Das Lied des Glaubens - Predigt zu Jesaja 49,1-6 von Constanze Lenski
49,1-6

I. Predigttext

Ein Lied schallt übers Land. Über die Meere mit ihren Inseln, über die Berge erklingt es. Der Sänger ruft auf zum Hören. Er singt das Lied seines Lebens. Seine klingenden Worte erzählen von Gottes Plan mit ihm, von seinem Vertrauen, von seiner Zerrissenheit und dann doch wieder Vertrauen, trotz der Fragen, trotz der Arbeit, trotz der Größe des Auftrages. Er singt. Wieder einmal. Durch die Zeit erschallen seine Worte in unseren Ohren

Hört das Lied des Gottesknechtes aus Jesaja 49.

Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoße der Mutter war. Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum Spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen lassen will. Ich aber dachte, ich arbeite vergeblich und verzehre meine Kraft umsonst und unnütz. Doch mein Recht ist bei dem Herrn und mein Lohn bei meinem Gott. Und nun spricht der Herr, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde – und ich bin vor dem Herrn wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke -, er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.

II. Der Knecht Gottes

Er wurde auserwählt. Der Sänger, der Knecht, der Auserwählte. Ehe er „Ja“ zu seiner Wahl sagen konnte, sagte Gott „Ja“ zu ihm. Er kannte ihn, bevor er sich selbst kannte. Warum gerade er auserwählt wurde, dass weiß er vielleicht selbst nicht. Gott schweigt darüber, doch seine Aufgabe ist klar: Er soll das zerstreute Volk wieder zurückbringen. Zurück in die Heimat.

Ihre Heimat war verloren gegangen. Die Babylonier hatten Jerusalem erobert. Es herrschte Krieg. Der Tempel wurde zerstört und der Großteil des Volkes nach Babylon verbracht. Ihr Leben mussten sie jetzt hier verbringen. Ohne den Tempel. Ohne den Kult. Ohne Zion. Entwurzelt, in einem neuen, so fremden Land mussten sie leben. Thronte nicht auf dem Berg Zion im Tempel ihr Gott? War er nicht der Garant, dass Jerusalem nichts hätte passieren können? Wo war ihr Gott?

Der Knecht Gottes ruft in der Fremde dem Volk zu. Er ruft in ihre Fragen nach Gottes Dasein: „Hört zu!“ Mit Worten, scharf wie ein Schwert, die teilen. Mit Worten, die mitten ins Herz treffen, wie Pfeile. Er ruft, er spricht und doch: Über seiner Aufgabe scheint der Knecht zu resignieren. Er singt: „Ich arbeite vergeblich und verzehre meine Kraft umsonst und unnütz.“  

Ich sehe ihn vor mir. Er schaut auf seinen Weg. Auf sein Reden und Tun. Scheinbar scheint es keine Frucht zu zeigen. Er, der Auserwählte klagt. Wozu das alles? Was mache ich hier eigentlich? Die Selbstsicherheit seiner Erwählung, sein Vertrauen schwindet. Er, der von Gott Berufene sieht nicht, wohin der Weg führen soll.

 

Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt,

der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt.

Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn,

der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.

 

Dem Herren musst du trauen, wenn dir´s soll wohlergehen;

auf sein Werk musst du schauen, wenn dein Werk soll bestehn.

Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein

lässt Gott sich gar nicht nehmen, es muss erbeten sein.

Mitten in das Klagen und Fragen ändert sich die Stimmung des Sängers. Er schaut nicht mehr auf den Erfolg seines Auftrages. Er erinnert sich. Er besinnt sich auf den Grund seines Seins.  Nicht in den Menschen ist er verankert. Nicht sie entscheiden über Erfolg oder Misserfolg. Nicht sie treffen das Urteil. Die Fragen in seinem Innersten werden leiser. Er wurde von Gott wert geachtet. Er, der Geringste. Er, der Kleinste. Er, nur ein Knecht, doch von Gott erhoben. Von Gott gerufen. Zum Licht in die Welt gestellt. Leuchten soll er. Mitten in die Dunkelheit soll es strahlen – das Licht.

