"Das Staunen ist der Anfang des Glaubens" - Predigt über 1. Mose 1,1-4a.26-31; 2,1-4a von Christoph Dinkel
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Das Staunen ist der Anfang des Glaubens
  
  Unser Predigttext heute ist der erste Schöpfungsbericht der Bibel. Er beschreibt die Erschaffung der Welt durch Gott in sieben Tagen und ist einer der meistdiskutierten Texte der Bibel. Denn er steht im Mittelpunkt der Debatte um Schöpfungslehre und Evolutionslehre.
  
  Schöpfung oder Evolution – so lautete lange Zeit für viele die Alternative. Man meinte, entweder der christlichen Schöpfungslehre oder der naturwissenschaftlichen Evolutionslehre anhängen zu können. Für manche fundamentalistische Christen ist der Gegensatz bis heute unüberwindlich. Ihrer Ansicht nach hat Gott die Welt tatsächlich in sieben Tagen geschaffen. Jede Lebensform auf der Erde wurde einzeln für sich geschaffen. Menschen und Affen haben keine gemeinsamen Vorfahren. Mensch und Tier sind zwar beide Geschöpfe Gottes, aber sonst sind sie total verschieden.
  
  Folgt man der Evolutionslehre so ist das Leben auf der Erde in einem evolutionären Prozess entstanden. Aus unbelebten Proteinen entstanden in vielen Jahrmillionen Einzeller, später komplexe Lebewesen bis zu den Säugetieren, zu denen der Mensch genauso zählt wie die Affen oder das Nashorn. Mensch und Tier teilen sich die biologische Grundstruktur und ganz große Teile des genetischen Codes. Sie sind einander sehr ähnlich.
  
  Schöpfung oder Evolution – die Alternative ist falsch gestellt. Das wird in der wissenschaftlichen evangelischen Theologie zum Teil schon seit Darwins Zeiten so gesehen. Seit einigen Jahrzehnten wird dies auch von der katholischen Theologie so gelehrt. Die Erkenntnis, dass zwischen Evolutions- und Schöpfungslehre kein unüberbrückbarer Graben besteht, hat es auch schon seit Jahrzehnten bis in die Schulbücher geschafft. In den Köpfen ist die Erkenntnis aber noch nicht wirklich angekommen. Denn noch immer eignet sich das Thema als Aufreger. Eine Meldung vom Donnerstag, 11.4.2013, auf welt.de: In Nordrhein-Westfalen wollen einige fundamentalistische Christen an evangelischen Bekenntnisschulen die Schöpfungslehre im Biologieunterricht einführen. Die Evangelische Kirche in Deutschland reagiert sofort und stellt klar, dass dies nicht ihre Position ist.
  (vgl. http://www.welt.de/politik/deutschland/article115215588/Debatte-um-Krea…)
  Die Debatte um Schöpfung und Evolution ist also immer noch nicht ausgestanden, daher folgende Bemerkungen vorweg:
  
  Die Schöpfungsgeschichte der Bibel spiegelt das naturwissenschaftliche Wissen des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts wider. Dieses Wissen ist weit überholt. Der Kenntnisstand über die Entstehung des Lebens und die Entwicklung der Arten ist heute ein anderer. Die Bibel hat auf naturwissenschaftlicher Ebene als Erkenntnisquelle ausgedient. Und deshalb gehört die Schöpfungslehre der Bibel auch nicht in den Biologieunterricht.
  
  Hat man das erst einmal geklärt, dann wird der Blick frei auf die Schöpfungsgeschichte als Dokument des Glaubens und der Religion. Und auf dieser Ebene ist die Schöpfungsgeschichte ganz und gar nicht überholt. Hier ist sie so aktuell wie vor zweieinhalb tausend Jahren und eine maßgebliche und inspirierende Erkenntnisquelle.
  
  Ich lese aus 1. Mose 1 und 2 den Schöpfungsbericht abschnittsweise und kommentiere ihn jeweils.
  
  Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war.
  
  Unser Glaube lehrt das Staunen. Er lehrt keine analytisch-nüchterne, objektive Betrachtung der Welt. Die muss es auch geben und dafür sind die Naturwissenschaften da. Aber unser Glaube lehrt das Staunen, das Staunen darüber,
  
  - dass überhaupt etwas ist und nicht nichts (Friedrich Wilhelm Schelling),
  - dass in der Welt eine Ordnung herrscht und nicht nur blindes Chaos waltet,
  - dass es Helles und Dunkles, Licht und Finsternis gibt und wir überhaupt in der Welt etwas erkennen und beschreiben können,
  - dass in der Welt Gottes Geist wirkt, die Lebensmacht, die ordnende Kraft in allem Chaos.
  
  Unser Glaube lehrt das Staunen: Mitten in einem minus 270 Grad kalten Weltall gibt es einen kleinen, blauen Planeten, auf dem Leben möglich ist. Mitten in der unendlichen Leere des Alls ist da in genau passender Entfernung eine Sonne, die Licht und Leben spendet. Mitten in einer 13 Milliarden Jahre währenden Weltgeschichte sind auf diesem kleinen, blauen Planeten Erde: wir – und begreifen wie wunderbar alles ist. Mit Gott zusammen sagen wir: Es ist gut, dass es die Welt gibt, dass es Licht gibt. Es ist gut, dass wir staunen können. Das Staunen ist der Anfang der Religion, es ist der Anfang des Glaubens.
  
  Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
  Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
  
  Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Jeder Mensch. In der Kultur, in der der Schöpfungsbericht entstand, waren nur der Pharao oder der Großkönig Ebenbild Gottes. In Abgrenzung davon stellt die Bibel fest: Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Jeder Mensch ist fähig, die Welt zu erkennen. Jeder ist fähig und hat das Recht, die Welt zu gestalten. Dem biblischen Schöpfungsglauben wohnt von Anfang an eine große Tendenz zur Gleichheit inne. Dass dieses Erkenntnisniveau nicht immer gehalten wurde, steht außer Frage. Aber der Schöpfungsbericht formuliert klar, wie es gemeint ist: Jeder Mensch – ob Frau oder Mann, ob reich oder arm, ob mächtig oder schwach und gleich welcher Rasse oder Hautfarbe – ist ein Ebenbild Gottes, hat gleiche Würde, das gleiche Recht zu leben, das gleiche Recht auf Glück.
  
  Macht euch die Erde untertan – trägt Gott den Menschen als seinem Ebenbild auf. Herrscht über die Tiere, füllt die Erde. Auch hier lohnt ein Blick auf den historischen Kontext. Denn damals war klar: Wer die Tiere nicht zu beherrschen weiß, wird von ihnen gefressen. Löwen und Bären gab es damals nicht nur im Zoo hinter Gittern, man lebte inmitten einer allseits bedrohlichen Natur. Ständig war man in Gefahr, durch wilde Tiere, durch Hunger, durch Krankheit ausgelöscht zu werden. Macht euch die Erde untertan, heißt auf diesem Hintergrund erst einmal: Schaut, dass ihr überlebt. Lasst euch nicht entmutigen, trotz der ständigen großen Verluste an Leben. Ihr Menschen seid gewollt. Ihr habt eine Aufgabe in der Welt.
  
  Macht euch die Erde untertan – dieser Satz birgt auch Schrecken. Unter Berufung auf diesen Satz haben Menschen diesen Planeten geplündert und weite Teile der Natur unwiederbringlich zerstört. Die Ausbeutung der Rohstoffe unseres Planeten hat Urwälder und Flüsse, Meere und Berge vernichtet oder verschmutzt. Unser Atommüll wird noch Jahrmillionen strahlen und Leben gefährden. Ob das gemeint war als einer aufschrieb: Macht euch die Erde untertan?
  
