Da kann ja jeder kommen - Predigt zu Johannes 8,12-16 von Christian Stasch
8,12-16

Liebe Gemeinde,
unter einer Straßenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt vorbei, fragt ihn, was er verloren habe und der Mann antwortet: „Meinen Schlüssel.“ Nun suchen beide. Und suchen und suchen. Völlig erfolglos. Schließlich will der Polizist wissen: „Sind Sie sich auch ganz sicher, dass Sie ihn genau hier verloren haben?“ „Nee, nee, nicht hier, da hinten, aber das ist es viel zu dunkel.“

Na, ein Lichtblick täte ihm ganz gut.
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (Jes 9,1) Diese Worte aus der Bibel Israels wurden dann später auf Jesus übertragen: Ich bin das Licht der Welt. (Joh 8,12a)
Ein hoher Anspruch.

Ich bin…. – ja, wer bin ICH denn? Weiß ich´s?

Ich bin Krankenschwester und Werder-Bremen-Fan, ich bin Mutter und Tochter, ich bin Ehefrau und Kegelschwester, Gartenfreundin und Nachbarin, könntest du sagen. Du bist nicht eines, du bist vieles.

Ich bin Beamter und 96-Fan, ich bin Ehemann und Bruder, ich bin Schwiegersohn und Klavier-Dilettant, ADAC-Mitglied und Weißweintrinker, könnte ich sagen. Ich bin nicht eines, ich bin vieles.

Ich bin das Brot und die Tür, ich bin der gute Hirte und der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ich bin der Weinstock, die Auferstehung und ich bin das Licht der Welt – heißt es über Jesus. Er ist, jedenfalls laut Johannesevangelium, nicht eines, er ist vieles.

Das weihnachtlichste unter diesen verschiedenen Jesus-Bildern ist sicherlich: Licht der Welt. So ist es ja auch in Jesu Geburtsgeschichte hinein komponiert: Mit dem Stern über Bethlehem. Mit den Hirten des Nachts auf dem Felde, und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie. (Lk 2,9a)

Und wir weihnachtlichen Menschen ziehen einen Lichtbogen von damals bis heute. Mit unseren Kerzen (die mild leuchten, duften und sich verzehren), unserem Weihnachtsbaum (über den wir lange diskutiert haben und der auch in diesem Jahr „so schön ist wie noch nie“), mit all der Beleuchtung innen und außen an unseren Häusern, mit Sternen aus Annaberg und Herrenhut. Freuen uns am weihnachtlichen Glanz, auch noch am zweiten Feiertag. Und deshalb auch unsere lichtvollen Weihnachtslieder: „Das Blümelein so kleine das duftet uns so süß, mit seinem hellen Scheine vertreibt´s die Finsternis.“ (eg 30,2)

Aber ganz so einfach das nicht. Es erhebt sich Widerspruch. Ich bin das Licht der Welt. Mhm – da kann ja jeder kommen. Das Johannesevangelium überspringt Geburt und Kindheit und blendet sich gleich dreißig Jahre später ein, beim erwachsenen Jesus, der auf viel Skepsis stößt. Er ist gerade im Gespräch und die Gespräche sind hier oft harkelig und holperig und voller Missverständnisse. Die Gesprächspartner haben eine Lust daran, sehr kritisch nachzufragen, manchmal sogar Jesus hinters Licht zu führen.

Ich bin das Licht der Welt, sagt er. Mhm – da kann ja jeder kommen, antworten sie sinngemäß. „Das sagst du von dir selber. Aber: Kann es denn noch jemand bezeugen?“ Jesus bietet als weiteren Zeugen keinen geringeren als Gott im Himmel auf. „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh 10,30) Aber dieser Hinweis auf die Doppelspitze führt in diesem Gespräch auch nicht so recht weiter. Wir können uns daher wieder ausblenden.

Und können hinüberblenden ein paar Verse zurück. Da wird beschrieben, wie Jesus zu einer Menschengruppe kommt. Jeder der Leute hat einen Stein in der Hand, gerichtet auf eine Frau in der Mitte. Die Männer sagen – nicht besonders leise – : „Beim Ehebruch erwischt, das Gesetz sagt Todesurteil, Steinigung. Was sagst du dazu, Jesus?“ Und Jesus sagt erstmal gar nichts. Erstmal etwas herunterkommen. Dann zeichnet er mit dem Finger in den Sand. Und schließlich legt er die Reihenfolge fest: Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. (Joh 7b) Stille. Nach und nach werden die Steine nicht geworfen, sondern auf dem Boden abgelegt.
Diese Frau könnte auch gut bezeugen: Jesus, Licht der Welt. Ein Lichtblick im Leben. Das ist allerdings eine Lebenserfahrung, und kein hieb- und stichfestes, glasklares Argument. Es ist eine Glaubensaussage und kein Beweis.

