Beten – ein Fenster zum Himmel und zur Welt, Predigt zu 1. Timotheus 2,1-6 von Lucie Panzer
2,1-6

Beten – ein Fenster zum Himmel und zur Welt, Predigt zu 1. Timotheus 2,1-6 von Lucie Panzer

Beten – ein Fenster zum Himmel und zur Welt

Erster Mai, Tag der Arbeit am Sonntag. Irgendwie passt das nicht, habe ich zunächst gedacht.

Weil man ja am Sonntag gerade nicht arbeiten soll. Dann sollte man sich vielleicht auch für die Rechte der Arbeitnehmer besser an einem anderen Tag einsetzen.

Nun hat mich aber ausgerechnet an diesem Sonntag der Predigttext erinnert: Beten und Arbeiten, Sonntag und Alltag, Sonntagsgottesdienst und Werktage – das gehört zusammen. Das kann man nicht trennen. Schon gar nicht, wenn der Sonntag  „Rogate“ heißt, „betet“. Beten, das ist ja eigentlich etwas besonders Sonntägliches.  Im Alltag hat man wenig Zeit dazu. Aber der Sonntag ist arbeitsfrei – auch für den Gottesdienst. Auch zum Beten.

Heute, am Sonntag Rogate gibt der Predigttext eine Anleitung zum Beten. Und die zeigt mir: Glauben und Beten sind nicht weltfremd. Nicht bloß etwas für die Sonntage, wo der Alltag außen vor bleibt. Im Gegenteil: Gerade beim Beten wird der Glaube weltoffen. Offen für das, was in der Welt los ist. Beim Beten öffnet sich die Seele nach zwei Seiten: Zum Himmel und zur Welt. Zu Gott und zum Alltag der Menschen. Beides wird gewissermaßen ins Gebet genommen. „Ora et labora!“, „Bete und arbeite“ – die uralte Regel der Benediktiner-Mönche war anscheinend ausgesprochen klug.

Hören Sie selbst, ich lese:

1. Tim 2, 1-6

Sie haben es gehört: Gebet, das ist Bitte, Fürbitte und Dank für alle Menschen. Ein Fenster zur Welt also. Zu allen. Beten nicht nur für die anderen aus der Gemeinde. Nicht bloß für die Christen. Nicht bloß für Familienangehörige und Landsleute. Alle soll unser Gebet einschließen. Nicht alle auf einmal vielleicht – aber mal die einen und mal die anderen, je nachdem, was mir und was Ihnen gerade auf dem Herzen liegt. Navid Kermani, der Muslim, der den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen hat, der hält das für die große Stärke des christlichen Glaubens.  In seinem Buch „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ schreibt er: „Die Liebe, die ich bei vielen Christen…wahrnehme…geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte. Ihre Liebe macht keinen Unterschied.“

Betet für alle Menschen hat deshalb schon im ersten Jahrhundert dieser Briefschreiber die christliche Gemeinde ermahnt. Das ist gewissermaßen die Globalisierung des Glaubens von Anfang an. An alle sollen wir denken in unserem Beten: an die Lebensverhältnisse und die Arbeitsverhältnisse und das tägliche Brot für alle. „Unser tägliches Brot“ – das ist nicht nur das tägliche Brot für uns Christen hier im satten Deutschland. Für alle anderen sollen wir auch beten! Und solches Beten, wenn es aufrichtig ist, wird dann wohl auch das Verhalten ändern. Arbeitsplätze bei uns und gesunde Arbeitsverhältnisse sind wichtig, gewiss. Aber sind sie nicht mindestens genauso wichtig irgendwo in Bangladesh oder in Somalia oder in Marokko? Die Menschen dort würden nicht fliehen, wenn sie Arbeit hätten und ein Auskommen für sich und ihre Familien. Und dass sie es nicht haben – das liegt nicht nur an den Kriegen und korrupten Verhältnissen dort, das liegt auch daran, dass wir hier unsere T-Shirts und unseren Kaffee möglichst billig kaufen wollen. „Unser täglich Brot“ meint aber eben auch: „Ihr tägliches Brot“. Wenn wir Christen „für alle Menschen“ beten – dann sollten wir auch so handeln und ihnen faire Arbeitsbedingungen und faire Preise zubilligen.

