wieder einma(h)l…
Das Fladenbrot knackt knusprig im Ofen. Der Weißwein ist kaltgestellt. Auf dem Tisch Schälchen mit Hummus, Joghurt, Oliven. Dazu Chips und Weingummi – alles da für einen langen Abend.
Ich zünde die Kerzen an. Im Hintergrund läuft meine Lieblingsband: Alternativ-Rock – noch leise. Es wird an diesem Abend lauter werden.
Es ist mein letzter Freitagabend in Heidelberg. Nach drei Jahren Studium dort heißt es mal wieder: Abschiednehmen. Mal wieder Kisten packen. Mal wieder ein letztes Mal im Lieblingscafé, ein letztes Mal auf die Tram Nummer fünf warten. Ein letztes Mal beim Bäcker nebenan die Brezen kaufen.
Ich kenne das schon, diese letzten Male. Es gab schon einige davon. Und obwohl ich erlebt habe, dass es danach weiter geht, habe ich immer wieder Angst davor. Ein dumpfer Schmerz im Bauch – der bleibt auch an diesem Abend bis zum Schluss.
Es war ein langer Abend. Die Schälchen sind leer, die leeren Weinflaschen stehen auf dem Tisch, die Kerzen sind abgebrannt.
Wir haben uns Geschichten erzählt, als ob wir schon uralt wären. Wir haben viel gelacht, über die Trinkregeln in der Bibliothek, über Sturzregen bei der Fahrradtour und Semesterpartys. Es kam uns vor wie im Rausch. Ein Leben im Rausch.
Ich bringe meine letzten Gäste zur Tür. Wir umarmen uns ein letztes Mal. Morgen werde ich die letzten Kisten packen, Sonntag den Mietwagen abholen. Und dann ist es vorbei, mein Leben hier in Heidelberg. Ein Leben nicht immer im Rausch, aber manchmal.
Was davon bleibt: Erinnerungen, gemeinsame Erlebnisse, feiern und lernen. Und gute Freunde.
Abends an der Tür ist der dumpfe Schmerz im Bauch wieder stärker.
das letzte ma(h)l
Das Fladenbrot duftet. Als er es bricht, knackt es knusprig. Es ist noch warm. Sie reichen sich Hummus, Oliven und Joghurt in kleinen Schälchen weiter. Alle tauchen ihr Brot ein. Es schmeckt wunderbar.
Doch etwas ist anders als sonst. Er wirkt so ernst und angespannt. Sonst ist er beim Abendessen immer ausgelassen, genießt die Köstlichkeiten, die man ihm bereitstellt. Lacht und schwatzt mit ihnen.
Aber heute ist etwas anders. Hanna spürt es. Das macht sie unruhig. Und auch bei den anderen merkt sie eine Veränderung. Auch sie wirken angespannt.
Und dann nimmt er das Brot, dankt, bricht es und gibt es ihnen und sagt: „Das ist mein Leib.“
Die Gespräche verstummen. Hanna stellt ihren Becher ab. Sie versteht nicht, was das bedeuten soll.
Er reicht das Brot weiter, sie nehmen alle davon. Es knuspert bei jedem Brechen. Lauwarm liegt es in der Hand. Der Duft steigt in die Nase – eigentlich ein wohliges Gefühl. Es schmeckt köstlich. Doch da liegt dieser Satz in der Luft: „Das ist mein Leib.“
Sie erzählen von früher. Was sie schon alles zusammen erlebt haben. Hanna war nicht immer dabei, aber an ein paar Geschichten kann sie sich erinnern.
Als die Schüsseln leer sind und das Brot aufgegessen, nimmt er den großen Weinkelch, den besonders schönen mit den türkis-gelben Ornamenten. Er dankt, gibt ihn in die Runde und sie trinken alle daraus. Auch Hanna. Der Kelch ist schwer, liegt sperrig in der Hand mit seiner rauen Oberfläche. Der Wein ist süß und kühl. Sie möchte weiter trinken, aber Judas neben ihr möchte auch einen Schluck. Sie reicht den Kelch weiter. Jeder möchte daraus trinken.
das allerletzte mal…
Ihr Bett steht jetzt im Wohnzimmer. Daneben der Esstisch und Stühle. Wenn einer fehlt, wird ein alter Klappstuhl aus dem Keller dazu geholt. Immer ist jemand da. Freunde und Nachbarn. Sie liegt in ihrem Bett, die Augen nur wenig geöffnet. Sprechen kann sie nicht mehr. Aber jeder spürt: Sie ist dabei. Ihre Töchter sorgen für frischen Kaffee, ihr Mann legt Kekse nach. Und hält ihre Hand. Ihr letzter Halt.
