"Brennendes Herz – Kühler Kopf - offene Hände“
1.
„Brannte nicht unser Herz“, sagten die beiden Jünger aus Emmaus (ein imaginärer Ort bei Jerusalem, bisher noch nicht genau lokalisiert). „Brannte nicht unser Herz“, Wir müssen uns diese Szene -aus der „erinnernden Wahrnehmung“ der Jesus-Gemeinde später aufgeschrieben- genau vorstellen, um zu erahnen, was für uns heute damit gemeint sein kann. ich will es tun.
„Brannte nicht unser Herz“. Brennendes Herz! So begann es zu Ostern. Wenn unser Herz nicht brennt, bei dem, was wir hören von Jesus, über Jesus, aus Jesus, dann kann auch nicht Ostern werden. Damals und heute! Keine Auferstehung für uns! Brennt unser Herz noch?
Aber langsam. Nicht so schnell auf uns übertragen. Zunächst noch mal zurück ins Jahr 30 oder 33 oder 34 ½.
Da läuft also der auferstandene Herr -wohl nicht direkt von Angesicht zu Angesicht, aber doch im Geist- direkt zwischen den beiden. „Wo zwei oder drei,… da bin ich mitten unter ihnen“ soll er ja in seinem irdischen Leben gesagt haben. Also er läuft zwischen den beiden. Lehrt sie, legt ihnen die Schrift aus, wie es recht vollmundig heißt. Die „ganze Schrift“, mehr also als nur eine kapitale 4-stündige Uni-Semester-Vorlesung, die ganze Schrift.
Die ganze Schrift also legt er aus, der Herr. „…was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war“. Und sie hören zu, wundern sich, verstehen dies und das, ihr Kopf schwirrt oder wird auf einmal klar, wissen wir alles nicht, auf jeden Fall, er in der Mitte, sie rechts und links, also „wo 2 oder 3“. Ach ja, jetzt verstehe ich erst: Er war wohl wirklich in seinem Geist in ihrer Mitte. Die zwei legten für sich die Schrift aus, noch einmal, sie kannten sie ja, (wir kennen sie, vielleicht gar viel zu gut), zum so und so vielsten Male, lasen die Bibel in seinem Namen, in seinem Geist, also so, wie sie ihn in seinem irdischen Leben erlebt haben. Erinnerten sich an ihn, lasen die Bibel auf einmal anders (er war ja nun tot. Oder?), doch so wie Jesus es sie gelehrt hatte, ihn im Sinn, vielleicht gar im Herzen … ja und da war er auf einmal in ihrer Mitte, mitten unter ihnen, real. „Wo zwei oder drei….“
Und das gilt natürlich –warum denn etwa nicht?- auch für uns hier, ja für uns hier.
2.
Ich erinnere mich: Mit einer Gemeindegruppe war ich vor vielen Jahren in Israel am See Genezareth, gegenüber von Kapernaum: und sa haben wir –wir saßen alle am See- die Bibel gelesen, nichts als die Bibel, das erste Kapitel des Markus-Evangeliums, gerade ein Kapizel haben wir an sieben Vormittagen, also in 21 Stunden geschafft. Für mich ein ganz umwerfendes Erlebnis. Hätte nie gedacht, dass das möglich ist. Ein Kapitel Markus, doch die „ganze Schrift“ war dabei. Und „wo 2 oder 3…“. Ich kann nicht beweisen, dass er auch dabei war, dass der Herr mitten unter uns war, aber –fromm wie ich inzwischen bin und gutgläubig wie ich schon immer war- denke ich, glaube ich, er hat sich uns nicht entzogen, hat sich unsichtbar eingemischt in unsere Gespräche am See. „…. bin ich mitten unter euch“.
3.
