Mischung aus List, Erzählkraft und diplomatischem Geschick. Das zusammengenommen und eine gehörige Portion Gottvertrauen ließen ihn das Wort erheben, um menschliche Schuld aufzudecken, eine Schuld, die zwei Menschenleben kostete. Trotzdem ermutigt mich diese Geschichte in der Hoffnung, daß Gott Gerechtigkeit stiftet, schon in diesem Leben, nicht erst im Jenseits. Der Königsweg dazu führt über die Stationen Gespräch, Bekenntnis und Verzeihen. Es ist ein langer, steiniger Weg, der nicht immer zu einem Ziel führt. Trotzdem gilt: Wo Vergebung ist, da ist Gott. Amen.