Liebe Gemeinde,
Jubilate heißt dieser Sonntag. Also: Jubelt, jauchzt! Zeigt doch, was an Freude und Begeisterung in euch drinsteckt. Lasst sie raus!
Doch Jubelstürme kenne ich eigentlich nur aus Fußballstadien oder bei Popkonzerten. Die Kirche dagegen ist ein Raum, indem man schon beim Eintreten die Stimme dämpft. Und wer das nicht tut, wird zumindest vorwurfsvoll angeblickt.
Ich finde das auch völlig in Ordnung. Denn zum einen ist dieser Ort dazu da, dass Menschen zur Ruhe kommen und in sich gehen, Verbindung aufnehmen können mit dem, was sie im Innersten bewegt, ins Gebet finden können. Und zum anderen wird uns hier mit der Gestalt des Gekreuzigten vor Augen geführt, was nicht nur diesen Menschen getroffen hat. Täglich fallen Menschen Terror und Krieg zum Opfer, und unter uns verbreitet das Angst und Sorge. Zugleich aber sind da aber auch die Blumen und brennende Kerzen auf dem Altar, farbige Glasfenster, ein Raum, der nicht bedrückt, sondern aufatmen lässt, den die Orgel mit Musik erfüllt und die schweigsam Dasitzenden zum Singen anstiftet. Denn an diesem Ort soll deutlich werden, dass Leiden und Tod nicht das letzte Wort behalten, dass eine Gegenmacht am Werk ist, die sich uns mitteilen, uns innerlich auf die Beine bringen will, damit wir angehen gegen das, was niederdrückt und mutlos macht.
Darum Jubilate! Nicht etwa, weil alles so herrlich ist, wir vor Kraft nur so strotzen und sozusagen von einem Torerfolg zum nächsten stürmen. Da kommt das Jubeln von selbst. Nein, die Aufforderung zum Jubeln deshalb, weil allen Niederlangen, allem Leid, allem Sterben zum Trotz da etwas lebendig ist, was den Sieg behalten wird und uns dabei mitnimmt. Deshalb – und sei es unter Tränen – Jubilate!
Davon ist natürlich auch in der Bibelstelle die Rede, über die heute gepredigt werden soll. Es sind wenige Sätze aus dem zweiten Brief, den Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat:
Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. (2. Korinther 4,16-18)
Nein, Beifallsstürme lösen diese Sätze nicht aus, sondern eher schon ein Gähnen. Sind das nicht olle Kamellen: dass das Innere des Menschen viel wichtiger und wertvoller ist als das Äußere und die ewige Herrlichkeit entschädigen wird für zeitliches Leiden? Das sind doch ganz und gar ungedeckte Scchecks, die immer wieder dazu herhalten mussten, die Unterdrückten und Ausgebeuteten, die Verdammten dieser Erde zu beschwichtigen und sie auf einen Ausgleich im Jenseits zu vertrösten. Nein , lieber Paulus, wir gehören nicht zu denen, die nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Diese sichtbare Welt mit ihrer Schönheit und ihren Schrecken, sie hält unsere Blicke und Herzen fest, und wir konne uns nicht lösen von der Bilderflut, die täglich auf uns einströmt. Und wir können auch nichts anfangen mit deiner Behauptung, dass wenn der äußere Mensch verfällt, der innere von Tag zu Tag eneuert wird. Das Elend von Demenz und Alzheimer hast du natürlich noch nicht gekannt, aber wir. Und auch wenn wir bei klaren Sinnen sind, kann einem das Älterwerdem mit dem Nachlassen der korperlichen Kräfte, mit der zunehmenden Anfälligkeit für Krankheiten, dem ständigen Angewiesensein auf Medikamente und zuverlässige ärztliche Betreuung enorm zu schaffen machen. Zumal die Älteren in unserer Gesellschaft rapide an Wert und Ansehen verlieren und auf mögliche innere Erneuerungsprozesse in keiner Weise geachtet wird. Nee, Paulus, zum Jubeln ist da gar nichts!