  Heute sehen wir klarer, dass zur Gottebenbildlichkeit des Menschen ganz elementar die Verantwortung des Menschen für diesen Planeten gehört. Die Menschheit kann nicht gegen die Natur leben, sie muss einen Weg finden schöpfungsverträglich zu wirtschaften. Dieses Ziel ist heute unumstritten, die Vorschläge wie es zu erreichen sein könnte, sind Teil unserer politischen Diskussion.
  
  Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so. Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag. So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.
  
  Ob die Tiere eigentlich auch sagen würden, es war sehr gut, dass Gott den Menschen geschaffen hat? Sogar der Verfasser unseres Textes scheint da Zweifel zu haben. Denn nach seiner Schöpfungsordnung ist der Mensch und sind alle Tiere Vegetarier. Im Schöpfungsplan des Siebentagewerkes sind nur Samen, Früchte und Kräuter als Nahrung für Mensch und Tier vorgesehen. Wir wissen, dass es solch einen vegetarischen Weltzustand zu keiner Zeit gegeben hat. Erkennbar formuliert der Verfasser des Schöpfungsberichts einen Zustand der Welt, den er für ideal hält. Und in diesem Idealzustand ist nicht vorgesehen, dass ein Tier das andere frisst. Das allgegenwärtige Fressen und Gefressenwerden wird als Verletzung des Ideals angesehen.
  
  Ich will ihnen nicht den Appetit auf den Sonntagsbraten verderben, aber unser Schöpfungsbericht enthält ganz deutlich die Frage, ob unser aktueller Fleischkonsum, ob unser Umgang mit Tieren, die zum Essen bestimmt sind, ob unser Umgang mit Tieren überhaupt wirklich schöpfungsadäquat ist. Unser Schöpfungsbericht ist als Mahnung zu lesen, ob wir Heutigen wirklich sensibel genug mit den uns anvertrauten Tieren umgehen. Man könnte jedenfalls einiges mehr tun als getan wird, damit die Tierwelt die Erschaffung des Menschen nicht nur als Plage ansieht. Dass es so weit kommt, dass die Tierwelt die Erschaffung des Menschen gutheißt, wird wohl eine utopische Vorstellung bleiben.
  
  Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte. So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.
  
  In sieben Tagen erschafft Gott Himmel und Erde und am Ende ruht er aus und genießt das Geschaffene. Sehr gut ist die Schöpfung geworden, stellt Gott fest. Und wer etwas sehr gut gemacht hat, der darf auch ausruhen und sich freuen an seinem Werk. Der Gott des Schöpfungsberichts ist ein sehr menschlicher Gott. Er trägt die Züge eines Handwerkers, der am Ende der Woche die Geräte beiseitelegt und sich Ruhe gönnt. Diesem Handwerkergott der Bibel verdanken wir unsere Wochenstruktur. Diesem Handwerkergott verdanken wir das Recht auf einen freien Tag in der Woche und das Recht auf Urlaub. Wer arbeitet, muss auch ruhen dürfen. Nicht jede Kultur hat das so klar geregelt wie die Kulturen, die sich auf unseren Schöpfungsbericht berufen.
  
  Der Gott unseres Schöpfungsberichtes ist ein Handwerkergott. Das ist aber nicht die einzige Schöpfungsvorstellung in der Bibel. In unserer Schriftlesung (Sprüche 8,22-31) klang eine andere Schöpfungsvorstellung an. So gibt es auch die Vorstellung von der göttlichen Weisheit als Schöpfungsmittlerin. Gottes Weisheit geht demnach in die Natur ein. Gott regelt dann nicht jedes Detail der Schöpfung, er ist vielmehr in den Naturgesetzen präsent und gestaltet auf diesem Weg die Welt. Gottes Weisheit ist die spielerisch-kreative Kraft, die das Leben fortwährend erhält. Schon das Judentum hat diese Vorstellung entwickelt. Im Neuen Testament wird diese Weisheit dann mit Christus identifiziert. Christus als die Liebe Gottes ist die Schöpfungsmacht, die in allem, was lebt, fortwährend wirkt, die alles erschafft und ständig erneuert.
  
