Liebe Brüder und Schwestern,
Feiertag im Doppelpack – das ist mir heute hier in der Friedenskirche doppeltes Vergnügen. Zum einen, weil ich wieder einmal diese Gemeinde besuchen kann und zum anderen, weil es tatsächlich an einem 1. Mai einen Gottesdienst zu feiern gibt, und diesen von Herzen gern zusammen mit Ihnen und Euch, liebe Gewerkschafter und Betriebsräte. - Dem KDA sei auch für diese Initiative von Herzen gedankt! Und auch wenn´s den Arbeitnehmer_innen einen Feiertag nimmt, so ist´s doch wahrlich nicht von Schaden, dass wir uns als Kirche und Arbeitswelt in den Blick nehmen und vergewissern, was uns gemeinsam anspornt. Und da ist ja zuallererst die Vision von einer gerechteren Welt. Und natürlich die eklatante Not so vieler Menschen, denen es mangelt an Lohn und Brot, aber auch an Anerkennung und Zugehörigkeit. Und nicht zuletzt sind es die Hassredner unserer Tage, die uns zusammen stehen lassen für ein „Nein gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit!“ Also: es ist gut, hier und nachher gemeinsam zu demonstrieren, dass uns Werte einen, die wir nicht preisgeben werden!
Und dazu nun ausgerechnet dieser Sonntag, der nach unserem liturgischen Kalender „Rogate“ heißt – also: Bitten. Oder „Beten“. Oha, mögen jetzt einige denken, ob das nun gerade hilft? Zumal Arbeiterbewegung und Gewerkschaften ja eher kämpferisch das Fordern fordern. „Nicht betteln, nicht bitten, nur mutig gestritten“- so heißt ein Vers in einem alten Arbeiterkampflied, den man gelegentlich auf den Demos noch sieht. Und? Lässt sich das überhaupt zusammenbringen: Forderung und Gebet? Kampf und Kontemplation?
Schauen wir dazu in den Predigttext. Da bekommt jemand spätabends noch Besuch und stellt fest: Es ist nichts zu essen im Haus. Also geht er zu einem Freund. Freund, nicht nur Nachbarn! Klingelt um Mitternacht. „Mach mir keine Unruhe“, nörgelt der. „Ich bin schon im Bett!“ Trotz dieser übellaunigen Abfuhr klingelt der andere wieder. Es gibt Zeiten, da ist der Hunger stärker als die Scham. Und genau wegen dieses „unverschämten Drängens“, so sagt es Jesus, bekommt er am Ende, was er braucht. Fazit: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.“
Zweierlei nun finde ich an dieser Geschichte interessant. Zum einen, dass Jesus hier erklärt, wie und warum man überhaupt beten soll. Das hatten ihn nämlich die Jünger gefragt. Dabei hat er sie mit dem Vaterunser vertraut gemacht und hier nun geht´s um diese Bitte: Unser täglich Brot gibt uns heute. „Leih mir drei Brote“, sagt ja der Freund. Brot steht hier zentral und elementar für all das, was wir zum Leben brauchen. Für die Grundbedürfnisse gewissermaßen. Wir brauchen das Brot zum Leben. Ja mehr noch: es gehört zu den Grundrechten menschlicher Existenz.
„Leih mir drei Brote“ – ich will sie nicht geschenkt, bittet der Freund. Aber ich brauche sie jetzt! Das ist das zweite, worauf es ankommt: Bitten kann, ja muss, mitunter den Charakter des schamlosen Drängens annehmen. Das ist nicht nur erlaubt, sondern geboten, auch Gott gegenüber. Und erst recht den Menschen gegenüber, die viel besitzen, während der andere selbst vorm Verhungern steht. Oder vor dem Verlust seiner Menschenwürde.
Vor drei Tagen war ich auf einer Fachtagung, bei der es um die soziale Situation alleinerziehender Mütter und Väter ging. Und die ist definitiv desaströs. Beschämend für unser Land. Viele der Frauen, denn in der Regel sind es Frauen, müssen von Hartz IV leben. Arbeiten ist nur bedingt möglich, weil sie sich um die Kinder kümmern müssen. Der Unterhalt, den der Partner zahlt, reicht oft hinten und vorne nicht – wenn er überhaupt zahlt. Falls er das nicht tut, geht das Amt in Vorleistung, mit 194 Euro im Monat, und auch das nur für maximal sechs Jahre. „Wenn meinem Kind am Monatsende die Schuhe kaputt gehen, dann gibt es erstmal keine neuen“, erzählt eine. Bürokauffrau sei sie gewesen, eigentlich ein guter Job, aber jetzt Hartz IV. Sie steht mit dieser Situation keineswegs allein. Fast zwei Millionen Kinder in Deutschland wachsen in einem Haushalt mit nur einem Elternteil auf, die Hälfte davon muss von dieser Grundsicherung leben, die eben oft keine ist.