Jesus – Licht und Lichtblick der Welt. Mhm – da kann ja jeder kommen. Die Skepsis von damals hat sich nicht in Luft aufgelöst. Der Widerspruch ist geblieben. Und der Zweifel ist nach wie vor Geschwisterkind des Glaubens – auch bei uns. Denn wir feiern Weihnachten ja nicht als Erlöste, sondern als Sehnsüchtige. Als solche, die sich nicht freuen am Stern über der Krippe zu Bethlehem, sondern auch nach Frieden in der Welt dürsten, nach wärmenden Friedenslichtern.

Es geschah aber zu der Zeit, da Assad Machthaber in Syrien war. Da begab es sich, dass in Syrien die Lichter ausgingen. Man kann das sehen auf Satellitenbildern. Seit dem Beginn des Syrienkrieges 2011 sind über 80 % der Lichter ausgegangen. Weil Gebäude, Straßen und Stromleitungen zerstört sind, bleibt nachts alles dunkel. Und auch kalt. Die Menschen sind der absoluten Dunkelheit ausgeliefert, so wie wir es uns in Deutschland kaum noch vorstellen können. Wenn dort jemand nachts medizinisch behandelt werden muss, wird zum Teil die Handy-Beleuchtung verwendet, um überhaupt etwas zu sehen.

Christus: Licht der Welt.

Aber – es geschah zu der Zeit, da Erdogan Machthaber in der Türkei war. Da begab es sich, dass ein Verbot erlassen wurde. Weihnachten – jauchzet? Freuet euch? Nicht bei uns! Ja, wenn man im Schulunterricht etwas davon zu hören bekäme. Hat der türkische Staat Angst davor, dass Weihnachten thematisiert wird von einigen deutschen Lehrern an der Istanbuler Schule? Sind die Machthaber so unentspannt, dass sie wegen so etwas einschreiten und sich abschotten?

Christus: Licht der Welt

Aber – es geschah zu der Zeit, da eine große Terrorangst in Deutschland um sich gegriffen hatte. Da begab es sich, dass die besinnlichen Lichter und die friedlichen Menschen eines Weihnachtmarktes das Ziel von Unfrieden durch einen LKW in Berlin wurden und die Furcht noch mehr ansteigen ließ. Und alle wieder merkten: Leben in einem freien Land und absolute Sicherheit, das kann man wohl nicht beides haben.
Stille Nacht, traurige Nacht, in Berlin.

In diesen rauen Zeiten singe ich Johann Sebastian Bachs Weihnachtsmelodie wie einen Protestsong gegen dunkle Mächte und wie ein Hoffnungslied: „Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne.“ (eg 37,3)

Der Kern unseres Weihnachtsfestes lautet: Jesus. Licht der Welt.
Und das andere stimmt auch: Ja, da kann ja jeder kommen. Die Hirten kommen, die Weisen aus dem Morgenland kommen, die Ausgebooteten kommen, später kommen die Zöllner, die Fischer, Frauen, Kinder und Männer kommen, Verängstigte kommen, Zweifelnde kommen, Flüchtlinge kommen.

Da kann ja jeder kommen. Am Weihnachtsfest 2016. Jede und Jeder. Und wird im Licht verwandelt. Jesus behält das Licht nicht für sich, er sozialisiert es, er verschenkt es. Er sagt zu dir und zu mir: Ihr werdet das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12b) Ja, mehr noch: Ihr seid das Licht der Welt. (Mt 5,14)
Also, wenn Sie sich hier umschauen: in der Bank neben Ihnen und auch vor und hinter Ihnen, und Sie selbst – lauter Lichter, lebendige Lichtblicke.

Dass Sie gesegnete Weihnachten haben und dass Sie im weihnachtlichen Licht Verlorenes wiederfinden, das wünsche ich Ihnen.
Amen.

Perikope
26.12.2016
8,12-16