Doch zurück nach Emmaus. Der Herr legte ihnen die ganze Schrift aus, die ganze, sie legten sie sich selbst im Geist Jesu aus, aus der „erinnernden Wahrnehmung“ an das, was sie von ihm/ mit ihm gehört und gesehen hatten. Und er war mitten dabei. Kühlen Kopf braucht man dazu, einen ganz kühlen und klaren Kopf, um nicht zu schnell abzudriften in hohe. allzu frommen Gefühle, hochemotional, um hart an der Sache zu bleiben, ganz hart und klar, also
… z.B. dass im Grund von Jesus und seinem Lebensstil im ganzen AT (seiner Bibel) schon erzählt wird, indirekt natürlich (ich denke an das Liebesgebot im AT)
… z.B. wenn es am Ende der Schöpfungsgeschichte vom Menschen heißt, er sei „sehr gut“ und dass das natürlich auf den Menschen hinweist, wie er in Wahrheit ist, wie er uns in Jesus vorgestellt wird
… z.B. dass die Kritik vieler Propheten am äußeren Opfergottesdienst „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer“ genau auf den hinweist, der das in einem Leben getan hat, die Barmherzigkeit in Person
… z.B., ach ich könne jetzt noch 10 oder 20 weitere Belege bringen, lass ich aber, komme sonst ins Schwärmen, kühlen Kopf wollte ich ja bewahren
… z.B. am Ende aber doch, dass in diesem Jesus, in seinem Gottvertrauen, in seiner Liebe zu Gott, dem Vater, die er dann jedermann weitergegeben hat, dass darin Gott pur unter uns ist, in ihm Gott real präsent ist, also dogmatisch zurechtgezurrt: „Gott wurde Mensch, damit der Mensch endlich Mensch werde“. (dass der Mensch nicht etwa Gott werde, sondern endlich Mensch!)
Dies und vieles mehr also mit „kühlen Kopf“ bedenken, abwägen, hin und her wenden, die „ganze Schrift“ vom Innersten her verstehen,
Den einen schwirrt dabei der Kopf, dem anderen geht endlich ein Licht, das Licht auf. Also: So die beiden auf dem Weg vom realen Jesus zum imaginären Emmaus. Und der Herr -weiß nicht wie und wo und warum- mitten unter ihnen. Nicht zu sehen, aber er lenkt ihre Sinne. Und je mehr sie sinnen, umso mehr wird ihr Kopf klar und sie beginnen langsam zu verstehen. So weit.
4.
Doch dann - ist er auf einmal weg. Ist weg. Kannst ihn nicht festhalten, gar fest bannen, weder bildlich in dieser Geschichte, noch kirchlich in Dogmen und goldenen Sätzen. Entzieht sich dem, ist frei, bleibt frei, ist in der Mitte, ganz real und wirklich, und dann ist er wieder weg.
Als wir vom See Genezareth vor 10 Jahren wieder mit dem Flugzeug ins kalte Norddeutschland zurück flogen, blieb uns ja auch nur die Erinnerung an das, was sich da am See ereignet hatte. Im Flugzeug gab es „chicken or meat“, aber keine Jesus-Geschichten mehr.
Doch wieder zurück: Zunächst bitten sie ihn, am Abend, an ihrem Abend, auch Abend des Lebens, bei ihnen zu bleiben. Ja, sie/wir möchten sie gern festhalten, solche Sternstunden, wo wir meinen, er ist mitten unter uns. Vielleicht singen wir dann selbst-beschwörend den schönen Kanon „Wo 2 oder 3 in seinem Namen zusammen sind“ (Sie kennen ihn?), ich lieb ihn sehr und vielleicht ist er dann sogar wirklich mit dabei, wenn wir es singen. „Bleibe bei uns Herr, denn….“ Ja, tut er. Auf Zeit!
Doch dann ist er weg. Und nun kommt für mich das ganze Entscheidende, das alles Entscheidende.
5.
„Brannte nicht unser Herz“ sagen sie zu sich. Toll. Sie nehmen wahr bei sich: Wenn der Herr unter uns ist (siehst ihn nicht, spürst ihn aber) dann brennt unser Herz, dann geht unser Herz über, es geht in Sprüngen, ja es verwandelt sich. „Das Alte ist vergangen, es ist alles neu“ (so Paulus später) auf einmal. Sie spüren es und sprechen es aus. Sprechens es sich gegenseitig zu. „Brannte nicht unser Herz?“ Wirklich, es brannte.