Danken übrigens sollen wir auch für alle Menschen: Auch für die schwierigen Nachbarn also, für die Vorgesetzten, mit denen nur schwer auszukommen ist, für die Lehrer, deren Unterricht einem langweilig vorkommt, für die Flüchtlinge, die uns Sorgen machen. Für die bitten, dass es anders wird, dass es leichter wird, mit ihnen auszukommen, dass die Probleme sich lösen lassen – das leuchtet ein. Aber Danken? Warum danken?

Vielleicht, weil sie in mein Denken und Tun Bewegung bringen. Bei mir wohnt seit ein paar Wochen eine junge Frau aus Somalia. Es ist unglaublich, was ich jeden Tag von ihr lerne – über ihre Herkunft, vor allem aber über ihr Ankommen hier bei uns in Stuttgart und über die Schwierigkeiten, die es für sie gibt. Ich sehe Hürden und begreife Dinge, die mir vorher überhaupt nicht aufgefallen waren. Das ist eine Herausforderung und ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich das erlebe. Es bringt mein Denken in Bewegung. Und es bereichert mich. Es ist gut, dass sie da ist. Ein Grund zum Danken, finde ich.

Gebet, Bitten und Danken für alle Menschen. Das bricht die Gruppeninteressen auf. Das verhindert, dass ich beim Beten nur mich selber sehe, meine Sorgen, meine Ängste, meine Wünsche und Hoffnungen. Beten für alle Menschen – am Weltgebetstag im März tun wir das seit Jahrzehnten und informieren uns gleichzeitig über das Leben in anderen Ländern. Ich finde, wir sollten es öfter tun.

Denn „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde“. Das schreibt einer an die ersten Christen, die damals in multikultureller und multireligiöser Umwelt in der Minderheit waren und sich Sorgen machen mussten. Der Briefschreiber verbindet sie mit den Menschen um sie herum. So wie das schon Jahrhunderte vorher der Prophet Jeremia getan hatte: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie“ (Jer 29,7), hatte er den Vertriebenen im Feindesland geschrieben, „denn wenn es ihr gut geht, dann geht’s euch auch gut!“. Nur wenn es allen gut geht, geht es uns dauerhaft gut. Dafür sollten wir beten und arbeiten. Ora et labora!

Es geht weiter mit der Ermutigung zum Beten am Tag der Arbeit. Jetzt kommt das Fenster zum Himmel.

Beten, sagt uns der Timotheusbrief, beten sollen wir für die Könige und alle Obrigkeit. Unter heutigen Bedingungen in Deutschland also für die Kanzlerin und für die Minister, für die Abgeordneten. Aber auch für die Mitarbeiter in den Behörden, für die Chefs und Vorgesetzten, für Ausbilder, für Eltern und Lehrer. Sie alle sind „Obrigkeit“, hat Martin Luther uns beigebracht. Für die sollen wir beten.

Und was hat das mit dem Himmel zu tun? Wo ist da ein Ausblick, ein Fenster zum Himmel und also zu Gott?

Hören Sie mal genau hin! Für die Obrigkeit sollen wir beten. Nicht zur Obrigkeit, nicht zu den Königen und Präsidenten, nicht zu den Chefs und auch nicht zu den Eltern. Das hatten damals die Kaiser in Rom und in Ägypten und sonst wo verlangt. Die ließen sich als Götter anbeten. Manche Präsidenten kommen sich anscheinend heute noch so vor und manche Chefs und Vorgesetzte auch. Götter, denen man sich vorbehaltlos und kritiklos unterwerfen muss und die Kritik nicht ertragen müssen. Götter, die man demütig anzubeten hat.

Aber genau das brauchen wir Christen nicht zu tun. Wir sollen für die da oben beten, nicht zu ihnen. Wir sollen sie nicht als Götter verehren. Gott ist nur einer. Das sieht man durch das Fenster des Gebets. Durch das Fenster zum Himmel.

Wir beten zu Gott. Die anderen alle, die sind nicht Gott. Die sind Menschen. Menschen mit oft riesiger Verantwortung und großer Macht. Aber Menschen. Die Welt hat keine Götter. Weder im Staat, noch bei der Arbeit. Da gibt es aber Menschen, die ihre Verantwortung wahrnehmen. Und die ihre Macht ausüben. Und für die sollen wir beten. Dass sie es menschlich tun. Dass sie Mensch bleiben bei dem, was sie tun. Dass sie die Menschen sehen, mit denen sie zu tun haben. Nicht bloß Untertanen, nicht bloß Wähler oder Steuerzahler, nicht bloß Arbeitskräfte. Menschen. Wir beten für die da oben, die Verantwortung haben, dass sie die anderen Menschen, die weiter unten, die ihnen anvertraut sind, menschlich behandeln.

