„…damit ihr den Mut nicht sinken lasst“
Liebe Gemeinde!
„Eine Wolke von Zeugen haben wir um uns“ – es ist, als ob uns diese Worte aus dem Hebräerbrief wohltuend einhüllen möchten. Welch ein schönes Bild. Ich stelle mir eine leuchtend weiße Wolke unter dem klaren Blau des Himmels vor. Von Abraham, Noah, Mose und anderen biblischen Personen hören wir im vorangehenden Zusammenhang unseres Predigtwortes. Menschen, die uns bezeugen, was es für sie bedeutete, ihren Lebensweg mit Gott zu gehen. Sie konnten „ablegen“, was sie „beschwerte“ – im Hebräerbrief ist von der „uns ständig umstrickenden Sünde“ die Rede, sie behindert unsere Orientierung, so dass wir vom Weg abkommen und das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren. Es ist das unschöne, das negative Bild einer Wolke: wenn sie uns die Sicht nimmt, als wären wir in einen dichten Nebel geraten. Menschen können einander wie eine dunkle Wolke die klare Sicht, den Durchblick, versperren: wenn wir einander nicht mehr wahrnehmen und nur noch uns selbst sehen, wenn eigene Zwecke, Ideologien und Prinzipien wichtiger sind als der Mensch, der meine Zuwendung und Hilfe braucht. Dies kann durchaus unter dem Deckmantel der Christlichkeit oder eines anderen Glaubens geschehen. Wie leicht ist es möglich, die eigene Art der Frömmigkeit absolut zu setzen und damit jeden anderen Weg für falsch zu erklären – ich denke an die Enge fundamentalistischer Einstellungen (in Religion und Politik), sie widersprechen der Weite Gottes und der lichten Wolke seiner Zeugen.
„Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist“, ruft uns der Autor des Hebräerbriefes auf. Das Leben – ein Kampf? „Leben heißt kämpfen“, sagt ein Sprichwort. Was für ein Kampf ist gemeint? Kämpfen, sich anstrengen, um die Anforderungen des Lebens in Schule, Beruf, Familie zu bestehen? Kämpfen, an mir arbeiten, um den dunklen Seiten in mir und der Welt nicht zu erliegen? Kämpfen, innerlich ringen mit schicksalhaften Geschehnissen, die mich überfielen? Der Hebräerbrief meint mit dem Wort „Kampf“ das Bild von einem sportlichen Wettkampf. Wir gebrauchen das Bild, wenn wir von unserem „Lebenslauf“ sprechen. In diesem Sinn bedeutet kämpfen: mit Herz und Verstand mein Bestes geben, um das gesteckte Ziel zu erreichen, meine Bestimmung, den Sinn meines Lebens, nicht zu verfehlen. Ich muss mich dafür anstrengen, muss üben und im Training bleiben, mich auf meinen Lebenslauf immer wieder einstellen und dafür die richtigen Voraussetzungen schaffen. Kein verbissenes Kämpfen, sondern ein „sportliches“: Ich kann dabei gewinnen und mich darüber freuen, und ich kann verlieren, gebe dann aber nicht auf. Meine Sicht auf meinen Lebenslauf verändert sich: Verlieren hat keinen Makel mehr, weil ich das Ziel vor Augen habe. Geduld, Durchhalten, auch Aushalten, sind gefragt. Wenn ich verliere, gewinnt ein Anderer, der sich freut, und ich habe ein anderes Mal die Chance zu gewinnen. Beide, Gewinner und Verlierer, haben Verständnis füreinander.
„Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens.“ Den Aufruf zur Geduld bei unserem Lebenslauf verbindet der Verfasser des Hebräerbriefes mit der Einladung, zu Jesus aufzusehen. Es ist ein vertrauensvolles Aufsehen zu Jesus, auf seinen Weg, wir dürfen uns an ihm orientieren. Denn Jesus von Nazareth ist der „Anfänger und Vollender des Glaubens“, mit anderen Worten: Jesus begründet und bekräftigt den Weg des Glaubens, des Vertrauens auf Gott, und er vollendet diesen Weg, führt ihn zum Ziel. Was uns Jesus von Nazareth gelehrt und vorgelebt hat, zeigt uns, was ihn mit Gott und uns Menschen verbindet: ein grenzenloses Vertrauen auf Gottes langen Atem, seine Kraft, die allem Unguten, Zerstören und Tod Bringenden ein "So nicht", ein „Trotzdem“ entgegensetzt. Darum ist Jesus für uns „der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Weil er „das Kreuz erduldete“, kann ihn unser menschliches Auge als Verlierer ansehen, als Gescheiterten. Aber in Wahrheit hat Jesus gewonnen, er nahm dem Leiden und Schicksal, der Sünde und dem Tod die Macht, er „erduldete das Kreuz und achtete die Schande gering“,
„obwohl er hätte Freude haben können“. Der griechische Wortlaut lässt noch eine andere Übersetzung zu: „um der vor ihm liegenden Freude willen“. Jesus hatte die „Freude“, die „Vollendung“, das himmlische „Ziel“, vor Augen. So umgibt Jesus uns in der „Wolke von Zeugen“, mit ihnen zeigt er uns: Die Kreuze im Leben sind da, ganz real. Jeder Mensch muss ein Kreuz tragen. Aber das Kreuz, das Leid, die Ungereimtheiten des Lebens, sind nicht der Endpunkt. Menschen, deren Leben vom Kreuz nicht verschont war und sich dennoch von der Wolke der Zeugen umhüllt und getragen wussten, lenken unseren Blick durch das Kreuz hindurch. Der Himmel ist weit offen. Der das Kreuz auf sich nahm, sitzt zur Rechten des Thrones Gottes, an Gottes Seite. Die Ostersonne leuchtet in deinen Lebenslauf, wärmt dich und gibt dir neue Kraft zum Weitergehen. Du bist nicht allein, bist umhüllt von einer schützenden Wolke, Gott geht vor dir her, um dich auf gutem Weg zu führen (2.Mose 13,21).
„Gedenkt an den, der soviel Widerspruch gegen sich erduldet hat.“ Noch einmal ein Aufruf, einladend wie die vorangehenden Aufrufe, anspornend, den Glauben, das Vertrauen stärkend, dass unser Lebenslauf sich lohnt. Denkt an Jesus, bedenkt, wie er seinen Weg ging. Wie hat man ihm widersprochen, seinem Rufen im Namen Gottes, Verachtung, Spott und Schläge hielt er aus. Unter Hosianna-Jubel zog Jesus in Jerusalem ein (Markus 11,1-11), später die Schreie "Kreuzige ihn" (Markus 15,13). Aber da war auch jener römische Hauptmann, der Jesus gegenüber stand und ausrief: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“ (Markus 15,39) Verlassen von Vielen, denen seine ganze Zuwendung galt, hielt Jesus in seinen schwersten Stunden an Gott fest,
„damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst“. In der Orientierung an Jesus von Nazareth wachsen uns Kräfte zu, sie stärken und beflügeln uns für unseren Lebenslauf. Wir geben nicht vorschnell auf, wir behalten das Ziel vor Augen, die umfassende Freude im Himmel. Diese vollkommene Freude steht noch aus, aber sie berührt uns schon jetzt auf Wegen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Gott sei Dank.
Lieder:
Gott liebt diese Welt (EG 409)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Lasset uns mit Jesus ziehen (EG 384)
Von Gott will ich nicht lassen (EG 365)
Bewahre uns, Gott (EG 171)