Die Gläser sind leer, die Rechnung bezahlt. Schnell noch die Jacke aus der Garderobe geholt, dann stehen wir draußen. Ein letztes Lächeln und vielleicht ein Kuss, ein Händedruck, eine Umarmung. „Wir bleiben aber in Verbindung, du!“ - „Ich ruf‘ dich an.“
Abschiede und Trennungen sind einfach und schwer. Es geschieht, dass mir ganz leicht ist in so einem Moment und ich schwebe davon, von guten Worten beflügelt. An anderen Tagen bin ich nachdenklich, langsam. Oder ich bin froh, wenn das Treffen vorbei ist, kann es kaum erwarten, endlich aufs Fahrrad, ins Auto zu steigen. Ich kehre zurück in den Alltag oder breche auf zu neuen Ufern.
Die Art, wie Menschen auseinander gehen, sagt etwas aus über ihre Beziehung. Da gibt es die Freundinnen, Familie, Menschen, mit denen ich phasenweise praktisch unzertrennlich bin. Bei anderen wieder bin ich froh, sie nur selten zu sehen. Und manche mag ich einfach gern in meiner Nähe. Oder, wenn das schon nicht geht, dann will ich wenigstens wissen, wo sie sind und was sie gerade so machen. Wie gut, dass es das Telefon, das Internet, das Handy gibt. Da kann ich die Meinen jederzeit erreichen. Muss von Zeit zu Zeit sogar aufpassen, dass ich sie nicht nerve.
Viel mehr noch als früher sind Menschen miteinander verbunden. Können jeden erreichen, zu jeder Zeit. Entfernung ist total egal. Die Kinder im Ausland, die Nachbarn im Haus: wenn ich das mag, dann kann ich permanent auf Empfang sein. „Fernanwesenheit“ oder „Telepräsenz“, das sind schöne Begriffe dafür.1 Jemand ist weit weg und trotzdem sehr nah. Ich kann mit ihm reden, kann Bilder schicken oder skypen. Neulich sah ich in der Stadt eine Frau, die sich per Videoanruf in der Gebärdensprache mit ihrem gehörlosen Gegenüber ausgetauscht hat. Was für ein großartiger Fortschritt, wunderbar!
Wie bleiben wir in Kontakt, wenn wir doch räumlich getrennt sind? Die Frage ist alt. Aber die Standards unserer Kommunikation sind in den letzten Jahren gestiegen. Noch in den 90er Jahren war es normal, dass Menschen, die auf weiten Reisen waren, sich tage- oder wochenlang nicht gemeldet haben. Da kam mit Glück vielleicht irgendwann mal ein Brief. Heute haben viele von uns den Anspruch, jederzeit erreichbar zu sein, und sich sofort, oder zumindest nach wenigen Stunden wieder bemerkbar zu machen, und sei es nur für die banale Meldung: ich bin jetzt da, und alles ist gut.
Wie bleiben wir in Kontakt? Diese Frage beschäftigt auch die frühen Christinnen und Christen. Das Auferstehungsfest, der Ostermorgen, liegt heute fünf Wochen zurück. In zehn Tagen feiern wir Himmelfahrt. In der Apostelgeschichte wird erzählt, dass Jesus sich den Jüngerinnen und Jüngern noch 40 Tage nach Ostern gezeigt hat, bevor er dann hinweggenommen wird und in den Himmel zurückkehrt. In dieser Zeit, so heißt es da2, „zeigte er sich …durch viele Beweise als der Lebendige und … redete mit ihnen vom Reich Gottes.“ Natürlich hatte Jesu Anwesenheit nach Ostern eine neue, veränderte Qualität. Sein Leidensweg, das Kreuz von Golgatha, das alles war ja passiert. Der Auferstandene war der Gekreuzigte, doch seine Art, mit den Seinen in Verbindung zu sein, wurde neu definiert. Das Johannesevangelium trägt in besonderer Weise dazu bei: nur bei Johannes finden wir die Abschiedsreden, mit den Jesus die Gemeinde nicht nur auf das Ende einstimmt, sondern auch auf die Zeit, die dann kommt. Auf das Danach, in dem sich unsere Kirche bis heute befindet. Christus ist körperlich fern und dennoch weiter präsent, mal deutlich und mal weniger spürbar.
Der heutige Predigttext ist ein Auszug daraus:
Joh 16,23 b-28.33: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.3
Jesus kommt vom Vater und kehrt wieder zurück. Johannes zeichnet diesen Weg wie eine Parabel. Von ganz oben bis nach ganz unten ist dieser Jesus gegangen: Das Wort wurde Fleisch und wohnte mitten unter uns.4 Der Tod am Kreuz markiert den Tiefpunkt seines Wegs. Den Tiefpunkt – aber nicht das Ende. Denn es geht ja wieder hinauf. Der Auferstandene kehrt zurück zu seinem Vater, und wir, die wir auf Erden sind, bleiben weiter mit Christus verbunden. Und das zeigt sich im Beten. Im Gebet pflegen wir die Beziehung zu Gott. Jesus macht klar: was wir von Gott erbitten in seinem Namen, das wird er uns geben. Sein Weg nach unten und zurück hat auch für uns den Weg zu Gott gebahnt.
Wie also bleiben wir in Kontakt? Wir bitten und beten durch Jesus zu Gott. Der ist weit weg und doch gut zu erreichen, denn er ist telepräsent: Fernanwesend in unseren Gedanken, in unseren Herzen und Sinnen. Jesus ist der Mittler zwischen Gott und Menschen. Und es ist paradox: je stärker dieser Jesus sich physisch entfernt, desto deutlicher scheint zu werden, wer er für uns ist. Erst nach Ostern zeigt sich das volle Ausmaß seines Weges. Und mit der Rückkehr zum Vater verlässt er uns nicht. Er bleibt Mittelsmann, Fürsprecher, mehr noch: er schickt uns den Tröster, den Heiligen Geist.
Christus lässt die Seinen nicht allein. Wir haben einen kurzen Draht zu Gott. Und seine Nähe aus der Ferne macht, dass wir die Welt mit anderen Augen sehen. Die Perspektive verschiebt sich. Und Jesus will, dass wir Frieden haben in ihm.
In der Welt habt ihr Angst, sagt Jesus. Und Jesus weiß, wovon er spricht, soviel ist klar, denn diese Angst hat er im Leiden und im Sterben selbst erfahren. Und dann folgt das Aber. Jesus sagt: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Die Angst wird also nicht das Letzte sein. Wir bleiben miteinander in Kontakt.
Und auf einmal ist es so, als hättest du das Handy in der Tasche und der Akku wäre niemals leer. Betet, Rogate, so heißt es am heutigen Sonntag. Sei klug und nutze diesen kurzen Draht. Vielleicht brauchst du ihn dauernd. Vielleicht brauchst du ihn selten. Die Leitung ist jederzeit frei, und auch für Netzabdeckung ist gesorgt. Gott bleibt auf Empfang.
Und: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Da ist gar nichts, was zwischen euch steht. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost. Ich habe die Welt überwunden.
Amen.
1 I Christina Costanza, Fernanwesenheit. Personsein im Social Web im Lichte der Theologie, in: dies./ Christina Ernst (Hg.), Personen im Web 2.0. Kommunikationswissenschaftliche, ethische und anthropologische Zugänge zu einer Theologie der Social Media, Göttingen 2012, S. 127ff.
2 I Apg 1,3.
4 I Joh 1,14.