Das ist schwach!
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
Hören wir, was Paulus in seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt:
„Denn Gott sprach: Licht soll aus der Dunkelheit aufstrahlen, und Gott hat ein helles Strahlen in unsere Herzen gegeben, so dass wir das Leuchten der Gegenwart Gottes im Angesicht des Messias Jesus erkennen.
Doch diesen Schatz haben wir in zerbrechlichen Gefäßen. So stammt die alles übersteigende Kraft von Gott und nicht von uns. Von allen Seiten werden wir bedrängt, doch wir haben Raum. Wir wissen nicht weiter, doch wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt, doch nicht von Gott im Stich gelassen. Wir werden zu Boden geworfen, doch wir gehen nicht zugrunde. Immer tragen wir das Sterben Jesu an seinem Körper mit uns. Genauso erscheint an unserem Körper auch das Leben Jesu. (2.Korinther 4,6-10 aus der Bibel in gerechter Sprache)
Wie uncool! Was Paulus da in seinem Brief schreibt, ist schwach. „Wir sind zerbrechlich“, behauptet er. „Wir wissen nicht weiter.“ „Wir werden zu Boden geworfen“ (V.6f). Kurz gesagt: „Wir sind keine Siegertypen“.
Wer möchte gerne so sein? Wohl keiner! Wenn das der christliche Glaube ist, dann kannst du ihn vergessen!
Wir arbeiten lieber an einem anderen Bild von uns selbst: ‚Ich bin jung und körperlich fit. Ich sehe gut aus. Ich bin erfolgreich, immer auf der Gewinnerseite. Ich bin cool. Ich spreche über das, was ich kann, von meinen Fehlern und Schwächen brauchen die anderen nichts mitzukriegen. Ich bin doch kein Loser!‘
Dieses Menschenbild herrscht in vielen Bereichen unseres Lebens vor und beeinflusst uns, ob wir wollen oder nicht. Wenn ich mit Jugendlichen rede, wie im Konfirmandenunterricht, spiegeln sie uns dieses Bild oft in Reinkultur wieder, noch ohne kritische Distanz. In solchen Gesprächen wird mir deutlich, wie wenig zeitgemäß der Glaube an Jesus Christus ist. Anders gesagt: Er passt nicht in unsere Welt. Jesus wird, nachdem er in seinem Leben einiges geschafft hat, was eindrucksvoll war, zum ‚Looser‘ schlechthin: Er verliert sein Leben. Er wird nackt ausgezogen, bespuckt, beschimpft und vor den Augen aller lächerlich gemacht. Wer will heute schon zu so einem gehören? Der ist ja ein ‚Opfer!‘ Und denen, die zu ihm gehören, geht es offensichtlich so ähnlich. Paulus sagt von sich: „Immer tragen wir das Sterben Jesu an unserem Körper mit uns.“ Das klingt nicht gerade attraktiv. Wer lässt sich von solchen Typen begeistern?
Ich tauche tiefer in den Text hinein: „Diesen Schatz haben wir in zerbrechlichen Gefäßen“, schreibt Paulus (V.7). Luther übersetzt: „in irdenen Gefäßen“, die aus Erde gemacht sind wie der erste Mensch. Ein irdenes Gefäß, so ein tönerner Krug, kann leicht anschlagen oder zerbrechen, man muss vorsichtig mit ihm umgehen. Er ist nicht für die Ewigkeit gemacht. Das irdene Gefäß ist ein Bild für unseren Körper. Wir merken es selbst, je älter wir werden: Es funktioniert nicht mehr alles so reibungslos und ohne Einschränkungen wie mit 20 oder 30. Wir müssen für unseren Körper sorgen, damit wir möglichst lange weiterhin das tun können, was wir gerne wollen. Dazu kommen Krankheiten oder Unfälle, die unwägbar sind, und schnell den eigenen Bewegungsspielraum begrenzen. Das haben wir nicht in der Hand, trotz der Bemühungen um körperliche Fitness und Gesundheit.
Paulus lebte unter anderen Bedingungen als wir, es geht ihm nicht um das Alter, wenn er den Leib als zerbrechliches Gefäß beschreibt. Seine Apostelkollegen und er wurden verfolgt und ins Gefängnis geworfen. Dort waren sie angekettet, bekamen wenig zu essen und wurden zu Verhören geschleppt. Immer wieder schwebte er in Lebensgefahr. Hinzu kam, dass er nicht gesund war, und seine Konkurrenten das zum Anlass nahmen, ihn als Apostel in Frage zu stellen: „So einen Mann kann Gott doch nicht berufen haben, um sein Evangelium zu verkünden, er ist ein Lügner und Hochstapler, hört nicht auf ihn“, erklärten sie.
Paulus setzt dem etwas entgegen: In allen Gefahren und Anfeindungen erfährt er, dass Gott ihm treu bleibt und ihm hilft. Gott stellt seine Füße auf weiten Raum. Hören wir noch einmal, wie Paulus es sagt: „Von allen Seiten werden wir bedrängt – doch wir haben Raum. Wir wissen nicht weiter – doch wir verzweifeln nicht. Wir werden verfolgt – doch nicht von Gott im Stich gelassen. Wir werden zu Boden geworfen – doch wir gehen nicht zugrunde“ (V.8f). Gott hält zu ihm. Das glaubt und spürt Paulus, und deshalb verzweifelt er nicht.
Und: Er trägt nicht nur das Sterben Jesu an seinem Körper, sondern auch das Leben Jesu (V.10). Durch die Erfahrungen des Todes hindurch leuchtet auch das Leben Jesu auf, die Auferstehung, an der Paulus Anteil hat.
Woher kommt das? Das kommt durch den Schein, den Gott in unsere Herzen gibt. „Gott hat ein helles Strahlen in unsere Herzen gegeben, so dass wir das Leuchten der Gegenwart Gottes im Angesicht des Messias Jesus erkennen“, schreibt Paulus (V.6). Wir bewirken dieses Strahlen nicht selbst, es kommt nicht von uns, sondern von außen, von Gott her. Es ist ein leuchtender Schatz, etwas Kostbares und Wertvolles, das in uns hineingelegt wird. Gott leuchtet, nicht wir. Wir weisen auf ihn hin. Gottes Leuchten zeigt sich im Angesicht Jesu. Das setzen die vielen Darstellungen des Kindes in der Krippe ins Bild: Das Kind ist umgeben von einem Leuchten, in dem sich Gottes Gegenwart zeigt. Und die, die ihm nahe kommen, seine Eltern, die Hirten und Könige, werden in seinen Glanz mit hineingezogen. Der Glanz gibt ihnen neue Kraft, um ihr Leben zu bestehen. Späte Gäste an der Krippe sind dann auch Paulus und wir. Über die Jahre und Jahrhunderte hinweg kann der Glanz Gottes im Angesicht Jesu Christi auch uns erleuchten. „So stammt die alles übersteigende Kraft von Gott und nicht von uns“ (V.7).
Große Worte sind das! Ich erlebe die Kraft Gottes auch als kleinere Münze aus dem Gold-Schatz. Aber sie ist spürbar. Wenn wir gemeinsam etwas tun und etwas Gutes daraus entsteht. Wenn wir kreativ sind und zusammen etwas auf die Beine stellen. Mir steht eine Aufführung mit unserem Kirchenchor vor Augen: Jeder und jede singt ihre Stimme, das Orchester und die Solisten tragen ihren Teil bei, ebenso der Dirigent. Es entsteht ein Kunstwerk, das getragen und durchdrungen ist vom Licht Gottes. Ein großes Ganzes, in das jede einzelne sich einbettet. Das strahlt aus auf die Menschen, die zuhören und sich von der Musik und den Worten berühren lassen.
Gottes Kraft zeigt sich auch, wenn wir uns für andere engagieren. Ich erlebe, dass es eine große Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen gibt, die in Deutschland Zuflucht suchen. In unserer Kirchengemeinde und in unserem Stadtteil, wo Flüchtlinge eine Unterkunft gefunden haben, melden sich immer wieder Leute, die etwas für und mit ihnen tun wollen. Sie bieten Sprachpartnerschaften an, helfen beim Café, stiften Fahrräder, organisieren Konzerte oder Feste, nähen Gardinen und bauen Bänke. Sie gehen auf die Straße, wenn ausländerfeindliche Sprüche an die Wände geschmiert werden oder Fenster zu Bruch gehen. In der Politik weht seit den Übergriffen in Köln ein anderer Wind, straffällige Ausländer sollen verurteilt und abgeschoben werden. Da sind wir uns schnell einig, es muss nur über das Wie diskutiert werden. Mir ist aber wichtig, dass über diesen Diskussionen nicht vergessen wird: Die allermeisten Flüchtlinge wollen hier in Frieden leben. Sie sind keine Kriminellen und werden keine Straftaten begehen. Sie suchen einen sicheren Ort, oft auch ein neues Zuhause und wollen ohne Angst auf die Straße gehen. Ich bin froh darüber, dass sehr viele Menschen das genauso sehen und sich weiter für die Flüchtlinge engagieren, sie besser kennenlernen und nach und nach Freundschaften entstehen.
Ein Funke von Gottes Kraft ist auch im Gebet spürbar. Beim Besuch in einem Kloster habe ich mich anrühren lassen vom Gebet für die Welt. Die Schwestern und die Besucher bildeten eine Gebetsgemeinschaft, die die einzelnen Bitten mittrug: Für die Politiker, dass sie gute Entscheidungen treffen, für eine kranke Freundin, für die Schwesterngemeinschaften in England, in Kenia und in anderen Ländern der Welt, für ein Ehepaar, für die Kinder des Ortes und für viele einzelne Menschen, deren Namen genannt wurden. Die kleine Klosterkirche weitete sich, so dass die ganze Welt Platz in Gottes Hand fand. Ich glaube fest, dass solche Gebete für andere einen Funken Gottes in die Welt hineintragen und sie unmerklich verändern.
Beten und Tun des Gerechten ist das, was wir Christinnen und Christen für die Welt tun können. So bringen wir Gottes Strahlen in die Welt hinein. Dann leuchtet Gottes Glanz in der Welt auf.
Lasst uns das miteinander üben in diesen Tagen des beginnenden Jahres: Beten und das Gerechte tun.
Dabei helfe uns Gott.
Amen.