1. Timotheus 2
1So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6der sich selbst gegeben hat als Lösegeld für alle.
Sehnsucht
„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“ So heißt ein Buch des Schauspielers Joachim Meyerhoff, in dem er von seiner Kindheit und Jugend erzählt. Inzwischen lief im Kino auch der Film, vielleicht hatten Sie Gelegenheit, ihn zu sehen. Als Sohn des Direktors einer großen Psychiatrie wird der Junge Joachim in den 60er und 70er Jahren auf dem Gelände dieser Anstalt groß. Die Bewohnerinnen und Bewohner mit ihren speziellen Eigenschaften, ihren Ticks und Gewohnheiten gehören zum Alltag, wenn nicht zur Familie.
Sehr humorig und mit viel Liebe wird das alles erzählt; ein bisschen wehmütig und nostalgisch auch. Ich mochte das beim Lesen sehr. Wahrscheinlich liegt es am Alter. Diese Sehnsucht nach der Vergangenheit. Wenn wir genau hinsehen, wenn ich ganz ehrlich bin, war die Vergangenheit nicht annähernd so schön, so gut, so friedlich, wie ich sie betrachte. Da war viel Seltsames und Dunkles auch. In meinem Gedächtnis habe ich mir Einiges verklärt und vergoldet.
Aber – vielleicht geht Ihnen das auch so: Da ist gleichzeitig so ein Anspruch, den ich spüre, ein Anrecht darauf, dass es doch einmal alles besser war. Dass diese Welt, dass unser Leben doch insgesamt noch viel besser sein könnte. Entspannter, glücklicher, sorgloser als ich es heute empfinde.
Und vielleicht reicht dieser Anspruch in Wahrheit gar nicht in meine Vergangenheit, sondern vielmehr in die Zukunft. Ach, könnte es doch einmal wieder friedlicher, freundlicher, leichter sein. So, wie Gott es sich einmal gedacht haben wird. Damals. Am Anfang.
Der Blick in die Vergangenheit weckt in mir große Sehnsucht. Da ist ein tiefes Verlangen nach Frieden, nach Ganzheit, Geborgenheit. Große Worte, doch warum nicht endlich einmal groß denken? Wann wird es wieder so, wie es nie war? Vor Corona. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Vor der Klimakrise, vor der Wirtschaftskrise und vor all diesen kruden Debatten in den sogenannten „sozialen Medien“?
Das sind Fragen wie ein lautes Seufzen. Wehmütige Wünsche, wie ich sie auch im Brief an Timotheus höre: Ach! Dass wir doch ein ruhiges und stilles Leben führen können. Dass alle Menschen gerettet werden, dass sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Das sind gute und fromme Wünsche und handfeste Anliegen für ein Gebet.
Beten bewegt
Vor einiger Zeit hatte ich das Glück, in Jerusalem zu sein. An einem sonnig-kalten Dienstagmorgen war ich auf dem Tempelberg und stand im Frauenabteil an der Klagemauer. Ich habe den uralten Sandstein berührt, Generationen von Betenden haben ihn ganz glatt gemacht.
Da stehen sie, jeden Tag, Männer und Frauen aus aller Welt, Menschen jüdischen Glaubens und natürlich auch anderer Religionen. Manche stecken kleine Zettel mit ihren Anliegen zwischen die Steine. Andere studieren ihr Gebetbuch und wiegen sich selbstvergessen hin und her. Jede und jeder, der hier betet, spürt die Besonderheit des Ortes und sucht die Verbindung zu Gott. Warum hast du Gott, zugelassen, dass ich oder ein geliebter Mensch an dieser Krankheit leide? Wieso ist da kein Frieden in diesem schönen, heiligen Land? Warum muss ich das hinnehmen, dass es den einen so schlecht, den anderen so unverschämt gut geht?
