"Das Leben als Gabe und Aufgabe", Predigt zu Lukas 12, 42-48 von Sibylle Reh
12,42
Das Leben als Gabe und Aufgabe
Liebe Gemeinde,
an diesem Sonntag denken wir wie jedes Jahr an unsere Verstorbenen. Gleichzeitig erinnern die Bibeltexte dieser Woche daran, dass wir eine Hoffnung haben, dass es mehr gibt als dieses eine Leben. Dieses Leben, das , wie es in der Bibel heißt, 70 Jahre währt, wenn es hochkommt, achtzig, und wenn es köstlich war, dann war es Mühe und Arbeit (Ps 90,10). Aber es gibt nach christlicher Hoffnung mehr als dieses Leben, hinter dem Horizont geht es weiter. Dass es für uns ein „Danach“ gibt, wirft auch ein besonderes Licht auf dieses Leben.
In der Comicserie „Peanuts“ des Sonntagsschullehrers Charles M. Schulz fragt der kleine Linus, der ewige Gottsucher unter den Kindern, Charlie Brown: „Wozu sind wir auf der Welt?“ „Um andere Menschen glücklich zum machen“, sagt Charlie Brown. Da meint Linus: „Oh, dann muss ich mir ab sofort etwas mehr Mühe geben, ich möchte nicht zurückgeschickt werden.“
Seine Schwester Lucy, die Kratzbürste, sieht das anders: „Ich glaube nicht, dass ich irgendjemanden sehr glücklich mache, andererseits macht auch mich niemand sehr glücklich. Irgendwer tut da seine Pflicht nicht!“
Etwas schärfer ist das Gleichnis formuliert, das Predigttext für den heutigen Sonntag ist.
(Lesung des Textes)
Liebe Gemeinde, dies sind harte Worte, und es wäre leicht, sie etwas abzubiegen, nach dem Motto: einen ungerechten Verwalter finde ich in diesem oder jenem Pfarrer, den ich nicht mag, oder noch besser: in jenen Priestern, die des Missbrauchs oder der Misshandlung von Schutzbefohlenen angeklagt sind. Das ist sicherlich nicht falsch, besonders bei letzteren gilt der Satz: “Wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“ Aber es wäre zu kurz gegriffen, das Gleichnis darauf zu reduzieren.
Es ist ein Gleichnis, erzählt, damit jeder Einzelne Gott fragen kann: „Bin ich es Herr?“ Wem gegenüber ist mir Verantwortung anvertraut, der ich nicht immer nachkomme?
Von keinem Menschen kann ich erwarten, dass er ein besserer Verwalter ist als ich selber. Niemand, kein Priester, kein König, kein Bundeskanzler kann mehr tun vor Gott als ich selber. Jeder handelt nach den Möglichkeiten, die er hat, kann vielleicht mehr oder weniger bewirken, aber eben nicht moralisch besser der schlechter handeln. Moralisch kann ich das Höchste immer nur von mir selber erwarten und damit vor mir selber (und vor Gott) bestehen oder scheitern.
Liebe Gemeinde, wem viel anvertraut ist an Macht, der ist leicht ein schlechter Verwalter. Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen Macht zu missbrauchen, wie psychologische Experimente zeigen. Am bekanntesten ist das Stanford-Gefängnis- Experiment von 1971. Teilnehmer waren 21 Studenten, die daran teilnahmen, weil sie dafür bezahlt wurden. Unter den Bewerbern wurden nur solche ausgewählt, die psychologisch unauffällig waren, ganz normale Menschen also. Diese Studenten wurden zufällig den Bedingungen „Wärter“ oder „Gefangener“ zugeordnet. Beeindruckendes, für die Initiatoren überraschendes Ergebnis war, dass das Verhalten der Teilnehmer bei weitem über die Erwartungen hinausging, die man mit den zugeordneten Rollen verband: Die Wärter pochten auf ihre Autorität und schikanierten die Gefangenen, während die Gefangenen mit Widerstand oder Passivität reagierten. Schon nach zwei Tagen mussten fünf der Gefangenen wegen gravierender emotionaler Probleme das Experiment beenden. Bereits nach sechs Tagen musste das für ursprünglich 14 Tage angesetzte Experiment abgebrochen werden.