Rogate – bittet. Aber bittet drängend! Klopft laut an die Türen der Politik, damit sie gegen dieses soziale Unrecht vorgeht. Betet! Heißt auch mit den Gewerkschaften: Nehmt euch Zeit für mehr Solidarität. Denn wer bittet, der nennt beim Namen, was nicht stimmt. Der bittet für andere! Der steht auf aus dem Schlaf der Gerechten, weil Ungerechtigkeit ihn aufrüttelt und Leiden sie berührt.
Tief berührt habe ich vorvergangene Woche in Brüssel vor dem Kerzen- und Blumenmeer gestanden, mit dem die Menschen der Opfer der Attentate gedacht haben. So viele Fotos der Ermordeten, Liebeserklärungen, aber auch Bekenntnisse zur Freundschaft der Kulturen. Und Religionen! Und immer wieder Herzen - „Europa getroffen ins Herz“, stand da auf einem. „Aber glaubt nicht, dass unsere Herzen kalt werden!“ Daneben ein Bild von einem weinenden Kind an diesem furchtbaren Grenzzaun von Idomeni; mit den kleinen Fäusten panisch dabei, sich das Tränengas aus den Augen zu wischen...
Klopfet an, und euch wird aufgetan?
Europa steht an einem Scheideweg. Das ist mir da schlagartig klar geworden. Und es geht eben nicht allein darum, ob es einen unsinnigen Brexit gibt oder nicht. Es geht darum, die Grundwerte einer demokratischen Gemeinschaft zu verteidigen, ja den europäischen Traum von der Freiheit der Grenzen und der Vielsprachigkeit in jeder Hinsicht wach zu halten. Entgegen all der nationalen und rechtspopulistischen Irrungen, die doch tatsächlich meinen und sagen!, dass man sich von Kinderaugen nicht erpressen lassen soll.
Europa braucht neuen Zusammenhalt – um all dies zu halten: Humanität. Freiheit. Frieden. Nächstenliebe. Zeit für mehr Solidarität sowieso. Nicht allein der gemeinsame Markt, diese gemeinsamen Werte sind es doch, die es durchzutragen gilt! Mit jedem Transparent auch heute!
Dabei ist für mich als Christin mit diesem Predigttext im Ohr eines entscheidend. Bitte, so wird dir gegeben.- Heißt: Die wirklich wesentlichen Werte, all die Dinge, die uns Kraft geben und Sinn, können wir uns nur schenken lassen: Die Liebe, das Kind, Glück, Freundschaft, Gesundheit, Würde im Leben und Würde im Sterben. All das können wir nicht mit eigener Kraft schaffen oder erzwingen. Wir können es nur empfangen. Dafür danken. Darum bitten. Für die, die wir lieben. Für uns selbst. Wir können bitten für die, die aus ihrer Heimat fliehen müssen und vor den Grenzen Europas um ihr Leben fürchten. Und wir können bitten für die, die in fürchterlicher Kriegsangst leben, gerade jetzt in Syrien, Ukraine und an so vielen Orten der Welt.
Bittet, so wird euch gegeben. Ob´s wohl wirklich hilft, das Beten? - Ich bin zutiefst überzeugt, dass Beten verändernde Kraft hat. Denn wer betet, findet sich nicht ab mit dem, was nicht stimmt. Wer betet, denkt nach, wie das zu ändern ist. Und ich bin sicher: Gott hört. Er hört, was wir nicht lösen können und was uns unruhig macht. Er hört uns, damit wir unser Leben lang nicht müde werden, den Frieden zu ersehnen. Und der Gerechtigkeit aufzuhelfen.
Von Kindern können wir da übrigens eine Menge lernen. Sie können beten. Sich anvertrauen. Ganz zweifellos. Sie danken und entschuldigen sich, werden ihre Nöte los und ihren Ärger, fragen einfach, warum Gott Waffen erfunden hat und den Tod. Und sie teilen sich mit. „Ich bete zu dir, weil mir langweilig ist“, sagt zum Beispiel der 10jährige Johann. „Du kennst das wohl nicht, weil du dauernd für uns hier arbeiten musst. Na dann, man hört von einander!“
Ja klar hört er. Auf uns. Und auf Kinder wie Artur: „Ich muss schon sagen, lieber Gott, du hast die Schöpfung und die Menschen so schön gemacht. Aber ich habe trotzdem ein paar Verbesserungsvorschläge. Zum Beispiel sollten die Blumen das ganze Jahr blühen. Und die Menschen sollten gesund sein. Und jedes Kind sollte täglich Frühstück, Mittagessen und Abendbrot bekommen. Darum bitt´ ich dich und das war´s auch schon. Amen“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre dabei unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen