Dämonendämmerung - Predigt zu Lukas 11,14-23 von Dr. Jürgen Kaiser
11,14-23

Dämonendämmerung - Predigt zu Lukas 11,14-23 von Dr. Jürgen Kaiser

Und er trieb einen Dämon aus, der war stumm. Und es geschah, als der Dämon ausfuhr, da redete der Stumme, und die Menge verwunderte sich. Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Dämonen aus durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen. Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel. Er aber kannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre. Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die Dämonen aus durch Beelzebul. Wenn aber ich die Dämonen durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. Wenn ein gewappneter Starker seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.

 

Starr saß er da. Der Blick bohrte sich in die Erde. Sie wollten, dass er etwas sagt. „Hör auf, hat doch keinen Zwecke!“, ging einer dazwischen. „Früher hat der geredet wie ein Wasserfall. Aber seit Monaten nichts mehr. Kein einziges Wort!“ Er hörte es, aber der Mund blieb zu. Die Erinnerungen trampelten auf die Synapsen. Es tat weh. Die Gedanken rasten in seinem Kopf. Aber er konnte sie nicht rauslassen. Sie stießen heftig von innen gegen den Mund. Die Lippen krampften sich zusammen. Wenn jetzt jemand mit Gewalt seinen Mund aufreißen würde, käme ein Schrei heraus, der würde die Schallmauer durchbrechen und den Himmel bersten lassen. Der Stumme würde nicht mehr aufhören zu schreien, nie mehr. Er würde bis in alle Ewigkeit schreien. Wenn Himmel und Erde vergangen sind, würde er immer noch dasitzen und schreien. Die Stimmbänder würden bluten und sein Schrei einen neuen Urknall auslösen. Gibt es neue Welten ohne die Erinnerung an das, was war? Aber er schrie nicht. Die Lippen blieben verschlossen. Der Blick erreichte Grabestiefe. Himmel und Erde wurden alt und älter. Die Erde verströmte den Duft des Moders. Den Himmel sah er schon lange nicht mehr.

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Früher hießen die Dämonen Belzebub oder Legion. Heute heißen sie posttraumatische Belastungsstörung oder Psychose, Borderline oder Neurose. Vielen hockt ein kleiner Dämon im Nacken, einigen ein großer. Glücklich schätzen können sich die, bei denen er klein bleibt. Bei denen man die Ticks und die Macken nur hin und wieder merkt, die gut über die Runden kommen, im Alltag den Schein wahren und nur hinter verschlossenen Türen mit ihrem Dämon raufen. Der sie dann zu komischen Bewegungen stachelt oder zu krampfigen Zuckungen oder zu Schluchzen und zu Tränen. Es gibt Menschen, die lachen den ganzen Tag und wenn der Mensch neben ihnen im Bett sein Gute-Nacht-Gebet spricht, heulen sie heimlich das Kissen voll. Wir haben alle unsere kleinen Dämonen im Nacken. Manche aber haben mächtige Dämonen in der Seele, die ihnen den Mund verschließen oder die Psyche zerfetzen.

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Am Ende klärt sich alles auf. Jesus kommt und die Dämonen trollen sich. Lahme gehen, Blinde sehen, Stumme reden. Menschen werden wieder Menschen. Was sie erstarren ließ, was sie wegsehen ließ, was sie verstummen ließ, wird verbannt. Jesus kommt und die Plagen gehen. Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. Was böse Macht über uns gewonnen hat, kann nur durch eine stärkere Macht gebannt werden. Mit Jesus kommt die stärkste Macht, die Macht Gottes. Sie vertreibt die Dämonen. Das Reich Satans ist in sich gespalten. Es ist geschwächt, es kollabiert. Dann ist das Reich Gottes nahe.

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So lässt sich die Wirklichkeit in der Sprache biblischer Mythologie beschreiben. Wir haben heute eine andere Sprache. Doch die Wirklichkeit hat immer noch ihre dunklen Seiten. So oder so - am Ende ist es immer noch eine Frage der Macht. Man kann die Dämonen durch Beelzebul austreiben. Der größere Dämon verjagt den kleineren. Konfrontation ist eine Therapiemethode. Die Patienten werden mit dem konfrontiert, was sie geschreckt hat. Wer Angst vor Spinnen hat, kann lernen, eine Vogelspinne zu streicheln, um die Angst zu verlieren. Wer Höhenangst hat, kann nach Paris ziehen und jeden Sonnabend auf den Eiffelturm klettern. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung konfrontiert der Therapeut den Patienten behutsam mit dem Ereignis, das das Trauma ausgelöst hat. Man sucht bewusst und kontrolliert die Begegnung mit dem größten Schrecken, damit sich die kleineren vertrollen. Den Dämon durch Beelzebul austreiben. Entscheidend ist die Kontrolle. Die Kunst des Therapeuten ist es, Beelzebul zu meistern. In der Hand des Therapeuten ist die unberechenbare Tyrannei des Traumas gebändigt. Der Patient muss dem Therapeuten vertrauen, er muss ihm zutrauen, Macht über den Schrecken zu haben. Es ist eine Frage der Macht, aber auch des Vertrauens.

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Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. In der Kirche haben wir die Machtfrage aus dem Blick verloren. Zu lange wurde die Kirche nur als Machtfaktor wahrgenommen. Das scheint uns immer noch peinlich zu sein. Also blicken wir lieber aufs Kreuz und reden von der Ohnmacht Gottes und davon, dass Gott sich mit der Erfahrung des Scheiterns solidarisiert. Das ist eine wichtige Einsicht. Aber das ist nicht das letzte Ende. Die Erfahrung unserer Ohnmacht soll nicht der Abschiedsgruß Gottes gewesen sein. Nach dem Kreuz kommt das leere Grab. Der Tod ist weg! Gott hat ihn besiegt. Die Machtfrage ist geklärt. Der Sohn Gottes lebt. Wir werden nicht vergeblich davon träumen, dass auch uns eines jüngsten Tages und durch den Tod hindurch ein Leben blüht, in dem alles geklärt sein wird.

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"Es war ein Kampf. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, sagt Karolina. Der Marienanhänger blitzt in der Sonne Krakaus. Ich zitterte. Am ganzen Körper. Ich konnte nicht mehr sprechen. Wenn ich was sagen wollte, fühlte es sich an, als ob ich ersticke." Karolina begab sich in die Behandlung eines Exorzisten. Es gibt in Polen etwa 130 Exorzisten. Priester, die mit bischöflicher Erlaubnis den Teufel austreiben dürfen. Und eine Plattform im Internet. Man kann den Exorzisten im Internet buchen. Exorzismus boomt in Polen. Natürlich ist das auch in Polen nicht unumstritten, selbst in der polnischen Kirche nicht.Der beliebteste Exorzist in Polen kommt aus Uganda. "Alles was nicht von Gott ist, verlässt uns jetzt. Auch Krebs. Jesus hat uns nicht mit Krebs oder Kreislaufschwierigkeiten geschaffen. Und in dieser göttlichen Freude werden die Krüppel wieder laufen, die Blinden sehen, die Knochen tanzen vor Freude!", ruft John Bashobora 20.000 Anhängern zu.1

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Jesus hat die Dämonen ausgetrieben. Im Anbruch des Reiches Gottes werden Menschen geheilt. Lahme gehen, Blinde sehen, Stumme reden. Davon erzählt die Bibel. Kann man sich diese Macht in Jesu Namen zueigen machen? Exorzisten versuchen es. Sie meinen, man könne sich die von Jesus ausgehende Macht durch den Vollzug bestimmter Rituale aneignen und sie handhaben. Aber das ist ein Irrtum. Die Dämonen werden nicht durch exorzistische Praktiken vertrieben, auch wenn der Priester 7, 12 oder 99-mal den Namen Jesu nennt. Sie werden vertrieben, weil ihre Macht in der Nähe des Reiches Gottes gebrochen ist. Menschen werden geheilt, weil die Macht des Todes vom Allmächtigen gebannt wurde. Die Urkraft Satans schwächelt. Denn der allmächtige Gott hat Jesus Christus von den Toten auferweckt. An Ostern fiel die Entscheidung zugunsten des Lebens. An Ostern hat die Aufklärung begonnen. Alles Zwielichtige kam ans helle Licht und wir erkannten: Es war ein Nichts.