Dass Väter ihre Kinder nicht misshandeln sondern fördern so gut sie können. Dass Mütter ihre Kinder nicht erpressen oder vernachlässigen, sondern ihnen liebevoll Grenzen setzen und sie auf das Leben vorbereiten. Wir beten für Lehrerinnen und Ausbilder, dass sie ihre Schüler und Azubis als Menschen wahrnehmen mit Fähigkeiten und Möglichkeiten und Fehlern und Einschränkungen. Und dass sie versuchen, das Beste herauszuholen im Interesse der Lernenden. Wir beten für die Mitarbeiter in den Behörden, dass sie nicht nur Problemfälle sehen, die Arbeit machen und Schwierigkeiten, - sondern sich freuen, wenn sie den Menschen Möglichkeiten bieten können. Wir bitten für Chefs und Vorgesetzte, dass sie die Arbeiter und Angestellten als Mitarbeiter begreifen, die auch noch ein Leben jenseits der Fabriktore und Bürotüren haben und genießen sollen. Wir bitten für die Regierenden, dass sie nicht nur an die nächste Wahl denken, sondern an die Menschen und an die Zukunft der Welt, die in ihren Händen liegt.

Für sie alle erbitten unsere Gebete verantwortliche Menschlichkeit. Gott möge sie mit seinem Geist lenken.

Dann können wir alle ein ruhiges und stilles Leben führen. Und das heißt ganz bestimmt nicht, dass wir alle Duckmäuser werden sollen, die sich aus allem raushalten und froh sind, wenn sie bloß in Ruhe ihre eigenen Schäfchen ins Trockene bringen können. Wenn ich an die Verhältnisse in der Zeit denke, als dieser Brief geschrieben wurde, dann heißt „ruhiges und stilles Leben“ eher: Leben ohne Angst. Leben ohne Angst, dass die große Politik einem plötzlich das Leben kaputt macht – weil ein Krieg alles zerstört oder eine schwere Wirtschaftskrise. Keine Angst, dass auf einmal Soldaten da stehen und die Männer totschlagen und die Freuen wegschleppen. Keine Angst haben, dass man verfolgt wird, wenn man seine Meinung offen sagt oder weil man einer bestimmten Glaubensgemeinschaft oder Volksgruppe oder Rasse angehört. Ein ruhiges und stilles Leben ohne Angst. So, dass man sich einsetzen kann für die Stadt und den Staat und den Betrieb und die Familie - ohne Angst. Dafür sollen Christen beten. Ora – und dann labora. Beten, damit man seine Arbeit in Ruhe und Frieden machen kann.

Denn „Gott will, dass allen Menschen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“. Das gibt uns der Timotheusbrief dann als Letztes mit auf den Weg. Die Reihenfolge ist entscheidend, finde ich. Menschen sollen Hilfe finden. Das ist das erste. Und dann erst kommt zweitens: Wer Hilfe erlebt und erfährt, der wird Gottes Wahrheit erkennen:

Wir, Sie und ich sollen das zeigen: Bei Gott kann man Hilfe finden.

Ich glaube, da gibt es zwei Möglichkeiten:

1.) Man kann so zeigen : (ausgestreckter Zeigefinger)….  Dann zeigt ein Finger auf unser Angebot für die Menschen. Und drei Finger zeigen zurück – kommt her zu uns, damit unsere Veranstaltung voll wird. Und manchmal muss man sich sagen lassen: ihr wollt ja eigentlich vor allem der Kirche helfen und Mitglieder werben.

2.) Oder man kann so zeigen (ausgestreckte Hand) … auf das, was wir zu bieten haben. Und hoffen, dass Menschen begreifen, wie gut ihnen das tut, was es bei uns gibt. Wenn sie das erleben, dann werden sie vermutlich auch die Wahrheit erkennen: Dass es einen Gott gibt und einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich Jesus Christus. Und dass bei dem Hilfe zu finden ist.

Ora et labora. Sie sehen, wenn man sich am Tag der Arbeit über das Beten Gedanken macht, dann kommt man ganz schön weit herum. Und die Gebete bleiben nicht hinter Kirchenmauern versteckt, sondern Fenster gehen auf: Zum Himmel und zum Alltag der Menschen.

Amen