Es zeigte sich: In fast jedem scheint ein brutaler Gefängnisaufseher zu schlummern, der hervorkommt, wenn die Umstände das begünstigen. In den Medien erfahren wir immer wieder von traurigen Beispielen solchen Machtmissbrauchs durch scheinbar normale Menschen. Die Vorgänge im Irakischen Gefängnis Abu Ghuraib von 2004 sind so ein Beispiel. Auch die Atmosphäre auf der Gorch Fock, die Art und Weise, in der die Stammbesatzung mit Offiziersanwärtern umging, die mehrfach zu tödlichen Unfällen führte, scheint mit diesem psychologischen Effekt verbunden zu sein.
Auch im Kleinen kann es solche Effekte geben, immer da, wo zwei Gruppen mit ungleicher Macht gegeneinander, nicht miteinander agieren und dabei gleichzeitig denjenigen, die Macht haben, nicht oder nur unzureichend Grenzen gesetzt werden. Um Machtmissbrauch zu verhindern, braucht es anscheinend feste Regeln für diejenigen, die Macht haben, und eine Kontrolle.
Christen sind keine besseren Menschen als andere. Das weiß auch Jesus. Darum gibt er seinen Jüngern Regeln zum Gebrauch der Macht, die sie haben.
An dieser Stelle habe ich gezögert, als ich über diese Predigt nachdachte. Welche Macht hatten denn Christen zu der Zeit, als Lukas diese Zeilen aufschrieb? Doch gar keine! Auch eine verfasste Kirche mit Ämterhierachie war ja gerade erst im Entstehen.
Allerdings haben sich Christen damals schon um die Versorgung der Armen gekümmert. Zunächst um die Armen in der eigenen Gemeinde, um Christen, die in der Erwartung des nahen Weltendes ihren Besitz und ihren Beruf aufgegeben hatten, aber auch um Arme, die keine Christen waren, kümmerten sich Christen schon immer. Und wer etwas zu verteilen hat, so wenig es auch sein mag, der hat Macht. Der kann etwas zurückhalten und andere hungern lassen wie der Verwalter im Gleichnis.
Und noch eine Macht hatten die Christen schon seit der Auferstehung Jesu. Luther nannte sie den Gebrauch der Schlüssel. Christus spricht:“ Wahrlich, ich sage euch: was ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmelgelöst sein.“ Mt 18.18
In der Kirchengeschichte ist gerade diese Binde- und Lösegewalt oft missbraucht worden: durch die Inquisition zum Beispiel und später durch den Ablasshandel.
Heute trauen wenige den christlichen Kirchen diese Macht noch zu, so wird die Macht geringer, die wir bekommen, damit wird die Gefahr zum Missbrauch zumindest in dieser Hinsicht geringer. Zu verteilen an andere, die ärmer sind als wir, haben wir aber immer noch viel.
Also Macht haben wir als Christen noch immer, und sei es, dass wir durch unser Verhalten anderen den Zugang zu unserer Gemeinde erleichtern oder erschweren. Und da wir dazu neigen, mit der Macht, die wir haben, nicht angemessen umzugehen, sind wir auf die Gnade Gottes angewiesen, die Gnade, uns nicht allzu sehr in Versuchung zu führen, und die Gnade, dass er uns vergibt, wenn wir mal wieder etwas falsch gemacht haben. Und weil wir Gnade brauchen, müssen wir auch gnädig sein gegenüber denen, über die wir Macht haben, materiell oder politisch, oder einfach nur die Macht, zu vergeben oder nicht zu vergeben.
Lucie bei den „Peanuts“ wartet auf jemanden, der sie glücklich macht, bevor sie daran denkt, jemanden glücklich zu machen. Ihr kleiner Bruder Linus dagegen gibt sich sofort Mühe, andere glücklich zu machen, weiß er doch, dass er ein Geschenk im Voraus schon erhalten hat: das Leben!
