Das neue Leben - Predigt zu Epheser 4,22-32 von Stephanie Höhner
4,22-32

Es regnet, als er aus der Haustür tritt und zum Fahrrad geht. Aber um jetzt noch die Regenhose von oben zu holen, bleibt keine Zeit mehr. Er ist eh schon spät dran. Also radelt er durch den Regen. Die Nässe zieht seine Beine hoch und der Regen tropft vom Helm in sein Gesicht. Hoffentlich habe ich noch eine Hose zum Wechseln im Büro, denkt er, als er durch eine Pfütze fährt und das Wasser an seinen Hosenbeinen hochspritzt.

Deshalb sollt ihr den alten Menschen ablegen, denn er entspricht der früheren Lebensweise.
Er wird zugrunde gehen aufgrund seiner trügerischen Lust.

Aber die alte Lebensweise abzulegen ist so viel leichter gesagt als getan. Jeden Tag kämpfe ich gegen die trügerische Lust der Bequemlichkeit, weil es einfacher ist, bei den großen Ketten einzukaufen als mühsam Internetseiten mit fair gehandelter Kleidung zu suchen und dann noch etwas zu finden, dass nicht dem Klischee von Ökomode entspricht.

Jeden Tag kämpfe ich gegen die trügerische Lust des Schönredens, dass diese eine kurze Autofahrt das Weltklima auch nicht retten wird und der schnelle Einkauf im Supermarkt keinen Bauern die Existenz kostet.

Jeden Tag kämpfe ich gegen die trügerische Lust der Verdrängung an, weil ich ja längst weiß, dass es aber so ist, weil eben jeder so denkt. Deswegen verdienen Näherinnen in Bangladesch (und Äthiopien) ein paar Cent für 12 Stunden Arbeit am Tag, werden Flüsse zu braunstinkenden Kloaken und überdüngen Landwirte ihre Felder, damit sie am Ende des Monats auch noch Geld zum Leben haben.

So gerne möchte ich das Alte ablegen und hoffen, dass es wahr wird:

Lasst euch stattdessen dadurch erneuern, dass der Heilige Geist in eurem Verstand wirkt.
Und zieht den neuen Menschen an wie ein neues Kleid.

Wie ein neues Kleid, für das die Näherin einen fairen Lohn bekommt und das mich mit Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit kleidet. Dann werde ich ein neuer Mensch sein.

Denn er ist nach Gottes Bild geschaffen und dadurch fähig zu wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Deshalb sollt ihr die Lüge ablegen und »jeder soll seinem Nächsten die Wahrheit sagen«.

Deshalb will ich die Lügen vor mir selbst ablegen, die mir einreden, dass ich noch mehr brauche, dass ich noch mehr machen kann, damit ich dem Trugbild meiner Selbst näher komme. Ich will die Lüge in mir ablegen, doch keine Lügnerin zu sein, weder mir selbst gegenüber noch Gott. Ich denke doch alles gerade heraus. Die Lügner, das sind die anderen. Und damit sitze ich meiner eigenen Lüge auf.
Deshalb will ich sie ablegen, die Lüge.

Denn wir alle sind Glieder am Leib von Christus.
»Euer Zorn soll nicht dazu führen, dass ihr Schuld auf euch ladet!«
Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.
Gebt dem Teufel keinen Raum zum Wirken!

Aber der Zorn überfällt mich hinterrücks, weil es so viel gibt, das mich zornig macht. Die Europäische Union, die tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt. Der brasilianische Präsident, der Hektar um Hektar Regenwald roden lässt. Die S-Bahn, die sich verspätet. Die blöde Bemerkung eines Kollegen. Meine Hilflosigkeit, dass in dieser Welt so viel schief läuft. Der Zorn besorgter Menschen, die sich nicht gesehen fühlen, sich aber lauthals Gehör verschaffen. Mein Zorn, der ins Leere läuft.

Ich sehe die Sonne über meiner Hilflosigkeit untergehen, über mein Schweigen in dieser Welt. Ist es da besser, wenn ich mich daran halte:

Kein böses Wort soll über eure Lippen kommen. Vielmehr sollt ihr stets ein gutes Wort haben, um jemanden aufzubauen, wenn es nötig ist.

Ein freundliches Lächeln für die drängelnde Frau in der Kassenschlange.
Ein Taschentuch für den Freund mit Liebeskummer.
Eine zupackende Hand für die Freundin, die ihre Stelle verloren hat.
Eine offene Kirche mit Kerzen.
Ein offenes Ohr für die alternde Mutter, die sich am Telefon beschwert.
Eine extra Portion Zeit für die Schüler, die ihren Kummer rauslassen wollen.
Eine Münze für den Pappbecher, der vor dem Mann neben Edeka steht.
Ein Abend mit Film und „über-alte-Zeiten-Reden“ für den Freund, den man viel zu selten sieht.
Eine offene Kirche mit Kerzen.
Ein „Wir schaffen das“ für die Menschen, die auf der Suche nach einem neuen Leben sind.

Dann bringt dieses Wort denen Gnade, die es hören.
Kränkt nicht Gottes Heiligen Geist, der euch als Siegel aufgedrückt wurde. So kennzeichnet uns Gott für den Tag der endgültigen Erlösung.
Alle Erbitterung, Wut, Zorn, lautstarke Auseinandersetzungen und Verleumdungen sollen euch fernliegen – und damit auch alle Bosheit.

Ich höre die alten Worte, sie treffen mich heute ins Herz. Sie sind richtig, viel zu richtig, und darum so schwer. Ich habe Angst, zu scheitern. Ich habe Angst, dem Anspruch nicht gerecht zu werden und nackt da zu stehen am Tag der endgültigen Erlösung. Vielleicht habe ich mich stets bemüht, aber ob das reicht, weiß ich nicht.  Ich weiß nicht, was überhaupt reicht für den Tag der endgültigen Erlösung.
Das bleibt ein Rätsel mein Leben lang.
Auch wenn es viel ist, zu viel für mich und mein kleines Herz, in das ich so will packen will, aber das nicht alles aushält, was ich ihm auflade – auch wenn es zu viel ist, diese alten Worte, die mich heute treffen, ist da etwas, das mich antreibt, es zu versuchen. Es ist die Sehnsucht, dass wir alle es versuchen und vielleicht wird es dann einmal ganz leicht sein und es wird sich erfüllen:

Seid vielmehr gütig und barmherzig zueinander. Vergebt einander,wie Gott euch durch Christus vergeben hat.

Amen.

Perikope
18.10.2020
4,22-32