Im Nachhinein ! Hinterher, als er wieder weg ist, nix mehr da von „2 oder 3 und er mittenmang dabei“. Er ist weg, ist wieder weg. Ist ja auch oft von uns weg, wenn wir so verrückte Fragen stellen (kennen wir alle): Stimmt das den alles von ihm? Hat die Kirche ihn nicht kaputt gepredigt? Hat sich in den 2000 Jahren seit ihm irgendetwas geändert? In der Welt und in uns? Ist da mehr Friede? Mehr Gerechtigkeit? Mehr Liebe unter uns? „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch lieben sollt, wie ich euch geliebt habe“. Ja, wo ist das denn? ---- Also all die vielen Fragen, die nach kurzer Hellsicht, nach kurzem und klarem Licht wieder auftauchen und alles verdunkeln, den vorher so klaren Kopf zum Brummen und Schwirren bringen. Kennen Sie ja alle. Ich könnte jetzt eine ganz, ganz lange Litanei davon singen, lass ich aber.
Da erinnern sie sich: „Brannte nicht unser Herz…“? Ja, es brannte, es war entflammt, es war ganz mit sich selbst und mit dem Herrn in eins. Ja, es brannte, wir wissen es ganz genau und daran wollen wir uns halten. Das wollen wir fest halten, nicht als Dogma, aber als eine lebendige Erfahrung, die uns keiner mehr nehmen kann. Und daran wollen wir uns immer wieder erinnern. Dahin wollen wir zurück laufen, wenn mal nix mehr in uns brennt. Diese „erinnernde Wahrnehmung“ des Herrn, ihm tatsächlich in sich selbst begegnet zu sein, im Herzen: und unser Herz brannte hell und heiß, das kann uns niemand mehr nehmen, niemand und niemals.
6.
Ja und jetzt, an dieser Stelle muss ich uns hier ganz direkt fragen:
Brennt unser Herz noch? Immer noch? Immer mal wieder? Wenn wir uns an ihn erinnern, daran, wie unser Glaube begonnen hat, einst in der Jugend oder auch später? Brennt unser Herz noch? Oder ist es inzwischen nur noch lau-warm und lasch, vielleicht gar versteinernd oder resigniert oder ist eben einfach das Feuer verglüht, Asche zu Asche? Alles erkaltet? Ich frage nur leise, ich frage nur, mich und Sie hier.
Ach, ich will jetzt nicht ein großes Klagelied anstimmen. Ach! Aber manchmal habe ich schon den Eindruck, in uns, in unserer Kirche, in unserer ansatzweise noch christlichen Gesellschaft, da brennt nichts mehr. Da ist zwar noch Glaubens-Routine, Predigt-Routine, Diakonie-Routine, Frieden-Gerechtigkeit-Bewahrung-der-Schöpfung-Routine, Orgel-Kirche-Renovierungs-Routine, ja, ja, natürlich. Aber da brennt nix mehr. Nun ja, vielleicht irre ich mich auch. Gut so dann.
Doch die Frage an eine/n jede/n unter uns bleibt: Brennt noch etwas in uns? Sind wir innerlich noch bewegt, aufgeregt, aufgewühlt, von dem, was Jesus getan/gesagt hat, wie er lebte, starb und neu zum Leben kann? Krempelt es uns noch um, lassen wir uns davon entzünden und verwandeln, von ihm, der Mitte unseres Lebens, wenn er, wo 2 oder 3 in seinen Namen zusammen sind (und hier sind ja mehr als nur 2 oder 3 zusammen) mitten unter ihnen sein will?
Wenn so etwas geschieht, das nenne ich dann: Der auferstandene Herr –um es jetzt dogmatisch korrekt zu sagen- begegnet uns, er ist mit seinem Geist in unserer Mitte, es wird tatsächlich Ostern, vielleicht gar noch am Abend… unseres Lebens. Er macht sich breit unter uns, baut sich ein Nest in unserem Leben, entzündet uns neu und unser Herz fängt tatsächlich an -ein Wunder?- neu zu brennen.