Amen
Liebe Gemeinde,
an diesem Sonntag denken wir wie jedes Jahr an unsere Verstorbenen. Gleichzeitig erinnern die Bibeltexte dieser Woche daran, dass wir eine Hoffnung haben, dass es mehr gibt als dieses eine Leben. Dieses Leben, das , wie es in der Bibel heißt, 70 Jahre währt, wenn es hochkommt, achtzig, und wenn es köstlich war, dann war es Mühe und Arbeit (Ps 90,10). Aber es gibt nach christlicher Hoffnung mehr als dieses Leben, hinter dem Horizont geht es weiter. Dass es für uns ein „Danach“ gibt, wirft auch ein besonderes Licht auf dieses Leben.
In der Comicserie „Peanuts“ des Sonntagsschullehrers Charles M. Schulz fragt der kleine Linus, der ewige Gottsucher unter den Kindern, Charlie Brown: „Wozu sind wir auf der Welt?“ „Um andere Menschen glücklich zum machen“, sagt Charlie Brown. Da meint Linus: „Oh, dann muss ich mir ab sofort etwas mehr Mühe geben, ich möchte nicht zurückgeschickt werden.“
Seine Schwester Lucy, die Kratzbürste, sieht das anders: „Ich glaube nicht, dass ich irgendjemanden sehr glücklich mache, andererseits macht auch mich niemand sehr glücklich. Irgendwer tut da seine Pflicht nicht!“
Etwas schärfer ist das Gleichnis formuliert, das Predigttext für den heutigen Sonntag ist.
(Lesung des Textes)
Liebe Gemeinde, dies sind harte Worte, und es wäre leicht, sie etwas abzubiegen, nach dem Motto: einen ungerechten Verwalter finde ich in diesem oder jenem Pfarrer, den ich nicht mag, oder noch besser: in jenen Priestern, die des Missbrauchs oder der Misshandlung von Schutzbefohlenen angeklagt sind. Das ist sicherlich nicht falsch, besonders bei letzteren gilt der Satz: “Wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“ Aber es wäre zu kurz gegriffen, das Gleichnis darauf zu reduzieren.
Es ist ein Gleichnis, erzählt, damit jeder Einzelne Gott fragen kann: „Bin ich es Herr?“ Wem gegenüber ist mir Verantwortung anvertraut, der ich nicht immer nachkomme?
Von keinem Menschen kann ich erwarten, dass er ein besserer Verwalter ist als ich selber. Niemand, kein Priester, kein König, kein Bundeskanzler kann mehr tun vor Gott als ich selber. Jeder handelt nach den Möglichkeiten, die er hat, kann vielleicht mehr oder weniger bewirken, aber eben nicht moralisch besser der schlechter handeln. Moralisch kann ich das Höchste immer nur von mir selber erwarten und damit vor mir selber (und vor Gott) bestehen oder scheitern.
Liebe Gemeinde, wem viel anvertraut ist an Macht, der ist leicht ein schlechter Verwalter. Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen Macht zu missbrauchen, wie psychologische Experimente zeigen. Am bekanntesten ist das Stanford-Gefängnis- Experiment von 1971. Teilnehmer waren 21 Studenten, die daran teilnahmen, weil sie dafür bezahlt wurden. Unter den Bewerbern wurden nur solche ausgewählt, die psychologisch unauffällig waren, ganz normale Menschen also. Diese Studenten wurden zufällig den Bedingungen „Wärter“ oder „Gefangener“ zugeordnet. Beeindruckendes, für die Initiatoren überraschendes Ergebnis war, dass das Verhalten der Teilnehmer bei weitem über die Erwartungen hinausging, die man mit den zugeordneten Rollen verband: Die Wärter pochten auf ihre Autorität und schikanierten die Gefangenen, während die Gefangenen mit Widerstand oder Passivität reagierten. Schon nach zwei Tagen mussten fünf der Gefangenen wegen gravierender emotionaler Probleme das Experiment beenden. Bereits nach sechs Tagen musste das für ursprünglich 14 Tage angesetzte Experiment abgebrochen werden.
Es zeigte sich: In fast jedem scheint ein brutaler Gefängnisaufseher zu schlummern, der hervorkommt, wenn die Umstände das begünstigen. In den Medien erfahren wir immer wieder von traurigen Beispielen solchen Machtmissbrauchs durch scheinbar normale Menschen. Die Vorgänge im Irakischen Gefängnis Abu Ghuraib von 2004 sind so ein Beispiel. Auch die Atmosphäre auf der Gorch Fock, die Art und Weise, in der die Stammbesatzung mit Offiziersanwärtern umging, die mehrfach zu tödlichen Unfällen führte, scheint mit diesem psychologischen Effekt verbunden zu sein.
Auch im Kleinen kann es solche Effekte geben, immer da, wo zwei Gruppen mit ungleicher Macht gegeneinander, nicht miteinander agieren und dabei gleichzeitig denjenigen, die Macht haben, nicht oder nur unzureichend Grenzen gesetzt werden. Um Machtmissbrauch zu verhindern, braucht es anscheinend feste Regeln für diejenigen, die Macht haben, und eine Kontrolle.
Christen sind keine besseren Menschen als andere. Das weiß auch Jesus. Darum gibt er seinen Jüngern Regeln zum Gebrauch der Macht, die sie haben.
An dieser Stelle habe ich gezögert, als ich über diese Predigt nachdachte. Welche Macht hatten denn Christen zu der Zeit, als Lukas diese Zeilen aufschrieb? Doch gar keine! Auch eine verfasste Kirche mit Ämterhierachie war ja gerade erst im Entstehen.
Allerdings haben sich Christen damals schon um die Versorgung der Armen gekümmert. Zunächst um die Armen in der eigenen Gemeinde, um Christen, die in der Erwartung des nahen Weltendes ihren Besitz und ihren Beruf aufgegeben hatten, aber auch um Arme, die keine Christen waren, kümmerten sich Christen schon immer. Und wer etwas zu verteilen hat, so wenig es auch sein mag, der hat Macht. Der kann etwas zurückhalten und andere hungern lassen wie der Verwalter im Gleichnis.
Und noch eine Macht hatten die Christen schon seit der Auferstehung Jesu. Luther nannte sie den Gebrauch der Schlüssel. Christus spricht:“ Wahrlich, ich sage euch: was ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmelgelöst sein.“ Mt 18.18
In der Kirchengeschichte ist gerade diese Binde- und Lösegewalt oft missbraucht worden: durch die Inquisition zum Beispiel und später durch den Ablasshandel.
Heute trauen wenige den christlichen Kirchen diese Macht noch zu, so wird die Macht geringer, die wir bekommen, damit wird die Gefahr zum Missbrauch zumindest in dieser Hinsicht geringer. Zu verteilen an andere, die ärmer sind als wir, haben wir aber immer noch viel.
Also Macht haben wir als Christen noch immer, und sei es, dass wir durch unser Verhalten anderen den Zugang zu unserer Gemeinde erleichtern oder erschweren. Und da wir dazu neigen, mit der Macht, die wir haben, nicht angemessen umzugehen, sind wir auf die Gnade Gottes angewiesen, die Gnade, uns nicht allzu sehr in Versuchung zu führen, und die Gnade, dass er uns vergibt, wenn wir mal wieder etwas falsch gemacht haben. Und weil wir Gnade brauchen, müssen wir auch gnädig sein gegenüber denen, über die wir Macht haben, materiell oder politisch, oder einfach nur die Macht, zu vergeben oder nicht zu vergeben.
Lucie bei den „Peanuts“ wartet auf jemanden, der sie glücklich macht, bevor sie daran denkt, jemanden glücklich zu machen. Ihr kleiner Bruder Linus dagegen gibt sich sofort Mühe, andere glücklich zu machen, weiß er doch, dass er ein Geschenk im Voraus schon erhalten hat: das Leben!
Amen
Perikope