Blick ins Unendliche - Predigt zu 1. Könige 8,22-24.26-28 von Martin Weeber
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Blick ins Unendliche - Predigt zu 1. Könige 8,22-24.26-28 von Martin Weeber

Wie schön ist es, wenn man einen Ort hat, an dem man zusammenkommen kann, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern! Wie viel kann solch ein Ort für einen bedeuten! Für viele Menschen bedeutet die Kirche ihres Dorfes oder ihrer Stadt oder ihres Stadtteils sehr viel: Es sind oftmals prägende biographische, lebensgeschichtliche Erinnerungen: In dieser Kirche wurde ich konfirmiert. In dieser Kirche haben wir kirchlich geheiratet. In dieser Kirche wurden unsere Kinder getauft.

Es ist etwas Feines, wenn man solch einen Ort hat. Einen Ort, an dem man – wenn es gut geht – Gott begegnen kann, gemeinsam und zusammen mit anderen: Man lauscht der Predigt, oder man lässt einfach ungestört seine Gedanken schweifen (auch das kann schön sein). Man singt vertraute oder auch neue Lieder. Man betet – und weil viele mitbeten ist einem das auch gar nicht peinlich.

Wenn man alte Berichte liest von Menschen, die ausgewandert sind, etwa vor 100 oder 150 Jahren in den Süden Brasiliens, dann war das für die ganz wichtig, dass sie sich dort bald eine Kirche bauten.

Und in der Kirche, im Gottesdienst, da konnten sie sich dann darauf besinnen, dass es noch mehr gibt im Leben als Mühe und Arbeit. In der Kirche konnten sie Kraft schöpfen und wieder zu innerer Freiheit gelangen.

Erst ein Dach über dem Kopf und einen Stall für das Vieh – aber dann doch ganz schnell eine Kirche.

Wenn man eine Kirche hat im fremden Land – dann ist man angekommen.

Und es muss gar kein fremdes Land sein: Auch wenn man innerhalb eines Landes umzieht, dann ist es ein wichtiger Schritt, wenn man am neuen Ort eine Kirche findet, der man sich zugehörig fühlt und wo man gerne hingeht, wenn einem danach der Sinn steht. Und auch wenn man sich vielleicht einer Gemeinde gar nicht eng anschließen will, so ist es doch auf jeden Fall ein schönes Zeichen dafür, dass man angekommen ist, wenn man sich sagt: Das ist nun meine, das ist unsere Kirche. Hier habe ich Fuß gefasst.

 

Wie sehr Menschen an einer Kirche, an einem Kirchengebäude hängen können, das zeigt sich oft auch daran, mit welchem Engagement sie sich einsetzen, wenn es eine Kirche zu renovieren gilt.

Im Osten Deutschlands ließ sich das in den letzten Jahren oft wunderschön beobachten: Da haben Leute Kirchbauvereine gegründet und sich an Kirchenrenovierungen beteiligt, auch wenn sie eher selten an dem teilnehmen, was wir gewohnt sind „Gemeindeleben“ zu nennen. „Wir können doch unsere Kirche nicht verkommen lassen! Das geht doch nicht, dass es da durch’s Dach reinregnet!“

Wie schön ist es, wenn man einen Ort hat, an dem man zusammenkommen kann, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern! Wie viel kann solch ein Ort für einen bedeuten!

Aus diesem Grund wurden auch vor fünf, sechs Jahrzehnten noch einmal ganz viele Kirchen gebaut: Da wuchsen die Städte, es wurden neue Wohnsiedlungen gegründet – und wenn diese Wohnsiedlungen groß genug waren, dann war es klar: Da baut man auch eine Kirche, damit die Menschen dort eine religiöse Heimat finden können, damit sie gemeinsam Gottesdienste feiern und damit in die Traditionen des Glaubens hineinwachsen können.

Wie schön, wenn man eine Kirche einweihen kann!

 

Die Einweihung einer Kirche, genauer: eines Tempels, ist auch der Hintergrund unseres heutigen Predigttextes.

Die Vorgeschichte kurz zusammengefasst: Endlos lange waren die Israeliten unterwegs und hatten als Tempel nur ein transportables Zelt. Aber jetzt waren sie endlich angekommen – und nun hatten sie einen Tempel bauen können. Endlich! Der wird nun eingeweiht, und zwar durch den König Salomo. Der spricht, wie es sich gehört, ein Weihegebet für diesen neuen Tempel, und daraus hören wir nun einen Auszug:

Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast. Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir. (1. Könige 8,22-24.26-28)

Salomo war ein kluger Mann, ein weiser Mann. Man redet geradezu sprichwörtlich von der „Weisheit Salomos“. Und diese Klugheit, die kommt zum Ausdruck in zwei Fragen, die er sich stellt. Klug ist nicht, wer alles weiß. Klug ist, wer Fragen stellt. Weise ist, wer Problemen nicht ausweicht (sich von ihnen freilich auch nicht erdrücken und entmutigen lässt). Klugheit, Weisheit hat oft die Gestalt von Problembewusstsein.

