Christus ist uns im Alltag nahe! – Predigt zu 1. Könige 8,22-24.26-28 von Rainer Stahl
8,22-24.26-28

Kronstadt / Braşov.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Zu Beginn muss ich Euch gestehen, dass ich mir nicht denken kann, warum die kirchlichen Gremien, die die Predigttexte für die Sonntage und Feiertage entscheiden, dieses Zitat für das Fest der Himmelfahrt Christi ausgewählt haben. Sie haben auch aus 1. Könige 8 ab Vers 22 in merkwürdiger Weise Verse ausgewählt:

+  Die historische Verortung in einer angeblichen Tempelweihe durch den König Salomo – ja,

+  die dynastischen Hoffnungen auf eine immerwährende Abfolge von davidischen Königen in Jerusalem – nur zum Teil,

+  das eigentliche Gebet, das die judäischen Verfasser um das Jahr 570 vor Christus vielleicht geschrieben und dem Salomo um das Jahr 950 vor Christus in den Mund gelegt haben – gar nicht.

Ich darf eine erste Frage nur andeuten: Welche Bedeutung mag dieser Text für unsere jüdischen Freunde haben? Zu 1. Könige 8 habe ich keine jüdische Auslegung gelesen. Aber ich vermute in einem ersten Schritt: Eine nur sehr abgeleitete Bedeutung. Denn der Tempel existiert seit 1.949 Jahren nicht mehr. In einem zweiten Schritt ist mir aber bewusst geworden, dass dieser Text für unsere jüdischen Freunde eine große Bedeutung besitzen dürfte: Als Begründung, als Grundlegung für die lebendige Gebetspraxis nach Osten hin zur Fundamentmauer, die Herodes ab etwa 20 vor Christus für seinen großen Tempel hat errichten lassen, zu so genannten Westwand, oder auch: Klagemauer – eine Bezeichnung, die ich nicht liebe –, hin!

Wart Ihr schon einmal in Jerusalem und habt diese beeindruckende Gebetspraxis miterlebt, vielleicht sogar selber einen Zettel mit einer Bitte in eine der Fugen zwischen den riesigen Steinquadern geschoben? Für mich war Freitag, der 18. November 2016, erlebnisreich: Mit dem Bus waren wir zum Ölberg gefahren, haben dort die beiden Himmelfahrtskirchen, die evangelische deutsche und die orthodoxe, nicht besucht, sondern wir sind von der Kirche „Der Herr weint“ / „Dominus flevit“ über den Garten Gethsemane in die Stadt gegangen. Da war die Straße hinter dem Stephanstor schon dicht gedrängt von Menschen, die alle zum Freitagsgebet auf dem Haram al Sharif, wir sagen: zum Felsendom, strömten. Da war die Gebetspraxis der Muslime auf dem Terrain, für das dieses Gebet geschrieben worden war, handgreiflich erlebbar. Aber am späten Nachmittag war ich dann vor der Westwand des Tempelfundaments – und wieder strömten viele Menschen dorthin, nun Jüdinnen und Juden, um den Beginn des Sabbat zu begehen und zu beten, wie es nach unserem Gebet Salomo getan haben soll – was leider dem Predigtwort nicht mehr zugeordnet wurde:

            „Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag,

            über der Stätte, von der du gesagt hast:

            Da soll mein Name sein.

            Du wollest hören das Gebet [...] deines Knechts und deines Volkes Israel,

            wenn sie hier bitten werden an dieser Stätte“ (Verse 29a.bα.30aβ).

Welche Bedeutung aber hat dieser Text für uns, für unsere evangelisch-lutherische Gemeinde hier in Kronstadt / Braşov, für uns als Gottesdienstgemeinde zum Himmelfahrtsfest in der „Schwarzen Kirche“? Wir achten kirchliche Gebäude und Gottesdienststätten. Aber so ausschließlich wie die judäische Theologie damals die Kontaktmöglichkeit mit Gott an den Tempel in Jerusalem gebunden hat, können wir doch nicht über unsere Kirchen sprechen und denken! Auch unsere jüdischen Freunde haben schon zu Zeiten, da der Tempel noch in Funktion war, an vielen Orten und weit über Judäa hinaus Versammlungshäuser, Synagogen, errichtet und in ihnen zu Gott gebetet. So auch für uns: Solange wir Kirchen nutzen können – Unsere Glaubensgeschwister aller Konfessionen in der Sowjetunion mussten durch Jahrzehnte gehen, in denen ihnen ihre Kirchen weggenommen, und diese zerstört oder zweckentfremdet wurden! –, solange wir Kirchen nutzen können, nehmen wir sie dankbar als Stätten des Gebetes an, als Stätten, denen die Verheißung gilt, dass Gott in ihnen ausgesprochene Gebete hören wird! Wie auch in Eurer „Schwarzen Kirche“ zur Zeit des Dienstes von Pfarrer Dr. Konrad Möckel in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Und jetzt aber, oder besser: jetzt erst recht gewinnt unser Bibelwort für das Fest von Christi Himmelfahrt Deutungskraft. Aber auch mit einer Aussage, die gar nicht als Predigttext ausgewählt wurde:

            „Wenn du es hörst in deiner Wohnung im Himmel, wollest du gnädig sein“

            (Vers 30b).

Mit dem Fest Christi Himmelfahrt wird zum Ausdruck gebracht, dass der auferstandene Gekreuzigte ganz bei Gott ist, dass er wirklich der Gott ist, der unsere Bitten hört.

Schon die alten Theologen, die Salomo dieses Gebet beten lassen, haben festgehalten, dass der Himmel, von dem sie reden und von dem Salomo in seinem Gebet spricht, viel mehr ist als der Himmel, der sich über uns wölbt:

            „Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie

            sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“ (Vers 27b).

Daran können wir anknüpfen: Wir wissen schon so viel über den Kosmos, in dem unsere Erde ein kleines Sandkorn mit einer dünnen Lufthülle ist, dass wir den Schöpfer dieses Kosmos nicht über der dünnen Lufthülle dieses Sandkornes verorten können. Vielleicht habt Ihr auch einmal eine Abbildung jenes dümmlichen Plakats der Bolschewiki gesehen: Ein Pope sitzt auf Erden und hat ein Telefon mit einer Leitung bis hinauf zu einer Wolke, auf der Gott sitzt. Aber der Sputnik von 1957 hat auf seinem Flug um die Erde diese Telefonleitung gekappt, so dass des Popen Verbindung zu Gott unterbrochen ist. Solch einen Gott habe ich nie geglaubt. „Im Himmel“ – das heißt: in einer anderen Dimension, in einer Dimension quer zu den von uns erfahrbaren Dimensionen, so quer, dass uns ein „im Himmel“ Befindlicher ganz nah ist.

Diese Einsicht hat schon Lukas angedeutet, indem er in seinem zweiten Himmelfahrtsbericht die Männer zu den Jüngern sagen lässt. „Was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen“ (Apostelgeschichte 1,11). Nicht wegschauen – irgendwohin. Sondern das Leben meistern im Glauben, dass Christus uns nahe ist und uns hält.

Amen.

Perikope
30.05.2019
8,22-24.26-28