III. Der Sänger Paul Gerhardt

Lange war es dunkel. Dreißig Kriegsjahre mit Entbehrungen, Not und Leid liegen hinter dem Sänger. Sie bedeckten die Welt. Mehr als 2000 Jahre nach dem der Knecht Gottes singt er. Der Sänger heißt Paul Gerhardt. In seinen Liedern kommen oft die Themen Leid, Tod und Sterben vor. Der Krieg, der Hunger und das Leid, das im Dreißigjährigen Krieg über die Menschen in den deutschen Landen herrschte, aber auch der Tod seiner vier Kinder prägten sein Leben tief. In seinem Testament für seinen einzig überlebenden 13-jährigen Sohn Paul Friedrich wird es deutlich. Er schreibt: Ich habe „die fröhliche Hoffnung […], dass mein lieber frommer Gott mich in kurzem aus dieser Welt erlösen und in ein besseres Leben führen werde, als ich [es] bisher auf Erden gehabt habe, so danke ich ihm zuvörderst für alle seine Güte und Treue, die er mir von meiner Mutter Leibe an bis auf jetzige Stunde an Leib und Seele und an allem, was er mir gegeben, erwiesen hat“1.

Trotz des Leids, trotz der Dunkelheit in seinem Leben dankt er Gott. Und in seinen Liedern wird das spürbar. Sie drücken Glaubensfreude und Lebensmut aus. Sie beschreiben die Schönheit von Gottes Schöpfung, das Leben mit seinen Schatten und dem Licht. Sie beschreiben den Glauben, sein tiefes Vertrauen und die Treue Gottes. Er malt klingende Bilder in die Herzen der Menschen, in denen sie sich selbst wiederfinden können. Für ihn ist Gott kein fernstehender Beobachter. Gott geht im Leben mit.

Doch das eigene Gefühl kann Gottes Treue infrage stellen. Die Vernunft fängt an, Kritik zu üben. Das Vertrauen der Seele verschwindet langsam im Nebel der Zweifel.

Die Sänger singen ihre Lieder – sie erzählen von Vertrauen, Zerrissenheit, Zweifeln und der Hoffnung. Sie erzählen von ihrem Glauben, von ihrem Weg mit Gott.

Schatten können sich auf diesem Weg ausbreiten. Schatten, die das Vertrauen schwinden lassen. Ja, manchmal ist der Weg hell erleuchtet, das Vertrauen unerschütterlich, doch dann kann der Weg auch undeutlich werden, nur noch ein dünnes Fädlein die Verbindung halten.

In dieser Spannung und in den Fragen sind wir nicht allein. Der Knecht Gottes empfand so, Paul Gerhardt machte die Erfahrungen. Er ruft uns in seinem Lied „Befiehl du deine Wege“ zu: „Vertraue dich Gott an! Er wird’s wohl machen“ Er schreibt:

 

Hoff, o, du arme Seele, hoff und sei unverzagt!

Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt,

mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit,

so wirst du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud.

 

IV. Licht

Erblickst du die Sonne? Siehst du das Licht? Gott will, dass sein Heil leuchtet in der Welt. Es soll die Zweifel, die Dunkelheit vertreiben. Siehst du das Licht?  Bis an die Enden der Welt soll es leuchten.

Die Hoffnung kann abnehmen, der Glaube kann schwinden, doch Gottes Verheißung bleibt bestehen. Er will sein Heil für alle Völker. Und alle sollen aufmerken und es hören. Halte einen kurzen Moment inne und höre.

 

Wohl dir, du Kind der Treue, du hast und trägst davon

mit Ruhm und Dankgeschreie den Sieg und Ehrenkron;

Gott gibt dir selbst die Palmen in deine rechte Hand,

und du singst Freudenpsalmen, dem der dein Leid gewann.

 

Und dann stimme ein. Singe mit den Sängern. Auch wenn du ihre Lieder in deinen dunklen Zeiten nur in der Ferne hörst, Gott hat ja zu dir, zu uns gesagt, ehe wir waren. Er ist unser Licht, dass nie aufhören wird zu leuchten, wie dunkel uns die Welt auch erscheint.

Sein Lied, er wird nicht verstummen. Und was singst du?

 

Amen.

 

Während des Predigttextes wird die Orgel leise die Melodie von „Befiehl du deine Wege“ (EGB 316) spielen. In die Predigt eingestreut, werden Strophen des Liedes vom Lektor verlesen. Im Anschluss der Predigt kann das Lied mit den Versen 1, 2, 6 und 11 gesungen werden.

 

 

1 I Silber, Heinrich, Geh aus mein Herz… Stundenentwürfe zu Paul Gerhardt. Kreativ Kompakt – Praxismaterialien für die Seniorenarbeit, Neukirchen -Vluyn 2006, 24.

Perikope
23.09.2018
49,1-6