Berufen, ein neues Kapitel der eigenen Lebensgeschichte zu schreiben - Predigt zu 1. Korinther 1,26-31 von Thomas Volk
1,26-31

Berufen, ein neues Kapitel der eigenen Lebensgeschichte zu schreiben - Predigt zu 1. Korinther 1,26-31 von Thomas Volk

Liebe Gemeinde,

das heutige Schriftwort ist für die gedacht, die in diesem Jahr noch nicht die großen Pläne geschmiedet haben und es vielleicht auch gar nicht können, weil sie ahnen, dass sich ihr Lebensradius wieder etwas verkleinern wird.

Es ist für die, die gerade eine langwierige Krankheit hinter sich haben und fragen, ob die Kräfte für alles, was man sich vornimmt und was ansteht, auch reichen werden.

Es ist auch für die, die meinen, dass es doch auf sie gar nicht ankommt, weil die großen Geschichten ohne sie geschrieben werden.

Und schließlich ist es für alle, die sich in dieser schnelllebigen Zeit wie abgehängt vorkommen und das Gefühl haben, einfach nicht mehr mitzukommen.

 

Hören Sie aus dem 1. Korintherbrief des Apostels Paulus, aus dem 1.Kapitel, die Verse 26-31.

26 Seht doch, Brüder und Schwestern, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen.

27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; 28 und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist,

29 auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme.

30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der für uns zur Weisheit wurde durch Gott und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung,

31 auf dass gilt, wie geschrieben steht (Jeremia 9,22-23): „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“

 

Kein Ansehen der Person

Als der Apostel Paulus diese Zeilen schreibt, da hat er nicht - wie wir heute - ein neues Kalenderjahr vor Augen, das gerade erst angefangen hat und das nicht bei allen Jubelstürme auslöst, weil es für manche wie ein hoher Berg erscheint, der erst noch erklommen werden muss.

Paulus blickt auf die Gemeinde in Korinth, die er vor einigen Jahren gegründet hat. Und jetzt, als er weitergezogen ist, hört er davon, dass es Streit gibt. Aus einigen Versen vor dem heutigen Abschnitt kann man herauslesen, dass sich die Korinther den Personen, von denen sie getauft wurden, besonders verbunden gefühlt haben (vgl. 1. Korinther 1,10-17). Es haben sich verschiedene Gruppen gebildet. Die einen fanden die toll, die so gut reden konnten. Die anderen haben die angehimmelt, denen alles leicht von der Hand ging und wieder andere fanden die umwerfend, die immerzu etwas Großartiges erlebten. Das große Ganze drohte zu platzen, die eine Gemeinschaft war in Gefahr auseinanderzubrechen.

Diesem Gezicke hält Paulus schroff vor: Der christliche Glaube ist nicht dazu da, dass wenige, bestimmte Personen zu Rang und Ansehen gebracht werden, denn niemand soll sich vor Gott rühmen (V.29).

Und es klingt wie eine aufbauende Ermunterung, wenn Paulus allen, die sich gegenüber denen, die im Rampenlicht stehen, klein, unbedeutend und schwach fühlen, schreibt: „Seht doch, Brüder und Schwestern, auf eure Berufung“ (1,26a).

 

Berufen, ein neues Kapitel der eigenen Lebensgeschichte zu schreiben

Und das ist auch für uns ein Mut machender Aufruf am Beginn eines neuen Kalenderjahres: „Schaut nicht auf andere! Blickt nicht auf deren Leben! Schaut auf Euch selbst! Auf Eure Berufung!“

„Meine Berufung? Was das ist? Die Großen in Politik, Wirtschaft und Kirche können das von sich sagen: ʹIch bin zu etwas Besonderem berufen!ʹ Aber ich kleines Menschenkind? Zu was sollte ich berufen sein? Ich komme doch mit meinem Leben kaum zurecht. So vieles ist mir schon durch die Lappen gegangen. Ich weiß noch nicht einmal genau, ob und wie sich in diesem Jahr so einiges fügen wird und wie ich alles schaffen soll? Ob ich die entscheidende Abschlussprüfung schaffe oder den immer mehr werdenden Anforderungen im Berufs- oder Alltagsleben standhalten kann? Ob und wann sich die Gesundheit einstellen wird, die ich mir so gerne wünsche? Und ob ich einmal dahin komme, den Abschied, der so wehgetan hat, einfach so stehen zu lassen, dass er mich nicht mehr quält?“

Für alle, die heute Morgen so fragen und grübeln, zu was sie berufen sein könnten, sei gesagt: „Du bist berufen, in diesem frischen Kalenderjahr ein neues Kapitel deiner Lebensgeschichte zu schreiben!“

Was du auch immer in deinem Jahrestagebuch festhalten wirst, ob es ein umfangreiches und überschwängliches Kapitel werden wird oder ob es eher kurz gehalten sein wird, ob die Dur-Töne überwiegen oder eher die Moll-Passagen - du darfst darauf vertrauen, dass Gott zwischen allen Zeilen mitschreiben wird. Er kann auch auf krummen Zeilen gerade schreiben.

Das hat Gott dir bei deiner Taufe zugesagt. Du bist berufen, dein Leben in wachsenden Ringen zu leben. Das gilt nicht nur für Hochzeiten, sondern für all die Momente, in denen man das Gefühl hat, völlig danebenzuliegen. Oder für die Tage, an denen man sich schlapp vorkommt und das Gefühl hat, wie festgefahren zu sein, während die Welt draußen sich weiterdreht. Es gilt für die Augenblicke, in denen man nur sieht, was alles nicht geht oder nicht klappt und für die Gespräche und Begegnungen, bei denen die eigene Meinung niemanden interessiert.

Du darfst auch in diesem neuen Jahr darauf vertrauen, dass Gott gerade das Törichte, das Schwache, das Geringe, und das Verachtete erwählt hat (vgl. V.27-28).

Anders gesagt: Lass das für dich gelten, was Paulus einmal an anderer Stelle an die Korinther mit einem Wort, das er von Christus empfing, so beschrieben hat: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit“ (2.Korinther 12,9).

 

… auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme

Paulus misstraut allem Rühmen auf die eigenen Kräfte und auf das eigene Geschick deshalb so sehr, weil er selbst in den eineinhalb Jahren, in denen er in Korinth gelebt und dort viel Herzblut gelassen hat, einige Male erfahren musste, wie schnell man doch an seine Grenzen kommen kann. Er musste so manche Rückschläge und Niederlagen einstecken. Er litt an seiner eigenen Schwachheit. Er war niedergeschlagen, weil andere besser reden und überzeugen konnten, auch optisch besser angekommen sind, mehr Anerkennung bekommen haben. Ganz zu schweigen von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht haben.

Paulus hat immer wieder gehadert, dass so wenig von Gottes Kraft an seinem eigenen Leben ablesbar gewesen ist. Doch dann erkennt er, dass gerade in diesem Gegensatz zwischen den ungeahnten Möglichkeiten Gottes und seiner gebrochenen Existenz ein tieferer Sinn liegt. Kein Mensch soll sich vor Gott rühmen. Niemand soll sagen: Das habe ich geschafft. Und weil das das so gut hinbekommen habe, komme ich eigentlich auch alleine, ohne Gott, ganz gut klar. Nein, sagt Paulus, auch nach der Taufe, dem Fixpunkt unserer Berufung, ist und bleibt der Mensch angewiesen auf Gott.

Am Leben des Paulus sehe ich auch, dass Gottes Kräfte nur da ankommen können, wenn man nichts beschönigt oder wenn man von dem Denken abkommt, dass man doch irgendwie seines Glückes Schmied sein kann. Der christliche Glaube ist eben nicht der Zuckerguss über einem ohnehin schon mit Versicherungen und Zusatzleistungen der Krankenkasse abgesicherten Leben. Jeder Tag, den man schafft und jede Hürde, die man überwindet, „muss erbeten“ sein, wie Paul Gerhardt in dem berühmten Lied, dass Christen all ihre Wege Gott immer wieder neu anbefehlen sollen, dazu gedichtet hat (EG 361,2).