An der Tür sind die Blicke noch scheu, verlegen, manchmal ängstlich. Es ist hier sehr still. Doch sobald sie das Wohnzimmer betreten, spüren sie Leben. Es duftet nach Kaffee und manchmal läuft auch Musik, leise im Hintergrund. Sie sitzen um ihr Bett, erzählen von früher oder vom Einkauf gerade im Supermarkt. Von der Hochzeit vor über dreißig Jahren, die Nachbarin den neusten Dorftratsch.
Sie hört uns zu, schwelgt in Erinnerungen wie wir und vielleicht muss sie auch mal schmunzeln.
Beim Abschied weiß jeder, dass es das letzte mal sein wird. Das allerletzte mal. Der Blick besonders tief, das Händedrücken besonders lang. Ein letztes mal. Ein allerletztes Mal.
das letzte Ma(h)l zusammen…
Als auch der Kelch leer ist, steht er auf. Er will noch einmal raus, beten auf dem Ölberg. Seine engsten Freunde gehen mit.
Hanna bleibt zurück am Tisch. Leere Teller und Becher. Sie blickt zur Tür. Ein letztes Mal sieht sie seinen Rücken, dann ist er gegangen. Ihr schwirrt der Kopf. Vielleicht vom Wein, vielleicht von seinen Worten. „Ich werde nicht mehr trinken vom Gewächs des Weinstock bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes.“
Es gibt also ein neues mal. Ein neues Mahl. Noch ist es nicht so weit.
was bleibt…
Als ich eine Woche später die Kisten in meiner neuen Wohnung in Münster auspacke, sind auch die Abschiedsgeschenke aus Heidelberg dabei. Und sofort sind die Bilder wieder da: vom letzten Abend mit meinen Freunden, von meinem Lieblingscafé und der Bibliothek. Ich höre unser Lachen und rieche das Fladenbrot. Ich bin froh, den Abschied gefeiert zu habe, auch wenn der dumpfe Schmerz im Bauch dabei war. Was bleibt: die Erinnerung – ein schönes Gefühl. Im neuen Zuhause und in mir lebt etwas von Heidelberg weiter.
Die Töchter und ihr Ehemann sitzen jetzt nur noch zu dritt am Esstisch. Ihr Bett ist abgeholt. Sie fehlt ihnen. Ein Schmerz legt sich über sie und den Raum. Daneben aber sind die Bilder der letzten Tagen: wie sie zusammen gelacht haben, wie sie noch einmal gesungen haben, wie sie erzählt haben. Das Haus war voller Leben. Trotz Abschied. Oder gerade deswegen. Sie sind froh, dass sie diese Tage zusammen erlebt haben.
Für die Familie und die Freunde war es ein allerletztes Mal hier, in dieser Welt. Von ihr bleiben die Erinnerungen, das Gefühl, bis zum Schluss bei ihr gewesen zu sein. Das tröstet sie.
Und es bleibt die Hoffnung auf ´s Neue. Jenseits dieser Welt. Auf ein neues Mal.
Hanna hat ihn nicht mehr wieder gesehen. Ihr letzter Blick auf seinen Rücken und seine Worte im Ohr – das ist ihr geblieben. Und die Erinnerung an das letzte Mahl.
Sie holt das frische Fladenbrot aus dem Ofen. Warm liegt es in ihrer Hand. Der Duft steigt in die Nase – ein wohliges Gefühl. Als sie es bricht, knuspert es. Hanna hat die Bilder vom letzten Ma(h)l vor Augen und seine Worte im Ohr: „Das ist mein Leib.“ „Das ist mein Blut des Bundes.“ „Ich werde von Neuem davon trinken im Reich Gottes.“
Es gibt also ein neues Mal. Ein neues Mahl. Nach dem Abschied. Noch ist es nicht so weit.