Derartige Einwände haben den Paulus allerdings nicht aus dem Konzept gebracht. Überhaupt nicht. Als er diese Sätze schrieb, saß er im Gefängnis. Er hatte gerade Besuch bekommen aus seiner Gemeinde in Korinth. Und die hatten ihm vorgehalten: Was haben wir von einem Leben, das erst nach dem Tode kommt. Wir wollen Auferstehung jetzt! Was haben wir von einem Herrn, der am Kreuz gescheitert ist und von einem Apostel, der nicht loskommt von seiner Epilepsie und seinem ermüdenden Predigtstil? Wir wollen Erfolge sehen. Wir wollen eine Gemeinde sein, die Ansehen genießt und die dem Glücksverlangen der Menschen entgegenkommt. Wir wollen einen Glauben, der die Menschen stärkt, begeistert, beflügelt.
Und nun ist das Merkwürdige: Paulus sagt nicht: Ihr Korinther mögt ja denken und glauben, was ihr wollt: Ich aber bleibe dabei und lasse mich nicht entmutigen. Statt dessen schreibt er: W i r werden nicht müde, mögen wir nach außen hin auch aufgerieben werden, von innen her bekommen wir täglich neue Kraft. Wir sehen nicht auf das, was vor Augen ist, sondern lassen uns leiten vom Unsichtbaren. Also: All das, wovon ihr nichts mehr wissen wollt oder was ihr zumindest in Zweifel zieht - auch ihr hier in der Christuskirche - all das ist nach wie von in euch lebendig. Und es ist nichts als Selbsttäuschung, wenn ihr abwinkt und sagt: Alles überholter Kram!
Es stimmt doch gar nicht, dass ihr nur seid, was ihr nach außen hin darstellt und was man an euch sehen, einschätzen, beurteilen kann. Ihr habt doch allen Grund, hellwach dafür zu sein, dass Liebe und Wertschätzung euch großgemacht haben und euer Selbstvertrauen bis heute davon lebt, dass euer Leben Sinn hat und es gut ist, dass ihr da seid. Wir leben von dem, was an guten Erinnerungen und unbändiger Hoffnung in uns lebendig ist und täglich von neuem mit uns aufwacht.
- Da mogen wir uns noch so sehr umstellen mit Bildern von Stärke, Erfolg und Schönheit, geprägt sind wir doch von ganz anderen Erfahrungen: davon, dass verletzliche und einfühlsame Menschen stark und vorbildlich darin waren und es immer noch sind, uns mit unseren Schwächen, Niederlagen und Minderwertigkeitsgefühlen anzunehmen und aufzubauen.
Es ist doch nicht wahr, dass wir einen Menschen nur danach beurteilen, was er aufzuweisen hat an Geld, an zählbaren Leistungen und an attraktivem Äußeren. Denkt doch nur an die Umsicht und die Sensibilität, mit der ihr mit behinderten Angehörogen umgeht. Und bleibt um Gottes Willen wach dafür,, wie sehr die Betreuten in Wiedereingliederungs- und Pflegeheimen von Pflegekräften leben. Deren Kraft zur Pflege doch nicht nur vom bescheidenen Einkommen,kommt, sondern von Nächstenliebe,, Humor und Wertschätzung.. Und sind es nicht gerade solche Menschen, deren Nähe wir suchen, weil sie einen
Halt geben, den auch die glanzvollsten Schätze und die renommiertesten Clubs nicht zu bieten vermögen?
Dieses Ich in uns, sagt Paulus seinen von der Hochglanzwelt geblendeten Korinthern und ebenso uns, dieser Schönheitssinn, der ohne unser Zutun in uns hineingelegt ist und uns erst zu einmaligen und unverwechselbaren Menschen macht, dieser Schatz hat unsere ganze Aufmerksamkeit verdient. Denn er ist das Lebenszeichen Gottes in uns. Darin zeigt sich, dass seine Liebe nicht gestorben, sondern auferstanden ist und uns anspricht mit den Worten: Bei mir bist du schön und bleibst du schön in Ewigkeit. Amen.