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Am Ende klärt sich alles auf. Es ist eine Frage der Macht. Heute ist der Anfang vom Ende des Kirchenjahres. Am Ende des Kirchenjahres zieht Klarheit auf. Das Zwielicht der Welt klärt sich zur Eindeutigkeit des Reiches Gottes. Aufklärung. Dämonendämmerung. Gott klärt. In den letzten drei Sonntagen des Kirchenjahres geht es um die Macht Gottes. Es geht um das, was übrig geblieben ist aus dem Kirchenjahr, was außerhalb unserer Macht liegt, um das, was wir trotz aller Macht, die uns von Gott durch einen Berge versetzenden Glauben, durch eine die Zeiten überschreitende Hoffnung und durch eine alle Feindschaft überwindende Liebe gegeben ist, nicht vermögen. Glaube, Hoffnung, Liebe machen mutig, stark und fröhlich, aber nicht allmächtig. Es bleibt etwas übrig, das über unsere Macht geht. Das klärt Gott am Ende.

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Am Ende klärt sich alles auf. An Ostern hat die Aufklärung begonnen. Mit der Auferweckung Jesu von den Toten wurde der Macht des Todes der Todesstoß versetzt. Seither ist das Reich Gottes im Anbruch. Die Dämonen werden entmachtet. Ihre Fratzen schrecken nicht mehr. Sie ruhen in der Mottenkiste einer untergegangenen Welt. Von dort dürfen sie kommen, um an Halloween die Kinder zu bespaßen und im Nachtprogramm die Eltern am Fernseher zu gruseln. Luthers Glauben ist uns auch ohne die Angst vor dem Teufel tröstlich und nützlich, und wer besessen ist, geht zum Therapeuten.

Immer noch wirken Mächte, Gewalten und Energien, die schwer zu beherrschen sind, auf uns Menschen. Aber im Licht der seit Ostern initiierten Aufklärung ersetzen wir magische Methoden durch wissenschaftliche, unkontrollierbare durch immer besser kontrollierte und beherrschbare Methoden. Was Jesus damals konnte, das können heute auch wir: Heilen. Dass wir immer besser lernen, mit den destruktiven Kräften umzugehen, sie zu bannen oder in konstruktive Kräfte umzukehren und wunde Seelen zu heilen, das sind die Zeichen des Reiches Gottes, das im Anbruch ist. Auch wenn die Heilung nicht im Namen Jesu Christi geschieht, ist es eine Heilung durch Gott. Auch eine Therapie durch einen Therapeuten ohne Taufe und Bekenntnis ist eine Wirkung von Gottes kommendem Reich. Es ist schon lange im Anbruch. Und es ist noch lange nicht vollendet. Aber die Ängste kriegen wir immer besser in den Griff. Es ist am Ende eine Frage der Macht, aber auch eine Frage des Vertrauens. Luther ist mit seinen Teufelsängsten nicht zum Exorzisten gegangen, sondern hat sie durch seinen Glauben in den Griff gekriegt. Der Fürst dieser Welt ist schon gerichtet. Man muss sich das nur mit einem Wörtlein sagen und schon klärt sich alles Zwielichtige zur Herrlichkeit Gottes. „Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie sau’r er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht’: ein Wörtlein kann ihn fällen.“ (Luther , EG 362,3)

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Perikope
Datum 12.11.2017
Bibelbuch: Lukas
Kapitel / Verse: 11,14-23