  Der Schöpfungsbericht vom Anfang der Bibel ist zwar ein besonders prominenter und wirkmächtiger Text. Doch die Schöpfungsvorstellungen der Bibel sind vielfältig und manche lassen sich durchaus mit den modernen naturwissenschaftlichen Vorstellungen in Einklang bringen. Aber zurück zum ersten Schöpfungsbericht:
  
  Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.
  
  Der Schöpfergott ist ein Gott, der ausruhen kann. Jede Kreativität braucht Ruhe. Aus der Hektik und aus ständiger Betriebsamkeit entsteht nichts Schöpferisches. Wer kreativ sein will, muss sich Erholung gönnen können. Der Schöpfergott, der am siebten Tag ruht, ist ein Vorbild für alle Workaholics und Burnout-Gefährdeten.
  
  Der Schöpfergott ist ein Gott, der über seine Schöpfung sagen kann: Sie ist sehr gut. Der Verfasser des Schöpfungsberichts legt Gott dieses Wort in den Mund, obwohl er weiß, dass vieles in der Welt nicht sehr gut ist, sondern sehr schlecht, sehr bitter, sehr traurig. Im Blick auf die Tiere deutet der Verfasser seine Kritik an der Schöpfung gleich selbst an. Seinem eigenen Leiden an der Schöpfung und dem allseitigem Leiden an der Welt, wie sie ist, verordnet der Verfasser des Schöpfungsberichts den Blick des Schöpfers gleichsam als ein Medikament, als Antidepressivum. Denn von oben betrachtet, aus der Perspektive Gottes, ist die Welt und das Leben auf jeden Fall ein Gewinn. Die Alternative zur Schöpfung wäre, dass entweder gar nichts ist oder dass pures Chaos herrscht. Im Vergleich mit dem Nichts oder mit dem puren Chaos kann zu Recht gesagt werden: Die Schöpfung ist sehr gut.
  
  Doch steckt hinter der Frage, ob die Schöpfung gut ist, ja noch eine andere Frage, nämlich die Frage, ob es gut ist zu leben oder ob es besser wäre nie geboren zu sein. So mancher Mensch geht mit dieser Frage um. Der Verfasser des Schöpfungsberichts hat diese Frage vielleicht selbst gestellt oder hat mindestens Menschen gekannt, die sich diese Frage stellen. Die Perspektive des Schöpfergottes hat er gerade auch ihnen als Antidepressivum zugedacht: So schmerzlich das Leben manchmal ist – es ist besser als das Nichts. So krumm manches im Leben läuft, es gibt so vieles, was gut, was sogar sehr gut ist.
  
  Und damit wir lernen zu sehen, was alles gut, sogar sehr gut ist – dafür wurde dieser erste Schöpfungsbericht der Bibel aufgeschrieben. Wir sollen lernen zu sehen und zu staunen über die Welt und ihre Ordnung. Wir sollen staunen über den Unterschied von Tag und Nacht, über den Unterschied von Trockenem und Nassen. Wir sollen staunen über die Herrlichkeit des Lichts, über die Ordnung der Gestirne und über die Vielfalt der Lebewesen. Wir sollen staunen über den Menschen und alles, was er kann und weiß. Wir sollen staunen über den ruhenden Gott, der will, dass auch wir Menschen ruhen, damit wir kreativ bleiben und damit wir Zeit finden zum Staunen. Denn das Staunen ist ein Mittel gegen die Depression und den Lebensverdruss. Das Staunen ist der Beginn der Religion. Das Staunen ist der Anfang des Glaubens. – Amen.
  
  Liedvorschläge:
  EG 455,1-3, Morgenlicht leuchtet
  EG 504,1-6, Himmel, Erde, Luft und Meer
  EG 503,1-3+14, Geh aus, mein Herz, und suche Freud
  EG 100,1+4+5, Wir wollen alle fröhlich sein
  
   
Perikope
21.04.2013
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