Die beiden Fragen lauten wie folgt, wir haben sie gehört:

„Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“

Salomo könnte eigentlich hin und weg sein vor Freude und Glück:

Endlich steht der Tempel! Und er selbst fühlt sich als Bauherr! Wie froh kann man sein, wenn ein Bauvorhaben vollendet ist! Endlich waren alle Genehmigungen zusammen, endlich hatten die Handwerker Zeit! Endlich kann man einziehen!

Und dann diese Frage: „Wie sinnvoll ist das eigentlich, was wir da gebaut haben?“

„Wir haben ein Haus für Gott gebaut – aber man kann Gott doch nicht in ein Haus einsperren. Gott ist doch viel größer.“

„Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“

Am heutigen kirchlichen Feiertag „Christi Himmelfahrt“ ist es in vielen Kirchengemeinden Brauch, dass man die Kirche verlässt und dass man den Gottesdienst im Freien feiert, unter freiem Himmel (und wenn man Glück hat: unter blauem Himmel, oder doch zumindest unter einem Himmel, aus dem es nicht herabregnet).

Wenn man im Freien ist, dann weitet sich der Blick: Man lässt ihn schweifen – ringsherum, ins Land hinaus – und auch nach oben, ins Offene des Himmels.

Der offene Himmel steht für die Grenzenlosigkeit:

Wie es in einem inzwischen auch nicht mehr ganz neuen aber immer noch schönen Liede von Reinhard Mey heißt: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“

Der Himmel überwindet Grenzen und verbindet Menschen über Grenzen hinweg: Wir leben alle unter dem gleichen Himmel. Und wenn jemand den Himmel teilen will, dann kommt uns das unpassend und unmenschlich vor. Manchen von Ihnen klingt vielleicht noch der Buchtitel von Christa Wolf im Ohr: „Der geteilte Himmel.“ Da ging es um die Teilung Deutschlands – und um all die Probleme, die sich daraus ergaben.

Nein, der Himmel ist ungeteilt und soll von Menschen nicht geteilt werden.

Wo der Himmel geteilt werden soll, da herrscht keine Freiheit.

Der Himmel ist unendlich groß und überspannt alles.

Und Gott ist noch einmal viel größer und umspannt auch noch alles, was vom Himmel überspannt wird – und den Himmel selbst auch noch dazu.

 

„Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“

In der Schriftlesung haben wir die Geschichte von der Himmelfahrt Jesu gehört (Lukas 24, 50-53 oder auch Apostelgeschichte 1, 1-11). Manche tun sich schwer damit, weil sie sagen: „Ich kann mir das nicht vorstellen.“ Das kann ich nachvollziehen, und da soll man auch nicht versuchen, jemandem seine Vorstellungsschwierigkeiten wegzuargumentieren. Aber was vielleicht hilft: Dass man sich fragt, was die Geschichte bedeuten soll.

Und ich denke, der kluge Salomo gibt uns da den entscheidenden Hinweis:

 

Gott kann man nicht einsperren in einen Tempel.

Und Jesus kann man auch nicht einsperren in einen Tempel oder in eine Kirche.

Ja, man soll Jesus nicht einmal einsperren wollen.

Man soll ihn nicht einsperren wollen in ein Gebäude aus Holz oder Stein. Das ist einem ja schnell klar. Wie sollte das auch gehen?

Aber – und da scheint mir die Pointe der Himmelfahrtsgeschichte zu liegen – man soll Jesus auch nicht einsperren wollen in einem Gedankengebäude.

Man soll Jesus nicht einsperren wollen in einen Käfig aus Begriffen und Worten.

Man soll Ihn nicht einsperren wollen in dem, was man ohnehin schon längst von ihm weiß.

Man soll ihn nicht einsperren wollen in Traditionen.

Nein: Jesus ist größer als alle unsere Eingrenzungen, die wir uns für ihn ausdenken.

Ja, jede und jeder von uns hat irgendwelche Bilder oder Vorstellungen von Jesus. Es geht gar nicht ohne solche Bilder und Vorstellungen von ihm.

Aber Jesus ist eben immer nochmal größer als alle unsere Gedanken über ihn.

„Der Himmel und aller Himmel Himmel können ihn nicht fassen.“

Was für Gott gilt, das gilt für Jesus eben auch.

An einem anderen Sonntag, an einem anderen Feiertag, in einer anderen Predigt werden wir auch wieder darüber nachdenken, was es bedeutet, dass Jesus auch ein ganz irdischer und greifbarer Mensch geworden ist – ziemlich genau so wie wir auch irdische und greifbare und begrenzte Menschen sind.

Aber heute soll unser Jesus-Blick ins ganz, ganz Weite, ins Himmlische, ins Unendliche gelenkt werden. Heute soll unser Sinn und Geschmack für’s Unendliche bedient und gestärkt werden.

Heute dürfen wir unseren Blick mit bestem Gewissen gemeinsam wegwenden vom Klein-Klein des Irdischen und Endlichen und Alltäglichen. Dem begegnen wir schnell genug wieder.

Heute lenkt Jesus selber unseren Blick nach oben, ins Weite, ins Unendliche.

Amen.

Perikope
Datum 30.05.2019
Bibelbuch: 1. Könige
Kapitel / Verse: 8,22-24.26-28