Besser dran ist, wer im tiefsten Loch summend singt, als der, der auf dem letzten Loch pfeift - Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23 – 34 von Joachim Hempel
16,23-34

Besser dran ist, wer im tiefsten Loch summend singt, als der, der auf dem letzten Loch pfeift - Predigt zu Apostelgeschichte 16, 23 – 34 von Joachim Hempel

'ne Gefängnisgeschichte zum Sonntag 'Kantate' – wer bloß kommt auf solche Idee !? Gefängnisgeschichten werden ja nicht nur in unseren Tagen zu allermeist mit Schreckensszenarien erzählt; Kantate ist aber doch einer jener Sonntagsnamen mit Aufforderungscharakter, österliche Freude auszudrücken. Nun gut, für Christenleute sind Hase und Eier, Frühlingsspaziergang und knospende Natur noch nicht alles, was Osterbotschaft ausmacht. Wir wissen, dass fröhlicher Auferstehungshoffnung Schmerzensleid am Karfreitag vorausgeht. Irgendwie sind es wohl die zwei Seiten menschlicher Existenz, die uns trotz aller speziellen 'Happy Hour – Angebote' nicht davor bewahrt, auch Schmerz und Leid, Trauer und Misslingen als des Lebens Teil zu erleben. Aber muss es dann am „Nun singt mal schön – Sonntag 'Kantate'“ gleich eine Gefängnisgeschichte sein? Selbst wenn es dabei wieder einmal um den Apostel Paulus und seinen Kompagnon Silas geht, - hätten die Textauswähler in ihrer wundersamen Kommission nicht einen etwas frischeren Bibeltext wählen können? Hatten sie natürlich schon, denn in den Textreihen zu diesem Sonntag ist auch durchaus von lobenden, jubelnden, fröhlich motivierendem Singen und instrumentalem Posaunen-, Harfen-, Hörner- und  Paukenklang die Rede. Die Welt der Gefangenen – egal wo auf dieser Erde – ist in der Regel seltener von Gotteslob und Gottesdank geprägt, da merken schon Mitgefangene, die in Ärger, Schuldbewusstsein, Reue oder auch energischem Brast über die Situation sich wieder finden, auf, wenn aus der Nachbarschaft andere  Töne zu vernehmen sind: Paulus und Silas beteten zur Mitte der Nacht, laut und lobten Gott. Von Dietrich Bonhoeffer wissen wir, dass auch in den Gestapo-Gefängnissen der Nazi-Diktatur Gefangene aufmerkten, wenn er zeigte, 'wes Geistes Kind' er war und deutlich wurde, dass nichts und niemand 'uns zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, welche erschien in Christus Jesus'. Die Apostelgeschichte berichtet geradezu begeistert, was das Gebet und der Lobpreis Gottes bewirkten, dramatische Ereignisse: Erdbeben, sprengende Fesseln, ein hilfloser Wärter, neue Freunde, neues Vertrauen, die Gerechtigkeit siegt. Die Unruhe in der mazedonischen Stadt Philippi ist groß und schwankt zwischen Bestürzung und staunender Bewunderung, - und wie das beim Erzählen von direkt Erlebtem so geht, die Geschichte erhält allerlei persönliche Anfügungen oder Sichtweisen. Ich bin sicher, der Gefängnisaufseher erzählt das Geschehen anders als die Stadtrichter, und die fröhlich Getauften jubilieren anders als die, die froh sind, Paulus und Silas am Stadttor davonziehen zu sehen.

Der Lobpreis Gottes mitten zur Gefängnisnacht erinnert an das Pfeifen aus Kindheitstagen, wenn elterlicher Auftrag einen in dunkle Keller schickte; warum auch nicht? Singen oder mindestens Summen einer vertrauten Melodie weckt Erinnerung an gute Zeiten in schlechten Zeiten. Gerade dann, ob im Gefängnis seelischer Not oder im Kerker falscher Anfeindungen, ob in der JVA oder in politisch motivierter Einzelhaft, gerade dann ist es wichtig, an gute, glückliche, friedvolle Zeiten zu erinnern, denn die Erinnerung bleibt uns als ganz persönlich-subjektive Stärke, deren Bilder und Gedanken frei sind. Darum ist eine der schlimmsten Methoden der Haft und Unterdrückung die der 'Gehirnwäsche'. So lange du weißt, wer du bist und wer du bis zu diesem Augenblick deines Lebens geworden ist, solange ist Hoffnungslosigkeit keine Macht, die dich im Griff hat. Manchmal tut es in solchen Augenblicken weh, sich zu erinnern, dass „Gottes Güte, Gottes Treu an jedem Morgen neu sind“; da sind Gottes Lob und Gottes Dank auf pelziger Zunge und mit belegter Stimme kaum artikulierbar. Aber das 'dennoch bleibe ich stets an dir“ des Psalmbeters, dieses 'dennoch' ist der kleine glimmende Funke, der nötig ist, damit das Lebenslicht nicht bricht.

Die Apostelgeschichte überliefert Paulus und Silas im Gefängnis von Philippi nicht, um eine Handlungsanweisung für Inhaftierte zu liefern, vor allem nicht dort, wo es guten Grund für diesen besonderen Ort im gesellschaftlichen Miteinander gibt. Aber die Geschichte der beiden Protagonisten ist ermutigend für jene, deren Wille, deren aufrechte Gesinnung, deren freiheitlicher Geist gebrochen werden soll. Gefängnisse sind ja nicht eo ipso Orte der Gerechtigkeit oder der wiederherzustellenden Gerechtigkeit; aber sie sind vor allem keine Orte, die zu einer 'Gottes freien Zone' erklärt werden könnten. Wir Christen sind davon überzeugt, dass Gottes Nähe an jedem Ort und zu jeder Stunde unseres Lebens spürbar, erinnerbar und betbar ist. Und so ganz nebenbei erfahren wir durch den Schreiber dieser Gefängnisgeschichte, Lukas, auch, dass der später zum erfolgreichen Apostel mutierte Paulus einen ebenso von Höhen und Tiefen, von Zustimmung und Missverstehen, von Freude und Leid geprägten Lebensweg gegangen ist, wie jede und jeder von uns auch. Die Bibel kennt den Menschen als durchgängigen Helden nicht, was sie übrigens wohltuend von griechischen und römischen Helden und ihren heroischen Kämpfen unterscheidet. Die Bibel ist, was den Menschen betrifft, ziemlich realistisch. Daher kann sie uns am Sonntag des Singens und Musizierens auch Mut machen, nicht nur 'Himmel hoch zu jauchzen' sondern auch 'Todes betrübt' auf Gott zu vertrauen. Hier liegt übrigens ein Grund, warum Christen bei Beerdigungen singen und nicht nur Klageweibern wie im Orient oder in Afrika die Töne überlassen.

„Christ ist erstanden von der Marter alle, des soll'n wir alle froh sein,

Christ will unser Trost sein. Halleluja!