 

Was man von Gott erwarten darf

Für alle, die sich fragen, was sie schon ausrichten können, höre ich aus dem Schriftwort heraus: „Du darfst etwas von deinem Glauben erwarten.“

Damals, die Christen in Korinth sollten Mut bekommen, nicht auf die anderen zu schauen, die durch ihren Glauben zu ungeahnten Höhenflügen gelangen und dabei in Gefahr sind, dass sie das, was ihnen gelungen ist, auf die eigenen Fahnen schreiben. Ihnen sagt Paulus: „Schaut auf euch! Auf eure Berufung! Ihr gehört zu dem großen Leib Christi fest dazu.“

Heute, wo die ersten Tage eines neuen Jahres hinter uns liegen und für viele morgen der Alltag in Schule, Beruf und Haushalt wieder beginnt, gilt: „Schau nicht auf die anderen, die nach außen immer gesund erscheinen, perfekt erholt aussehen, denen alles spielend leicht zufällt und die mühelos ihr Leben zu meistern scheinen.

Schau auf dich! Du darfst von Gott erwarten, dass er dich in deinem Leben begleitet und dir allen Mut, alle Kraft und alle Zuversicht mitgeben will, die du brauchst. Aber - so hat es Dietrich Bonhoeffer einmal dazu gefügt - er gibt uns das alles nicht im Voraus, „damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf ihn verlassen“ (aus: Widerstand und Ergebung).

 

Sich als Teil eines großen Ganzen verstehen

Bei Paulus lese ich auch immer heraus, dass sich der christliche Glaube nicht nur auf das persönliche Befinden erstreckt und dass die anderen Menschen mit ihren Sorgen und Fragen völlig außen vor gelassen werden.

Das Leben, das mir gegeben ist, bekommt seine Qualität daher, dass ich es nicht nur für mich habe und mich nicht nur in Fragen, wie ich alles schaffen kann, erschöpfen soll. Wenn Gott mir dieses Leben geschenkt hat, dann doch dafür, dass ich es mit anderen teile. Gute Gespräche. Dasein für einen kranken Freund. Zuhören, wenn die Kinder etwas aus dem Schulalltag erzählen. Das und noch viel mehr gehört dazu, wenn Paulus schreibt: „Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus“ (V.30a).

Und es wäre für uns alle ein großes Ziel, wenn wir es schaffen würden, nicht nur unsere eigenen Fragen, die uns selbst umtreiben, sondern auch die der anderen um uns wahrnehmen.

 

Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn

Auf alle Fälle dürfen wir gespannt sein, was in knapp 360 Tagen in unserem Jahrestagebuch 2018 stehen wird. Vielleicht sind auch Zeilen darunter, die so oder so ähnlich beginnen:

Ich hätte nie gedacht, dass meine Einsamkeit von außen durchbrochen wurde…

Ich habe nach den vielen Enttäuschungen mit Gottes Hilfe wieder neu Vertrauen in das Leben gefunden …

Wie bin ich glücklich gewesen, als ich gemerkt habe, dass ich mit viel Kraft, die nicht aus mir gekommen ist, diese eine Aufgabe doch geschafft habe …

Oder: Danke, Gott, dass du mir ein stiller, aber verlässlicher, Begleiter gewesen bist …

 

Auf alle Fälle ist Neues bei Gott immer verheißungsvoll: für Junge und in die Jahre gekommene - für Gesunde und Kranke - für all die, die in diesem Jahr Großes vorhaben und bei denen, die heute meinen, dass sich in diesem Jahr ohnehin nicht viel tun wird.

Für sie, für uns alle gilt: Wir können getrost in ein neues Stück Lebenszeit hinein gehen, dürfen guten Mutes ein ganz neues Kapitel unserer Lebensgeschichte schreiben und dabei entdecken, was wir mit Gottes Hilfe alles schaffen und in die Wege leiten werden.

Von Selma Lagerlöf stammt der treffende Ausspruch, der gerade am Beginn eines neuen Jahres gilt: „Man soll nicht ängstlich fragen: „Was wird und was kann noch kommen?“ Sondern sagen: „Ich bin gespannt, was Gott jetzt noch mit mir vorhat!“

Und die Möglichkeiten Gottes, die immer größer und weiter sind, als die Aussichten, die wir gerade vor uns haben, mögen uns auf unserem Weg wieder ein Stück weiterbringen.

Amen.