Bloß nicht nichts tun! - Predigt zu Mt 25, 14-30 von Olaf Waßmuth
25, 14-30

Bloß nicht nichts tun! - Predigt zu Mt 25, 14-30 von Olaf Waßmuth

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

wer von Ihnen zu den Glücklichen gehört, die etwas auf der hohen Kante haben, kennt das Problem: Was tun mit dem Ersparten? Angeblich – so sagt es die Untersuchung einer Versicherung – verstecken bis zu 46% aller Bundesbürger*innen Bargeld zu Hause. Und jetzt raten Sie mal, wo?!

 

4% haben ihr Geld im Schuhschrank, 5% in der Spardose und 7% allen Ernstes im Spülkasten der Toilette. 10% verstecken das Ersparte unter der Matratze, 11% im Kleiderschrank; 22% unter dem Sofapolster. Der Spitzenreiter unter den Geldverstecken, wer hätte das für möglich gehalten, ist aber der Kühlschrank: 24% der deutschen Sparer deponieren ihr Geld dort. 

 

Seit diesem Jahr hilft, Gott sei's geklagt, auch das Verstecken nicht mehr: Ein unsichtbarer Räuber stiehlt unsere Rücklagen – die Inflation. Natürlich hätten einem die Finanzexperten schon vor Jahren gesagt: Geld zurücklegen ist gut, Geld anlegen ist besser. Und obwohl die Bibel, anders als die Zeitung, keinen Wirtschaftsteil hat, ist genau das die vordergründige Pointe des heutigen Predigttextes. Jesus erzählt die Geschichte von drei Untergebenen, denen der Chef Geld anvertraut hat. Zwei legen das Geld an, investieren in irgendwelche Unternehmungen, womöglich mit Risiko. Wir wissen nicht genau, wie und wo. Der dritte Angestellte aber hat Angst vor dem Chef, hat Angst vor dem Risiko –und was macht er mit dem Geld? Er versteckt's. Nicht im Kühlschrank und nicht unter dem Sofapolster, sondern irgendwo draußen, wo er es an geheimer Stelle vergräbt. Sicher ist sicher. Oder?

 

Die Währung, um die es in der Geschichte geht, hat einen bekannt klingenden Namen: Die Silberzentner, von denen die Lutherübersetzung spricht, heißen im griechischen Original: talanta– Talente. Die drei Knechte werden also mit "Talenten" ausgestattet. Talanta waren eine Gewichtseinheit, so wie sie hinter vielen Währungen, man denke nur an das Pfund, steht. Die Übersetzung "Zentner" macht deutlich, dass es in diesem Fall um sehr viel Geld geht. (Das Loch, das Knecht Nr. 3 gräbt, muss groß gewesen sein!). 

 

Ich finde es faszinierend, dass die Bibel mit dem Wort "Talent" in unsere Alltagssprache eingedrungen ist. Für uns alle ist klar: Mit einem Talent ist eine besondere Begabung gemeint, eine ausgeprägte Fähigkeit. Unsere Sprache hat da also nicht nur eine biblische Parabel aufgenommen, sondern zugleich die Deutung dieser Parabel. Die lautet: Es geht Jesus gar nicht ums Geld. Er redet nicht davon, wie man seinen Reichtum vermehrt. Er spricht über das, was einem Menschen an Möglichkeiten und Fähigkeiten geschenkt ist. Daraus gilt es etwas zu machen.

 

Das ist eine Lebensaufgabe. Ich denke an unsere große Tochter, die aufs Abitur zugeht. Kürzlich brachte sie dieses grüne Buch mit, das schon meine Generation in der Schule bekam: den Führer zur Studien- und Berufswahl (vom Arbeitsamt herausgegeben). Er ist ein bisschen dünner geworden, weil man viele Informationen jetzt auch im Internet bekommt. Aber die Möglichkeiten haben sich eher vermehrt. Es gibt Hunderte von Studiengängen und Ausbildungen, die man heute nach der Schule machen kann. Was ist das Richtige? Für welchen Weg passen meine Begabungen am besten? Ich merke im Gespräch mit jungen Leuten, dass diese Frage auch mit Ängsten verbunden ist: Ich kann mir dies und das vorstellen – aber bin ich dafür auch gut genug? Und umgekehrt die Angst, nicht das Beste aus dem eigenen Leben herauszuholen. Ich will ja auch nichts machen, was mich unterfordert oderlangweilt. YOLO - you only live once! Du lebst nur einmal! Und die Angst, etwas zu verpassen, ist groß.

 

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Auch die Geschichte, die Jesus erzählt, handelt letztlich von der Angst. Es ist schade, dass ihr Schluss selbst so furchteinflößend geraten ist: Der Knecht, der aus seinen Talenten nichts macht, wird am Ende furchtbar bestraft. Aber eigentlich geht es ja darum, nicht Angst zu erzeugen, sondern Angst zu nehmen: Trau dich etwas anzufangen mit dem, was Dir gegeben wurde, lass Dich von Risiken nicht schrecken! Darauf will das Gleichnis Jesu letztlich hinaus: Jetzt, im Anbruch des Reiches Gottes, muss gehandelt und investiert werden! Jetzt kommt Veränderung und Erneuerung. Alles Abwarten und Aussitzen ist unangemessen, ja Ungehorsam gegenüber Gott. 