In den Psalmen haben sie mit Gott gestritten, haben geschrien, geweint und geklagt. Und sie haben getanzt, gelacht und gesungen, weil ihnen Gutes widerfahren ist. Das alles steckt im Gebet. Für mich ist es nichts anderes als ein Reden und Hören, ein Verhandeln und Streiten, ein Loben und Danken in Verbindung mit Gott.
Wer betet, gibt sich nicht zufrieden mit dem, was schon ist. Wer betet, träumt davon, etwas zu bewirken. Wer betet, geht davon aus, dass Gott sich etwas daraus macht, was wir denken, dass er sich vielleicht sogar beeindrucken lässt von unserer Klage, unserem Bitten, unserem Flehen.
Lässt Gott sich bewegen durch unser Gebet? Oder bewegt er vielmehr uns, die Betenden, die wir in Gedanken und Worten vor ihn bringen, was uns auf der Seele liegt? Zu dieser Frage ist viel gestritten und geschrieben worden. Meine Antwort als Theologin ist: Beten ist keine Einbahnstraße. Ich glaube, dass meine Bitte gehört wird und dass mein Gebet etwas ändern wird. Beten aber heißt nicht: „Wünsch-dir-Was“ – oft wird alles ganz anders, als ich es für möglich hielt. Beten bewegt und es macht was mit mir.
Der Blick geht nach oben
Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung – der Brief an Timotheus kennt eine Fülle von Optionen und verschiedenen Wegen. Zeige Gott, was du denkst, er wird dich verstehen.
Und auch für die Mächtigen sollen wir beten, für Könige, Despoten, dass sie zur Vernunft kommen. Für unsere Politikerinnen und Politiker, dass sie mit Weisheit und mit Empathie gesegnet seien. Für alle Mächtigen und die, die sie beraten, dass sie in Krisenzeiten einen klaren Verstand bewahren und das Vertrauen, das wir in sie setzen, hochhalten.
Wir, die wir hier unten sind, schauen in den Himmel, auf Gott, und setzen unsere Hoffnung auf Jesus, der nicht nur im Himmel, sondern auch auf der Erde zuhause ist. Jesus, der Auferstandene, der weiß, wie es sich anfühlt, auf den Tod zu warten. Er hat ihn hinter sich gelassen, er kam zurück in seines Vaters Haus. Jesus, der Menschensohn, der uns gezeigt hat, dass da ein Vater ist im Himmel, mit dem ich reden kann, einfach so.
Heute, am Sonntag Rogate, geht der Blick ganz nach oben. Im Gebet vertrauen wir uns Jesus an: Unsere Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit, unsere Sehnsucht nach Heil und unsere kindliche Nostalgie, die fest daran glaubt, dass es eines Tages gut sein wird. So gut, wie es bei Gott am Anfang war – und am Ende sein wird. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
In vielen Gemeinden werden in diesen Wochen Konfirmationen gefeiert. Gerade in diesem Kontext wird die Frage nach der Praxis des Glaubens immer wieder gestellt. Das Gebet ist für mich das Herzstück unserer Frömmigkeit und Liturgie. Darüber zu sprechen ist nicht nur zu Rogate eine gute Idee.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Bei allen Vorbehalten, die ich an die Inhalte der Pastoralbriefe formulieren könnte: Die Fürbitte für alle Menschen, besonders aber auch für die Mächtigen dieser Welt, ist hoch aktuell. Ich höre aus dem Text eine große Sehnsucht, die ich teilen kann – die Sehnsucht nach Rettung und Heil.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass alle Nostalgie, alles Träumen von einer besseren Vergangenheit, im Grunde die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist. Es gibt eine Reihe von Liedern, die diesen Gedanken vertiefen, z.B.: „Halte deine Träume fest“ (Durch Hohes und Tiefes 308), „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“ (Durch Hohes und Tiefes 112).
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Über die Kraft des Gebets zu sprechen ist eine lohnende Aufgabe, auch unter Kolleg*innen im geistlichen Amt.