Das sieht Ihm ähnlich - Predigt zu Hebräer 2,10-18 von Matthias Loerbroks
2,10-18

Das sieht Ihm ähnlich - Predigt zu Hebräer 2,10-18 von Matthias Loerbroks

Das sieht Ihm ähnlich

Es geziemt ihm, passt zu ihm, dessentwegen Alles ist und durch den Alles ist, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anführer ihrer Befreiung durch Leiden zu vollenden.
Denn der, der heiligt, und die, die geheiligt werden, sind alle aus Einem. Aus diesem Grund schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen.
Er sagt: ich verkünde deinen Namen meinen Brüdern,
inmitten der Gemeinde werde ich dich preisen.
Und wiederum:
Ich werde da sein, ich, der auf ihn vertraut hat.
Und wiederum:
Siehe, ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat.
Da nun die Kinder Teilhaber sind an Fleisch und Blut, so hatte er selbst auch in gleicher Weise Anteil daran, auf dass er durch den Tod den abtue, der die Herrschaft des Todes hat, das ist der Teufel,
und die freibekomme, die durch die Furcht vor dem Tod das ganze Leben lang Sklaven waren.
Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern des Samens Abrahams nimmt er sich an.
Darum musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er barmherzig werde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, um zu sühnen die Sünden des Volkes.
Denn dadurch dass er litt als einer, der selbst versucht wurde, kann er denen helfen, die versucht werden.

Die ersten drei Evangelien sind sich darin einig, dass das Essen Jesu mit seinen Jüngern am Abend seiner Verhaftung, am Vorabend seiner Kreuzigung ein Pessachmahl war: das Fest zur Erinnerung an die Befreiung aus der Sklaverei – Erinnerung an die Urgeschichte Israels: ein Essen, da alles, was auf dem Tisch ist, etwas zu bedeuten hat: lauter Gedächtnisstützen. Jesus, so erzählen diese drei, hat das Thema Gedächtnis aufgegriffen, hat die Mazzot und den Wein der Pessachnacht zu Gedächtnisstützen seines Todes erklärt und diesen Tod so im Zusammenhang mit diesem Erinnerungsfest selbst als ein befreiendes Geschehen gedeutet, eine erneute Tat Gottes zur Befreiung von Sklaverei. Johannes, der vierte Evangelist, erzählt es anders, zieht aber denselben Vergleich: er datiert den Tod Jesu auf die Stunde, da im Tempel die Pessachlämmer geschlachtet werden, vergleicht Jesus so mit jenem Lamm, dessen Blut Israels Türen kennzeichnete, damit in der Nacht des Schreckens und der Befreiung der Tod an ihnen vorübergehe. Und er unterstreicht diesen Vergleich, indem er aus dem zweiten Buch Mose die Anweisung zur Zubereitung jenes Lamms zitiert: ihr sollt ihm keine Knochen brechen, und sie auf Jesus bezieht.

Auch unser Abschnitt aus dem Hebräerbrief deutet den Tod Jesu als Befreiungsgeschehen: durch seinen Tod hat er den Machthaber des Todes abgetan, abgeschafft, um die freizubekommen, die durch Furcht vorm Tod ihr ganzes Leben lang Sklaven waren. Der Tod Jesu hat darum jene Befreiungsgeschichte nicht nur fortgesetzt, indem er weitere Sklavenhalter, Tod und Teufel, besiegte, sondern geradezu verewigt, den Bund zwischen Gott und seinem Volk unverbrüchlich gemacht.

Um deutlich zu machen, dass das, was in und mit Jesus geschah, im Einklang ist mit der Bundesgeschichte zwischen Gott und Israel, beginnt er mit den kühnen Worten: es geziemt dem, dessentwegen Alles ist und durch den Alles ist. Es geziemt ihm, es passt zu ihm, es sieht ihm ähnlich. Schon das Kommen Jesu sieht der Verfasser als Solidarisierung Gottes mit seinem Volk: der Sohn Gottes wird ein Mensch von Fleisch und Blut, wird ein Sohn Abrahams und damit zum leiblichen Bruder, zum Blutsverwandten aller Nachkommen Abrahams: der Heiligende und die, die geheiligt werden – aus einem stammen sie. Und der Briefschreiber unterstreicht: er nimmt sich ja nicht der Engel an, sondern Abrahams Samen nimmt er sich an. Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen, macht sich mit ihnen gemein. Und so greift der Hebräerbrief jenen 22. Psalm auf, dessen verzweifelten Anfang – Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? – die Evangelisten Matthäus und Markus dem sterbenden Jesus in den Mund gelegt haben. Doch unser Briefschreiber erinnert daran, dass dieser Psalm nach einer klagenden ersten Hälfte plötzlich in Jubel umschlägt, und zitiert aus dieser zweiten Hälfte: ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde dich preisen. Er sieht im Leiden und Sterben Jesu keine Widerlegung der Geschichte Gottes mit seinem Volk, sondern ihre Vollendung.

Wenn es nach dem großen Theologen Schleiermacher gegangen wäre, hätte die Menschwerdung Jesu, das Wunder der Weihnacht, schon genügt, hätte es der Kreuzigung nicht bedurft. Dass Gott selbst oder jedenfalls sein Wort, sein Sohn ein Mensch von Fleisch und Blut wurde, darin sah er bereits die ausgesprochen friedliche Vereinigung von Gottheit und Menschheit. Das entsprach seiner optimistischen Sicht der Menschheit und der seiner Zeit, und er hat damit Schule gemacht: Weihnachten ist viel erfolgreicher als Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern. Der Hebräerbrief aber und das ganze Neue Testament machen sich die Sache etwas schwerer, versuchen, auch dem Tod Jesu Sinn abzugewinnen, auch ihn als frohe Botschaft zu hören und zu verkünden: erst dieser Tod hat sein Volk von versklavenden, von gott- und menschenfeindlichen Mächten befreit.

Und auch darin sind sich die Autoren des Neuen Testaments einig: die Bestätigung und Befestigung des Bundes zwischen Gott und seinem Volk durch Jesus Christus hat diesen Bund auch geöffnet für die Völker. Daran erinnern die Einsetzungsworte des Abendmahls: für euch und für viele: für euch, das meint Israel, repräsentiert in den 12 Jüngern – die vielen, das sind die Völker. So erinnert uns das Abendmahl, so oft wir es feiern, daran, dass nun auch wir zu leiblichen Geschwistern, zu Blutsverwandten Jesu und seines Volkes geworden sind, befreit von den Sklavenhaltern Sünde, Tod und Teufel, befreit zur Bundesgenossenschaft mit Gott und seinem Volk.

Amen.

 

Vorschläge zum Gottesdienst:

Begrüßung mit Psalm 111,4

1. Lied: 83,4-6 oder 218,1-4 oder 323 oder 405,1-3

Psalm 111

Gebet

1. Lesung: Ex 12,1-14 passt besser zum Predigttext als die Epistel

2. Lied: 498 oder 101,5-7 oder 36,3-4 oder 290,4-6

2. Lesung: Johannes 13,1-16

3. Lied: 27,3-5 oder 78,1-3

Predigt

4. Lied: 223,1-5 oder 217 oder 213,1-3 oder 70,4-7 oder 257

Gebet

Abendmahl

5. Lied: 85,5 oder 82,7 oder 87,3 oder 240 oder 222

Segen