 

Vielleicht trifft uns das heute, im Jahr 2022, wieder mehr als frühere Generationen: Fast in allen Bereichen unserer Gesellschaft werden Talente gesucht. Menschen, die bereit sind, sich einzusetzen und besonders: Verantwortung zu übernehmen. Aber es wird immer schwerer, Schulleiter oder Bürgermeisterinnen zu finden. Und das liegt nicht daran, dass es keine Menschen mit Begabungen gäbe. Sondern daran, dass sich viele sagen: Das tue ich mir nicht an. Einer ganzen Generation wird inzwischen nachgesagt, sie habe keine Lust mehr auf Leitungsaufgaben. Die Millenials – oder Generation Y – heißt es, zögen sich zurückin Private; konzentrierten sich auf ihr persönliches Glück und die rechte work-life-balance. So fehlt es an vielen Stellen an Nachwuchs. nicht zuletzt da, wo ehrenamtliches Engagement gefragt ist.

 

Ich bezweifele, dass sich das Phänomen einer einzelnen Generation anlasten lässt. Aber die Gefahr des Rückzugs ist da – bei uns allen. Seit der Corona-Pandemie hat sich das meinem Gefühl nach massiv verstärkt. Da haben wir uns ja gewissermaßen zu Hause vergraben – weil es geboten und nötig war. Jetzt kommen viele von uns nur schwer wieder raus. Konzertsäle, Theater und auch Kirchen sind immer noch leerer als vor der Pandemie. Manche haben sich daran gewöhnt nirgendwo erwartet oder gargebraucht zu werden. Zu Hause ist es ja auch schön. 

 

Der Rückzug von Menschen aus dem öffentlichen Leben gefährdet unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben. Mich beunruhigt das mehr als die Inflation, die derzeit die Nachrichten beherrscht. Manches geht auch mit weniger Geld. Aber eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Gaben und Talente zurückhalten, kann nicht funktionieren. Für die Kirche gilt das genauso: Menschen, die sich einbringen und engagieren, brauchen wir nötiger als alles Geld.

 

Was kann man tun?

Die Antwort des Gleichnisses ist klar: Talente nicht verstecken, sondern anlegen. Entdecken und anlegen. Denn erst mal muss man natürlich wissen, welche Talente man hat. Vielen ist gar das nicht klar. Mit dem Wort „Talent“ haben sich hochtrabende Erwartungen an künstlerische Fähigkeiten oder handwerkliches Geschick verbunden. Die wirklich wichtigen Gaben sind dagegen oft einfach: Genauigkeit oder Phantasie, Einfühlungsvermögen oder Ausdauer; ein persönliches Hobby oder Zeit für andere.

 

Warum fragen Sie nicht mal jemanden, der Sie schon lange kennt: „Was glaubst Du eigentlich, was ich gut kann?“ Oder: „Welche Eigenschaft an mir schätzt Du besonders?“ Suchen Sie sich Ihren persönlichen Anlageberater – und fragen Sie gleich weiter: „Wo, glaubst Du, könnte man meine Fähigkeiten gebrauchen? Wo gibt es eine gute Sache, für die ich meine Gaben investieren kann?“

 

Der zweite Schritt ist dann: keine Angst zu haben. Keine Angst, nicht zu genügen – aber auch keine Angst, die eigene Zeit und Kraft zu verschwenden. Wenn es um das Reich Gottes geht, ist keine Anstrengung zuviel. Wenn es um das Reich Gottes geht, braucht es auch Mut zum Risiko. Beides macht Jesus mit seinem Gleichnis klar. Bloß nicht nichts tun.

 

Eine Risikoanlage im Namen des Gottereichs: Etwas sagen, bei dem man nicht sicher sein kann, dass alle zustimmen. Jemanden einladen, der womöglich anstrengend ist. Kraft investieren in eine Veranstaltung, ein Projekt, das vielleichtwenig Zuspruch findet – einfach, weil es richtig ist. Tun, was die Liebe gebietet – und Räume schaffen, in denen der Geist wehen kann.

 

Für die eine mag das leichter sein, für den anderen schwerer – aber keiner ist da, der nichts bekommen hat. Keiner ist da, der nicht noch unentdeckte Möglichkeiten hat. Wo sind Ihre? Finden Sie es heraus!

Bleiben Sie nicht zu Hause – und legen Sie Ihre Talente bitte nicht in den Kühlschrank!

 

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Dr. Olaf Waßmuth: 

1.​Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?

Ein traditioneller Sonntagsgottesdienst in einer gut bürgerlichen Gemeinde im historischen Zentrum der Stadt. Nach der Corona-Pandemie kommen die Menschen durchaus wieder zum Gottesdienst in die große gotische Hallenkirche – und doch ist in vielen Bereichen der Gemeinde noch Zurückhaltung zu spüren. Die Predigt bezieht sich darauf.

 

2.​Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?

Der Gedanke, dass gute Leute und ihre Gaben das eigentliche Potential unserer Kirche, ja unserer ganzen Gesellschaft sind – nicht das Geld. Das halte ich für eine äußerst aktuelle und wichtige Botschaft in die derzeitige Nachrichtenlage hinein.

 

3.​Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?

Ich ertappe mich beim Rückzug ins Private selbst – ich habe seit Corona aufgehört, im Kirchenchor mitzusingen… Wir müssen es irgendwie schaffen, den „Risiko-Vermeidungs-Modus“ der Corona-Zeit als Einzelne und als Kirche wieder hinter uns zu lassen. Und die Bequemlichkeit auch.
 

4.​Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?

Mit Hilfe der Predigtcoach habe ich einige Stellen getilgt bzw. umformuliert, die zu distanziert oder belehrend klangen. Den Absatz, der sich auf den Rückzug ins Private in der Corona-Pandemie bezieht, fand die Beraterin störend. Mir war er wichtig, weil mich der Bibeltext an dieser Stelle selbst kritisch in Frage stellt. Ich habe ihn stehen gelassen – man kann den Absatz aber tatsächlich gut weglassen.

Perikope
Datum 14.08.2022
Bibelbuch: Matthäus
Kapitel / Verse: 25, 14-30