Ein, zwei sind immer dabei. An ihren Plätzen noch die Tischkarte mit dem Namen, aber kein Gesicht dazu, keine Gestalt, kein Geschenk und kein Gefühl außer Bedauern. Sie konnten nicht kommen. Es hat sie etwas gehindert, etwas lange Geplantes, etwas Unvorhergesehenes, etwas Schlimmes, etwas Besseres etwa?
Etwas Wichtigeres. Erkrankt, zur Kur, im Urlaub, kein Urlaub, woanders eingeladen, auf Dienstreise, unabkömmlich, die Reise zu weit, nun zu alt, die Kinder zu klein.
Es tut ihnen leid, sie entschuldigen sich, sie lassen herzlich grüßen, sie wären so gerne gekommen, es sollte nicht sein. Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, nur auf einer und nicht auf dieser.
Wir nippen am Sekt und nicken und verstehen das, wer hätte nicht schon einmal absagen müssen oder absagen wollen, „ganz plötzlich“ ins Telefon gelogen, „die Kinder“, „die Arbeit“, was auch immer, jedenfalls nicht dieses Fest, mit echtem Bedauern oder ohne. Wir nippen am Sekt und wissen, wie das ist. Ein, zwei sind immer dabei. Und die sind damit anwesender als die Anwesenden. Die bieten Gesprächsstoff am Abend und sind noch Jahre später präsent. „Die waren nicht bei unserer Hochzeit“.
Ein Stich ins Herz der Gastgeber, für die kein Tag wichtiger sein kann als dieser. Das Fest, vorbereitet und geplant mit dem nervösen Wissen aller Gastgeber, dass es am Ende die Gäste sind, die das Fest machen, ihre Gesichter, ihre Gestalten, ihre Geschenke, ihre Gefühle. Jede Absage rührt an die Oberfläche aus Konventionen und Höflichkeit. Und oft dringt sie durch und kommt an eine Stelle, wo es wehtut. Natürlich, wir verstehen das. Aber wir verstehen es auch so: Es gibt etwas Wichtigeres als die Einladung. Es gibt etwas Wichtigeres als uns.
Ein König richtete für seinen Sohn die Hochzeit aus. Und er sandte seine Knechte aus, die Geladenen zur Hochzeit zu rufen, doch die wollten nicht kommen. Darauf sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Geladenen: Seht, mein Mahl habe ich bereitet, meine Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, und alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! Sie aber achteten nicht darauf und gingen ihres Wegs, der eine auf seinen Acker, der andere an sein Geschäft. Die übrigen aber ergriffen seine Knechte, misshandelten und töteten sie. Da wurde der König zornig und schickte seine Heere aus, ließ jene Mörder umbringen und ihre Stadt anzünden. (Mt 22,2b-14)
Ein, zwei sind immer dabei. Aber gleich alle? Und das nach „Save the date“ und „Um Antwort wird gebeten“, nach Gästeliste und Essensbestellung, Sitzplan und Tischdekoration. Jetzt ist es soweit, kurz vor dem Fest noch einmal „Ihr kommt doch?“. Aber keiner will kommen. Keine Gesichter zu sehen, keine Gestalten, keine Geschenke, keine Gefühle. Keiner will feiern, auch dann nicht, als die Boten noch einmal wiederkommen mit der Menükarte in der Hand. Sie achten gar nicht darauf.
Und mit einem Mal zerreißt die Oberfläche aus Höflichkeit und Konventionen. Es tut weh. Gleichgültigkeit schlägt um in Aggression und dann Liebe in Zorn. Das Fest endet, bevor es angefangen hat, in Mord und Totschlag.
Dann sagte er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, die Geladenen aber waren es nicht wert. Geht also an die Ecken der Straßen und ruft zur Hochzeit, wen immer ihr findet. Da gingen die Knechte auf die Straßen hinaus und brachten alle, die sie fanden, Böse und Gute, und der Hochzeitssaal füllte sich mit Gästen. (Mt 22,8-10)
Einer, zwei, so betreten sie zögernd den Saal. Treten sich wieder und wieder die Füße ab, streichen ihre zerknitterten Kleider glatt, so gut es geht und fahren sich durch das Haar. Unsicher suchen sie sich einen Platz. Die Tischordnung gilt ja wohl nicht mehr. Vor ihnen noch die Karte mit einem Namen. Die nehmen sie vorsichtig und legen sie umgedreht auf den Tisch, bevor sie sich setzen. Wie gut, dass Musik gespielt wird. Sie wüssten ja gar nicht, was sie reden sollten an diesen Tischen voller fremder Gesichter. Als das Essen kommt und der Wein, greifen sie zu. Fleisch und Brot und Wein, reichlich und köstlich, beruhigend konkrete Zeichen für ein Fest.
Und nun auch der Blick des Sitznachbarn, des Gegenübers. Ein vorsichtiges Lächeln beim Anheben des Glases. Die ersten Worte werden gewechselt, über das Essen, über den Saal und von welchem Ende welcher Straße man hier hinein gefunden hat.
Aber die Gespräche verstummen wieder, als der König den Saal betritt. Er hat Ruß an den Kleidern und Blut an den Händen.
Als aber der König eintrat, sich die Gäste anzusehen, sah er da einen, der kein Hochzeitskleid trug. Und er sagte zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen ohne ein Hochzeitskleid? Der aber blieb stumm. Da sagte der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis; dort wird Heulen und Zähneklappern sein. Denn viele sind berufen, wenige aber auserwählt. (Mt 22,11-14)
Es ist still geworden im Saal. Nein, keiner möchte mehr nachnehmen. Keiner lässt sich nachschenken. Sie essen auf und trinken aus und dann verabschieden sie sich höflich, aber eilig und verschwinden in der Dunkelheit, einer, zwei, jeder für sich, dorthin, wo sie hergekommen sind und wo sich die Straße verliert im Weglosen.
Denn viele sind berufen, wenige aber auserwählt. Ein, zwei sind immer dabei.
Aber wer bin ich?
Es ist schwer, seinen Platz zu finden in dieser Geschichte. Die Tischkarten bleiben alle umgedreht, die Zuordnungen sind schwierig bis unmöglich. Wer wer ist, möchte man ja zu gerne wissen, wer dazugehört und wer nicht, wer drinnen ist und wer draußen. Aber das entscheidet jemand anderes. Die Geschichte ändert sich in jedem Augenblick, sie nimmt unvorhersehbare Wendungen. Eine heilsame Unsicherheit, nicht nur im Themenjahr Reformation und Toleranz. Sie macht alle Zuschreibungen und Identifizierungen unmöglich.
„Unser Herrgott behüte uns davor, dass wir solche Verächter und Verfolger werden, wie es die Papisten sind“ hat Martin Luther in seiner Predigt zu dieser Geschichte gesagt. Ja, unser Herrgott behüte uns vor solchen und ähnlichen Zuschreibungen.
Daraus wird nichts als eine endlose Geschichte voll Finsternis und Ruß und Blut und Tod und Tränen. Denn wir haben kein Herrschaftswissen darüber, wie es mit dem Himmelreich ist, wer dazugehört und wer hineinkommt. Während wir fleißig dabei sind, Tischkärtchen zu malen, betritt schon der König den Saal. Er nimmt uns die Karten aus der Hand.
Ich sehe ihn vor mir, den König, mit Ruß an den Kleidern und Blut an den Händen und diesem unbarmherzigen Blick. Ich habe Angst vor ihm. Und ich höre, dass der Weisheit Anfang die Furcht des Herrn ist.
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der für seinen Sohn die Hochzeit ausrichtete.(Mt 22,2) Am Anfang war der König der Gastgeber. Am Anfang ging es ihm, wie es allen Gastgebern geht. Er möchte von Herzen gerne seine Gäste sehen, ihre Gesichter, ihre Gestalten, ihre Geschenke, ihre Gefühle. Sie tun ihm weh, weil sie so gleichgültig sind, so achtlos und nachlässig, lieblos und roh. Sie tun ihm weh, weil es für sie immer etwas Wichtigeres gibt. Jede Absage ein Stich ins Herz. Und am Ende steht er da, alleine im Hochzeitssaal, eine dunkle, unverständliche Gestalt.
Die Geschichte könnte so viel kürzer sein, so viel heller und fröhlicher. Wir Gäste sind es doch, die das Fest machen.
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der für seinen Sohn die Hochzeit ausrichtete. Und er sandte seine Knechte aus, die Geladenen zur Hochzeit zu rufen, und sie kamen alle. Und das Fest beginnt, Essen und Wein, reichlich und köstlich, Lichter und Musik. Kein Tag ist wichtiger als dieser.
Und wir hören eine Stimme, die sagt: Kommt, es ist alles bereit, schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. (Ps 36,9)
Ein, zwei sind immer dabei.
Ich komme.
Amen.