Wie bei den Emmaus-Jüngern, denen es im Nachhinein auf einmal aufgeht. Und ich wage daher mutig und frech zu behaupten: Wenn unser Herz neu brennt, wenn wir es neu von ihm entfachen lassen, dann wird der Auferstandene in uns wahr, steht auf in uns, Auferstehung in uns und breitet sich aus wie eine ansteckende Gesundheit. Ostern geschieht. Wir kommen neu zum Handeln.
7.
Denn, das ist nun das Letzte an dieser wundersamen Geschichte: Kühler Kopf – brennendes Herz – offene Hände, hab ich’s genannt. Also jetzt –nach allem- die Hände öffnen für andere, zu anderen hin. Denn was tun die beiden? Die behalten das alles nicht für sich, als Privatbesitz. Tolles spirituelles Erlebnis. Festhalten bitte. Nicht weiter geben. Nein, sie sagen’s sofort, standepede, weiter. „Kommt, sagt es allen weiter…“
„Sie standen sofort auf und kehrten noch zur derselben Stunde zurück nach Jerusalem“ Noch zur selben Stunde. Vom imaginären Emmaus, von ihrer so schönen, wunderschönen spirituellen Jesus-Begegnung –diese im Herzen und im Kopf- dann zurück ins reale Jerusalem, zu all denen, bei denen noch nix brennt, die noch in ihren geistlichen Katakomben hocken und bei verrammelten Fenstern und Türen der Dinge harren, die eventuell geschehen könnten. Also zu den allzu brav Frommen, zu uns Kirchen-Frommen, uns allen, die das Träumen und Brennen, real mit Jesus zu rechnen, wohl aufgegeben haben und sich in ihrem Klein-Glauben einigeln.
Da gehen sie hin, rennen sie hin, sprinten sie hin. Und wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Und sie erzählten von ihm, von ihrer Begegnung mit ihm, wie sie ihn in ihrer Erinnerung an sein Leben wahr genommen haben in sich. Das sagen sie weiter, öffnen ihre Hände und reichen es weiter. Reichen nicht äußerlich Brot weiter, auch Wein und Brot, sondern reichen das Brot des Lebens, das ihr Herz zum Brennen gebracht hat, weiter.
Also: Klarer Kopf – Brennendes Herz – offene Hände.
8.
Liebe –darf ich jetzt sagen?- österliche Gemeine, in keiner anderen Situation als die Emmaus-Jünger sind wir, kein bisschen schlechter oder besser dran.
Unser Jerusalem ist hier vor Ort, ganz real und manchmal auch recht kalt und öde, so wie auch Jerusalem damals und heute.
Unser Emmaus, dies imaginäre Dorf, es ist diese Kirche hier, kann es sein. Für die Menschen in der Nachbargemeinde, ist es ihre Kirche, kann es ihre sein. Da kann unser Herz wieder neu zu brennen beginnen – da können wir mit kühlem Kopf Jesus, den Jesus, von dem die ganze Bibel erzählt, auch auf unsere alte Tage neu zu verstehen, zu begreifen beginnen – wie „neu geboren“ (Quasimodogeniti, so heißt ja der nächste Sonntag) dann. Das Alte ist ergangen, alles ist neu geworden, für uns, von innen heraus. – Und da können wir auch noch auf unsere alten Tage hin unserer Hände öffnen, weiter tragen, was wir empfangen haben. So kann es sein und im Glauben ist es so. Und dann ist Ostern, wahrhaftig. „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“ – in uns. „Brannte nicht unser Herz…“ Ja, es brennt, brennt wieder neu, es ist ein Wunder.
Das ist Ostern – heute – neu – für uns – in uns.
In uns zunächst, da beginnt’s. Und dann –so Gott will- auch für andere, in anderen.
Brennendes Herz – Kühler Kopf - Offene Hände. Predigt zu Lukas 24,13-35 von Axel Denecke
24,13-35
Perikope